Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum Tag der deutschen Industrie am 4. Juni 2019 in Berlin

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Sehr geehrte Frau Staatspräsidentin Kaljulaid,
sehr geehrter Herr Professor Kempf,
meine Damen und Herren,

ich bin gerne hier; der Morgen hat ja auch schon kämpferisch begonnen. Ich werde versuchen, darauf zu antworten, möchte aber erst einmal sagen: ich freue mich, dass Sie Europa in den Mittelpunkt dieses Tags der deutschen Industrie gestellt haben und dass Sie die estnische Präsidentin eingeladen haben.

Übermorgen, am 6. Juni, jährt sich zum 75. Mal die Landung der Alliierten in der Normandie. Ich werde zu den Gedenkfeiern nach Großbritannien reisen. Wir können froh sein, dass nach dem Ende dieses schrecklichen Zweiten Weltkriegs, der ja von Deutschland begonnen wurde, eine Ordnung entstanden ist, die die Europäische Union hervorgebracht hat, die uns Frieden sichert, die uns Stabilität sichert und die auch die östlichen Länder mit einschließt. Die heutige Anwesenheit der estnischen Präsidentin ist dafür ja ein Symbol. Die Freiheit im Baltikum musste aber – das vergessen wir häufig – erst erkämpft werden. Im August 1989 reichten sich hunderttausende Esten, Letten und Litauer die Hände zu einer 600 Kilometer langen Menschenkette, die Tallinn, Riga und Vilnius miteinander verband. Sie forderten Unabhängigkeit ein, die dann zwei Jahre später erreicht war – eine unglaubliche Leistung der Menschen; das sollten wir nicht vergessen. 2004 traten die drei baltischen Staaten mit sieben weiteren Ländern der Europäischen Union bei. Europa wurde eins.

Wir freuen uns, glaube ich, alle miteinander, dass dieses Mal Millionen mehr Menschen an der Europawahl teilgenommen haben. Ich danke auch dem BDI dafür, dass er sehr dafür geworben hat bzw. dass Sie persönlich dafür geworben haben, an dieser Europawahl teilzunehmen. Denn das war auch ein Beitrag, der den Einfluss populistischer Kräfte zwar nicht völlig gestoppt hat, ihn aber doch so limitieren konnte, dass ein arbeitsfähiges proeuropäisches Europäisches Parlament entstehen konnte. Das ist eine große Leistung.

Damit bin ich sozusagen schon mitten in dem, was auch Herr Kempf angesprochen hat. Im aufkommenden Populismus drückt sich natürlich auch etwas aus, was uns alle betrifft und was wir auch nur gemeinsam bewältigen können: Das ist die Tatsache, dass wir in disruptiven Zeiten in umfassendem Sinne leben. Die Digitalisierung bedeutet eine Disruption des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Sie fordert uns alle heraus. Deshalb verstehe ich auch, dass sehr klare Erwartungen an die Bundesregierung gestellt werden.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass diese Bundesregierung jetzt ein Jahr und drei Monate im Amt ist. Ich könnte jetzt darüber sprechen, wie viele Stunden ich in diesem einen Jahr und den drei Monaten damit verbracht habe, mich mit dem Vertrauensverlust der deutschen Automobilindustrie und ihren Regelverletzungen auseinanderzusetzen. Das will ich hier jetzt aber nicht tun. Ich will nur sagen: wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Und das muss bedeuten, dass Soziale Marktwirtschaft in Deutschland weiter akzeptiert bleibt und wir die Möglichkeiten haben, die Menschen mitzunehmen. Soziale Marktwirtschaft muss in Zeiten der Globalisierung um Akzeptanz in umfassendem Sinne kämpfen. Und deshalb ist Vertrauen in die Bundesregierung wichtig. Aber Vertrauen in die Wirtschaft ist genauso wichtig. Das zu stärken, ist deshalb meine Bitte an Sie, meine Damen und Herren.

