Rede von Kulturstaatsministerin Grütters zum 70. Jubiläum des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums (DFF)

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Es ist eine der Schlüsselszenen des Films „Deutschland im Herbst“, die Rainer Werner Fassbinder in einem Zwiegespräch mit seiner Mutter Liselotte Eder am Küchentisch zeigt: „Ich kann Dich wirklich nicht verstehen“, sagt er da zu ihr, senkt seinen Kopf in die Hände und seufzt mit schmerzverzerrtem Gesicht. Und auch sie versteht ihn nicht, als er ihr unter anderem mangelndes Verständnis von Demokratie vorwirft. So zeigt die Szene auf eindringliche Weise, wie groß die Kluft war zwischen der in der NS-Zeit sozialisierten Elterngeneration und ihren Kindern, von denen viele in den 1960er und 1970er Jahren lautstark für eine liberale, antiautoritäre Gesellschaft auf die Straße gingen.

Der Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ - an dem neben Rainer Werner Fassbinder etwa auch Volker Schlöndorff und Alexander Kluge mitgewirkt haben - ist ein bedeutendes Zeugnis der Zeit unmittelbar nach dem „Deutschen Herbst“, als der Terror der RAF Deutschland in Atem hielt. Und er ist ein bedeutender Teil unseres filmkulturellen Erbes.

Dass dieses filmkulturelle Erbe erhalten und Vergangenes auf diese Weise im kollektiven Gedächtnis bleibt, ist nicht zuletzt ein Verdienst des DFF - des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums. Ich freue mich sehr, dass wir heute sein sage und schreibe 70. Jubiläum feiern können.

Mit seinem Engagement für ein vielgestaltiges Filmerbe, das die historische und kulturelle Entwicklung unseres Landes dokumentiert, hat sich das DFF in den vergangenen 70 Jahren als international anerkannter Vorreiter in der digitalen Dokumentation und Zugänglichmachung des Kulturguts Film und damit als filmisches Gedächtnis unseres Landes profiliert. Das DFF macht die ästhetische und historische Vielfalt des Kulturguts Film vom Stummfilmklassiker bis zum Neuen Deutschen Film erlebbar - durch herausragende Ausstellungen, Festivals und Kinoprogramme sowie durch eine beispielhafte Bildungsarbeit für alle Altersklassen.

Danke, liebe Frau Harrington, für Ihre großartige Arbeit, die Sie gemeinsam mit Ihrem Team hier leisten! Und natürlich danke ich auch allen früheren Direktorinnen und Direktoren - insbesondere Ihnen, liebe Frau Dillmann, die Sie das Filminstitut zuletzt ganze 20 Jahre geleitet und dabei zukunftsweisend geprägt haben. Auch Ihnen, lieber Herr Dr. Hensel, danke ich herzlich für Ihr langjähriges Engagement als Vorstand und - stellvertretend für all die treuen Freunde und Förderer des Hauses - für Ihre großzügige Unterstützung.

Sie alle haben die ebenso kühne wie kluge Vision Hilmar Hoffmanns für ein „Haus für den Film“ am Museumsufer wahr werden lassen und eine unverzichtbare Institution für die umfassende Bewahrung und Vermittlung des Films in Deutschland und Europa geschaffen. Damit sind Sie, ist das DFF, für mein Haus ein sehr wichtiger Partner in Fragen des Filmerbes, der Digitalisierung und vor allem der filmographischen Dokumentation. Dass wir heute zeitgleich mit dem Jubiläum die Eröffnung des neuen Standorts „DFF – Fassbinder Center Frankfurt“ feiern, ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des DFF und ein Gewinn für die internationale Filmkultur.

Als zentraler Ort für die Bewahrung und Erforschung des Lebenswerks Rainer Werner Fassbinders sind im Center künftig die umfangreichen Bestände des DFF zum Neuen Deutschen Film mit den Sammlungen der Fassbinder Foundation unter einen Dach vereint. 1986 von Fassbinders Mutter Liselotte Eder gegründet, pflegt die Fassbinder Foundation - deren Präsidentin ich an dieser Stelle auch sehr herzlich begrüße - bis heute den umfangreichen Nachlass dieses Ausnahmekünstlers.

