"Wir arbeiten an einem Völkerrecht des Internets"

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Im Wortlaut: de Maizière "Wir arbeiten an einem Völkerrecht des Internets"

"In der analogen Welt ist es Aufgabe des Staates, die Freiheit der Bürger zu schützen", sagt Bundesinnenminister de Maizière. Im Handelsblatt äußerte er sich zu Politik im Zeitalter der Digitalisierung, seinem Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung und der NSA-Datenüberwachung.

  • Interview mit Thomas de Maizière
  • Handelsblatt
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"Big Data ist per se nichts Schlechtes", sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Foto: Bundesregierung/Steins

Das Interview im Wortlaut:

Handelsblatt (HBL): Herr Minister, nehmen Sie angesichts der Debatte über den "Datenkraken" Google dessen Dienste seltener in Anspruch?

Thomas de Maizière: Auf meinem sicheren Diensthandy nutze ich hauptsächlich dienstliche Angebote. Auf meinem privaten Tablet-PC ohne Verbindung ins Regierungs-Netz habe ich mein Nutzerverhalten nicht verändert.

HBL: Weil es keine gleichwertige Alternative gibt?

de Maizière: Natürlich gibt es bei Suchmaschinen, aber zum Beispiel auch bei Kartendiensten andere Möglichkeiten, aber Googles Angebot ist attraktiv. Gleichwohl bereitet mir die Marktmacht des Konzerns Sorge, wie jede übergroße Marktmacht.

HBL: Wo konkret sehen Sie eine bedenkliche Machtfülle?

de Maizière: Marktmacht bildet sich üblicherweise auf einem begrenzten Markt. Google beeinflusst aber in einer Art Metastruktur viele unterschiedliche Märkte: Wenn etwa die Autoindustrie Steuerungssysteme einsetzt, hat das eine dienende Funktion. Wenn es Google aber gelingt, mit attraktiven Angeboten oder Kfz-Versicherungen Mobilität zu verkaufen, kann plötzlich der Autohersteller in die dienende Rolle geraten.

HBL: Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bekennt sogar, "Angst vor der Übermacht" Googles zu haben.

de Maizière: Angst ist kein guter Ratgeber. Ludwig Erhard hat nach den schlechten Erfahrungen mit den Oligopolen der Weimarer Republik das Kartellgesetz durchgesetzt - gegen den erbitterten Widerstand der deutschen Industrie. Später haben wir eine europäische Kartellbehörde geschaffen, um ein Übergewicht länderübergreifend operierender Unternehmen durch Fusions- oder Missbrauchskontrolle zu verhindern.

HBL: Und heute?

de Maizière: Eigentlich müssten wir heute ein weltweites Kartellrecht schaffen, um dieser neuen Form von Marktmacht Herr zu werden, was aber unrealistisch ist.

HBL: Ist die Politik machtlos gegenüber Digitalriesen wie Google oder Facebook?

de Maizière: Nein. Wir müssen andere Wege finden: beispielsweise über die europäische Datenschutzverordnung, die derzeit in Brüssel verhandelt wird, oder über ein Datenschutzabkommen mit den USA, aber auch über technische Lösungen.

HBL: Und das Kartellrecht? Die EU-Kommission hat ein Wettbewerbsverfahren gegen Google eingeleitet, der zuständige Kommissar Almunia möchte es gegen ein paar harmlose Auflagen einstellen.

de Maizière: Das gehört zum Ressort des Bundeswirtschaftsministers.

HBL: Offenbar hat Deutschland in Brüssel ein Veto gegen die Einstellung eingelegt. Almunias Amtszeit endet, und vorher soll die Kapitulation nicht besiegelt werden.

de Maizière: Ich sage nur: Wir sollten auf europäischem Boden europäisches Recht hart verteidigen. Das machen die USA und die großen Staaten in Asien schließlich nicht anders.

HBL: Was halten Sie von den Forderungen, Google zu entflechten oder zu zerschlagen?

de Maizière: Dazu haben wir in Deutschland doch gar keine Handhabe, das liegt in der Hand der US-Behörden. Übrigens tendieren Riesen dazu, zu groß zu werden und damit zu unbeweglich.