Als Europäischer Rat haben wir die Europäische Kommission gebeten, in den nächsten Monaten eine Industriestrategie zu erarbeiten, die deutlich macht, wo Europa seinen Platz sieht. Die Wettbewerber China und USA wurden von Herrn Kempf ja richtig beschrieben. Auch die Bundesregierung ist sich der Herausforderungen im internationalen Wettbewerb bewusst. Nun will ich einmal sagen, wie man es macht. Es gab Zeiten – Herr Kempf hat es angesprochen –, in denen Franz Beckenbauer mit seiner Herangehensweise für Deutschland ziemlich erfolgreich war; und da stand er auch hoch im Kurs. Deshalb würde ich mich über ihn da jetzt nicht lustig machen. Es muss aber natürlich ab und zu auch ein Tor geschossen werden; da gebe ich Ihnen recht.

Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass wir in dieser Woche ein ganz wichtiges Gesetzgebungspaket im Deutschen Bundestag verabschieden werden, nämlich ein Paket aus acht Gesetzen vor allem zur Ordnung und Steuerung von Migration. Wir haben schon seit Jahren auch auf dem Tag der deutschen Industrie über genau dieses Thema gesprochen. Ich bedanke mich bei der deutschen Wirtschaft für die positive Einstellung, die gegenüber der humanitären Herausforderung gezeigt wurde. Ich glaube, wir haben noch einen langen Weg der Integration derer, die bei uns bleiben können, vor uns. Wir haben hier aber immer ein gutes Miteinander gehabt.

In den angesprochenen Gesetzen geht es zumeist um die Ordnung und Steuerung von Migration. Es ist aber auch ein Gesetz dabei, das für die deutsche Wirtschaft von außerordentlicher Bedeutung ist, nämlich das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dieses Gesetz ist eine Antwort auf eine Herausforderung, die Sie alle umtreibt und die in den nächsten Jahren angesichts der demografischen Entwicklung wahrscheinlich noch herausragender wird. Es gibt Menschen, die – so, wie es uns Deutschen eigen ist – schon vor der Verabschiedung und Inkraftsetzung des Gesetzes einen Haufen Bedenken haben, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht funktionieren wird, weil etwa die vorgesehene Antragstellung zu kompliziert ist. Da will ich nur danke sagen in Richtung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Denn die Auslandshandelskammern haben gemeinsam mit den Botschaften Verantwortung mit übernommen, um die Antragstellungsverfahren zu entwickeln. Wir werden das natürlich genau beobachten. Dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll uns in den Bereichen, in denen absoluter Fachkräftemangel besteht, auch wirklich helfen. Es wird, wie gesagt, diese Woche im Parlament verabschiedet.

Meine Damen und Herren, ich habe von einer disruptiven Entwicklung gesprochen. Auf diese Entwicklung müssen wir in allen gesellschaftlichen Bereichen Antworten geben. Die Bundesregierung hat, nachdem sie im März vergangenen Jahres ins Amt gekommen war, eine Vielzahl von Schritten eingeleitet, von denen einige auch schon deutliche Ergebnisse zeigen. So ist der Digitalpakt Schule mit den Bundesländern verabschiedet worden. Damit wird erreicht, dass alle Schulen ans schnelle Internet angebunden werden – wie im Übrigen in kurzer, absehbarer Zeit auch alle Gewerbegebiete Deutschlands. Dieser Pakt wird dafür sorgen, dass wir eine gemeinsame Schul-Cloud haben, um damit Lehrmaterialien für die Schulen in den einzelnen Bundesländern zur Verfügung zu stellen. Wie immer gestaltet sich die Kooperation mit den Ländern im Bildungsbereich nicht ganz einfach, weil viele Bundesländer ihre eigenen Vorstellungen haben. Wenn aber etwas vom Hasso-Plattner-Institut zusammen mit der Bundesregierung entwickelt wird, rate ich trotzdem dazu, auf diese gemeinsame Schul-Cloud zurückzugreifen.

