Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der Klima-Arena der Klimastiftung für Bürger
am 07. Oktober 2019 in Sinsheim

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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Kretschmann,
sehr geehrter Herr Hopp,
sehr geehrter Herr Ehrhard,
sehr geehrter Herr Landesinnenminister, lieber Thomas Strobl,
sehr geehrter Herr Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, lieber Stephan Harbarth,
Herr Oberbürgermeister,
Herr Landrat,
liebe Abgeordnetenkollegen und werte Gäste,

ich bin heute sehr gerne hierhergekommen. Wir haben vor geraumer Zeit, Herr Hopp, darüber gesprochen, dass Sie diese Klima Arena schaffen und dass hier ein greifbares Projekt entsteht. Ich habe mich dann gerne entschieden, hier dabei zu sein – nicht wissend, dass das Thema Klimaschutz in der Zeit, in der diese Arena eröffnet wird, eine außerordentlich hohe Priorität hat und auch viele Kontroversen auslöst.

Es freut mich natürlich, dass Sie diese Klima Arena so nah bei Ihrem Stadion haben entstehen lassen, sodass sich die Besucherzahl vielleicht proportional zu den Gästen bei den Fußballspielen entwickeln wird. Auf jeden Fall werden viele Menschen zu diesem Erlebnisort kommen, die vielleicht sonst gar nicht darauf kämen, sich einmal mit den Fragen des Klimaschutzes so intensiv zu beschäftigen.

Herr Kretschmann hat es gesagt: In diesem Jahr haben wir von der Wissenschaft noch einmal aufrüttelnde Nachrichten bekommen, dass der Klimawandel schneller stattzufinden scheint, als wir das vielleicht noch vor ein paar Jahren gedacht haben. Umso wichtiger ist es natürlich, dass die Politik die Rahmenbedingungen setzt, in denen klimafreundliches Leben und klimafreundliches Wirtschaften überhaupt möglich sind.

Wir sind insgesamt verpflichtet – schon allein aufgrund der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die bis 2030 gelten –, unser gesamtes Leben auf Nachhaltigkeit auszurichten; das heißt, nicht nur im Bereich des Klimaschutzes, sondern überall sehr viel stärker in Kreisläufen zu denken, um auch den Kindern und Enkeln ein lebenswertes Dasein auf unserem Planeten zu ermöglichen.

Deshalb hat sich die Bundesregierung in New York verpflichtet, entsprechend den Erwartungen des Pariser Klimaabkommens, dass wir im Jahre 2050 für Deutschland gemeinsam mit vielen anderen europäischen Ländern und insgesamt über 60 Ländern Klimaneutralität erreichen. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, weil wir an vielen Stellen – wenn wir uns allein unseren Gebäudebestand anschauen – sehen, was wir da noch arbeiten müssen. Aber es ist ein richtiges Ziel. Jetzt geht es darum, schrittweise dieses Ziel zu erreichen.

Wir haben festgestellt, dass wir 2010 das Klimaziel, das wir uns für Deutschland selbst gesteckt haben, erreicht haben, nämlich 20 Prozent Reduktion der klimaschädlichen Gase. Wir haben uns als Bundesregierung dann vorgenommen, 2020 40 Prozent zu erreichen. Wir müssen sagen, dass wir dies wahrscheinlich nicht schaffen. Deshalb haben wir uns jetzt mit dem Ziel für 2030 beschäftigt. Wir haben uns vorgenommen, 55 Prozent der klimaschädlichen Gase nicht mehr auszustoßen und dabei auch einen Anteil an erneuerbaren Energien von etwa zwei Dritteln bei der Energieerzeugung zu erreichen. Wir haben nach europäischem Recht sehr enge Vorgaben, sozusagen Jahresscheibenvorgaben, wie wir das erreichen müssen. Wir können also nicht sagen, wir warten bis 2028, sondern wir haben für jedes Jahr ab 2021 ein Budget, das wir nicht überschreiten dürfen. Insofern ist bei unserem Klimaschutzplan die Frage des Monitorings eine ganz entscheidende Frage.

Es gibt im Augenblick in der Diskussion eine sehr große Nervosität. Deshalb will ich ganz klar sagen: Dieses Monitoring, diese Überwachung, wird glasklar im Klimaschutzgesetz verankert sein. Ansonsten werde ich nicht zulassen, dass wir es verabschieden. Das soll eigentlich schon am Mittwoch passieren; wir arbeiten daran. Ich werde jedenfalls dafür Sorge tragen, dass es ein verlässliches, überprüfbares und transparentes Monitoring gibt.

