Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Verleihung des Deutschen Afrika-Preises an Juliana Rotich am 23. Oktober 2019 in Berlin

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Exzellenzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
sehr geehrte Frau Eid,
Herr Vrolijk,
sehr geehrter Herr Stäcker,
sehr geehrte Damen und Herren
und vor allem Sie, liebe Juliana Rotich,

während der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 nahm ich unter anderem an einer Podiumsdiskussion, dem Women20-Dialogforum, in Berlin teil. Wir diskutierten darüber, wie Frauen in gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen besser gefördert werden können. Mit dabei war auch eine erfolgreiche junge Unternehmerin, Juliana Rotich. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr sie das Publikum mit ihrer Haltung und ihren Ideen begeistert hat.

Liebe Frau Rotich, Sie haben herausragendes gesellschaftspolitisches Gespür und unternehmerisches Können gezeigt, gerade mit Blick auf den digitalen Fortschritt in Afrika. Das führte auch dazu – ich kann der Jury dafür nur einen Glückwunsch aussprechen –, dass Sie heute die Auszeichnung mit dem Deutschen Afrika-Preis erhalten. Ich möchte persönlich ganz herzlich dazu gratulieren. Herzlichen Glückwunsch.

Wie beginnt Innovation? Innovation beginnt immer mit dem Mut, Dinge in Frage zu stellen und sich mit dem Gegebenen nicht abzufinden. Den Mut, Risiken einzugehen und Neues zu wagen, bringen in Afrika viele Menschen auf.

Am Horn von Afrika etwa bewies der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed viel Mut und Kraft, das wirtschaftliche und politische System des Landes offener zu gestalten. Hierfür und für seine Friedensbemühungen mit Eritrea erhält er in diesem Jahr den Friedensnobelpreis.

Auch für die Menschen im Sudan gibt es nach Jahrzehnten der Diktatur nun Hoffnung auf ein friedliches und demokratisches Zusammenleben, auch wenn die Herausforderungen unverkennbar noch sehr, sehr hoch sind.

Zu begrüßen sind auch die Fortschritte zur Gründung einer afrikanischen Freihandelszone. Das Inkrafttreten des Rahmenabkommens Ende Mai war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg dahin. Dass Niger zum ersten Mal eine Konferenz der Afrikanischen Union ausrichten konnte, war auch ein großer Meilenstein für das Land. Ich hoffe, dass das Ziel dieser Freihandelszone erreicht wird und dann der innerafrikanische Handel deutlich an Fahrt zulegen kann.

Diese und viele andere Aufbrüche zeugen nicht nur von Mut, sondern sie machen auch Mut. Diese Verantwortung und Vorbildfunktion haben auch Sie übernommen, liebe Frau Rotich. Sie kämpfen für mehr politische Teilhabe und Transparenz; und zwar mit Hilfe neuer Technologien. Mit der Open-Source-Plattform Ushahidi und dem Technologieunternehmen BRCK, die Sie mitgegründet und mitentwickelt haben, haben Sie gezeigt, wie innovative IT-Produkte den Alltag vieler, vieler Menschen verbessern können.

Ushahidi wurde in über 30 Sprachen übersetzt und findet Anwendung in vielen Ländern, um in aktuelle Geschehnisse mehr Licht und Transparenz zu bringen – sei es zum Zweck der Krisenreaktion oder der Wahlbeobachtung. So wird zivilgesellschaftliches Engagement ganz konkret gestärkt. Das Multiverbindungsgerät von BRCK hat rund um den Globus Verbreitung gefunden. Es ermöglicht selbst in Krisensituationen eine ungehinderte Kommunikation. Kurzum, es ist auch Ihr Verdienst, liebe Frau Rotich, dass „IT made in Africa“ weltweit nachgefragt wird.

Afrika ist ein schnell wachsender Markt für Informations- und Kommunikationstechnologien. Ob im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, im Finanzsektor oder in anderen Dienstleistungen – nahezu überall macht sich der digitale Fortschritt bemerkbar. Dies vollzieht sich oft in gewaltigen Entwicklungssprüngen – das heißt, dass ohne Zwischenschritte über inzwischen veraltete Technologien gleich die neuesten Technologien übernommen werden.

Ich will uns das auch hier in Deutschland sagen, da wir nicht eines Tages aufwachen und feststellen sollten, dass wir, weil wir noch immer so verliebt in unsere klassischen Akten sind, nicht mitbekommen haben, wie schnell sich die Welt anderswo dreht. So ist in Frau Rotichs Heimat, in Kenia, beispielsweise das Bezahlen per Handy schon weiter verbreitet als bei uns hier in Deutschland. Dort kann man auch ohne Bankkonto bargeldlos Geld empfangen und versenden und so Rechnungen begleichen oder andere Geschäfte tätigen. Ohne diese Möglichkeiten könnten viele Kleinstunternehmen in Afrika gar nicht entstehen und auch nicht bestehen.

Start-ups bringen frischen Wind in die Wirtschaft Afrikas mit neuen Ideen und der Nutzung von Schlüsseltechnologien wie Blockchain oder 3D-Druck. Nairobi gilt seit Jahren als Silicon Savannah. Viele Coworking Spaces sind förmlich wie Pilze aus dem Boden geschossen. Natürlich sind noch nicht überall in Afrika solche Entwicklungen zu sehen. Aber die Potenziale dafür gibt es an vielen Orten; und diese gilt es zu nutzen.