Um beim Thema Digitalisierung zu bleiben, was ja auch viel mit Forschung und Entwicklung zu tun hat: Wir haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal das Ziel erreicht, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation aufzuwenden. Das ist zu einem großen Teil ein Beitrag der deutschen Wirtschaft, aber das ist auch ein staatlicher Beitrag, der sehr zu begrüßen ist. Was wir in den letzten Tagen erreicht haben, ist, dass unsere Bildungs- und Forschungsministerin die Forschungspakte mit den Ländern verabschiedet hat. Das heißt, wir haben bis zum Jahr 2030 absolute Berechenbarkeit über die Mittel zur außeruniversitären Forschung und über die Hochschulfinanzierung. Das ist von allergrößter Bedeutung. Deutschland ist wieder ein attraktiver Forschungsstandort geworden, seitdem wir eine jährliche Steigerung des Budgets in den Forschungseinrichtungen von drei Prozent haben. Damit sind wir auch attraktiv für ausländische Wissenschaftler geworden.

Das ist auch mit Blick auf die Künstliche Intelligenz von allergrößter Bedeutung. Sie wissen, dass wir eine Strategie zur Künstlichen Intelligenz entwickelt haben. Ja, die finanziellen Mittel sind noch nicht voll ausgewiesen, wir stehen aber zu diesen drei Milliarden Euro. Jetzt geht es aber zunächst darum, eine gute Kooperation mit den Bundesländern hinzubekommen, denn die drei Milliarden Euro sind nicht der komplette deutsche Beitrag staatlicherseits, da auch Länder wie Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen mindestens noch einmal die gleiche Menge dazugeben. Das heißt, wir können hierbei mit Frankreich absolut mithalten. Wir haben mit den Bundesländern vereinbart, dass wir die Dinge gemeinsam voranbringen.

Wir müssen, was Kompetenzen bei Künstlicher Intelligenz anbelangt, im Kampf um kluge Köpfe attraktive Angebote machen. Deshalb gibt es hundert neue Professuren im Bereich Künstliche Intelligenz. Wir werden uns aber sehr strecken müssen, um hierfür die besten Leute zu bekommen. Ich war kürzlich an der TU München und habe mir dort den Robotik-Bereich angeschaut. Das, was man dort sieht, ist sehr beeindruckend. Wir haben also Chancen, aber wir sind in einigen Bereichen auch hintendran.

Die größten Sorgen macht mir, wie wir staatliches Geld gut kombinieren mit den industriellen Anstrengungen zur Plattformwirtschaft. Wir sind hoffnungslos zurück in allen Bereichen – und das ist nicht nur die Schuld der Regierung –, wenn es um Plattformwirtschaft und um die Frage geht, wie wir unsere Daten in Zukunft speichern und vernetzen und wie daraus neue Wirtschaftsmodelle entstehen. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf – wir haben hier heute ja den Tag der offenen Aussprache –: Der deutsche Mittelstand ist noch nicht ausreichend darauf vorbereitet, seine Daten auch so zu speichern, dass sie für von den Mittelständlern selbst benötigte Anwendungen wirklich zur Verfügung stehen. Wenn ich mir die Taxonomie der Datenspeicherung und die Frage, wie viel Geld wir da investieren, anschaue, kann ich nur sagen: Das können wir nur gemeinsam machen – genauso wie wir in der Frage von Großrechnern und Cloud-Computing nur gemeinsam vorgehen können. Hierzu brauchen wir auch noch Ratschläge seitens der deutschen Wirtschaft, wie Sie das gerne hätten. Wir haben Ansätze, aber wir werden nur mit einer guten Plattform-Datenwirtschaft wirklich wettbewerbsfähig bleiben.

