Ein Staatsziel Kultur wäre hilfreich

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Grütters im Interview mit der FAZ Ein Staatsziel Kultur wäre hilfreich

Im Gespräch mit Andreas Kilb rekapituliert Kulturstaatsministerin Grütters ihre bisherige Amtszeit und spricht über die Wahrnehmung der Kultur in Politik und Gesellschaft.

  • Interview mit Monika Grütters
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Grütters: Das Bewusstsein für die Bedeutung der Kultur für unser Gemeinwesen schärfen.

Foto: Monika Keiler

F.A.Z.: Frau Kulturstaatsministerin, in diesem Herbst endet Ihre zweite Amtszeit. Worin sehen Sie nach acht Jahren ihren größten politischen Erfolg?

Monika Grütters: Ich denke, es ist mir gelungen, die politische Aufmerksamkeit für die Kultur in Deutschland deutlich zu steigern. Das macht sich nicht nur an Haushaltszahlen fest, auch wenn rund siebzig Prozent Steigerung im Kulturetat des Bundes keine Kleinigkeit sind. Aber mir geht es mehr um das Gesamtgesellschaftliche: die Wahrnehmung der Kultur und ihrer Bedeutung über das klassische Kulturmilieu hinaus. Weil beides gewachsen ist, hatte ich auch den Rückhalt, das Hilfspaket NEUSTART KULTUR auf den Weg zu bringen. Das ist nicht nur das größte Konjunkturprogramm für Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, es dürfte im Vergleich zu anderen Nationen in der Pandemie auch weltweit einzigartig sein. Der zweite Punkt ist ein ganz konkreter: Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angestoßen zu haben, sehe ich auch als mein Verdienst an. Es geht dabei um die wichtigste und größte deutsche Kultureinrichtung, nicht nur im materiellen Sinn. Deshalb muss sie zugleich identitätsstiftend und wegweisend sein. Sie muss in Forschungsfragen Schrittmacherin sein und darf den gesellschaftlichen Debatten, Stichwort Kolonialismus, nicht nur hinterherlaufen. Bei der Provenienzforschung hätte ich mir da manchmal mehr gewünscht. Aber jetzt haben wir so weit vorgearbeitet, dass in der nächsten Legislaturperiode das Werk vollendet werden kann.

Welches andere unvollendete Werk liegt ihnen am meisten auf der Seele?

Das Humboldt Forum bleibt ein herausforderndes Thema.

Im Augenblick kochen dort die drei Hauptakteure – Staatliche Museen, Humboldt-Uni und Berliner Stadtmuseum – ihr jeweils eigenes Süppchen. Die Idee des Universalmuseums, die Sie bei der virtuellen Eröffnung im Dezember noch einmal beschworen haben, scheint passé. Sind Sie da nicht enttäuscht?

Auch mir fällt es bislang noch schwer, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu erkennen. Von Anfang an war aber klar, dass das schwierig werden würde. Ich verstehe, dass die einzelnen Akteure sich zunächst auf das konzentrieren, was sie für ihre Institution für richtig halten, auch das Land Berlin. Mittelfristig muss aber ein Intendant in einer Programmkonferenz dafür sorgen, dass durch gemeinsame Themen tatsächlich eine Klammer sichtbar wird und das Humboldt Forum nicht nur ein Gebäude ist, in dem sich neben der Stiftung selbst noch drei weitere Institutionen zufällig treffen.

Während die Institutionen noch nach Gemeinsamkeiten suchen, haben die postkolonialen Aktivisten die Deutungshoheit über das Haus gewonnen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Humboldt Forum keine programmatische Ausstellung über die Brüder Humboldt zeigt. Wie kann man dem abhelfen?

Sicher hätte man zum Auftakt eine Ausstellung zu den Gebrüdern Humboldt machen können; das wird wahrscheinlich noch geschehen. Mit der Gründungsintendanz und speziell mit der Berufung Neil MacGregors habe ich den Versuch unternommen, aus einer Außenperspektive heraus ein Gesamtkonzept anzustoßen. Einige der Akteure im Haus haben das dankbar aufgenommen, andere empfanden es als unfreundlichen Akt. Die Impulse der Gründungsintendanz und vor allem auch Ideen des internationalen Expertenbeirats, der aus hochkarätigen Fachleuten besteht, werden wir hoffentlich in den großen Ausstellungen sehen. Etwas irritiert hat mich, dass die Ethnologen, die gerade hier am Humboldt Forum ja exponierter als überall sonst in Deutschland arbeiten, ihre Zunft nicht stärker verteidigt haben, als die Diskussionen um die Benin-Bronzen und später das Luf-Boot begannen. In den Medien wurde bisweilen der Eindruck vermittelt, das ganze Forum sei mit kolonialer Raubkunst gefüllt. Wir brauchen die Ethnologen – und sie sollten das Humboldt Forum als Chance nutzen. Das macht es dann für uns alle leichter, die richtigen politischen Schlüsse daraus zu ziehen, unter welchen Umständen die Sammlungen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

