Rede von Kulturstaatsministerin Roth zur Eröffnung der 75. Frankfurter Buchmesse

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Roth zur Eröffnung der 75. Frankfurter Buchmesse

In Vertretung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der kurzfristig nach Israel gereist ist, hat Kulturstaatsministerin Roth die Franfurter Buchmesse eröffnet. Bevor Roth auf die Bedeutung des Lesens und das diesjährige Gastland Slowenien einging, verurteilte sie ausdrücklich den Angriff auf Israel. „Wir sind voller Trauer und Schmerz an der Seite der Opfer, an der Seite der Angehörigen“, sagte sie.

Dienstag, 17. Oktober 2023 in Frankfurt am Main

Eine Buchmesse ist ein Marktplatz der Worte, ein Umschlagplatz der Schriften, Literaturen und Lesarten. All das ist kaum denkbar ohne seine Anfänge, seine Ursprungsorte, ohne die Schriftvölker des Nahen und Mittleren Ostens. Was wären wir ohne Euch?! Was steht auf dem Spiel, wenn Ihr dem Wort nicht mehr traut? Schriften wollen gelesen werden, Literatur will Stille, Konzentration, braucht die Bereitschaft seiner Leser:innen, sich der Welt, dem eigenen Selbst und dem Anderen zu öffnen.

Wer Kinder ermordet, Frauen vergewaltigt und Familien verschleppt, wer Menschen in Geiselhaft nimmt, gibt all das der Barbarei preis, zerstört jede Grundlage für Verständigung und ein menschliches Miteinander.

Raketen auf Israel, Angriffe auf Städte und Ortschaften nahe der Grenze zum Gazastreifen, Terroristen der Hamas, die Jagd auf Zivilist:innen machen, auf feiernde Besucher:innen des Supernova-Festivals nahe des Kibbuz Re’im: Terroristen, die Hunderte töten und ebenso viele verschleppen – eine Autostunde von Tel Aviv. Es ist ein Angriff auf Frauen und Männer und Kinder in Israel und auf ihre Gäste aus aller Welt. Es ist ein Angriff auf Menschen, weil sie Jüdinnen und Juden sind. Es ist ein Angriff auf den Staat Israel, auf seine Kultur, auf seine offene Gesellschaft, die sich genau dort, wo sie angegriffen wurde, gegen niemanden richtete. Das verurteile ich und das verurteilen wir zutiefst. Wir sind voller Trauer und Schmerz an der Seite der Opfer, an der Seite der Angehörigen, die um ihre Liebsten bangen.

Leider gibt es auch die Bilder aus unserem Land, die uns zeigen, wie Anhänger der Hamas den Blutrausch feiern. Dafür kann es und dafür darf es keinerlei Toleranz geben, das ist absolut inakzeptabel.

Wenn jüdische Menschen in Deutschland Angst haben, ihre Kinder zur Schule zu schicken, in die Synagoge zu gehen oder auf der Straße als Jüdinnen und Juden erkannt zu werden, dann sage ich: Nie wieder ist jetzt! Dann brauchen wir alle Mittel unseres wehrhaften Rechtsstaats, um den Hass und alle, die ihn predigen, in die Schranken zu weisen. Es ist es unsere Aufgabe das so reiche und vielfältige jüdische Leben in unserem Land – und es ist ein großes Glück, dass es das in unserem Land wieder gibt – gerade jetzt zu schützen, zu fördern und zu stärken. Dafür wollen wir als Gesellschaft Zeichen setzen. Zeichen setzen der Solidarität mit Israel und mit den Jüdinnen und Juden, die Teil unseres Landes sind. Zeichen setzen gegen inhumane Barbarei, ein Zeichen setzen für die Menschlichkeit.

Wie können wir aber in solch schweren Zeiten ein Fest des Buches feiern, wie es hier bei der Frankfurter Buchmesse geschieht – und in den nächsten Tagen auch geschehen sollte? Gerade in diesen so dunklen Zeiten öffnet das Lesen unseren Blick, schafft Verständnis über alle Grenzen hinweg und lehrt uns Empathie. Gerade in jetzt brauchen wir die Freiheit des Denkens, die Vielfalt der Bücher und Perspektiven – und genau dafür steht die Frankfurter Buchmesse. Denn Lesen erlaubt Erlebnisse, die einem selbst nie zu Teil wurden, ermöglicht neue Erkenntnisse und Sichtweisen.

Lesen bedeutet Freude und Anteilnahme an Geschichten, die einem ganz neue Welten eröffnen. Mit jedem Kapitel, mit jeder neuen Seite können wir Gegensätze überwinden, die im Alltag manchmal unüberbrückbar scheinen. Lesen ist der tägliche Beweis, dass wir uns trotz unserer Unterschiede verstehen können, dass unsere Gesellschaft mitnichten dazu verdammt ist, auseinander zu driften. Auch wenn manche das behaupten und bewerben.