HBL: Das Kerngeschäft von Google sind Daten: "Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oderweniger, worüber du nachdenkst", hat Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt bekannt.

de Maizière: Der Zugang zu Informationen war über Jahrhunderte monopolisiert, im Wesentlichen durch die Kirche. Es war ein großer zivilisatorischer Sprung, dass durch die Erfindung des Buchdrucks das Wissen im Prinzip frei zur Verfügung stand. Dank des Internets kann nun nahezu jeder scheinbar kostenlos auf wertvolle Informationen zugreifen. Viele Firmen verdienen Geld damit, dass sie diese Daten miteinander verknüpfen. Wenn das aber monopolisiert erfolgt, ist das gerade bei Wissen ein großes Problem.

HBL: Google will immer weitere Lebensbereiche digitalisieren, etwa über seine Datenbrille oder den Thermostathersteller Nest.

de Maizière: Wie Sie wissen, bin ich Anhänger der sogenannten Vorratsdatenspeicherung, um der Polizei die Aufklärung schwerer Verbrechen zu erleichtern. Der Europäische Gerichtshof hat die entsprechende Richtlinie gekippt. Aber in Wahrheit haben wir doch bereits eine massenhafte Vorratsdatenspeicherung, die weit über das hinausgeht, was wir als Staat jemals wollten. Nur eben nicht zum Schutz von Leib und Leben, sondern aus Geschäftsinteressen.

HBL: Google, Facebook und Apple empören sich gern über die Machenschaften der NSA. Aber sind die Konzerne in ihrer Datensammelwut wirklich besser als der US-Geheimdienst?

de Maizière: Ich finde, ein womöglich übertriebenes Abgreifen von Informationen mit dem Motiv der Terrorbekämpfung ist weniger zu verurteilen als mit dem Ziel der privaten Gewinnmaximierung.

HBL: Welche Konsequenz ziehen Sie aus dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung?

de Maizière: Ich habe darum gebeten, dass wir bei der nächsten Sitzung der EU-Innen- und -Justizminister Anfang Juni darüber reden, wie es in Europa weitergehen kann. Wir brauchen für die Vorratsdatenspeicherung politische Mehrheiten. Während Sicherheitsexperten parteiübergreifend die Notwendigkeit bejahen, gibt es auch Kritiker, sowohl in der SPD wie auch in der Union.

HBL: Heute haben wir die technischen Möglichkeiten, um gigantische Datenmengen auszuwerten. Sehen Sie Big Data als Bedrohung?

de Maizière: Die Verknüpfung von Informationen führt oft zu wertvollem Erkenntnisgewinn, bei der Erforschung von Krankheiten etwa oder der Leitung von Verkehrsströmen. Big Data ist per se nichts Schlechtes. Deshalb müssen wir aufpassen, uns nicht vor lauter Bedenken aus einer zukunftsweisenden Technik herauszukatapultieren, wie wir es bei der Grünen Gentechnik getan haben. Wir müssen aber versuchen, Risiken wie die Zuordnung sensibler Informationen zu konkreten Personen frühzeitig in den Griff zu bekommen.

HBL: Wie kann das gelingen?

de Maizière: Wir haben in der Finanzkrise wieder gelernt, dass es den Primat der Politik gibt. Dass es keinen Platz geben darf, der ohne Regeln funktioniert. Das gilt ebenso für die Welt des Internets. Der Primat der Politik ist dort zumindest teilweise in Gefahr.

HBL: Wie wollen Sie die Handlungshoheit zurückgewinnen?

de Maizière: Wir arbeiten an einem Völkerrecht des Internets, aber das ist sehr langwierig. Wenn wir für die EU als großen Markt Regeln definieren, können wir für Europa, aber auch über Europa hinaus Standards setzen. Die EU-Datenschutzverordnung ist deshalb ein wichtiger Ansatz. Auch wenn uns häufig etwas anderes nachgesagt wird: Wir wollen dieser Verordnung zum Erfolg verhelfen.

HBL: Kritiker aus dem EU-Parlament und der Kommissionwerfen der Bundesregierung vor, die Verabschiedung zu blockieren.

de Maizière: Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl es nicht einfach ist, in jedem Punkt eine zwischen den Ressorts abgestimmte Position zu erarbeiten, welche auch die Beschlüsse von Bundesrat und Bundestag hinreichend berücksichtigt, haben wir uns in Brüssel mit einer Reihe konstruktiver Vorschläge eingebracht. Diese sind nicht darauf gerichtet, die Verabschiedung zu blockieren, sondern darauf, die mit der Verordnung verbundenen Ziele Harmonisierung und Modernisierung des Datenschutzes in Europa wirklich zu erreichen. Ich gehe auch davon aus, dass wir nach der Wahl eines neuen EU-Parlaments und einer neuen Kommission so weit vorankommen, dass wir die Verordnung 2015 verabschieden können.