Bei den Benin-Bronzen hat sich offensichtlich wieder der Kulturföderalismus durchgesetzt. Baden-Württemberg geht bei den Restitutionen seinen eigenen Weg, andere Bundesländer dürften bald folgen. Zugleich gibt es in Nigeria schon Streit über die Verteilung der zurückgegebenen Kunstwerke. Kann der Bund hier überhaupt eine gemeinsame Linie vorgeben? 

Der Bund kann und muss eine gemeinsame Linie vorschlagen, natürlich in enger Abstimmung mit den beteiligten und schlussendlich auch verantwortlichen Ländern. Deshalb habe ich den Runden Tisch einberufen, bei dem wir substanzielle Rückgaben und ein gemeinsames Vorgehen zu den Benin-Bronzen vereinbart haben. Wir haben uns auch gemeinsam auf einen Zeitplan verständigt. Es hilft dabei wenig, wenn einzelne Bundesländer meinen, sie müssten sich hier voreilig profilieren. Die nigerianische Seite ist ja froh, jetzt endlich feste Ansprechpartner zu haben und nicht wieder in jedem einzelnen Bundesland nachfragen zu müssen, wer gerade die politische Verantwortung hat. Weil wir es ja auch in Nigeria mit unterschiedlichen Akteuren und Interessen zu tun haben, sind wir froh, dass es dort jetzt den Legacy Restoration Trust gibt. Die enge Kooperation zwischen uns und dem Auswärtigen Amt tut der ganzen Sache gut. Der Kolonialismus war in der Erinnerungskultur und auch in den Schulen bisher weitgehend ein blinder Fleck unserer Geschichte. Die dringend notwendige Aufarbeitung dieser Zeit gehen wir jetzt entschlossen an.

Aber die Museumsszene in Deutschland wirkt durch die Rückgabe-Diskussionen sehr verunsichert. Diese Unsicherheit führt zu historischen Entstellungen, etwa im Leitfaden des Deutschen Museumsbundes, in dem das expansiv agierende Osmanische Reich zum Opfer des Kolonialismus umgedeutet wird. Hätte der Bund nicht längst eine Historikerkommission einberufen müssen, die die wichtigsten Fragen zum Thema klärt?

Auf der einen Seite sehe ich mich nicht als Schiedsrichterin in dieser Gemengelage. Auf der anderen Seite hat vielleicht nur der Bund die Autorität, siehe Benin-Bronzen, zumindest als Moderator oder Katalysator zu fungieren. Um aber die Museen vor zerstörerischer Kritik zu schützen, braucht es wissenschaftliche Expertise. Umso problematischer ist die Zurückhaltung der Zunft der Ethnologen nach außen. Die Folge dieses Schweigens ist, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, sie ließen sich von manchen Medien oder von einzelnen, geradezu aktivistisch agierenden Wissenschaftlern vor sich hertreiben. Ich warne auch davor, unsere gesamte jüngere Geschichte nur noch aus dem Blickwinkel des Postkolonialismus zu sehen. Für mich bleibt das Zentrum unserer historischen Selbstwahrnehmung der Nationalsozialismus mit seinen verheerenden Folgen. Natürlich gab es auch Verbindungslinien zwischen dem Kolonialismus und dem Nationalsozialismus. Wir müssen aber sehr darauf achten, dass die Menschheitsverbrechen der NS-Zeit nicht schleichend relativiert werden. Auch beim Thema Antisemitismus und Israel-Kritik bin ich besorgt. Debatten, wie sie derzeit im Kulturmilieu geführt werden – zum Beispiel die der „Initiative Weltoffenheit“ – sind Anlass für Verletzungen und Missverständnisse. Gerade in Deutschland müssen wir aufpassen und sensibel sein, dass wir nicht in eine erinnerungskulturelle Schieflage geraten. In der Geschichte sind manche Dinge nicht so eindeutig wie sie scheinen oder es manche gerne hätten.