Deswegen ist jede Geschichte, die erzählt wird, es auch wert, erzählt zu werden. Literatur lebt nicht nur von denen, die möglichst klug und gebildet darüber sprechen können. Literatur lebt von denjenigen, die lesen, die sich tief darin versenken. Deswegen ist die vielfältige Verlagslandschaft in unserem Land von unschätzbarem Wert für unsere Demokratie. Deswegen sind die tausenden von Büchern, die hier jedes Jahr vorgestellt werden, eine gute Nachricht für unser Land.

„Waben der Worte“ - das Motto, das Ihr Land, Frau Präsidentin, für seinen Auftritt als Gastland der diesjährigen Buchmesse gewählt hat, bringt die verbindende, die Halt gebende und Gemeinschaft stiftende Wirkung von Literatur wunderbar zum Ausdruck. Im Gedicht „Ich habe es Euch gesagt“ des slowenischen Lyrikers Srečko Kosovel ist von der Honigwabe der Menschheit die Rede, die jenseits der Beschränkung auf einzelne Nationen wachse. Und „Waben der Worte“ ist das Motto Sloweniens. Es ist ein schönes Bild, das Einsammeln der Worte, in einem Land, das aus dem Vollen schöpfen kann, in dem neben der Amtssprache Slowenisch, auch Italienisch, Ungarisch, Deutsch, Kroatisch, Serbisch und Romani gesprochen wird. Slowenien ist ein Bienenstock der Worte, der Sprachen, der Kulturen, Hinterlassenschaften von Eroberern aus großen, benachbarten Sprachräumen, die kamen und wieder gingen. „Wir haben überlebt, weil wir Leser sind“, sagte Miha Kovac unlängst der FAZ. Denn das Lesen lehre denken und eine kleine Nation in Europa müsse das Denken beherrschen.

Ihr Land, Frau Präsidentin, war in seiner Geschichte fast immer ein Grenzland. „Krain“, „krajina“, „Grenzmark“ – die alte Bezeichnung für einen der heutigen Landesteile Sloweniens weist darauf hin. Allzu oft in der europäischen wie auch in der slowenischen Geschichte waren solche Wörter gleichbedeutend mit dem Recht des Stärkeren, mit Krieg und Besatzung. Mit Fremdherrschaft und dem mühevollen Ringen um Eigenständigkeit.

Heute führt uns Russlands verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine genau diese überwunden geglaubte Geschichte vor Augen. Ein verbrecherischer Angriffskrieg, der der ukrainischen Kultur das Recht absprechen will, zu existieren, der dieser Kultur den Garaus machen möchte. Ein Krieg, der sich auch gegen die Kultur der Demokratie richtet, gegen die Selbstbestimmung von Menschen, wie sie leben wollen, Menschen in unserer direkten Nachbarschaft, die die Freiheit haben wollen, in der Sprache ihrer Wahl zu lesen, die Bücher, die sie möchten, die frei schreiben und sprechen wollen.

Es ist eine große Errungenschaft der europäischen Einigung, dem Los, Grenzland zu sein, die Gemeinschaft in Vielfalt entgegengestellt zu haben. Dass aus der Gefahr der geographischen Lage der Vorteil wurde, Schmelztiegel zu sein, Kreuzungspunkt und Ort der Begegnung. Gelegen zwischen Mittelmeer, Balkan und den Alpen ist Slowenien europäische Vielfalt auf kleinstem Raum. Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen aufsammelnd – und daraus neue Wortwaben schaffend.

So hat der große slowenische Dichter, France Prešeren, Teile seines Werkes auch auf Deutsch verfasst. Und die slowenische Schriftstellerin Alma Karlin war zwischen den beiden Weltkriegen eine der populärsten deutschsprachigen Reiseschriftstellerinnen. Und gleichzeitig war es doch auch das leidenschaftliche Festhalten an der eigenen Sprache, das die reiche, kulturelle Identität erhalten hat, die wir hier in Frankfurt entdecken können.

Den 32 Jahren seit Gründung der Republik Slowenien stehen über 1.000 Jahre alte Schriftzeugnisse in slowenischer Sprache gegenüber. Und heute ein riesiger Reichtum, eine prall gefüllte Bienenwabe literarischer Produktionen. In einem Land mit zwei Millionen Staatsangehörigen erscheinen jährlich rund 3.500 Bücher, davon 300 Gedichtbände. Kein Wunder, dass Slowenien mitunter als das Land mit der dichtesten Dichte an Dichtern gepriesen wird.

