Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Global Solutions Summit am 19. März 2019 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Professor Snower,
meine Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung. Es ist hier ja schon viel passiert. Ich habe mir Ihr Programm angeschaut. Sie arbeiten intensiv, haben wahrscheinlich alle Themen schon einmal durchdiskutiert und von verschiedenen Seiten beleuchtet. Aber ich bin auch sehr gerne am letzten Tag dieser Konferenz zu Ihnen gekommen, denn die Fragen, die Sie traktieren und mit denen Sie sich beschäftigen, sind wirklich von außerordentlicher Bedeutung.

Wir fragen uns: Wie geht es weiter mit der Demokratie, mit dem Multilateralismus und mit den großen Herausforderungen, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben – allen voran mit dem Thema Klimawandel, auch mit Blick auf daraus erwachsende Folgen wie zum Beispiel auch Flucht und Bürgerkriege, militärische oder gewalttätige Auseinandersetzungen? Die Ausmaße der Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sind global. Sie können nach meiner festen Auffassung – die meisten unter Ihnen teilen diese Einschätzung ja auch – nur dann gelöst werden, wenn wir uns nicht nur in nationalen Zusammenhängen als Verantwortungsgemeinschaft betrachten, sondern wenn wir auch unsere gesamte Welt als Verantwortungsgemeinschaft ansehen.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan, da wir natürlich schon im nationalen Kontext oft Mühe haben zu verstehen, was gemeinsame Verantwortung bedeutet. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben ein föderales System. Da ist es manchmal gar nicht so einfach, dass sich die kommunale Ebene als gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft mit der Länderebene und der Bundesebene versteht oder umgekehrt. Das Ganze nun auf die gesamte Welt zu projizieren, ist natürlich eine unglaubliche Herausforderung für den Einzelnen. Deshalb ist der Slogan „Global denken und lokal handeln“ vielleicht auch eine gute Antwort, weil ja nicht jeder sozusagen immer alles im gleichen Moment überblicken kann.

Aber ich glaube, es ist unbestritten: Wir brauchen eine gemeinsame Verantwortung für die Welt. Wir müssen uns fragen, wie wir diese Verantwortung mit Energie in eine aktive Gestaltung umwandeln können. Dabei ist es evident, wenn wir uns als Verantwortungsgemeinschaft auf der Welt verstehen, dass wir auch einen multilateralen Ansatz brauchen. Das heißt ja nichts anderes, als dass alle Akteure miteinander so im Gespräch sind, dass sie gemeinsame Lösungen finden wollen. Das wiederum bedeutet, dass ich mir die Mühe machen muss, nicht nur mich selbst zu verstehen, sondern auch meine Partner. Das erfordert die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen, wie wir in Deutschland sagen. Und das erfordert die Fähigkeit, mich in die Schuhe des anderen hineinzuversetzen, seine Argumentation zu verstehen und aus meinen Interessen und den Interessen der anderen einen Kompromiss zu formen. Deshalb werde ich nicht müde zu sagen: Wer sich für Multilateralismus einsetzt, muss auch mit Kompromissen gut umgehen, da nie zu 100 Prozent die eigene Lösung herauskommen wird.

Natürlich ist nicht jeder beliebige Kompromiss akzeptabel, sondern bei einem Kompromiss – so habe ich es bei meiner politischen Arbeit immer gesehen und sehe es weiter so – ist es so, dass wir sagen, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen müssen. Aber es wird sozusagen niemals das totale Glücksgefühl für einen geben, sondern es wird allen etwas fehlen. Aber unter dem Strich wird für die Gesamtheit etwas entstehen, das mehr als die Summe der Einzelinteressen ist. Das ist ja der Mehrwert des Multilateralismus.

Nun steht der Multilateralismus unter Druck, weil sich in den letzten Jahren eine Betrachtung durchzusetzen beginnt, die aussagt: Das ist alles so mühselig, das ist so unvollkommen; und eigentlich kann ich als nationaler Akteur für meine Interessengemeinschaft mehr bewegen und komme dabei besser weg. Diesen systemischen Wettbewerb – das ist ja ein Wettbewerb zweier Systeme des Denkens – müssen wir einfach aushalten und austragen. Da gibt es auch wenige Kompromisse. Entweder sieht man als Nation nur seine alleinige Sicht oder man begibt sich auf den Weg, mit anderen gemeinsame Lösungen zu finden, und akzeptiert, dass die anderen eben auch Interessen haben.