Wir haben Agenturen zur Förderung von Sprunginnovationen gegründet. Das ist für die Bundesregierung eine völlig neue Herangehensweise, die insbesondere beim Bundesrechnungshof als disruptives Verhalten der Bundesregierung angesehen wird. Denn bei Sprunginnovationen müssen Sie damit rechnen, dass 90 Prozent eben kein Ergebnis erbringen. Aber ab und zu ist eben doch ein Blockbuster dabei. Das ist das, was wir anstreben und auch tun wollen.

Peter Altmaier hat eine Industriestrategie vorgelegt. Ich bin dankbar dafür, dass Sie das auch so aufgenommen haben, dass das ein Diskussionsanstoß ist. – Er wird ja heute noch zu Ihnen kommen. – Ich finde auch sehr bemerkenswert, dass der BDI über hundert Vorschläge gemacht hat, wie man an dieser Strategie weiterarbeiten kann. Was mich aber verwundert – das sage ich ganz ehrlich –, ist, mit welcher Akribie an dieser einen Frage der Beteiligungsfazilität festgehalten wird, so als würden wir sozusagen Kühnertsche Ideen der Verstaatlichung haben. Wer Peter Altmaier kennt, der weiß doch, dass das nicht richtig ist.

Wir standen im vergangenen Jahr aber vor einer ganz praktischen Frage: 50Hertz wurde verkauft; und die Frage war, ob wir unser Elektrizitätsnetz in ausländische Hände geben; ich nenne jetzt einmal keine Namen. Das ist eine strategische Frage; und auf solche Fragen müssen wir antworten. Da sich nicht sofort ein Käufer gefunden hat, haben wir in diesem Falle die KfW als Zwischenlagerung genommen. Wir brauchen aber Möglichkeiten, auf solche Fragen strategisch zu antworten. Aber das wird noch schwieriger werden, wenn es um Cybersicherheit und viele andere Dinge geht, die wir in nationaler oder europäischer Hand behalten müssen. Diese Diskussion muss geführt werden; und deshalb darf sie nicht sozusagen mit dem Totschlagargument abgetan werden, wir wollten jetzt nur noch „Planification“ betreiben – wobei ich gar nicht weiß, was das genau ist, weil es mir völlig fremd ist. Das ist nicht die einzig mögliche Antwort.

Wenn ein Bundeswirtschaftsminister einmal eine Industriestrategie macht und sagt „Wir brauchen europäische Champions“, dann ist doch auch das nicht falsch. Wie oft haben wir gesagt, wie stolz wir darauf sind, dass die BASF das größte Chemieunternehmen der Welt ist? Dankenswerterweise ist die BASF jetzt auch einer der Profiteure der Marktöffnungsstrategie Chinas geworden, weil nämlich Beteiligungen möglich sind, die oberhalb von 50 Prozent liegen. Deutschland hat davon sehr profitiert – das will ich ausdrücklich sagen –, obwohl ich mit Blick auf China natürlich auch manches kritisch sehe. Aber dass dann in einer Industriestrategie einmal der Mittelstand nicht die Hauptrolle spielt, heißt doch nicht, dass die mittelständischen Hidden Champions von uns plötzlich nicht mehr geachtet würden. Das heißt, wenn man über das eine spricht, ist doch das andere nicht ausgeschlossen. Um diese Art der Betrachtungsweise bitte ich; und ansonsten wird die Industriestrategie durch die Zulieferungen des BDI sicherlich vollkommen werden.

