Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der gamescom am 22. August 2017

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Sehr geehrter Herr Falk,
Herr Böse,
Frau Oberbürgermeisterin, liebe Frau Reker,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Armin Laschet,
mit dir die Vertreter der Landesregierung, die ich natürlich ganz herzlich begrüße,
den stellvertretenden Ministerpräsidenten,
die Schulministerin,
ich grüße die Staatssekretäre
und auch Herrn Casey aus Kanada
und Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Seit der Mensch denkt, spielt er auch. Friedrich von Schiller ging sogar so weit zu sagen: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Spielen gehört also seit jeher zum Leben dazu. Wir lernen auch spielerisch. Wir bringen Phantasie spielerisch ein, wir bringen Geschicklichkeit ein, wir erlernen logisches Denken, wir erlernen auch Schnelligkeit – und das über jedes Alter hinweg.

Nun konnte Schiller von der digitalen Dimension noch nicht viel erahnen, aber durch Digitalisierung und Vernetzung haben sich im wahrsten Sinne des Wortes völlig neue Spiele-Dimensionen erschlossen. Nun wissen wir ja, dass die Digitalisierung in all ihren Facetten unser Leben mehr und mehr durchdringt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Bedeutung des digitalen Spielens, nämlich dass die digitale Evolution und Revolution wirklich vorangetrieben wird; und zwar im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch.

Mit mehr als 500 Unternehmen ist die Games-Branche ein starker Pfeiler des Innovationsstandortes Deutschland. Rund 29.000 Beschäftigte haben einen Umsatz erwirtschaftet, der im ersten Halbjahr 2017 bereits die Milliardengrenze überschritten hat. Das ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum immerhin ein Plus von elf Prozent. Aber es wurde ja schon gesagt: Das eine sind unsere Zahlen, das andere ist die Gesamtdimension. Immerhin haben wir seit längerem auch deutlich gemacht: Computer- und Videospiele sind als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor von allergrößter Bedeutung. Deshalb bin ich heute sehr gerne nach Köln gekommen, um dieser sich entwickelnden Branche auch meine Reverenz zu erweisen.

In diesem Jahr ist Kanada unser Partnerland. Die enge Kooperation mit unseren Freunden aus Nordamerika hat auch für die gamescom geradezu Tradition, denn Kanada gehört zur weltweiten Spitze der Branchenstandorte. Deshalb möchte ich alle Gäste aus Kanada ganz besonders herzlich begrüßen!

Meine Damen und Herren, Computer- und Videospiele sind aus dem Alltag längst nicht mehr wegzudenken. Sie dienen der Unterhaltung. Aber sie können genauso Begeisterung für Wissenschaft und Technik entfachen. Das eine muss das andere ja nicht ausschließen – ganz im Gegenteil. Es gibt noch sehr viel Potenzial für spielebasiertes Lernen. Nicht umsonst ist heute ja die Schulministerin aus Nordrhein-Westfalen hier. Ich empfinde es als eine gute Nachricht, wenn Lehrer geeignete Computerspiele auch im Unterricht einsetzen. Damit wird der Umgang mit dem Medium und der Technologie trainiert sowie vernetztes Denken gefördert. Wir wollen in einer gemeinsamen Aktion mit den Ländern gerade auch die Inhalte digitalen Lernens seitens des Bundes zur Verfügung stellen. Länder können sich dann – natürlich in ihrer eigenen Kultusministerhoheit – geeignete Inhalte aussuchen. Eine Cloud, in der auch didaktisch sinnvolle Spiele mit dabei sind, könnte, glaube ich, eine gute Bereicherung für alle sein.

Es kommt auf pädagogisches Geschick an, Kinder und Jugendliche auch auf ihrem Weg als Grenzgänger zwischen realer und virtueller Welt zu begleiten. Ich glaube, das wird eine immer forderndere Aufgabe in den Schulen werden. Denn wir wissen: Gut zwei Drittel der jungen Leute beschäftigen sich regelmäßig mit digitalen Spielen. Das Smartphone ist dabei das am häufigsten genutzte Gerät.

Es ist natürlich klar, dass wir auch hier ein hohes Niveau des Schutzes von Kindern und Jugendlichen brauchen. Wir müssen darauf achten, dass auch Spiele-Apps den Anforderungen des Datenschutzes genügen. Aber wir können sagen, dass die Stiftung Warentest und das Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet auch immer wieder Schwachstellen aufzeigen. – Ich begrüße ganz herzlich Herrn Billen, der seitens der Bundesregierung für die Seite des Verbraucherschutzes hier anwesend ist. – Ich bitte Sie daher, auch dabei mitzuhelfen, die Apps, wenn nötig, immer wieder zu verbessern. Wir haben bei der Alterskennzeichnung schon sehr gute Fortschritte gemacht.