HBL: Was sagen Sie einem Internetaktivisten wie Markus Beckedahl, der erklärt: "Es ist unser Netz, lasst es uns endlich zurückerobern"?

de Maizière: In der analogen Welt ist es Aufgabe des Staates, die Freiheit der Bürger zu schützen. Das Gewaltmonopol des Staates schützt den Schwächeren vor dem Stärkeren. Ich bin der Meinung, und da streite ich mich gern mit Herrn Beckedahl, dass es sich in der digitalen Welt nicht völlig anders verhält. Zu glauben, dass Freiheit und Privatsphäre im Netz allein durch die Nutzer geschützt werden können, halte ich für naiv.

HBL: Was hat Sie an den Enthüllungen von Edward Snowden am meisten schockiert?

de Maizière: Die Affäre ist ein Kristallisationspunkt für die Debatte um die Sicherheit im Internet. Es wäre dabei aber nicht gut, wenn wir uns allein auf die NSA fixieren. Sie schützen Ihr Haus ja auch gegen Einbruch, nicht nur gegen bestimmte Einbrecher. Wenn die NSA ihre Arbeit morgen einstellen würde, wäre das Internet nur unwesentlich sicherer. Neben den grundlegenden Fragen, die die Veröffentlichungen ausgelöst haben, finde ich es bemerkenswert, dass ein einfacher Systemadministrator Zugang zu solchen Mengen hochsensibler Daten hatte.

HBL: Was kann der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags erreichen?

de Maizière: Er wird die Affäre nun aufarbeiten, und die Regierung wird ihm die gewünschten Informationen zur Verfügung stellen - soweit das nicht die Arbeit der Nachrichtendienste im Kern oder das transatlantische Verhältnis massiv beschädigt. Denn wir brauchen und möchten eine gute Zusammenarbeit mit den USA - nicht zuletzt für die Sicherheit unseres Landes.

HBL: Eine Befragung von Edward Snowden in Berlin kommt für Sie nicht infrage?

de Maizière: Die Bundesregierung hat dazu eine klare Meinung, und dabei bleibt es.

HBL: Müssten Sie Snowden an die USA ausliefern, wenn er deutschen Boden beträte?

de Maizière: Das müsste unter anderem ein Oberlandesgericht prüfen. Die Entscheidung über eine Einreise treffe nach dem Aufenthaltsgesetz aber ich als Innenminister, und ich habe eine Abwägung vorzunehmen: Wie wir im Gutachten der Bundesregierung dazu dargelegt haben, halte ich eine Vernehmung Snowdens in Deutschland für nicht erforderlich. Dies könnte das deutsch-amerikanische Verhältnis ernsthaft beschädigen. Dieser Punkt überwiegt.

HBL: Ist das transatlantische Verhältnis wirklich wichtiger als das Informationsinteresse der Bundesbürger?

de Maizière: Darum geht es nicht. Ich beziehe mich ausschließlich auf eine Befragung in Deutschland und deren außenpolitische Folgen.

HBL: Gegen eine Befragung Snowdens in Moskau, etwa per Videoübertragung, hätten Sie nichts einzuwenden?

de Maizière: So hat es ja beispielsweise auch das Europaparlament gemacht.

HBL: Erwarten Sie nach der Reise der Kanzlerin nach Washington noch Zugeständnisse der US-Regierung in der Spionageaffäre?

de Maizière: Wir haben einen Cyberdialog verabredet, das sollte man nicht gering schätzen. Ich werde in der nächsten Woche selbst in die USA reisen und Gespräche führen.

HBL: Was kann der Cyberdialog bringen?

de Maizière: Einerseits ein besseres Verständnis der anderen Seite, aber auch Fortschritte bei den angestrebten Datenschutzabkommen zwischen EU und USA sowie mehr Austausch bei der Arbeit der Geheimdienste. Außerdem können wir gemeinsame Interessen herausarbeiten, etwa bei der Abwehr von Spionage aus anderen Staaten.

Das Interview führten Till Hoppe, Hans-Jürgen Jakobs und Thomas Sigmund mit dem Innenminister Thomas de Maizière für das Handelsblatt .