Antwort auf offenen Brief von bekannten Musikerinnen und Musikern

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

In den vergangenen Wochen habe ich unzählige Zuschriften gelesen und Telefongespräche geführt, in denen Menschen aus der Kulturbranche mir ihre Verzweiflung schilderten. Zahlreiche Kultureinrichtungen stehen am finanziellen Abgrund. Für viele Künstlerinnen und Künstler geht es um die nackte Existenz. Dass sich viele von ihnen in dieser schwierigen Situation auch für ihre Berufskollegen einsetzen, offenbart eine ehrenwerte Solidarität unter Kreativen. Sie zeigte sich auch in dem offenen Brief, den vor zwei Wochen bekannte Musikerinnen und Musiker wie Lisa Batiashvili, Matthias Goerne, Thomas Hengelbrock, Anne-Sophie Mutter, René Pape und Christian Thielemann in Welt am Sonntag an mich gerichtet haben (Ausgabe vom 19. April). Ich möchte ihnen gerne an eben dieser Stelle antworten.

Auch mir blutet das Herz, wenn ich sehe, wie sehr die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unser Kulturleben treffen. Auch mich erschüttert es, dass seit Wochen alle Konzerte, Theaterstücke und sonstige Aufführungen abgesagt werden müssen, Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten geschlossen sind. In dieser Krise ist größtmögliche Solidarität gefragt, sowohl von Seiten des Staates, aber auch in unserer Gesellschaft. Ganz besonders beeindruckt mich die tatkräftige Unterstützung, die einige weltbekannte Künstlerinnen und Künstler derzeit für ihre weniger gut gestellten Berufskollegen leisten. Als Beispiel sei nur der Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung genannt: In kurzer Zeit wurden – nicht zuletzt auch dank sehr großzügiger, prominenter Spenderinnen und Spender – mehr als 1,3 Millionen Euro (Stand 30. April) für freiberufliche Musikerinnen und Musiker gesammelt. Das ist gelebte Solidarität, die unserer Gesellschaft gut tut in der schwersten Krise des öffentlichen Lebens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Auch wir in der Bundesregierung haben gehandelt, und zwar sehr schnell. Dass dabei von Beginn an gerade an die solo-selbständigen Künstler und Kreativen gedacht wird, war mir eine Herzensangelegenheit. Die milliardenschweren Sozialschutz- und Soforthilfeprogramme, die wir in kurzer Zeit auf den Weg gebracht haben, sind genau auf sie zugeschnitten. Leider gibt es gewisse Vorbehalte, die Leistungen des Sozialschutzpakets in Anspruch zu nehmen. Niemand geht gern zum Jobcenter. Doch hier gibt es Hilfe zur Finanzierung des persönlichen und familiären Lebensunterhaltes, die deutlich über die mit dem Stichwort „Hartz IV“ bezeichneten Leistungen hinausgeht: für Künstlerinnen und Künstler genauso wie für die Blumenhändlerin, den Tontechniker, den Kioskbesitzer oder die Maskenbildnerin. Mit der vollen Übernahme der Wohnkosten, dem erleichterten Zugang zum Kinderzuschlag und dem Verzicht auf eine Vermögensprüfung ist die aktuelle Form der Grundsicherung für viele Soloselbständige ein faires Angebot, um die finanziellen Einbußen infolge der Corona-Krise zu verkraften – zumal das jährliche Durchschnittseinkommen der Versicherten in der vom Bund mitfinanzierten Künstlersozialkasse unter 20.000 Euro liegt. Diese Zahl macht schmerzlich bewusst, dass die Freiheit zur persönlichen Entfaltung, die viele Künstler und Kreative an ihrem Beruf schätzen, oft mit einem recht bescheidenen Einkommen einhergeht. Selbstausbeutung ist in der Kunst- und Kulturszene leider kein Fremdwort. Doch die Corona-Krise kann für den Staat nicht der Anlass sein, die Einkommensverhältnisse einzelner Bevölkerungsgruppen grundlegend zu verändern. Es geht darum, existenzielle Not von Millionen Menschen zu verhindern, und diesem Anspruch wird das Sozialschutzpaket zweifellos gerecht. Statt diese Hilfen schlecht zu reden, sollten alle politisch Verantwortlichen gemeinsam dafür sorgen, dass sie bei denjenigen ankommen, die sie tatsächlich brauchen. Es muss auch niemand seine Altersversorgung antasten, denn in dem vereinfachten Antrag auf Grundsicherung steht ausdrücklich: „Selbst genutztes Wohneigentum sowie Vermögen, das der Alterssicherung dient, sind nicht zu berücksichtigen.“

