Rede von Kulturstaatsministerin Grütters zum Auftakt der Podiumsdiskussion "Filmfestivals heute"

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Haus der Kulturen der Welt.

Grütters: Über Veränderungen nachzudenken ist notwendig und legitim.

Foto: Bundesregierung/Koall

- Es gilt das gesprochene Wort.-

"Wenn der Postmann zweimal klingelt", wird es spannend. Das gilt ganz offensichtlich nicht nur im Kino .... Und wer wüsste besser als die Crème de la crème des deutschen Filmschaffens, wie man mit der dramaturgischen Wirkung der Briefbotschaft noch mehr Schwung in eine Handlung bringt …?!

Dieser Schwung und die damit üblicherweise einhergehende, gesteigerte Aufmerksamkeit des interessierten Publikums kann auch der Debatte über Filmfestivals im Allgemeinen und über die Zukunft der Berlinale im Besonderen nur nutzen – jedenfalls dann, wenn diese Diskussion konstruktiv geführt wird. Dazu gehört zunächst einmal, nicht nur die "Soll"-Seite einzubeziehen, sondern auch zu schauen, was wir auf der "Haben"-Seite verzeichnen können. Auch deshalb habe ich – übrigens schon bevor der Postmann mit dem Berlinale-Brief deutscher Filmschaffender zum zweiten Mal klingelte  – bereits im September zum Gespräch ins Kanzleramt und auch zur heutigen Diskussion ins Haus der Kulturen der Welt eingeladen. Ich freue mich, dass mit Hilfe hochkarätiger Expertinnen und Experten auf dem Podium unterschiedliche Perspektiven und Positionen zur Sprache kommen. Herzlichen Dank den Diskutierenden, herzlichen Dank ...

Christiane Peitz, der Leiterin des Kulturressorts beim Tagesspiegel
dem Regisseur Christoph Hochhäusler,
dem Produzenten Thomas Kufus
dem Regisseur Volker Schlöndorff
und ein besonderes Dankeschön an Bettina Reitz, der Präsidentin der Filmhochschule München: Sie hat spontan zugesagt, auf dem Podium mitzudiskutieren, stellvertretend für Kirsten Niehuus (Medienboard Berlin-Brandenburg), die heute leider kurzfristig aus familiären Gründen absagen musste.

Ihnen allen, meine Damen und Herren, die Sie anschließend zum Weiterdiskutieren bei einem Glas Wein eingeladen sind, ein herzliches Willkommen! 

Lassen Sie mich kurz Bilanz ziehen, wie die Berlinale derzeit auf dem Wettbewerbsfeld der internationalen A-Festivals positioniert ist und was sie gegenüber anderen großen Filmfestivals auszeichnet, bevor ich meine Überlegungen zu den Verfahrens- und Strukturfragen erläutere, die uns alle zur Zeit umtreiben. Die Berlinale ist das größte Publikumsfestival der Welt, das Filmfestival mit den meisten Zuschauern: Wir reden hier von rund einer halben Million Besuchern bei zuletzt rund 335.000 verkauften Karten; wir reden von einem Kulturereignis mit enormer internationaler Strahlkraft, dessen Weltoffenheit der Filmkunst wie auch Berlin und ganz Deutschland gut tut - und das nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Die Berlinale war und ist, bedingt auch durch ihre Geschichte, durch ihre Anfänge als "Schaufenster der freien Welt" zu Zeiten des Kalten Krieges, nach wie vor das politischste Festival unter den renommierten A-Festivals - ein Anspruch, der sich natürlich vor allem in der Filmauswahl, darüber hinaus aber auch im Bekenntnis zur gesellschaftspolitischen Mitverantwortung der Filmschaffenden spiegelt.  

So bietet das Festival sowohl der künstlerischen Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen unserer Zeit als auch dem gesellschaftspolitischen Engagement eine Bühne, beispielsweise als weltweit einziges umweltzertifizierte Festival und als Kulturereignis, das nicht nur für Stars den roten Teppich ausrollt, sondern seit 2016 auch für geflüchtete Menschen. Und wer behauptet, solch ein Engagement sei irrelevant für das Profil eines A-Filmfestivals, möge sich umgehend "The Square" im Kino ansehen, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme 2017 in Cannes: eine Satire auf einen Kunstbetrieb, in dem die gesellschaftskritische Haltung der Kunst zum Glamourfaktor für eine Elite verkommt, die sich moralisch auf der richtigen Seite weiß (oder wähnt …), aber blind ist für die Bettler auf der Straße. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass es der Berlinale auch weiterhin gut zu Gesicht steht, im unternehmerischen Handeln wie in der Programmgestaltung Haltung zu zeigen und sich als dezidiert politisches "Filmvolksfest" zu profilieren.