Ein zweites Ihrer Herzensprojekte ist ja das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum. Seit der Vorstellung der Wettbewerbsergebnisse im Herbst 2017 ist der Siegerentwurf von Herzog und de Meuron einerseits immer teurer und andererseits ästhetisch immer ärmer geworden. Können Sie noch mit demselben Enthusiasmus auf die „Scheune“ blicken wie vor vier Jahren?

Ja. Die Entscheidung für dieses Museum gehört zu den bleibenden Erfolgen meiner Amtszeit. Es hat gute Gründe, dass wir uns hier finanziell engagieren. Das große deutsche Jahrhundert ist das zwanzigste Jahrhundert, ob es uns gefällt oder nicht. Mit seinen Brüchen, Umbrüchen, Aufbrüchen, mit zwei Diktaturen, zwei Weltkriegen, dem Holocaust, mit der geteilten Nation, der Wiedervereinigung und dem, was wir bis heute daraus gemacht haben. In der Neuen Nationalgalerie, dem berühmten und gerade wieder eröffneten Mies-van der Rohe-Bau, den wir alle lieben, ist nur Platz für weniger als ein Viertel der Bestände von Brücke bis Beuys. Deshalb brauchte es zwingend einen Erweiterungsbau. Ob diesen oder einen anderen, ist die Frage, die sich bei jeder öffentlichen Architektur stellt. Auch hier wird heftig gestritten, wie das in Deutschland üblich ist. Ich muss natürlich auch die Kritik des Rechnungshofs aushalten, die übrigens um Jahre zu spät kam. Wir haben die Einwände aber genutzt, um nochmal gestalterisch und im Hinblick auf die Nachhaltigkeit nachzubessern. Dabei wurde die grundlegende und auch für mich sehr überzeugende Idee aus dem Wettbewerb beibehalten: das Leuchten von innen nach außen.

Droht das neue Museum nicht zu einer Art historischer Verwahranstalt für die Moderne zu werden, die ja genau das nicht wollte: historisch, museal, magazinierbar sein?

Ich sehe den Entwurf von Herzog & de Meurons ganz anders. Ich finde, dass das Gebäude mit dem breiten Eingangstor, das sich zur Straße hin öffnet, wie eine große Einladung wirkt. Die weiten Galerien und offenen Ausstellungsräume setzen diese Formgeste im Inneren fort. Man kann den Architekten bestimmt nicht vorwerfen, dass sie nicht offen und transparent sein wollten. Wir alle werden noch sehr positiv überrascht sein, wenn das Gebäude fertig ist.

Ein anderes Thema aus dem zwanzigsten Jahrhundert ist die Verwicklung der Familie Hohenzollern in den Aufstieg des Nationalsozialismus und die daraus sich ergebenden Schlussfolgerungen für die Rückerstattungs- und Entschädigungsforderungen, die seit 1994 auf dem Tisch liegen. Sehen Sie da noch die Möglichkeit einer Lösung ohne gerichtliche Klärung?

Die formale Antwort lautet: Solange die beteiligten Bundesländer Berlin und Brandenburg kein Interesse an weiteren Ausgleichsverhandlungen haben, wird es sie nicht geben.

Welches Interesse hat der Bund dabei?

Der Bund hatte immer nur ein Interesse, nämlich dafür zu sorgen, dass die durchaus bedeutenden Dauerleihgaben der Hohenzollern in staatlichen Schlössern und Museen nicht aus Enttäuschung über abgewiesene Eigentumsansprüche an anderen Beständen abgezogen werden. Rein theoretisch, bei gutem Willen aller Beteiligten, wären Einigungen möglich. Aller Beteiligten heißt natürlich: auch der Hohenzollern. Eine gerichtliche Klärung über vermutlich mehrere Instanzen würde sicherlich viele Jahre dauern. Auch die Richter wissen dabei letztlich nicht besser Bescheid als einschlägige Historiker und würden selbige natürlich konsultieren müssen. Und dann würden wir das erfahren, was wir alle schon jetzt nachlesen konnten. 

Ein anderes geschichtspolitisches Thema Ihrer Amtszeit ist die Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“. Entsteht damit so etwas wie eine symbolische Karosserie der Demokratie, eine Folge von symbolischen Orten, in denen sich die heutige Bundesrepublik in die Vergangenheit hineinkonstruiert?