Wir haben in den letzten Wochen eine unglaublich kontroverse Diskussion zu den Maßnahmen, die wir vorschlagen, erlebt. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Das eine ist, dass es manchmal Menschen zu geben scheint, die wissen, was in unseren Entwürfen steht, noch bevor man sie veröffentlicht hat. Ich glaube, das ist nicht die beste Grundlage für eine sinnvolle Diskussion. Außerdem gibt es – Herr Kretschmann hat das eben vorsichtig und liebevoll formuliert – Menschen, die glauben, dass die Vorschläge noch nicht ambitioniert genug sind. Wir werden uns ja auch im Bundesrat, in der zweiten Kammer, wieder begegnen.

Wir setzen darauf, dass die Menschen wissen, was an Verhaltensänderung in den nächsten Jahren stattfinden muss. In diesem Zusammenhang ist die CO2-Bepreisung das zentrale Element. Nun gibt es die Meinung: da muss man sehr stark einsteigen. Das haben uns auch Wissenschaftler empfohlen. Wir glauben, dass man etwas langsamer einsteigen sollte, um möglichst viele Menschen mitzunehmen, aber gegebenenfalls dann nachsteuern muss, wenn wir unsere Jahresscheibenvorgaben nicht erreichen.

Wir haben dieses Programm der Bepreisung – das ist ein marktwirtschaftliches Element – deshalb eingeführt, weil wir, wie auch von Herrn Kretschmann gesagt wurde, auf die Soziale Marktwirtschaft setzen. Wir glauben, dass sie eine ökologische Komponente braucht und dass die Innovationskraft unserer Unternehmen, unserer Start-ups und der Menschen am besten freigesetzt werden kann, wenn wir für CO2 und andere klimaschädliche Gase Preissignale setzen und jeder weiß: wenn ich CO2 emittiere, dann wird es für mich teurer; wenn ich das nicht tue, kann ich Geld sparen. Ich glaube, das ist ein im Grundsatz richtiger Anreiz.

Wir glauben aber nicht, dass das alleine von Anfang an reicht. Deshalb haben wir eine Vielzahl an Maßnahmen eingeführt, die zu einem veränderten Verhalten führen werden, zum Beispiel im Wohnbereich. Denn wir haben zwar sehr ambitionierte Neubauauflagen für Wohngebäude, aber wir müssen im Altbestand noch vieles ändern. Das betrifft die Gebäudeisolierung ebenso wie die Heizung. Wir haben noch etwa 16 Millionen Ölheizungen in Deutschland. Nicht jeder kann sofort seine Heizung austauschen, aber mit einem Anreiz von 40 Prozent Zuschuss für den Austausch einer Ölheizung setzen wir ein deutliches Signal. Ab 2026 wollen wir nicht mehr zulassen, dass neue Ölheizungen eingebaut werden, es sei denn, man lebt in einer Ecke Deutschlands, in der es überhaupt keine andere Möglichkeit gibt. Aber da müssen wir auch die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

Der zweite große Bereich ist der Verkehrsbereich. Der gesamte Industriebereich unterliegt ja heute schon einem europäischen Zertifikatehandel; um diesen Bereich haben wir uns jetzt gar nicht so bemühen müssen, weil da die Regulierungen bis 2030 klar sind. Aber der Verkehrsbereich ist sozusagen unser Sorgenkind. Warum? Weil wir trotz aller verbesserten Effizienzmaßnahmen der Automobilindustrie seit 1990 in Deutschland keinerlei Reduktion des CO2-Ausstoßes haben, weil jedes Mal, wenn die Technologie besser wurde, das Verkehrsaufkommen gestiegen ist. Deshalb müssen wir an dieser Stelle sehr viel härtere und größere Veränderungen vornehmen, als wir das in den letzten 20 Jahren getan haben.

Da kommt uns nun auch die Innovationsfähigkeit zu Hilfe, denn nie waren wir so nah an der Masseneinführung von alternativer Mobilität. Die Elektromobilität wird in den nächsten Jahren ihren Durchbruch haben. Dafür müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Wir wollen technologieoffen vorgehen, weil wir noch nicht genau wissen, wie sich die Wasserstofffrage entwickelt und welche Technologie zum Schluss wirklich besser ist. Wir müssen natürlich den Anteil der erneuerbaren Energien erhöhen, denn Elektromobilität mit Strom aus Kohlekraftwerken ist noch nicht automatisch umweltfreundlicher. Aber wir brauchen eine parallele Entwicklung beider Technologien. Auch hierbei setzen wir eine Vielzahl von Anreizen.

Das heißt, wir werden in den nächsten Monaten mehrere Gesetze verabschieden – zur energetischen Gebäudesanierung, zur Senkung der Mehrwertsteuer für Eisenbahntickets, zur Erhöhung der Flugabgaben, gerade auch für Kurzstreckenflüge, und anderes mehr. Wir werden mit den Ländervertretern darüber diskutieren müssen und versuchen, das sehr schnell ins Gesetzblatt zu bekommen. Da verrate ich kein Geheimnis, wenn ich sage: Es wird noch sehr intensive Diskussionen geben.