Dass diese Entwicklung zulasten des Multilateralismus so schnell eintritt, ist bedauerlich, weil wir die große internationale Finanzkrise ja gerade erst einmal zehn Jahre hinter uns gelassen haben. Damals ist die G20 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gegründet worden. Bis dahin bestand sie ja nur auf der Ebene der Finanzminister. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit George Bush, der damals Präsident war, telefoniert und gesagt habe – darauf haben wir uns auch miteinander geeinigt –, dass es einer internationalen Antwort auf diese internationale Krise bedarf. Wir sind dann – sozusagen in der Interimszeit zwischen den Präsidentschaften von George Bush und, nach der schon stattgefundenen Wahl, von Barack Obama – zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten von Amerika zusammengekommen. Damals haben sich alle darauf geeinigt, aus der Krise zu lernen, aber auch mithilfe von Konjunkturprogrammen, allgemeinen Bankenregeln usw. erst einmal die unmittelbaren Folgen dieser Krise zu bekämpfen.

Ich werde nie vergessen, dass gerade auch China in dieser Phase eine sehr wichtige Rolle gespielt hat, und zwar mit großen Konjunkturprogrammen. Wir alle haben Konjunkturprogramme aufgelegt, aber bei 1,3 Milliarden Einwohnern sind solche Konjunkturprogramme natürlich besonders wirksam. Das hat dabei geholfen, dass die Weltwirtschaft nicht weiter abgerutscht ist, sondern dass ein Weg gefunden wurde, wieder aus dieser Krise herauszukommen. Wir haben auch noch eine Vielzahl von Bankenregulierungen gefunden und – wir erinnern uns alle daran – gesagt: Nie wieder darf ein Finanzmarktakteur bzw. -produkt ohne Regulierung sein. Diese Dinge haben wir einigermaßen vorangebracht.

Nun komme ich zu dem, was man auf Englisch einen Backlash nennt, also zu der Frage, ob wir alleine nicht doch besser klarkommen, weil das Geschäft der internationalen Ordnung natürlich – das ist gar keine Frage – mühselig ist. Aber ich glaube, wir müssen den Weg der Multilateralität und auch des G20-Prozesses weitergehen. Sie, die Sie hier sitzen, haben sich das ja sozusagen auch auf Ihre Fahnen geschrieben – mit allen unterschiedlichen Interessen, mit all den unterschiedlichen Motivationen dafür.

Deshalb setzen wir uns als Erstes für eine Reform der internationalen Organisationen ein, allen voran der Welthandelsorganisation. Wir konnten uns auf dem letzten G20-Treffen in Argentinien auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika darauf einigen, dass es eine WTO-Reform geben soll. Darüber, wie sie aussehen soll, gibt es allerdings noch keine Einigkeit. Besonders dringlich ist bei der Welthandelsorganisation natürlich das Thema Streitbeilegung. Denn wenn die betreffenden Richterstellen nicht wieder besetzt werden, dann ist sozusagen der ganze Mechanismus – das leuchtet ja ein – nicht praktikabel.

Wir müssen sagen und auch zugeben, dass die Malaise, wenn ich das einmal so sagen darf, der Reform der internationalen Organisationen ja nicht erst mit der jetzigen amerikanischen Administration begonnen hat. Ich erinnere mich gut an die Amtszeit von Barack Obama, in der wir immer und immer wieder über WTO-Reformen und vor allen Dingen auch über WTO-Abkommen gesprochen haben, bis wir uns dann dazu entschieden haben, uns für eine bestimmte Zeit doch auf bilaterale Handelsabkommen zu konzentrieren. Diese bilateralen Handelsabkommen sind dann ja auch wie Pilze aus dem Boden geschossen. Auch die Europäische Union hat eine Vielzahl solcher bilateralen Handelsabkommen verabschiedet. Sie sind gut, aber sie sind im Grunde nur die zweitbeste Lösung. Die bessere Lösung ist eine Gesamtlösung für die Welt. Aber dafür muss man eben an die 180 Länder zum gleichen Zeitpunkt zum gleichen Konsens bringen; und das entpuppt sich als außerordentlich schwierig.

Ich bin sehr froh, dass die japanische G20-Präsidentschaft die Dinge jetzt auch auf die Frage der Digitalisierung und auf die Frage des Umgangs mit Daten ausweitet. Denn dafür haben wir noch überhaupt keine internationalen oder multilateralen Regulierungen. Man kann natürlich national und europäisch manches machen, aber das ist dann ein sozusagen nicht wirklich umfassendes System. Deshalb ist die Frage nach einem globalen Daten-Regelwerk, die in Osaka beim G20-Gipfel auf der Tagesordnung steht, aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Programmbaustein Japans, den wir auch brauchen, um ethische Fragen der Künstlichen Intelligenz, die uns ja eher früher als später erreichen werden, auch global beantworten zu können. Deshalb ist das sehr wichtig.