Politik kann sich keine Geschichte konstruieren. In meinem Etat macht das Thema Erinnerungskultur einen sehr großen Teil aus. Und das ist schwieriges Gelände. Die Atmosphäre in der Gesellschaft ändert sich. Die Gründung einer Bundessstiftung für Orte der deutschen Demokratiegeschichte soll darauf eine Antwort geben. Wir wissen, dass gerade jüngere Menschen auf persönlich Erzähltes und authentische Orte viel stärker reagieren als auf das, was im Geschichtsunterricht abstrakt vermittelt wird. Deshalb unternehmen wir große Anstrengungen, authentische Orte zu erhalten und die Vermittlung dort auf den neuesten Stand zu bringen. Das ist auch das Prinzip unserer Gedenkstättenkonzeption. Es ist etwas anderes, ob sie über Stasi-Gefängnisse reden oder sich die Gedenkstätte Hohenschönhausen ansehen. Es ist etwas anderes, ob sie über den Nationalsozialismus reden oder im ehemaligen KZ Dachau die Baracken sehen. Das gilt auch für unseren Weg hin zur Demokratie.

Aber das Hambacher Fest, die Paulskirche, Weimar, das liegt sehr lange zurück.

Die Nazi-Zeit ist auch schon länger her als die SED-Diktatur. Und selbst mit der SED-Diktatur können viele nichts mehr anfangen. Jungen Leuten, die die Mauer nicht gesehen haben, fehlt das Vorstellungsvermögen dafür, was es hieß, wenn der Todesstreifen mitten durch eine Straße ging. Deshalb lohnt sich die Anstrengung, auch die Demokratiegeschichte zu erzählen und sie sinnlich erfahrbar zu machen. Orte wie Rastatt, das Hambacher Schloss, die Paulskirche als Dreh- und Angelpunkt bilden ein Zentrum dieses Narrativs. Dazu gehören aber natürlich auch authentische Orte der Weimarer Republik und des demokratischen Neuanfangs nach 1945 und dann natürlich auch Leipzig und all die anderen Orte, an denen sich die friedliche Revolution in der DDR abgespielt hat – bis hin zu Berlin und dem Brandenburger Tor, das dringend eine Aufwertung braucht. Von Napoleon bis zur Wiedervereinigung können wir so viel an diesem Bauwerk festmachen. Und weil wir sehen, dass die Zahl der Demokratieverächter in erschreckender Weise zunimmt, zumindest im Internet und manchmal auch auf der Straße und sogar vor dem Reichstagsgebäude, ist es an der Zeit für eine erinnerungskulturelle Erzählung. Demokratie ist nicht selbstverständlich, sie ist brüchiger als manche Diktatur, weil sie sich nicht auf Gewalt stützt, sondern jede und jeden einzelnen als stete Verteidiger braucht. 

Der bislang kostspieligste Gedenkort für die Demokratiegeschichte ist das geplante Einheitsdenkmal vor dem Berliner Schloss, die „Wippe“. Sie haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass Sie den Entwurf nicht sonderlich schätzen. Hilft jetzt nur noch: Augen zu und durch?

Ich finde es richtig und notwendig, dass wir an die mutigen Menschen erinnern, die in der DDR 1989 unter Einsatz ihres Lebens eine Diktatur unblutig zu Fall gebracht haben. Persönlich hätte ich mir auch eine andere Version vorstellen können, zum Beispiel hätte sich das Brandenburger Tor herausragend für so ein Gedenken geeignet. Ich bin aber auch überzeugt: Wenn das Einheitsdenkmal „Bürger in Bewegung“ erst einmal steht, wird das ein sehr populärer Ort werden. Da werden viele Menschen hingehen – und sich hoffentlich auch an den Mut der DDR-Bürger im Jahr 1989 erinnern.

In einem Interview vor ein paar Monaten haben Sie vorgeschlagen, die Kulturpolitik des Bundes nach der Wahl nicht mehr im Bundeskanzleramt anzusiedeln, sondern ihr ein eigenes Haus, sprich: ein eigenes Ministerium zu geben. Stehen Sie immer noch dazu?