Wichtig ist aber, dass wir überhaupt vorankommen; und zwar schnell vorankommen, damit wir eine Chance haben, nicht nur 2021/22 unsere Vorgaben zu erreichen, sondern eben auch verlässlich bis zum Jahr 2030. Dann müssen wir im Verlauf der 20er Jahre die weiteren Schritte planen, wie wir 2040, 2050 unsere Ziele setzen wollen.

Die Diskussion in der Bevölkerung ist zum Teil sehr polarisiert. Warum müssen wir uns eigentlich so anstrengen, wenn wir doch nur ein Prozent der Weltbevölkerung sind? Dazu ist zunächst zu sagen, dass wir mit einem Prozent der Weltbevölkerung für zwei Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich sind. Das heißt, wenn alle sich so verhalten würden wie wir, wäre der CO2-Ausstoß weltweit doppelt so hoch. Deshalb haben wir eine Verpflichtung, unser Verhalten zu ändern.

Zweitens sind wir diejenigen, die zum Klimawandel erheblich beigetragen haben. Es wurde hier ja auf die Zeitachse 1800, 1900, 1960 und heute verwiesen. Das heißt, wir müssen mit unseren Innovationsmöglichkeiten, mit unseren Technologien den Maßstab setzen, damit andere auf der Welt, die noch nicht die Entwicklungschancen hatten wie wir, dann auch die Möglichkeit haben, Wohlstand und nachhaltiges Leben in Übereinstimmung zu bringen.

Drittens haben wir auch die finanziellen Möglichkeiten, um solche Technologien neu einzuführen. Deutschland leistet hierbei seinen Beitrag. Wir geben zum Beispiel jedes Jahr 27 Milliarden Euro für die Unterstützung erneuerbarer Energien aus. Das ist etwas, das die deutschen Bürgerinnen und Bürger in Form der EEG-Umlage für die Entwicklung erneuerbarer Energien mitbezahlen. Wir sehen jetzt, dass wir unglaublich schnell vorangekommen sind, dass wir sowohl bei Solar- als auch bei Windstrom die Möglichkeit haben, schon fast ohne Subventionierung Strom zu produzieren. Aber diese Entwicklungskosten sind wir aus unserer Geschichte heraus der Welt sozusagen auch schuldig, weil wir damit klimafreundliche Technologien zur Marktreife bringen und damit ein Stück weit das kompensieren, was wir durch unsere Industrialisierung schon an Klimaschädigung verursacht haben.

Nun ist es erfreulich, dass es immer mehr Menschen und auch Unternehmen gibt, die darüber nachdenken, wie sie ihren Beitrag leisten können. Um das gut zu machen, ist es natürlich wichtig, auch Erfahrungen zu sammeln, Eindrücke zu bekommen, sich zum Beispiel den ökologischen Fußabdruck je nach der Art des Einkaufens anzuschauen und dafür ein Gefühl zu entwickeln. Deshalb sind diese Klima Arena und die Arbeit der Stiftung von so großer Bedeutung.

Junge Menschen sind ungeduldig geworden; ich will sagen: mit Recht. Vielleicht gibt es auch viele junge Menschen, die ihre Eltern davon überzeugen, im Zusammenhang mit einem Fußballspiel oder unabhängig davon diese Erlebniswelt einmal zu besichtigen. Meine Mitarbeiter, die mir vorausgereist sind, haben mir erzählt, dass es hier Dinge zum Anfassen gibt, die also haptisch sind, die man sich leichter merken kann als irgendwelche Zahlen.

Deshalb hoffe und denke ich, dass Sie hiermit etwas ganz Wichtiges gemacht haben, nämlich Erkenntnis erlebbar zu machen, um sie dann vielleicht ins eigene Leben einfließen zu lassen. Das ist etwas, das wir brauchen. Der Staat, die Politik muss den Rahmen setzen; das ist unbestritten. Aber wir können natürlich viel schneller und besser vorankommen, wenn auch viele Menschen mitmachen. Dieses Mitmachen zu verstärken, das ist das Projekt, dem Sie sich hier verschrieben haben. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.

Herr Hopp sagte mir gerade, dass er gerne die Blaupause für viele Klima Arenen in ganz Deutschland liefert. Dann hoffen wir mal, dass es noch genauso viele Interessierte gibt, die sagen: Auch ich möchte mich in dieser Art und Weise engagieren.

Nochmals herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier dabei sein kann. Ich wünsche der Arena ungefähr so viele Besucher, wie Sie gestern beim Fußball gezeigt haben. Dann wird dieses Projekt sicherlich Schule machen. Dann werden solche Projekte auch an anderen Stellen in Deutschland entstehen.

Herzlichen Dank.