Ich freue mich jedenfalls sehr, dass so viele slowenische Autorinnen und Autoren hier in Frankfurt sind und uns erlauben, die Welt durch ihre unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten – traditionell, modern, vielfältig, slowenisch und typisch europäisch. Und ich freue mich, dass diese Messe dazu beitragen wird, dass noch mehr Werke aus Slowenien in deutsche Buchhandlungen gelangen.

Besonders danken möchte ich an dieser Stelle all denjenigen, die uns fremdsprachige Literatur überhaupt erst erschließen, den Übersetzerinnen und Übersetzern. Über 9.400 übersetzte Titel wurden in Deutschland veröffentlicht – allein im vergangenen Jahr. 9.400 Welten, die sonst im wahrsten Sinne das Wortes unverständlich geblieben wären. Sie, liebe Übersetzerinnen und Übersetzer, bereiten uns den Weg. Sie machen andere Wirklichkeiten erfahrbar. Ohne Sie gäbe es schlicht keine Weltliteratur.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin vom Lesen gesprochen als täglich praktizierte Bereitschaft, die eigene Perspektive in Frage zu stellen, sich an die Stelle der anderen zu begeben. Diese Bereitschaft ist wichtig, sie ist essenziell für unsere Demokratie. Gerade jetzt, in einer Zeit voller Umbrüche, Herausforderungen und auch Sorgen. In der vermeintlich einfache Lösungen Hochkonjunktur haben. Gerade jetzt brauchen wir Bücher und das Zulassen anderer Meinungen als Gegengewicht und als Immunisierung gegen die Angriffe von Demokratiefeinden und Rechtsstaatsverächtern, gegen Populismus und Propaganda. Gerade in Zeiten von Krieg und Krisen kann Literatur für die Betroffenen von Terror und Krieg helfen, Erlebtes und Erfahrungen zu verarbeiten, gegen die Sprachlosigkeit anzukämpfen, schier Unbeschreibliches zu beschreiben. Literatur kann uns helfen, zu verstehen und mitzufühlen.

Buchhändlerinnen und Buchhändler bieten nicht nur Inspiration und Beratung. Buchhandlungen sind auch wichtige Kulturorte überall im Land. Deswegen bin ich froh über die guten Umsätze auf dem Buchmarkt und insbesondere darüber, dass der größte Vertriebsweg immer noch der klassische Buchhandel ist. Deswegen werden wir die Buchbranche auch weiterhin unterstützen. Mit dem Buchpreisbindungsgesetz, dem reduzierten Mehrwertsteuersatz oder dem besonderen Posttarif für den Versand von Büchern. Natürlich auch mit der vielfältigen Literaturförderung, mit der Vergabe des Deutschen Buchhandlungs- und des Verlagspreises und mit der Unterstützung von Buchhandlungen und Verlagen durch das Programm „Neustart Kultur“ nach der Corona-Pandemie.

Besonders gefreut habe ich mich über den Erfolg des KulturPasses. Mittlerweile nutzen über 200.000 der jetzt schon 18-Jährigen ihr Budget von 200 EURO für ihre „Reise“ in die Kultur – und einige davon hoffentlich in den nächsten Tagen auch die Möglichkeit, um damit ermäßigten Eintritt hier bei der Buchmesse zu erhalten. Und was nun ist das Angebot, für das der Kulturpass am meisten genutzt wird? Es ist tatsächlich, allem Kulturpessimismus zum Trotz, der Erwerb von Büchern. Mit deutlichem Abstand auf Platz 1. Bereits über 260.000 Bücher haben sich die jungen Menschen damit seit Mitte Juni in einen Buchladen geholt, im Bereich Bücher wurde ein Umsatz von über 4 Millionen Euro erzielt. Das ist doch ein deutliches, ein starkes Signal. Und es gibt Hoffnung für die nächsten 75 Jahre dieser Buchmesse!

Der KulturPass ist ein Angebot der Demokratie. Es ist durchaus nicht uneigennützig. Jeder Bürger, jede Bürgerin, hat Anspruch auf Teilhabe – am öffentlichen Gespräch, an Bildung und an der Kultur. Für die Demokratie wiederum ist unabdingbar, dass möglichst viele Bürger:innen diesen Anspruch selbstbewusst wahrnehmen. Der Kulturpass soll das jungen Menschen nachhaltig erleichtern.

Für unsere so wertvolle Kultur der Demokratie brauchen wir Sie - Sie, die Bücher möglich machen, die für die ganze Freiheit und Vielfalt des Schreibens, des Publizierens, des Lesens, des Denkens stehen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Salman Rushdie vergeben wird. Ein starkes Signal. Und ein klares Zeichen gegen den Fanatismus und für die Macht des Buches und die Macht des freien Wortes. Und genau dafür steht die Frankfurter Buchmesse.