Ich komme noch einmal zurück zu den europäischen Champions und der Frage – und da stimmen wir ja auch wieder überein –, wie unser Wettbewerbsrecht in Europa ausgerichtet ist. Wenn die Marktbetrachtung so bleibt, wie sie ist, und wenn weiter jeder potenzielle Wettbewerber gefragt wird, ob er es gut findet, wenn sich zwei andere zusammenschließen, und das Urteil dieses Wettbewerbers den Ausschlag gibt und anschließend gesagt wird, es hätte ja noch kein außereuropäisches Interesse an einem bestimmten Sektor gegeben und das würde in den nächsten fünf Jahren auch nicht passieren, dann wundert man sich manchmal, wie die Urteilsfindung stattfindet. Wenn zum Beispiel China im Bereich von Alstom und Siemens – das war ja einer dieser Fälle – heute 60 oder 70 Prozent – ich habe es jetzt nicht genau im Kopf – der Weltmarktanteile hat, aber sich noch nicht in Europa engagiert hat, wie will man dann sagen, dass sich China auch in den nächsten fünf Jahren nicht in Europa engagieren will? Eine solche Behauptung finde ich kühn. Deshalb müssen wir mit der Kommission – und es geht hier nicht um Menschen, es geht hier nicht um die Kommissare, sondern es geht einfach um die Regeln, die wir selbst gemacht haben – darüber reden, wie wir die Regeln verändern können, um wirklich wettbewerbsfähig zu werden.

Meine Damen und Herren, ich will auch auf die Handelspolitik eingehen, bei der wir ja eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten haben. Wir haben das Japan-Abkommen abgeschlossen; das ist eine großartige Sache. Auch beim Abkommen mit Singapur sind wir fertig. Wir haben in wirklich harter Arbeit – Deutschland hat sich hierbei sehr stark eingebracht – auch ein Gesprächsmandat für die Vereinigten Staaten von Amerika erreicht. Es ist bedauerlich, dass Frankreich ganz zum Schluss gegen dieses Mandat gestimmt hat, aber vielleicht können wir in Zukunft auch noch Überzeugungsarbeit leisten. Aus meiner Sicht müssen wir versuchen, gerade auch die Handelskonflikte mit den Vereinigten Staaten von Amerika durch Gespräche und vernünftige Lösungen zu beenden. Ansonsten kommen wir in eine sehr unruhige Phase der gesamten Weltwirtschaft. Wir sehen schon jetzt, welche Auswirkungen die strittigen Fragen zwischen China und den Vereinigten Staaten von Amerika auch auf unsere Wirtschaftslage haben. Ich kann deshalb nur hoffen, dass man hier zu Lösungen kommt.

Wir haben uns natürlich auch mit dem Thema Klimaschutz zu beschäftigen. Ich will an dieser Stelle Herrn Kempf danken – er hat verschwiegen, wie viel Arbeit er da hineingesteckt hat – dafür, dass die deutsche Wirtschaft so intensiv in der Kohlekommission mitgearbeitet hat. Wir haben, wenn ich das einmal sagen darf, in sehr kurzer Zeit ein Ergebnis dieser Kohlekommission bekommen, demnach bis spätestens 2038 der Ausstieg aus der Energiegewinnung mit Kohle – Braunkohle und Steinkohle – erfolgt. Dass das gelungen ist, gemeinsam mit Umweltverbänden und der Wirtschaft, ist eine großartige Leistung. Deshalb sage ich danke dafür. Ehrlich gesagt bin ich sehr froh, weil damit auch verbunden ist, dass im gesamten Energiebereich die Klimaziele bis 2030 erfüllt werden, wenn wir diese Ergebnisse der Kohlekommission umsetzen.

Das erfordert natürlich eine Neuplanung unserer Energiepolitik und unserer gesamten Herangehensweise auf dem Gebiet der Energie. Das Konzept dazu werden wir bis Jahresende vorlegen, um Verlässlichkeit und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das erfordert auch – da wir aus der Kernenergie und aus der Kohle aussteigen –, dass wir auf den Energieträger Gas setzen. Deshalb habe ich mich auch immer wieder dafür eingesetzt, dass die Gasleitung Nord Stream 2 gebaut werden kann. Ich glaube, auch hier sind wir nicht unterschiedlicher Meinung.

