Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Fachkonferenz "20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft"

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Im Jahr 1903 erwarb der jüdische Kunstsammler Albert Martin Wolffson eine Handzeichnung Adolph von Menzels mit dem Titel „Inneres einer gotischen Kirche“ - eines von 32 Blatt, für die er insgesamt 50.000 Reichsmark bezahlte. Im Jahr 1938 musste seine Tochter Elsa Cohen diese Zeichnung verkaufen, um ihre Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA finanzieren zu können. Der Käufer war Hildebrand Gurlitt. Sein Geschäftsbuch verzeichnet einen Preis von 150 Reichsmark – eine dem damaligen Wert einer Menzel-Handzeichnung ganz sicher nicht angemessene Summe. Im Jahr 2017 endlich bekam die Familie Wolffson ihr Eigentum zurück: Dank der Arbeit der Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ konnte ich die Zeichnung im Februar 2017 an die Erben Elsa Cohens übergeben.

Mit ihrer Biographie steht Elsa Cohen beispielhaft für die Opferschicksale, denen auch die derzeit nur gut zwei Kilometer von hier (im Martin-Gropius-Bau) gezeigte Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt: Ein Kunsthändler im Nationalsozialismus“ gewidmet ist. Die Aufarbeitung des „Kunstfunds Gurlitt“ ist ein anschauliches Beispiel für die Erfolge, die in diesem Bereich aus internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit erwachsen können; der deutsch-jüdischen Zusammenarbeit kommt hier nicht nur aus historischen Gründen eine ganz eigene, eine besondere Bedeutung zu. Und so ist es nur folgerichtig, dass die Ausstellung - in erneut überarbeiteter Form - auch Station in Israel machen wird. Zuvor war sie bereits in Bonn, Bern und Berlin zu sehen.

Berlin! In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Nabel der europäischen Kunstwelt, wozu nicht zuletzt legendäre Kunsthändler wie Alfred Flechtheim oder Paul Cassirer mit ihrer Begeisterung für die künstlerische Avantgarde und ihrem weit verzweigten Netzwerk beigetragen haben. Unzählige dieser, meist jüdischen, Sammler von Kunst- und Kulturgütern verloren während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihr Eigentum: Sie wurden von den Nationalsozialisten verfolgt, sie wurden beraubt, sie wurden enteignet. Andere mussten ihren Besitz, wie Elsa Cohen, weit unter Wert veräußern oder bei Flucht und Emigration zurücklassen. Dieses Leid, dieses Unrecht lässt sich nie wieder gutmachen. Dennoch habe ich es als wichtige und bedeutsame Geste empfunden, mit der Rückgabe der Menzel-Zeichnung an die Erben Elsa Cohens wenigstens ein Stück weit zu historischer Gerechtigkeit beitragen zu können. Das hat mich auch persönlich sehr bewegt, denn es wurde einmal mehr greifbar, dass hinter jedem entzogenen, geraubten Kunstwerk das individuelle Schicksal eines Menschen steht: Dies anzuerkennen und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, sind wir den Opfern der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und deren Nachfahren schuldig.