Nun gibt es natürlich auch immer wieder Diskussionen darüber, ob und inwieweit etwa Gewaltspiele schädlichen Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen nehmen können. Außer Frage steht dabei für mich, dass es eine zweifelsfreie pauschale Antwort darauf nicht geben kann, dass die Sorgen und Bedenken aber auch immer wieder ernst genommen werden sollten. Denn ein verantwortungsbewusster Umgang mit Spielen ist von allergrößter Bedeutung. Wir müssen alle dafür sensibilisieren. Es ist klar, dass es zwischen Medienkompetenzen und Sozialkompetenzen Berührungspunkte gibt und dass wir das auch weiterhin im Blick haben müssen. Genauso müssen wir einen Blick darauf haben, dass wir nicht sozusagen einseitig orientierte junge Menschen haben. Das heißt also, dass Suchtverhalten vermieden werden muss. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geeignete Präventionsaktivitäten für Jugendliche genauso wie für Eltern entwickelt.

Ob Jung oder Alt, in der Schule, in der Arbeit oder Freizeit – wir alle brauchen Informationen und Medienkompetenzen, um uns in der digitalen Welt, die sich ja jeden Tag ändert, zurechtzufinden. Wir müssen bei der digitalen Bildung insgesamt einen Sprung nach vorn machen. Dafür gibt es im Übrigen auch keine Altersbegrenzung. Da geht es um lebenslanges Lernen im wahrsten Sinne des Wortes, wobei das den Jungen leichter fällt als den Älteren. Wir alle lernen nicht aus. Aber das muss natürlich bereits Einfluss auf die gesamte Schulbildung haben, die unsere Kinder durchlaufen. Das heißt also, digitale Bildung zu stärken, zählt zu den Handlungsfeldern, die wir uns innerhalb der Bundesregierung mit unserer Digitalen Agenda vorgenommen haben. Dabei geht es um die wichtigste Ressource unseres Landes: das Wissen und das Können von Leistungsträgern unserer Wirtschaft.

Um die Digitalisierung der Wirtschaft weiter voranzubringen, bedarf es natürlich immer wieder branchenübergreifender Kooperationen. Dafür haben wir auch die „Plattform Industrie 4.0“ eingesetzt. Hier gibt es auch wieder Verbindungen zum Innovationstreiber Computerspiele. 3D, Augmented Reality, Virtual Reality, Künstliche Intelligenz – das sind High-Tech-Beispiele aus Ihrer Branche, die auch in der Industrie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Wer also heute Entwickler in der Spielebranche ist, kann morgen vielleicht seine Kenntnisse auch in neue Anwendungen und Geschäftsfelder der Industrie einbringen. Es gibt also eine Vielzahl von Synergien zwischen den einzelnen Branchen. Diese gilt es zu nutzen, um den Standort Deutschland insgesamt zu kräftigen. Deshalb liegt uns sehr daran, in Deutschland nicht nur talentierte Spieler, sondern auch erfolgreiche Spieleentwickler und Unternehmensgründer zu haben.

Wir wissen, dass Start-ups frischen Wind in das gesamte Innovationsgeschehen bringen. Wir bringen für Start-ups insgesamt schon eine ganze Reihe von Förderprogrammen seitens der Bundesregierung zum Einsatz – etwa KfW-Gründerkredite und das EXIST-Förderprogramm. Wir haben die Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups steuerlich verbessert – eine Sisyphosaufgabe in Abstimmung mit der Europäischen Kommission; das muss man sagen. Diese Angebote können Sie als Spieleentwickler natürlich auch nutzen. Aber konkret auf Ihre Branche zugeschnitten ist die Förderung, die wir mit dem Deutschen Computerspielpreis geben, den die beiden Branchenverbände und die Bundesregierung ausloben.

Aber – ich habe es ja schon gehört – damit sind wir als Bundesregierung sozusagen nicht Spitzenreiter bezüglich der Förderung der digitalen Spiele im weltweiten Vergleich. Deshalb werden wir uns sehr genau anschauen, was Kanada, Frankreich oder auch Polen tun. Gerade auch die europäischen Player zeigen uns, dass das alles mit dem europäischen Beihilferecht offensichtlich gut vereinbar ist. Deshalb ist mir der Wunsch Ihrer Branche nach weiteren Förderungsmöglichkeiten sehr wohl klar. Durch solch einen Besuch lernt man ja auch dazu. Das heißt, ich denke, dass wir in der nächsten Legislaturperiode alle Akteure zusammenbringen müssen, um uns gemeinsam sehr genau anzuschauen, was andere Länder tun und wie wir zu einem, wie man heute sagt, „level playing field“ kommen, um auch den deutschen kreativen Entwicklern vernünftige Möglichkeiten zu geben. Manchmal denkt man ja, dass wir, wenn wir so toll und so kreativ sind, auch ohne Förderung auskommen können. Aber ein bisschen scheint ein gleichrangiger Ausgangspunkt doch eine Rolle zu spielen.