Genau dafür stehen ein roter Schal und ein schwarzer Hut – und der Name Dieter Kosslick. Es ist Dieter Kosslicks Verdienst, dass die Berlinale heute ein größeres Publikum denn je erreicht und sich auch im 21. Jahrhundert als weltweit hoch angesehenes A-Festival behauptet. Es war Dieter Kosslick, der die Berlinale vor 16 Jahren mit Mut und Einfallsreichtum umgekrempelt und damit sowohl das Festival als auch den Filmstandort Deutschland aufgewertet hat, der dem Festival bis heute immer wieder neue Impulse verleiht – und der nebenbei übrigens auch den Karrieren zahlreicher deutscher Filmkünstlerinnen und Filmkünstler einen gewaltigen Schub gegeben hat. Dank Dieter Kosslick hat sich der European Filmmarket etabliert - als einer der bedeutendsten Filmrechtemärkte weltweit, mit dem die Berlinale international Maßstäbe setzt. Aber auch andere Initiativen, die Dieter Kosslick ins Leben gerufen hat, zum Beispiel die Berlinale Talents und der World Cinema Fund, tragen zu einem zukunftssicher aufgestellten Filmfestival bei. Und Dieter Kosslick war es auch, der durch neue Formate wie "Berlinale goes Kiez" dafür gesorgt hat, dass der Glanz der Berlinale weit über das Festivalzentrum hinausstrahlt und auch im digitalen Zeitalter ein breites Publikum für das Gemeinschaftserlebnis Kino, diese sinnlichere Alternative zum einsamen Serienkonsum auf der heimischen Couch, begeistert. Kurz und gut: Wir alle, die wir Strahlkraft und Stellenwert der Berlinale im Wettbewerbsfeld der internationalen A-Festivals sichern wollen, haben allen Grund, Dieter Kosslick dankbar zu sein für im besten Sinne prägende Berlinale-Jahre.

Über Veränderungen nachzudenken, ist nach so langen Jahren dennoch gleichermaßen notwendig wie legitim – zumal nicht nur die Berlinale, sondern Filmfestivals im Allgemeinen sich angesichts neuer Sehgewohnheiten des Publikums im digitalen Zeitalter neu profilieren müssen. Als Beitrag zu dieser Debatte verstehe ich jedenfalls den offenen Brief der Regisseurinnen und Regisseure – als Beitrag zu einer Debatte, die es verdient, offen, sachlich und konstruktiv geführt zu werden, und zwar miteinander, nicht übereinander. Deshalb freue ich mich, dass wir heute Abend volles Haus haben. Herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft, lieber Herr Professor Scherer! Angesichts der sehr unterschiedlichen Deutungen bis hin zu offenbar gravierenden Missverständnisse, die in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit dem offenen Brief zur Zukunft der Berlinale durch die Feuilletons geisterten, liegt mir ein Klassiker aus der Reihe berühmter Filmzitate auf der Zunge, der da lautet: "Es ist nicht so, wie Du denkst." Frei nach diesem Motto haben einige Unterzeichner richtiggestellt, wie sie ihren Aufruf verstanden wissen wollten, und frei nach diesem Motto will auch ich klarstellen, welche Überlegungen zur Nachfolge Dieter Kosslicks mein Handeln als dafür verantwortliche Kulturpolitikerin leiten – und welche nicht. Falsch ist das Gerücht, gesucht werde eine deutsche Frau. Richtig ist: Es gibt keinerlei Vorfestlegung auf eine weibliche oder deutsche Nachfolge. Falsch ist auch das Gerücht, wonach der Name Dieter Kosslick für eine Schlüsselposition nach 2019 gesetzt ist. Richtig ist: Es gibt keinerlei Vorfestlegung auf bestimmte Personen, in welcher künftigen Führungsstruktur auch immer. Missverstanden schließlich wurde ganz offensichtlich die Ankündigung, dass Herr Kosslick dem Aufsichtsrat der KBB ein Konzept für die Zeit nach 2019 vorstellt. Deshalb auch dazu eine Klarstellung: Es handelt sich bei diesem Konzept um einen Diskussionsbeitrag unter mehreren. Dass es sinnvoll ist, vorhandenen Sachverstand mit einzubinden, wird hoffentlich niemand bestreiten.