Allerdings gibt es, darauf haben Anne-Sophie Mutter und andere in ihrem Offenen Brief zu Recht hingewiesen, auch eine Gruppe besser verdienender Künstlerinnen und Künstler, für die das Sozialschutz-Paket allein keine befriedigende Lösung bietet. Nicht nur, aber auch für sie haben wir in der vergangenen Woche eine Regelung beschlossen, die Ausfallhonorare erlaubt. Alle Kulturinstitutionen, die vom Bund gefördert werden, können auf dieser Basis Honorare für Auftritte zahlen, die wegen der Corona-Krise abgesagt wurden. Dafür wurde eine Ausnahme im deutschen Haushaltsrecht geschaffen, das normalerweise keine Bezahlung nicht erbrachter Leistungen erlaubt. Die neue Regelung sieht vor, dass ausgefallene, bis zum 15. März 2020 vereinbarte Engagements freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler auch dann vergütet werden können, wenn es keine entsprechende vertragliche Regelung über Ausfallhonorare gibt. Für vereinbarte Gagen unter 1000 Euro können Künstler bis zu 60 Prozent des Nettohonorars erhalten, bei Gagen darüber maximal 40 Prozent. Die Obergrenze liegt bei 2500 Euro. Im Interesse der Künstlerinnen und Künstler plädiere ich dafür, dass alle Bundesländer und Kommunen ähnlich verfahren und es den von ihnen geförderten Kulturinstitutionen ebenfalls ermöglichen, ja sie ausdrücklich ermutigen, Ausfallhonorare zu zahlen.  

Von Soloselbstständigen höre ich manchmal die Klage, dass sie die Soforthilfe zur Erstattung der Betriebskosten nicht in Anspruch nehmen können. Das stimmt natürlich: Wo es keine Betriebskosten gibt, kann der Staat sie auch nicht ersetzen. Doch wer zum Beispiel als Musikerin oder Musiker vor allem in der eigenen Wohnung probt, die Wohnung also auch als Arbeitsplatz nutzt, kann darauf vertrauen, dass die Kosten dafür im Rahmen des Sozialschutzpakets in vollem Umfang übernommen werden– und zwar ohne die sonst übliche Prüfung, ob die Größe der Wohnung und die entsprechenden Kosten angemessen sind.

Wo notwendig, werden wir unsere Programme selbstverständlich nachjustieren. Derzeit arbeite ich intensiv an einem großen, über die bisherigen Maßnahmen hinausgehenden Kultur-Unterstützungsprogramm. Die Verhandlungen mit dem Bundesfinanzminister und dem Parlament laufen dazu auf Hochtouren. Wir haben ehrgeizige Ziele, und ich bin zuversichtlich, dass wir damit unzählige Kultureinrichtungen in Deutschland noch besser unterstützen können. Als ein „massives Bekenntnis der Politik zur Bedeutung der Kulturlandschaft“ hat Wolfgang Tillmans, einer der international bekanntesten deutschen Künstler, die von der Bundesregierung bereits beschlossenen Hilfen kürzlich in einem Interview bezeichnet. Auf dieses Bekenntnis können alle, die mit Kunst und Kultur in Deutschland ihren Lebensunterhalt verdienen, sich weiterhin verlassen.