Das Erbe deutscher Filmkünstlerinnen und Filmkünstler möglichst weitgehend zu erhalten, ist eine gigantische Aufgabe, die politischer Unterstützung bedarf und für die auch ich mich mit Nachdruck einsetze. Deshalb hat die BKM bereits seit 2012 mit erheblichen Mitteln Digitalisierungsprojekte an den Einrichtungen des Kinemathekverbunds gefördert. Klar war allerdings auch, dass wir diese enorme Aufgabe langfristig nur mit vereinten Kräften und zusätzlichen Mitteln meistern können. Daher habe ich mich dafür engagiert, dass wir mit den Ländern und der Filmförderungsanstalt ein gemeinsames Digitalisierungsprogramm aufsetzen und das bisherige Engagement des Bundes noch einmal verstärken. Dieses Programm ist zum 1. Januar 2019 gestartet. Mit einer Gesamtfinanzierung von bis zu 10 Millionen Euro im Jahr können wir nun die dringend notwendige Digitalisierung voranbringen, um das deutsche Filmschaffen in seiner ganzen Breite und künstlerischen Vielfalt auch für künftige Generationen zu erhalten. Insbesondere Einrichtungen, die sich - wie das DFF - im öffentlichen Interesse um die Wahrung und Vermittlung des deutschen Filmerbes verdient machen, werden von diesem Programm maßgeblich profitieren. Zur Pflege der Filmkultur gehört aber natürlich nicht nur der Erhalt des Filmerbes, sondern auch der Erhalt des Kinos als Kulturort. Gerade in Zeiten verhärteter Fronten in unserer Gesellschaft, gerade auch in ländlichen Räumen, wo Menschen sich abgehängt fühlen, brauchen wir für Verständnis und Verständigung die ja sehr spezifische Fähigkeit der Filmkunst, Menschen zu sensibilisieren, anzusprechen, zu berühren. Deshalb freue ich mich, dass wir in diesem Jahr mit fünf Millionen Euro Soforthilfe Kinos in ländlichen Räumen fördern können - und im kommenden Jahr mit bis zu 17 Millionen Euro im Rahmen des neuen „Zukunftsprogramms Kino“. Und mit der notwendigen 50-prozentigen Kofinanzierung stehen dann bis zu 34 Millionen Euro zur Verfügung. Auch das DFF ist - wenngleich Frankfurt gewiss nicht zum ländlichen Raum zählt - mit seinem anspruchsvollen, lebendigen Kinoprogramm ein beispielhafter Kulturort für die Menschen in Frankfurt und darüber hinaus. Das beispielhafte Zusammenwirken der Förderer BKM, Land Hessen und – seit der gelungenen Integration des Deutschen Filmmuseums ins Deutsche Filminstitut im Jahr 2006 – der Stadt Frankfurt am Main ist wesentlicher Teil seiner andauernden Erfolgsgeschichte. Das soll auch in Zukunft so bleiben; dafür werde ich mich weiterhin einsetzen.

Im Übrigen ist das Zusammenwirken unterschiedlicher Kräfte nicht nur in der Förderpolitik, sondern auch für die Wirkmacht unseres Filmerbes ein Gewinn. So hat Alexander Kluge, der wie Rainer Werner Fassbinder als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films gilt, einmal gesagt, ich zitiere: „Ein Kunstwerk beleuchtet das andere. Wie Konstellationen bilden sie gemeinsam einen Sternenhimmel.“

Ganz in diesem Sinne präsentiert Andreas Dresen, der mit „Gundermann“ gerade beim Deutschen Filmpreis abgeräumt hat, im Kinoprogramm des Deutschen Filmmuseums gerade einige seiner persönlichen Lieblingsfilme. Darunter finden sich Hollywood-Klassiker wie „Taxi Driver“, Weimarer Kino von Fritz Lang und ein Festival des japanischen Films - Filme also, die die Welt an unterschiedlichen Perspektiven spiegeln und dabei eine große Vielfalt von Lebensentwürfen und kulturellen Eigenheiten sichtbar und verständlich machen. Dabei beleuchtet ein Film den anderen - und mit dem Blick auf diesen filmischen Sternenhimmel tritt man aus der eigenen beschränkten Lebenswelt, aus der eigenen Zeit, aus der eigenen Filterblase heraus. Davon kann das menschliche Miteinander nur profitieren. Deshalb hoffe ich, dass der Sternenhimmel des deutschen Filmerbes auf Dauer leuchten möge!

In diesem Sinne gratuliere ich dem Deutsches Filmmuseum und Filminstitut herzlich zum 70-jährigen Bestehen: auf viele weitere erfolgreiche Jahre!