Ich bin dankbar, dass einige von Ihnen heute erneut den Weg nach Deutschland gegangen sind und begrüße Sie sehr herzlich. Sie sind es, die mit Ihren Geschichten eine Annäherung an das Unfassbare möglich machen. Wenn Sie erzählen, bleibt der Zivilisationsbruch des Holocaust kein Kapitel im Geschichtsbuch, sondern wird zur Konfrontation mit der Unmenschlichkeit, zu der Menschen imstande sind und die daher jeden Menschen immer auch persönlich angeht. Diese Einsicht brauchen wir, um unserer immerwährenden Verantwortung für die Erinnerung an die Opfer gerecht zu werden, die das von Deutschen verschuldete, unermessliche Leid und Unrecht uns auferlegt. An uns liegt es auch, den NS-Kunstraub, der wesentlicher Bestandteil der NS-Verfolgungsmaschinerie war, weiter zu erforschen, die Geschichte einzelner Werke so weit wie möglich aufzuklären und gerechte und faire Lösungen mit den früheren Besitzern oder deren Nachfahren zu befördern. Dafür steht die Washingtoner Konferenz, die vor 20 Jahren im Dezember 1998 stattfand, dafür stehen die „Washingtoner Prinzipien“ und dafür steht die „Gemeinsame Erklärung“, in der sich die Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien bekennen. Nach wie vor stellen diese Prinzipien die Leitlinie für unser Handeln dar - dies werde ich heute (gemeinsam mit dem AA) durch die Unterzeichnung eines Joint Agreement mit Stuart Eizenstat und Thomas Yazdgerdi, dem US-Sondergesandten für Holocaust-Fragen, auf US-amerikanischer Seite erneut bekräftigen. Lieber Herr Eizenstat, die von Ihnen vor 20 Jahren initiierte Washingtoner Konferenz und die von Ihnen verhandelten Washingtoner Prinzipien mit ihrer Formulierung der „gerechten und fairen“ Lösungen haben weltweit Maßstäbe gesetzt. An diesen müssen und wollen wir uns auch in Zukunft messen lassen. Wir können hier, um an die Worte der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, selbst übrigens Nachfahrin von Holocaust-Opfern, bei der Eröffnung der Washingtoner Konferenz 1998 zu erinnern, keine Wunder bewirken, aber wir können alles in unserer Macht stehende tun, um Dunkelheit durch Licht, Ungerechtigkeit durch Fairness, Konflikt durch Konsens und Unwahrheit durch Wahrheit zu ersetzen. Das ist das Wenigste, was wir tun müssen.

Wie mühsam, langwierig und ungeheuer schwierig es aber ist, die Herkunft eines Kulturguts über Jahrzehnte zurück zu verfolgen und zweifelsfrei zu klären, auch dafür sensibilisiert die Geschichte der Familie Wolffson / Cohen, die ich eingangs geschildert habe. Dieser schwierigen Aufgabe widmet sich die Provenienzforschung. Ich begrüße die aus aller Welt angereisten Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher, darunter viele ausgewiesene Experten ihres Fachs. Nicht zuletzt mit der Einrichtung spezieller Lehrstühle und Juniorprofessuren in Bonn, Hamburg, München und künftig auch Berlin haben wir in Deutschland der Bedeutung einer festen Verankerung der Provenienzforschung in der Wissenschaft Rechnung getragen und machen hier gute Fortschritte. Seien Sie versichert, dass ich Ihre Arbeit, meine Damen und Herren, auch weiterhin mit großem Interesse und Anteilnahme verfolgen werde. Ich unterstütze sie bereits seit Beginn meiner Amtszeit nach Kräften - nicht zuletzt auch deshalb, weil ja auch ich als Kunsthistorikerin und jahrelang für einschlägige Ausstellungen im Max Liebermann-Haus Verantwortliche in meiner Berufspraxis oft mit diesen Themen und Fällen konfrontiert war. Denn unmittelbar nach meinem Amtsantritt 2013 entwickelte das Thema durch den sogenannten „Kunstfund Gurlitt“ eine neue, eine zusätzliche Dynamik, die in der Wissenschaft, der Öffentlichkeit und auch bei den Opfern der NS-Verfolgung auf großes Interesse stieß und ein beherztes Handeln erforderte. Nicht erst seitdem sind mir die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes und die Provenienzforschung ein politisch wichtiges und ein echtes Herzensanliegen. Deshalb habe ich die Mittel für Provenienzforschung in meinem Kulturetat seitdem fast vervierfacht (von 2 auf 7,4 Millionen Euro).

