Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Eröffnung des Musikfestes Berlin

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Zugegeben, es fällt mir schwer, mich an diesen Anblick zu gewöhnen: Dünn besetzte Reihen passen weder zu meinem liebsten Konzertsaal, noch zu zwei Weltstars, die nicht nur in Deutschland die größten Konzerthäuser füllen, zu Ludwig van Beethoven und Igor Levit. Aber ich bin dankbar und freue mich sehr, dass dieses Konzert, dass das Musikfest Berlin überhaupt stattfinden kann (wenn auch mit geändertem Programm) und Musikgenuss sich nicht länger auf Hauskonzerte beschränken muss.

Für viele (auch für mich) wird der Begriff des „Hauskonzerts“ weit über das Jahr 2020 hinaus mit einem ganz bestimmten Bild verbunden bleiben: mit dem Bild eines Flügels in einem Berliner Altbau und einem barfüßigen Igor Levit. Von März bis Mai täglich um 19 Uhr waren Hunderttausende über ihre Bildschirme zu Gast bei ihm zuhause. Leger gekleidet, mal barfuß, mal in Socken, empfing er Musikhungrige online zu einem halbstündigen Klavierkonzert. Wie Igor Levit haben viele Künstlerinnen und Künstler und auch zahlreiche Kultureinrichtungen die häusliche Isolation im Lockdown erträglicher gemacht.

Wohl nie zuvor bot das Internet Kulturgenuss in dieser Bandbreite und Qualität – vom Livestreamkonzert über Lesungen aus dem heimischen Wohnzimmer bis hin zum virtuellen Theaterabend. Über das analoge Stammpublikum hinaus dürfte dabei auch so mancher Online-Zufallsbesucher auf den Geschmack gekommen sein. Kunst jedenfalls erwies sich für viele Menschen einmal mehr als unverzichtbare Seelennahrung. Diese Wertschätzung wird sich, davon bin ich überzeugt, nach der Coronakrise für Künstlerinnen und Künstler auszahlen. Der Hunger nach Kultur im öffentlichen Raum wird größer sein als je zuvor. Denn viele haben erlebt, dass Kultur als Bildschirmerlebnis das Gemeinschaftserlebnis nicht ersetzen kann. Die Resonanz ist eben doch eine andere im öffentlichen Raum. Als Zuhörer und Zuschauer lauscht man konzentrierter, und mag die heimische Couch auch noch so bequem sein: Beglückender ist es, Emotionen mit anderen zu teilen.

Nicht nur deshalb sind Ideen und Konzepte gefragt, die die Wiederaufnahme des Kulturbetriebs unter Beachtung des Infektionsschutzes ermöglichen. Dass gemeinsamer Kulturgenuss auch unter den geltenden Beschränkungen möglich ist, zeigt das Musikfest Berlin und sendet damit ein wichtiges Signal der Hoffnung. Durch die Zusammenarbeit der „Berliner Festspiele on demand“ mit der „Digital Concert Hall“ der Berliner Philharmoniker ist es sogar möglich, 15 Veranstaltungen dieses Festivals zeitversetzt für jeweils 72 Stunden im Internet bereitzustellen. So wird aus der Not eine Tugend! Die digitale Ergänzung ist nicht nur eine zusätzliche Bühne für die Gegenwartsmusik. Sie ist auch ein Gruß an die internationale Musikwelt, mit dem wir zeigen, dass in Berlin das Musikleben wieder neu beginnt.

Für den Neubeginn nicht nur des Musiklebens, sondern des kulturellen Lebens insgesamt habe ich das Programm NEUSTART auf den Weg gebracht. Insgesamt eine Milliarde Euro zusätzlich stehen in meinem Haushalt bereit, um die kulturelle Infrastruktur unseres Landes nach der pandemiebedingten Auszeit wieder zu beleben – und das bedeutet: Betriebsstätten, Arbeitsmöglichkeit und Einkommen für Künstlerinnen und Künstler wie auch für vieler andere im Kulturbereich Tätige zu sichern. Das größte Konjunkturprogramm für die Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik offenbart den hohen Stellenwert, den die Bundesregierung der Kultur beimisst. Wir wollen unser Möglichstes dafür tun, die zerstörerischen Wirkungen der Coronakrise zu lindern und schöpferische Kräfte zu mobilisieren – in der Überzeugung, dass Kunst überlebensnotwendig ist für unsere Demokratie und dass wir der Kunst wie auch der Kultur- und Kreativwirtschaft jene Inspiration und jene Irritationen verdanken, aus denen Innovationen entstehen.

Dafür gibt es im Deutschen einen klangvollen Begriff: „Zukunftsmusik“ nennen wir, was gegenwärtig nicht verwirklicht werden kann, was aber zumindest als Möglichkeit verheißungsvoll anklingt. Konzertsäle, Opern, Musikclubs, Theater und andere Kulturorte holen uns heraus aus dem Alltag, hinein in eine Welt der Möglichkeiten. Kunstwerke und Kulturorte schaffen Raum für Utopien – allein schon dadurch, dass sie Menschen über alle Grenzen hinweg verbinden. Wer könnte dies eindrucksvoller bezeugen als Ludwig van Beethoven!

„,Alle Menschen werden Brüder‘ - das ist keine romantische Verklärung, sondern ein andauernder Arbeitsauftrag an uns alle“: So hat es Igor Levit einmal formuliert. Ja, mit seiner Weltverbesserungsleidenschaft und seinem Humanisierungs-anspruch liegt Beethoven uns bis heute in den Ohren – im wahrsten Sinne des Wortes. Im aktuellen Jubiläumsjahr zur Ehrung seines 250. Geburtstages, dessen Programm die Bundesregierung aus meinem Kulturetat maßgeblich finanziert, mussten leider viele hochkarätige Veranstaltungen und großartige Projekte coronabedingt ausfallen. Deshalb haben wir gemeinsam mit unseren Partnern entschieden, das Jubiläum einfach zu verlängern und all jenen, die sich mit Beethovens Werk auseinandergesetzt haben, die Möglichkeit zu geben, ihren künstlerischen Beitrag zum Jubiläumsjahr doch noch auf die Bühne zu bringen. Darunter ist beispielsweise die Neukomposition von Heiner Goebbels, die im Rahmen dieses Musikfestes zur Uraufführung kommen sollte.

Das heutige Konzert mit Igor Levit, ebenfalls ein Jubiläumsprojekt, kann zum Glück wie geplant stattfinden. Und ich bin sicher: Auch wenn Igor Levit die Abstandsregeln einhält, wird er uns unmittelbar und tief berühren mit seiner – und mit Beethovens – Kunst. Freuen wir uns also auf ein Konzert in der Philharmonie, wie wir es lange vermisst haben!

Ich wünsche Ihnen allen einen genussvollen Abend!