Rede von Kulturstaatsministerin Claudia Roth anlässlich des World Cinema Fund Day

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- Es gilt das gesprochene Wort –

Aus dem Iran erreichen uns seit Monaten historische Bilder! Ersehnte Bilder der Lebenslust und des Freiheitswillens der Iranerinnen und Iraner! Und gefürchtete Bilder einer brutalen Antwort des Regimes. Die Bilder, die Meldungen, sie machen traurig und sie geben Hoffnung zugleich. Hoffnung auf ein Ende der Unfreiheit und der Schikanen, Hoffnung auf ein Ende der Entrechtung aller Bürgerinnen und Bürger, aber vor allem der Frauen durch die iranischen Machthaber und mittelalterlichen Ideologen, die das Land seit über vierzig Jahren beherrschen. Es ist etwas in Bewegung geraten!

Für die iranischen Kreativen, für die Filmschaffenden, heißt das: Ihre Situation wird noch schwieriger als sie es ohnehin schon ist. Nach dem Machtwechsel von 1979 haben die neuen Machthaber den gesamten Kulturbetrieb des Landes buchstäblich dichtgemacht, viele Künstler:innen und Kulturschaffende ins Exil vertrieben oder um ihre Existenz gebracht. Sie haben eine sogenannte Kulturrevolution initiiert, die das Ziel hatte, Kultur neu zu erfinden und zu definieren. Die Bedingung des neuen Regimes für die Wiederaufnahme der Aktivitäten im Kulturleben war die Islamisierung der Kultur nach ihrer Definition. Seit mehr als 40 Jahren versucht das Regime, in allen Lebensbereichen eine großzügig finanzierte Staatskultur durchzusetzen. Will Kunst ganz nach seinen ideologischen Vorstellungen erkaufen und erzwingen. Kulturschaffende arbeiten dadurch unter den schwierigsten Bedingungen. Unter den Bedingungen von Zensur, Einschüchterung, Berufsverboten, Haftstrafen. Wenn sie ihre Kunst frei ausüben, stehen Kulturschaffende oft schon mit einem Bein im Gefängnis – wie zum Beispiel die Schauspielerin Taraneh Alidoosti, oder Jafar Panahi oder Mohammed Rassulof. Es sind sehr viele Namen, die Vorbilder von mehreren Generationen sind und es verdienten, namentlich erwähnt zu werden.

Es ist atemberaubend, was die iranischen Filmemacherinnen und Filmemacher unter diesen Bedingungen schaffen, dass sie allen Einschränkungen zum Trotz immer wieder Welterfolge feiern, immer wieder Löwen, Palmen und Bären gewinnen, immer wieder wahrhaft herausragende Kunst erschaffen können.

„Eine Kunst, die nur für sich selbst da ist, ergibt in unserer Kultur keinen Sinn“, sagte die berühmte iranische Filmemacherin Rakhshān Bani‘etemād einmal. Und tatsächlich merkt man genau das in diesen Zeiten mehr denn je. Man merkt, dass Kunst als Katalysator für politische Debatten wirkt. Wenn allein das Filmen des Ist-Zustands zu einer Verhaftung führt, weil es zu weit von dem Soll-Zustand des Regimes entfernt ist, dann macht das die Kunst jedenfalls per se politisch.

Ich bewundere den Mut der Menschen, die unter diesen Bedingungen Kunst machen - die Gedichte und Geschichten schreiben, berührende und aufrüttelnde Musik machen, Untergrund-Theater veranstalten, Fotografieren, Filme drehen. Sie verdienen die allergrößte Anerkennung für ihre Kunst, für ihren Mut und für ihre Zivilcourage, sie verdienen unser aller Unterstützung. Gemeinsam mit den vielen anderen Menschen, die derzeit im Iran für ihre Rechte kämpfen, arbeiten sie an einer echten Kulturrevolution, an einer Revolution der Kultur. An einer Kultur, in der Kunst wieder Kunst sein darf. Frei und unbehelligt. Und ich hoffe, dass sie, die Kämpferinnen und Kämpfer für ihre Rechte, dass sie mitbekommen, dass wir fest an ihrer Seite stehen. Dass wir ihren Mut hier auf der Berlinale feiern.

Diese gesellschaftspolitische Kraft des Films wird hier in diesem Jahr besonders deutlich. Die Berlinale zeigt als politisches Festival, dass das Kino ein herausragender Diskursraum ist. Gerade für den internationalen Austausch ist das wichtiger denn je. Und das gilt nicht nur für die Filme. Die heutige Veranstaltung des World Cinema Fund Day in Kooperation mit Berlinale Talents bezieht klar Stellung für die freie Entfaltung der Kunst und deren Protagonistinnen und Protagonisten weltweit. Sie untermauert das wichtige Ziel des WCF, hochwertiges Filmschaffen in Regionen mit einer schwachen Filminfrastruktur zu fördern. Und diese kulturelle Vielfalt dann auch in die deutschen Kinos zu bringen. Ich freue mich, dass die Berlinale Talents mit dabei sind. Das Programm leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung. Es bietet mit seiner aktiven Community, die mittlerweile auf 10.000 Alumni gewachsen ist, ein Netzwerk, das Filmschaffenden auch in gesellschaftlich und politisch überaus bewegten Zeiten eine Stütze sein kann.

Es gibt also genug Synergien, die gehoben werden können. Fest steht: Junge Talente sind die Zukunft. Und wenn sechs Teilnehmende aus der Ukraine und vier Talente aus Iran an der diesjährigen Ausgabe der Berlinale Talents teilnehmen, dann ist das ein Zeichen, ein wunderbares Zeichen der Freiheit. Es zeigt, dass man die Menschen unterstützen und fördern kann, auch wenn sie erst einmal weit entfernt und unerreichbar wirken. Und es zeigt, dass Kunst und Kultur stärker sein können als Krisen und Kriege. Lassen Sie uns diese ermutigende Botschaft von diesem Tag und von dieser Berlinale mitnehmen und weitertragen!

Für das Tanzen auf der Straße
Für die Angst sich zu küssen
Für meine Schwester, deine Schwester und unseren Schwestern
Für den Wechsel alter Werte
Für die Scham, für die Armut
Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben
Für ein Kind, das im Müll wühlt und seine Träume
Für die Kommando-Wirtschaft
Für die Luftverschmutzung
Für „ValiAsr“ und alle trockenen Bäume
Für den Pirouz und sein mögliches Aussterben
Für die unschuldigen verbotenen Hunde
Für das Weinen ohne Ende
Für die Wiederholung solcher Momente und Bilder
Für ein lachendes Gesicht
Für die Studierenden, für die Zukunft
Für das aufgezwungene Paradies
Für diejenigen, die im Gefängnis sind
Für die afghanischen Kinder
Für das wiederholende FÜR
Für alle leeren Paroli
Für den Schutt der billig gebauten Häuser
Für den Seelenfrieden
Für die Sonne nach langen Nächten
Für Beruhigungspillen und Schlaflosigkeit
Für den Mensch, das Heimatland und die Ortschaft
Für das Mädchen, das sich wünschte ein Junge zu sein
Für die Frau, das Leben, die Freiheit
Für Freiheit
Für Freiheit
Für Freiheit

Vielen Dank dem wunderbaren Shervin!
Vielen Dank für Ihr Engagement!

Speech by Minister of State for Culture and the Media Claudia Roth at the World Cinema Fund Day (English version)