Und auch die Strukturen zur Aufarbeitung des NS-Kunstraubs in Deutschland haben wir verbessert und die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zügig auf den Weg gebracht. Deutschland hat damit nun einen zentralen Ansprechpartner bei der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien - und ich werte es zugleich als Vertrauensbeweis wie auch als stete Aufforderung, nicht nachzulassen, dass gerade das DZK Veranstalter der heutigen internationalen Fachkonferenz aus Anlass des 20. Jahrestages der Washingtoner Prinzipien ist. Herrn Prof. Lupfer, Herrn Hütte und ihrem Team danke ich an dieser Stelle für ihr großes Engagement - ebenso wie den Kooperationspartnern der Konferenz, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Kulturstiftung der Länder! Und ich versichere Ihnen: Auch wenn wir die Aufgaben des DZK künftig erweitern und einen Arbeitsbereich zur Erforschung von Kulturgut aus kolonialen Kontexten einrichten wollen, bleibt es dabei, dass die Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubs unveränderter Schwerpunkt und Kernaufgabe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ist.

Entscheidende Grundlagen der Provenienzrecherche sind Transparenz und Vernetzung. Die öffentliche Dokumentation von Such- und Fundmeldungen in der vom DZK betriebenen Lost-Art-Datenbank ist bereits heute eine zentrale Quelle für die Verwirklichung der Washingtoner Prinzipien. Künftig wird eine Forschungsdatenbank, die im Januar 2020 ihren Regelbetrieb aufnehmen soll, die vorliegenden Erkenntnisse weltweit zugänglich machen. Perspektivisch kann das DZK so eine zentrale Plattform für den Austausch relevanter Daten der Provenienzforschung bieten.

Auch viele Kultureinrichtungen, allen voran die großen bundesgeförderten Museen, sind sich ihrer Verantwortung bewusst und stellen sich der Aufgabe mit großem Einsatz, nicht zuletzt durch zusätzliches Personal im Bereich der Provenienzforschung. Und auch hier ist Transparenz von größter Bedeutung, Datenbanken zu den jeweiligen Beständen müssen, können aber auch bereits online eingesehen werden. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz - deren Präsident, Herrn Prof. Parzinger, ich herzlich begrüßen darf - hat zum Beispiel bereits über 12 Millionen Bestandsnachweise aus ihren Einrichtungen unter „SPK digital“ veröffentlich; das Deutsche Historische Museum hat über 700.000 Objekte digitalisiert, 600.000 davon online veröffentlicht - um nur zwei der Bundeseinrichtungen zu nennen. Da Kultureinrichtungen in Deutschland ja ganz überwiegend von den Ländern und Kommunen getragen werden, habe ich auch meine Kolleginnen und Kollegen in den Ländern gebeten, ihre Einrichtungen zur Digitalisierung und Veröffentlichung der jeweiligen Bestände anzuhalten - was viele längst tun.

Die stetige Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Erforschung und Rückgabe von NS-Raubkunst in Deutschland - anhand der genannten Maßnahmen nur beispielhaft erläutert - zeigt Wirkung. Wir sehen dies nicht zuletzt an der steigenden Zahl von Restitutionen. Seit Erklärung der Washingtoner Prinzipien 1998 wurden bis September 2018 in Deutschland - soweit überhaupt bekannt - mehr als 5.700 Kulturgüter restituiert. Hinzu kommen weit mehr als 11.000 Bücher und anderes Bibliotheksgut. Und dabei können wir natürlich nur die Fälle nennen, von denen wir wissen. Durch föderale Zuständigkeiten und weil Restitutionen leider nicht zentral erfasst werden, sind diese Zahlen leider unvollständig. Fest steht aber: Viele Institutionen in Deutschland nehmen ihre Verantwortung umfangreich wahr. Vor diesem Hintergrund kann ich die gelegentliche Kritik an der Arbeit der Beratenden Kommission und insbesondere an der eher geringen Zahl verhandelter Fälle - 15 seit Bestehen - nicht teilen. Dies zeigt doch vielmehr, dass viele Kultureinrichtungen zum Glück auch ohne Vermittlung Außenstehender zu „gerechten und fairen Lösungen“ bereit sind. Denn die Beratende Kommission ist ja ein Hilfsangebot, wenn eine Verständigung sonst eben nicht erreichbar ist. Dass die Verständigung offensichtlich in einer Vielzahl von Fällen ohne eine solche Unterstützung erreichbar ist, darf Mut machen. Sehr viele derartige Verhandlungen finden - auch zum Schutz der Betroffenen und Beteiligten - in großer Diskretion statt. Auch die von mir initiierte Reform der Kommission im November 2016, bei der insbesondere zwei jüdische Mitglieder, Raphael Gross und Gary Smith, berufen wurden, hat die Arbeitsweise gestärkt und verbessert.