Es ist sicherlich nicht nur eine Frage von Geld und Know-how, bei digitalen Spielen in neue Dimensionen vorzustoßen. Technisch anspruchsvolle Onlinespiele setzen natürlich einen entsprechend leistungsfähigen Internetzugang voraus. Das heißt also, wir haben auf der einen Seite eine Förderung der Spieleentwickler, aber sie brauchen eben auch ein geeignetes Umfeld, da ihre Spiele komplex sind. Mit 50 Megabit pro Sekunde kommt man wahrscheinlich noch nicht so weit, wie man bei ihren Spielen eigentlich sollte. Nichts ist dramatischer – das kann ich gut verstehen –, als beim Spielen nicht voranzukommen; nicht, weil man es nicht kann, sondern einfach weil die Daten nicht durch die Leitung kommen. Das verstehe ich gut.

Deshalb ist eine unserer großen Prioritäten der Breitbandausbau, und zwar nicht nur bis 50 Megabit pro Sekunde, sondern in den Gigabitbereich hinein. Das wird in den nächsten Jahren auch erfolgen. Ich denke, Köln ist dabei nicht der dramatischste Ort; da wird das schon ganz gut gehen. Aber wenn man im ländlichen Raum zu Hause ist und sich dann vielleicht noch mit seinen Eltern den Internetzugang teilen muss, dann kann man als junger Mensch, denke ich, schon einmal verzweifeln. Deshalb werden wir da noch vieles tun müssen. Der Ausbau von Glasfaser parallel zu Verkehrsinfrastrukturen und eben auch der Einsatz unserer Fördermittel im ländlichen Bereich, die wir aus den Frequenzversteigerungen gewinnen, werden uns ein Stück weit voranbringen. In den nächsten Jahren ist natürlich die Möglichkeit der Echtzeitübertragung in vielen Bereichen eine entscheidende Voraussetzung.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch das digitale Europa entwickeln. Der digitale Binnenmarkt in Europa ist von allergrößter Bedeutung. Wir können mit ihm dann vielleicht auch Kooperationsprojekte bei den Anwendungen leichter hinbekommen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland wissen natürlich, dass wir nicht nur bei der Förderung von Entwicklern digitaler Spiele, sondern insgesamt in der digitalen Welt noch nicht an der Spitze sind. Dahin müssen wir aber wollen. Deshalb bin ich auch Armin Laschet sehr dankbar dafür, dass er für das Land Nordrhein-Westfalen, das ja wirklich ein großes Bundesland ist, Initiativen ergreift.

Im Augenblick hat Estland die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne. In diesem Land funktioniert schon sehr vieles digital, was bei uns noch analog läuft, wie etwa an den vielen Besuchen bei den Ämtern zu sehen ist, die die Bürgerinnen und Bürger durchlaufen müssen. Das heißt, wir werden mit der estnischen Präsidentschaft versuchen, den digitalen Binnenmarkt in Europa ein ganzes Stück weit voranzubringen.

Wir haben in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen etwas Unglaubliches erreicht. Wir haben nämlich eine Grundgesetzänderung vorgenommen, nach der Bund und Länder und damit auch Kommunen bei der Entwicklung eines digitalen Bürgerportals zusammenarbeiten, mit dem der Bürger dann die Chance hat, alle Dienstleistungen – egal ob sie kommunale, Länder- oder Bundesleistungen sind – digital abzurufen. Ich denke, das hilft der Gesamteinstellung zur Digitalisierung. Nun hat mir Herr Falk gesagt, nicht nur zwei Drittel der jungen Menschen, sondern jeder zweite Bundesbürger spielt bereits digital. Dann sollte er auch seine Dienstleistungen mit dem Staat gern digital abwickeln können. Die andere Hälfte müssen wir noch gewinnen, damit sie neugierig ist und sich auf diese neuen Entwicklungen freut. Auch deshalb ist die gamescom sicherlich ein herausragender Ort, um zu zeigen, welche spielerischen und welche kreativen Möglichkeiten wir haben, die Welt zu entdecken.

Vor rund 200 Jahren vertrat der Pädagoge und Naturwissenschaftler Friedrich Fröbel die Ansicht: „Die Quelle alles Guten liegt im Spiel.“ Wenn dem auch heute noch so ist – ich habe keinen Zweifel daran –, dann sollten die Quellen der gamescom besonders gut sprudeln. Das wünsche ich für die nächsten Tage – viele zufriedene Besucher, viele zufriedene Entwickler und vielleicht auch einen Innovationsschub für Deutschland! Herzlichen Dank dafür, dass ich dabei sein kann! Ich werde die Entwicklung sehr aufmerksam weiter verfolgen und vielleicht – sehen wir einmal, was passiert – auch weiter mitgestalten können. Herzlichen Dank!