Probleme haben wir bei der Erfüllung der Klimaschutzziele noch in den Sektoren, die nicht dem Zertifikatehandel unterliegen. Dazu gehört der Verkehrssektor. Im Verkehrsbereich ist seit 1990 keine Emissionseinsparung erfolgt, weil jede technische Verbesserung im Grunde zu einer Zunahme des Verkehrs oder zu einer Vergrößerung der Autos geführt hat. Wir waren ja schon einmal ganz dicht beim Drei-Liter-Auto; mit dem SUV sind wir aber wieder in eine ganz andere Marktrichtung gegangen. Gut, das ist halt so; so sind die Wünsche der Bevölkerung. Aber wir müssen deshalb den Umstieg auf alternative Antriebe möglichst schnell schaffen.

Dazu haben wir im Übrigen die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität. Wir werden mit der Automobilindustrie noch im Juni in einen strategischen Dialog einsteigen, um Antworten unter anderem auf die Frage zu finden: Wie können wir den Ausbau der Ladeinfrastruktur begleiten und wie können wir auch die Elektromobilität insgesamt fördern? Auch für die Wasserstofftechnologie können wir das tun. All das ist in Arbeit.

Sie haben so schön gesagt: Alles hätte zwar gestern stattfinden müssen, nur bei der Sache mit der Energiebepreisung sollten wir schön aufpassen und ganz langsam vorgehen – da hat Beckenbauer auch aus Ihnen ein bisschen herausgesprochen. Wir müssen uns irgendwann aber auch entscheiden. Wir haben heute ein Abgabensystem von etwa 60 Milliarden Euro, das in seiner Lenkungswirkung nicht so ist, dass man sagen könnte: es ist ökologisch effizient. Deshalb haben wir beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – bei Professor Schmidt, der das zusammen mit Professor Edenhofer macht – ein Sondergutachten in Auftrag gegeben. Wir überlegen, ob die Bepreisung im Sinne des Zertifikatehandels – das ist der Vorschlag der Professoren – auch in den Bereichen möglich ist, die heute noch nicht dem Zertifikatehandel unterliegen, also im Verkehrs-, im Wohnungs- und im Landwirtschaftsbereich, um die preisgünstigsten Pfade zur Emissionsreduktion zu finden. Wenn wir die Reduktionsziele nur sektoral zuordnen, ist die Gefahr, dass wir sehr hohe Kosten verursachen, nicht wegzudenken.

Wir werden bis September die Entscheidung treffen, für welchen Pfad wir uns entscheiden: entweder sektorale Reduktion oder aber die Gesamtbepreisung auch des heute noch nicht dem Zertifikatehandel unterliegenden Bereichs. Das wird eine Grundsatzentscheidung sein. Diese muss sorgfältig getroffen werden, deshalb kann ich die auch nicht vorgestern getroffen haben. Sie muss aber zeitnah getroffen werden. Wir müssen wissen – ich weiß nicht, ob das jedem von Ihnen bekannt ist; ich habe mir das auch erst in den letzten Monaten wirklich vor Augen geführt –: Wir haben nach den europäischen Verabredungen nicht nur die Klimaschutzziele 2030, sondern wir haben für jedes Jahr ab 2020 ein bestimmtes Budget von CO2-Emissionen für den Verkehrs-, Wohnungs- und Landwirtschaftssektor. Und wenn wir dieses Budget überschreiten, müssen wir Zertifikate in anderen Ländern für teures Geld kaufen. Das heißt, Geld, das wir nicht für Innovationen und die Inkorporation des Klimaschutzes in unserem Wirtschaftskreis ausgeben können, sondern ausgeben müssen, um Zusatzzertifikate zu kaufen. Das wäre ganz falsch. Das Zertifikat hat aber eben den Vorteil, dass wir sozusagen eine punktgenaue Steuerungswirkung erreichen können im Gegensatz zu steuerlichen Maßnahmen, die immer sehr breit gestreut sind und vielerlei Nebeneffekte haben.