Wie also geht es jetzt weiter? - Wie Sie vielleicht wissen, ist die Berlinale Teil der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB), genau wie die Berliner Festspiele oder das Haus der Kulturen der Welt. Morgen findet eine Sitzung des Aufsichtsrats der KBB statt, dem Vertreterinnen und Vertreter der BKM, des Bundesfinanzministeriums, des Auswärtigen Amtes wie auch des Landes Berlin und sachverständige Persönlichkeiten des kulturellen Lebens angehören. Dessen Geschäftsordnung legt fest, dass der Aufsichtsrat das Auswahlverfahren für die Geschäftsführung - und damit für die Nachfolge Dieter Kosslicks - durchführt. Wie in vergleichbaren Fällen wird der Aufsichtsrat dazu eine Findungskommission mit Mitgliedern aus seinem Kreis einrichten. Außerdem - und das ist mir in diesem Fall besonders wichtig - möchte ich externen Sachverstand einbinden und werde dem Aufsichtsrat deshalb morgen vorschlagen, Expertinnen und Experten aus der Filmbranche beratend hinzuzuziehen. Sie sollen den KBB-Aufsichtsratsmitgliedern auf der Grundlage der bisherigen Diskussionsbeiträge - dazu gehören das Papier Dieter Kosslicks ebenso wie die Ergebnisse der heutigen Diskussionsveranstaltung - Vorschläge für eine künftige Struktur und die damit verbundenen Personalentscheidungen unterbreiten. Auf dieser Grundlage wird der KBB-Aufsichtsrat im kommenden Jahr unter meiner Leitung eine Entscheidung treffen - früh genug, um dem neuen Leiter oder der neuen Leiterin ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf die Berlinale 2020 zu geben. Ich selbst führe (nebenbei bemerkt) seit Monaten Gespräche mit einschlägigen Persönlichkeiten - übrigens auch international. Bei allem Respekt vor dem Wunsch nach größtmöglicher Transparenz bitte ich um Verständnis für die notwendige Diskretion, was vor allem die Namen möglicher Kandidatinnen und Kandidaten betrifft. Das Auswahlverfahren soll niemanden beschädigen.

Soweit meine Überlegungen, wie wir der Berlinale unter sich verändernden Bedingungen des Filmschaffens den Platz in der Champions League der Filmfestivals sichern können, den wir alle ihr - und dem Filmstandort Deutschland - weiterhin, so wie bisher, wünschen. Mir ist, so wie Ihnen, sehr daran gelegen, dass wir in Deutschland auch in Zukunft ein Filmfestival präsentieren, das den künstlerischen Experimenten der Avantgarde eine Bühne bietet, den State of the Art des Weltkinos spiegelt und Visionen für die Zukunft des Kinos als Kulturort entwickelt - und ich will mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass vor allem der deutsche Film dabei eine tragende Rolle spielt: mit einer Filmförderung, die auch und insbesondere die künstlerische Freiheit stärkt. Es kommt natürlich immer wieder auf die kuratorische Leistung der Festivalleitung an, gerade das künstlerisch-experimentelle Moment zu stärken. Wie Sie wissen, liegt mir das besonders am Herzen.

Das beherzte Eintreten für die künstlerische Freiheit und für bedrohte und verfolgte Filmemacherinnen und Filmemacher gehört jedenfalls zu jenem politischen Engagement, dem die Berlinale ihr hohes Ansehen weltweit verdankt. Der ein oder andere von Ihnen erinnert sich sicherlich an "Taxi", den Film des mit Berufsverbot belegten iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der auf der Berlinale 2015 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde: Es gibt darin eine Szene, in der Hana Saedi ihrem Onkel die Regeln für einen "zeigbaren" Film im Iran vorliest, die ihre Lehrerin der Klasse für ein schulisches Filmprojekt mit auf den Weg gegeben hat. Zu diesen Regeln gehören skurrile Spitzfindigkeiten - die Guten dürfen niemals Krawatte tragen - ebenso wie selbstwidersprüchlich anmutende Vorschriften: Filme sollen die Realität zeigen, aber nicht, wenn sie hässlich ist, denn dann ist es "Schwarzmalerei". Als Bühne auch für Filme, die sich solchen Kriterien des "Zeigbaren" nicht nur widersetzen, sondern sie als Werkzeug der Mächtigen entlarven, liefert die Berlinale selbst die überzeugendsten Argumente dafür, ihre Zukunft als weithin wahrnehmbares "Schaufenster der freien Welt" zu sichern. Das ist mir ein Herzensanliegen, und ich bin dankbar für und gespannt auf Ihre Ideen und Anregungen!