Dem dient auch die „Strategische Partnerschaft Digitales Afrika“, die die Bundesregierung ins Leben gerufen hat. Diese Partnerschaft hilft, Akteure der europäischen Wirtschaft und der Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern vor Ort zusammenzubringen, um Geschäftsideen zu entwickeln und zu verwirklichen. Erwähnen möchte ich auch die Initiative „Make-IT in Africa“. Damit hat die Bundesregierung seit 2017 bereits mehr als 190 digitale Unternehmen in 23 afrikanischen Ländern bei der Gründung und beim Aufbau von Geschäftsbeziehungen unterstützt. Im Rahmen dieser Initiative stärken wir auch lokale Ökosysteme für Technologie-Startups. Sie, liebe Frau Rotich, wissen als Mitgründerin des iHub in Nairobi, wie wichtig starke Netzwerke und unterstützende Institutionen sind.

Als ich voriges Jahr in Ghana war, habe ich mit mehreren jungen Unternehmerinnen und Unternehmern gesprochen. Ihnen ist mit ganz erstaunlichen Ideen ein erfolgreicher Markteintritt gelungen; und zwar in ganz verschiedenen Bereichen: bei erneuerbaren Energien, im Bereich der Ernährung, bei Agrartechnologien, bei Gesundheit, Bildung und natürlich auch im Softwarebereich. Die jungen Marktakteure haben mir aber auch von dem Problem berichtet, Investoren zu finden.

Genau hier setzt unser „Compact with Africa“ an. Schon zwölf afrikanische Staaten machen bei unserer Initiative mit. Wir wollen die Bedingungen für nachhaltige Privatinvestitionen und Beschäftigung verbessern. Ich freue mich, die Staats- und Regierungschefs der Compact-with-Africa-Länder im November wieder zu einer Konferenz in Berlin begrüßen zu dürfen.

Zur Unterstützung der Compact-Initiative haben wir übrigens einen neuen Fonds gegründet, über den zusätzlich Risikokapital für bereits bestehende afrikanische Fonds zur Verfügung gestellt wird. Die Zielgruppe sind afrikanische Start-ups und Kleinstunternehmen. Die Umsetzung guter Ideen in Markterfolge sollte nicht an fehlendem Kapital scheitern.

Gerade Frauen haben gute Ideen, mit denen sie Entwicklung und Wandel vorantreiben können. Daher sind es auch viele von Frauen gegründete Unternehmen in Afrika, die wir von Deutschland aus unterstützen. Wir unterstützen Unternehmerinnen aber nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch über multilaterale Initiativen, insbesondere im Rahmen der G7 und G20. So haben wir zum Beispiel beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 die „Women Entrepreneurs Finance Initiative“ aus der Taufe gehoben. Ein Ideengeber dafür war übrigens das eingangs erwähnte Women20-Dialogforum. Als weitere Initiative haben wir in Hamburg #eSkills4Girls gestartet. Dabei geht es darum, dass Mädchen und Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern digitale Chancen in gleicher Weise nutzen können wie Jungen und Männer. Nicht zuletzt haben wir beim diesjährigen G7-Gipfel in Biarritz in Frankreich die Förderung weiblichen Unternehmertums explizit zu einer Priorität erklärt. Diese Erklärung haben wir auf deutscher Seite mit der Zusage unterstrichen, 30 Millionen Euro für das betreffende Förderprogramm der Afrikanischen Entwicklungsbank zur Verfügung zu stellen.

Wir sehen, dass wir auf politischer Seite Anreize setzen und die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Engagement verbessern können. Wir versuchen damit auch, mehr und mehr Teilnehmer der deutschen Wirtschaft dazu, so will ich einmal sagen, zu überreden – man braucht manchmal Überredungskünste –, sich in Afrika zu engagieren. Denn immer noch herrschen bestimmte Rollenbilder vor. Zu Beginn wurde hier eine Weltkarte gezeigt, die die Welt aus der Perspektive der Deutschen zeigt. Leider ist es noch so, dass viele bei Afrika an Probleme und nicht an Chancen denken. Ich kann uns nur ermutigen: Verpassen wir den Zug der Zeit nicht, sondern sehen wir die Chancen in Afrika. Wir müssen vieles tun.

Aber Inspiration und Motivation bieten vor allem Vorbilder wie Sie, liebe Frau Rotich. Ihr Erfolg macht auch vielen anderen Frauen Mut. Sie zeigen, was und wie viel man mit guten Ideen und mit Entschlossenheit bewegen kann – wirtschaftlich, gesellschaftlich und über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Wir brauchen Menschen wie Sie, die Mut für Neues haben und damit auch andere anstecken.

Deshalb möchte ich sagen: Es ist eine ausgezeichnete Wahl, die die Jury getroffen hat, Juliana Rotich mit dem Deutschen Afrika-Preis auszuzeichnen. Ich bin sicher, dass Sie den Preis nicht nur als Anerkennung Ihrer Verdienste verstehen, sondern auch als Ansporn. Ich bin schon gespannt auf die nächsten Ideen. In jedem Fall wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg. Nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung und alles Gute.