Grund zur Zufriedenheit besteht trotz des Erreichten freilich nicht. Es ist unerlässlich, sich immer weiter und vertieft mit den Auswirkungen totalitärer Herrschaft auseinanderzusetzen und in der Aufarbeitung nicht nachzulassen. Daran erinnert uns nicht zuletzt mahnend, dass wir in Deutschland auch heute wieder antisemitische Übergriffe und extremistische Tendenzen erleben. Deshalb werde ich den Bereich der Aufarbeitung des NS-Kunstraubs und der  Provenienzforschung weiterhin stärken und wichtige Weichen für die Zukunft stellen. Ich befinde mich hierzu im stetigen und fruchtbaren Austausch mit einigen von Ihnen. Den Präsidenten des World Jewish Congresses, Herrn Ronald Lauder, möchte ich hier besonders hervorheben und herzlich begrüßen. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, aber auch für Ihre Offenheit und (gelegentliche) Kritik, lieber Ronald Lauder.

Dies sind die Verbesserungen im einzelnen:

1. Es ist mir auch ganz persönlich ein Anliegen, in unseren Anstrengungen zur Rückgabe von NS-Raubkunst an die Berechtigten nicht nachzulassen. So habe ich keinerlei Verständnis dafür, dass sich auch heute noch manche aus öffentlichen Mitteln getragenen Einrichtungen der Anrufung der Beratenden Kommission verweigern. Ich werde daher alle mit Bundesmitteln geförderten Museen und anderen Kultureinrichtungen ab dem kommenden Jahr verpflichten, auch einseitigen Wünschen auf Anrufung der Beratenden Kommission von Seiten potentieller Anspruchsteller selbstverständlich nachzukommen. An private Besitzer, Sammler und Einrichtungen appelliere ich, sich ebenfalls nicht zu verschließen und im Sinne der Washingtoner Prinzipien zu handeln. Denn die historische und moralische Verantwortung für die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes liegt nicht allein beim Staat und seinen Institutionen. Auch von privaten Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern und nicht zuletzt vom Kunsthandel kann und darf man meines Erachtens deutlich mehr Engagement verlangen.

2. Mitunter wird die (unbegründete) Sorge geäußert, dass unsere Kultureinrichtungen haushaltsrechtlich gehindert sein könnten, NS-Raubkunst zurückzugeben. Vor diesem Hintergrund habe ich mit dem Bundesministerium der Finanzen abgesprochen:  wir stellen dies auf Bundesebene klar und regeln, dass es für Museen und andere kulturgutbewahrende Einrichtungen, auf welche die Bundeshaushaltsordnung Anwendung findet, keine haushaltsrechtlichen Gründe gibt, die Restitutionen NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts entgegenstehen.

3. Viele potentielle Restitutionsfälle sind kompliziert. Das beginnt teilweise schon damit, dass Opfer des NS-Regimes, ihre Angehörigen oder Nachfahren auf Sprachbarrieren stoßen oder ihre liebe Mühe mit dem alles andere als übersichtlichen deutschen Föderalismus haben. Auch die deutsche Museumslandschaft ist divers, und Ansprechpartner müssen erst einmal ausfindig gemacht werden. Um hier bestmöglich zu helfen, werde ich ein
Help Desk“ einrichten, eine zentrale Anlaufstelle für Anspruchsteller, die Orientierung und Unterstützung bietet. Denn ich möchte, dass die Menschen, denen selbst oder deren Vorfahren bereits unvorstellbares Leid von deutscher Hand wiederfahren ist, zumindest hier nicht noch auf weitere Hürden stoßen, dass sie sich verstanden fühlen, dass ihnen geholfen wird.

4. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen der potentielle Anspruchsteller gar nichts von seinem Anspruch weiß. Die Provenienzforschung ist hier auf eine - je nach Einzelfall mehr oder weniger schwierige - Suche nach möglichen Erben angewiesen. Das DZK stellt auf seinen Internetseiten bereits jetzt hilfreiche Informationen hierfür zur Verfügung. Dennoch kann die Suche nach unter Umständen in alle Welt verstreuten Familienmitgliedern oft aufwändig und teuer für Museen, Sammlungen und auch Privatleute sein. Auch hier wollen wir helfen und werden über das DZK ab dem kommenden Jahr auch materielle Unterstützung bei der Erbensuche geben.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, auch ein so großes, ein so bedeutendes Ereignis wie „20 Jahre Washingtoner Prinzipien“ kann kein Schlusspunkt der Aufarbeitung sein, ganz im Gegenteil: Es ist ein Ausgangspunkt, von dem aus noch mehr Forschende als bisher mit noch besserem Rüstzeug als bisher der Wahrheit auf den Grund gehen können. Auch dies ist Ziel der heutigen Konferenz, für deren Verlauf ich Ihnen einen regen Austausch wünsche, hier, an diesem Ort, der einst als US-amerikanischer Beitrag zur internationalen Bauaustellung Interbau 1957 die Freiheit des Gedankenaustauschs verkörpern sollte. Was für eine passende Überschrift auch für unsere Konferenz, die - so hoffe ich - neue Perspektiven auf die Umsetzung unseres gemeinsamen Anliegens eröffnet. Mag Wiedergutmachung auch jenseits unserer Möglichkeiten liegen, so verdient die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs doch auf jeden Fall jede nur mögliche Anstrengung. Denn jedes einzelne Werk, dessen Provenienz geklärt und das vielleicht sogar restituiert werden kann, ist ein Mosaikstein des immer noch unvollständigen Bilds von der Geschichte. Es - wo immer möglich - zu ergänzen und die Wahrheit anzuerkennen, das sind und bleiben wir den ihres Eigentums und ihrer Rechte beraubten, von den Nationalsozialisten verfolgten und vielfach ermordeten Menschen schuldig.

Und so mahnt uns diese Konferenz, so mahnen uns die Erinnerung an – und die Aufarbeitung all der furchtbaren Facetten der Nazi-Diktatur: Deutschland darf nie wieder ein Land sein, in dem Hass, Hetze und Gewalt gegen Minderheiten auf eine schweigende Mehrheit treffen – weder auf Schulhöfen noch auf öffentlichen Plätzen, weder auf Demonstrationen noch in Moscheen, Parteien oder Konzerthallen! Der Erinnerung und Aufklärung an die Zeit Raum zu geben, in der das nationalsozialistische Deutschland Millionen Menschen – wie auch die Würde des Menschen – der Verachtung und Vernichtung preisgab, kann aufklären über die Folgen totalitärer Ideologien. Die Erinnerung an diese Zeit kann auch sensibilisieren für die unterschätzten Wegbereiter totalitärer Ideologien: für die Verrohung der Sprache beispielsweise, für die Verharmlosung der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen, für Fehlinformationen, die Vorurteile nähren, und für das Schweigen aus Gleichgültigkeit oder Feigheit. Die Bundesregierung arbeitet und handelt im Bewusstsein der immerwährenden historischen Verantwortung Deutschlands, die von den Nationalsozialisten verübten Menschheitsverbrechen aufzuarbeiten, die Erinnerung an die Opfer wach zu halten, und aus dem Bewusstsein dieser Verantwortung heraus mit aller Kraft gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Diskriminierung vorzugehen. In diesem Bewusstsein werden wir auch die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs in Deutschland vorantreiben, und auch in diesem Sinne wünsche ich Ihrer wichtigen Konferenz viel Erfolg!