Meine Damen und Herren, jetzt noch zum Thema Breitbandausbau: Ja, hier gibt es Lücken. Wir haben jetzt allerdings für 99 Prozent der Haushalte bis Anfang der 20er-Jahre eine klare Vorstellung. Den Rest müssen wir mit staatlichen Mitteln machen. Es besteht berechtigterweise die Erwartung der Bevölkerung, dass nicht nur die Haushalte, die Gewerbegebiete und die Industriegebiete angebunden werden, sondern dass auch flächendeckend für den Landwirt, für den Forstwirt, für das Telefonieren auf jedem Waldweg Internet angeboten wird. Da sind wir nicht so gut, wie wir es sein könnten. Allerdings will ich dann doch sagen, dass wir bei der 5G-Versteigerung nicht zu den Letzten in Europa gehören. Unsere Versteigerung läuft. Es gibt viele große europäische Länder, in denen die Versteigerung noch nicht einmal begonnen hat. Darüber hinaus haben wir – man muss ja auch über die guten Taten reden, wenn Herr Kempf es nicht selbst tut – einen Bereich von der 5G-Versteigerung ausgenommen – sehr zum Ärger der Telekommunikationsanbieter –, der nur für die Industrie reserviert ist, damit Sie schnell und unmittelbar Ihre Investitionen im 5G-Bereich machen können. Das ist eine industriefördernde Herangehensweise, da Sie nicht auf die Versteigerung und den Ausbau warten müssen.

Meine Damen und Herren, wir haben im Zusammenhang mit der Energieversorgung Rückstände im Leitungsbereich. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich der Sache angenommen, hat Reisen unternommen, hat sich die Dinge angeschaut. Sie wissen aber so gut wie ich: Die Bundesregierung kann das alleine nicht durchbringen. Es gibt Klageverfahren. Die Elbvertiefung hat, wie Sie wissen, allein aufgrund von Gerichtsverfahren – nicht aufgrund von Fehlhandeln der Hansestadt Hamburg – zwölf Jahre lang gedauert. Gegen solche Gerichtsprozesse können wir nichts tun. Wir haben eine Planungsbeschleunigung für die Infrastruktur, für bestimmte Projekte im Straßenbau vorgenommen. Und wir werden auch im Leitungsbau alles tun, was wir tun können. Wir haben auch die Erdverkabelung und anderes vorangebracht. Nichtsdestotrotz haben wir ein Problem. Das liegt aber nicht daran, dass sich die Bundesregierung nicht einig wäre, wie das zu lösen ist, sondern es liegt an Problemen vor Ort. Wir müssen mit den Ländern natürlich noch weiter darüber reden, wie wir vorankommen.

Meine Damen und Herren, wir haben auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien ein Akzeptanzproblem. In Städten ist man froh, wenn zu hundert Prozent erneuerbare Energien genutzt werden können, aber in den ländlichen Bereichen hat man lautstarke Anlagen vor der Haustür und ist nicht ganz so froh. Insofern müssen wir auch hier die Dinge ausgleichen. Damit hat zum Beispiel auch unsere Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zu tun.

Ich will noch ein letztes Wort zur Steuerpolitik sagen – der Bundesfinanzminister kommt ja noch und kann Ihnen dann detailliert Auskunft geben. Was – erstens – die steuerliche Forschungsförderung betrifft, ist es so, wie es immer so ist: Lange gewartet, endlich getan und dann doch wieder falsch gemacht. Dass wir es evaluieren, ist ja auch in Ihrem Interesse. Wir haben jetzt die Herangehensweise gewählt, zu sagen: Wir wollen, dass der forschende Mittelstand in Deutschland gestärkt wird. Das heißt, dass wir in Deutschland diejenigen unterstützen, die Forschungsaufträge übernehmen. Wir wollten also nicht auch die Fraunhofer-Gesellschaft weiter stärken und wir wollten auch nicht diejenigen stärken, die Forschung in Auftrag geben. Wir wollen die Mittel natürlich bei uns allokieren und sicherstellen, dass in Deutschland mehr geforscht wird. Das war der Ausgangspunkt; und deshalb haben wir uns für diesen Weg entschieden. Man kann trefflich darüber streiten; das will ich gar nicht bestreiten. Wir haben uns aber auch etwas dabei gedacht.