Ich habe das etwas differenzierter formuliert: Entweder emanzipiert sich die Kultur zu einem eigenen Ministerium, was vom Volumen und der Bedeutung her mittlerweile wirklich gerechtfertigt wäre, oder sie bleibt ganz oben, im Kanzleramt. Diese Anbindung ans Kanzleramt ist ein deutlich sichtbares Bekenntnis zu Deutschland als Kulturnation und sorgt zum Beispiel für eine Priorisierung in Haushalts- und anderen Plenardebatten. Wenn die Kultur vom Kanzleramt abgelöst würde, dann darf sie unter keinen Umständen mit einem anderen Ressort zusammengelegt werden, wie zum Beispiel Robert Habeck es vorschlägt. Das wäre ein deutlicher Rückschritt gegenüber dem Status quo, denn die Kultur würde dabei immer nur die zweite Geige spielen.

Sie meinen, gegenüber der Bildung.

Gegenüber der Bildung, der Wissenschaft oder was auch immer. Man kann sie ja fast überall dranhängen. In manchen der 16 Bundesländer läuft die Kultur deshalb Gefahr, in Kombination mit anderen Ressorts in den Parlamenten wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz zu kommen. Hinzu kommt, dass in großen Bundesländern wie etwa Nordrhein-Westfalen gar nicht die Länder, sondern in der Regel die Landschaftsverbände oder wie überall in Deutschland die Kommunen die Hauptverantwortung für die Kulturförderung haben. 

Ihre Forderung nach einem „eigenen Haus“ steht dennoch im Raum. Was hat Ihnen gefehlt in den letzten acht Jahren, dass Sie sie jetzt erheben? 

Das ist erstens die schiere Größe bei gleichbleibender minimaler Spitze. Es ist ein Unterschied, ob Sie wie früher 180 Mitarbeiter mit 900 Millionen Euro Budget oder 400 Mitarbeiter mit 2,1 Milliarden betreuen und nur eine Staatsministerin mit einem Leitenden Beamten auf der Leitungsebene sind. Die Organisationsstruktur muss mit der Dynamik im Unterbau mithalten. Das Zweite ist: Glücklicherweise sitze ich wie auch schon meine Vorgänger am Kabinettstisch und kann anders als andere Staatsminister auch Gesetze auf den Weg bringen. Für ein Bundesministerium ist natürlich vieles einfacher. Wie häufig mussten wir insistieren, dass auch die Kultur mit am Besprechungstisch sitzt, von Corona bis zu den Fluthilfen. Es ist dann eine Sache passiert, die nicht hätte passieren dürfen: Im Zusammenhang mit den Corona-Hilfen wurde die Kultur mit Freizeiteinrichtungen und Bordellen in einem Atemzug genannt. Das war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. Über diesen Fehler der Arbeitsebene eines anderen Ressorts empören sich Künstlerinnen und Künstler bis heute – und zwar zu Recht. Solche Pannen passieren zwischen Ministerien auf Augenhöhe eher nicht.

Glauben Sie, dass sich an der Wahrnehmung von Kultur etwas ändert, wenn sie als Staatsziel im Grundgesetz steht?

Ja. Die Corona-Krise hat uns deutlich vor Augen geführt, was passiert, wenn wir die Kultur nicht angemessen behandeln – und was uns fehlt, wenn sie stillgestellt wird, und sei es nur temporär. Diese Erfahrung sollten wir als Antrieb für Veränderungen nutzen. Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Kultur, der den gesamtgesellschaftlichen Wert festhält, der über das partikulare Interesse der Ausübenden hinausgeht. Wir haben uns daran gewöhnt, ihre Freiheit durch großzügige staatliche Unterstützung sicherzustellen. Aber wir sehen jetzt ja auch, wie schwer es für viele Kreative ist, weiter ihrer Arbeit nachzugehen, wenn es Probleme gibt. In Bayreuth zum Beispiel sind manche Sänger jetzt nicht aufgetreten, weil sie nicht mehr trainiert waren. Wir müssen grundsätzlich über eine bessere soziale Absicherung nachdenken, die über die sehr wertvolle Künstlersozialversicherung hinausgeht. Ich glaube, dass ein Staatsziel Kultur da sehr hilfreich wäre, weil es das Bewusstsein für die Bedeutung der Kultur für unser Gemeinwesen schärft. Wir sollten uns der Debatte stellen, welch hohen Wert es hätte, wenn der simple Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ endlich im Grundgesetz stünde. Das wäre ein echtes Bekenntnis zu den Kräften, die unsere Demokratie lebendig halten.