Zweitens. Wir wissen, dass sich im Unternehmensteuerbereich in den letzten Jahren die Sache sehr zu Ungunsten Deutschlands verschoben hat. Sie haben gesagt, wir müssten jetzt endlich eine maximale Unternehmensbesteuerung von 25 Prozent erreichen. Ich sage einmal: Die amerikanische Steuerreform ist, glaube ich, auch erst ein Jahr alt; das heißt, die Wettbewerbsverhältnisse haben sich vor kurzem sehr zu unseren Ungunsten verschoben. Deshalb werden wir an dieser Stelle auch versuchen, in der Großen Koalition noch etwas zustande zu bringen. Hierbei geht es vor allem auch um Thesaurierungsfragen. Aber darauf sollte Herr Scholz heute vielleicht noch eine Antwort geben; ich werde ihm noch eine SMS schreiben.

Wir wollen nach wie vor – das ist beschlossen und das wird auch zeitnah als Gesetzentwurf eingebracht – für 90 Prozent der Menschen den Solidaritätszuschlag abschaffen. Wir wissen um die Frage der zehn Prozent. Ich habe letztes Jahr dazu Stellung genommen, was das auch für die deutsche Wirtschaft bedeutet. Aber das Projekt zur Abschaffung bzw. zum Einstieg in die Abschaffung des Soli mit zehn Milliarden Euro Steuerentlastung werden wir vornehmen. Ich wünsche mir, dass wir auch die energetische Gebäudesanierung noch voranbringen können. Das wäre sehr hilfreich, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Insofern wird auf steuerpolitischem Gebiet einiges geschehen.

Meine Damen und Herren, ich will abschließend Folgendes sagen: Wir sind in einer Zeit, in der sich sozusagen auch in der Diskussionsgeschwindigkeit die Disruptivität der technologischen Entwicklung und die Veränderungen in der Welt widerspiegeln. Wir müssen versuchen – das ist jedenfalls mein Ansatz –, da ein Stück Stabilität und Verlässlichkeit hineinzubringen. Ich kann verstehen, dass Sie bei den vielen Gesetzen, die wir zur Pflege und zu anderem gemacht haben, fragen: Muss das sein? Ich sage Ihnen: Es muss sein, damit wir auch Akzeptanz für die Soziale Marktwirtschaft haben. Ich habe Ihnen aber auch einiges aufgezählt, was wir als Bundesregierung in einem Jahr und drei Monaten auf den Weg gebracht haben. Es ist noch nicht alles zum Abschluss gebracht worden, aber es ist viel im Gange. Wir wissen, dass wir unsere Sozialleistungen nur dann erhalten können, wenn wir auch die nötige Innovationskraft haben, wenn wir eine starke Wirtschaft haben und wenn wir Arbeitsplätze zur Verfügung haben. Wir wissen auch, dass das nur mit der Wirtschaft möglich ist – ob mit großen Unternehmen oder kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Wir haben ein bisschen Sorge – das sage ich auch, weil die Auftragsbücher im Augenblick noch ganz gut ausgelastet sind –, dass nicht nur der Eindruck da ist, wir könnten noch vieles verteilen, sondern dass auch in der deutschen Wirtschaft die Bereitschaft, disruptive Wege zu gehen und neue Herangehensweisen zu wählen, ein bisschen gebremst werden könnte, weil man heute ja noch ganz gut dasteht. Uns eint aber das Gefühl, dass sich unglaublich viel ändert.

In diesem Sinne wünsche ich mir bei aller Kritik dann doch auch eine weiterhin gute Zusammenarbeit, denn wir werden es nur gemeinsam schaffen. Deshalb sage ich Ihnen danke für die ehrlichen Worte, aber hoffe auch auf eine gute Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.