Wir haben weitere Fragen. Ich habe die Langsamkeit der Reform der internationalen Organisationen angesprochen. Ich will das jetzt nicht am Beispiel der Quotenregelung beim IWF oder der Kapitalerhöhung bei der Weltbank tun; auch das hat lange gedauert. Die Wahrheit dahinter ist doch, dass wir in einer Zeit stehen, in der sich die Kräfteverhältnisse auf der Welt verschieben. Das sind Verschiebungen, die man mit Entwicklungen in der erdzeitlichen Geschichte vergleichen kann. Plötzlich entsteht ein hoher Berg, wo früher eine Senke war. Allerdings kann bzw. muss man jetzt entscheiden, ob man diesen hohen Berg akzeptieren will oder nicht. So verschieben sich die Kräftegleichgewichte zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer ökonomischen Macht, die ja sehr groß ist, und zum Beispiel China. Das gilt auch im Zusammenhang mit anderen asiatischen Staaten. Bei Indien wird das eines Tages auch noch passieren.

Wie gehen wir damit um? Sagen wir: Nein, die Landschaft, wie wir sie kennen, ist unsere; und an ihr lassen wir keine Änderung zu, sondern arbeiten mit allem, was wir haben, gegen tektonische Verschiebungen. Oder sagen wir: Okay, das ist das Ergebnis von Anstrengungen auch in anderen Ländern; wir müssen mit dieser neuen Landschaft umgehen, und zwar fair und redlich, natürlich reziprok; wir müssen sie akzeptieren und dürfen sie nicht bekämpfen, als wären wir sozusagen in einer Schlacht.

Heute, 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als wir dachten, der Systemwettbewerb sei zugunsten der Demokratien gewonnen, haben wir eine riesige Herausforderung, weil sich herausstellt, dass wir mit China in einem systemischen Wettbewerb stehen. Aber die Antwort kann nicht sein, diejenigen, die ökonomisch stark sind, einfach zu bekämpfen, sondern wir müssen für reziproke, faire Regelungen eintreten und dürfen das multilaterale System nicht aufgeben. Das ist aus meiner Sicht das Gebot der Stunde.

Nun merken wir natürlich – das hat sich in Deutschland an den Diskussionen über TTIP, das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, herausgestellt –, dass die Komplexität des systemischen Wettbewerbs nicht einfach dadurch zu erklären ist, dass man sagt: Ich mache einmal die Nullvariante, die Nullnäherung; ich reduziere oder schaffe Zölle ab. Das sind die tarifären Handelshemmnisse; da kann man viel tun. Das ist relativ übersichtlich; und das traut man den Leuten, die mit Handel zu tun haben, auch zu. Das können sie machen.

Schwierig wird es immer dann, wenn wir uns im Bereich der nichttarifären Hemmnisse bewegen, wenn man also zum Beispiel eine ganz tolle neue Technologie für das Kontrollgerät am Flughafen für die Sicherheitsüberprüfung herstellt und sagt: Die ist es; und nur, wer diese Technologie anwendet, darf noch mit amerikanischen oder chinesischen oder deutschen oder welchen Flugzeugen auch immer – ich will gar keinen ausnehmen – fliegen. Dann hat man plötzlich eine Handelsbarriere, die mit Zöllen zwar nichts zu tun hat, die aber dazu führt, dass man nur noch die eigenen Sicherheitsgeräte am Flughafen verkaufen kann. Wer andere kauft, hat nicht mehr den Zugang der Passagiere.

So passiert das jetzt an vielen Stellen, weshalb man sagt: Tja, wenn wir uns das richtig überlegen, dann stellen wir fest, dass wir nichttarifäre Handelshemmnisse haben, angefangen bei den Sozialsystemen bis hin zu den Umweltregelungen. Überall gibt es Regelungen, die Ausschlusskriterien sein können und die wir mit Zöllen gar nicht erfassen, die aber jetzt zur Disposition stehen. Natürlich ist dann eine gesellschaftliche Diskussion entstanden, in der gesagt wurde: Tja, es können sich doch nicht einfach die Ökonomen, die sich mit Zöllen auskennen, plötzlich mit unseren Umweltregeln befassen oder anfangen, sozusagen das Chlorhühnchen nach Europa zu schaffen. – Was hatten wir nicht alles an Debatten.

Das heißt, die große Frage des Multilateralismus wird sein, wie man mit den nichttarifären Handelshemmnissen umgeht. Deshalb hat sich das Spektrum von G20 erweitert. Deshalb beschäftigen wir uns eben nicht mehr nur mit Finanzmarktregulierung und Zöllen, sondern eben auch mit Klimaschutz, mit Umweltregeln, mit der Frage von sozialen Mindeststandards, mit der Wertschöpfungskette von Textilprodukten von Bangladesch bis nach Deutschland und mit Gesundheitsfragen, die natürlich auch eine wahnsinnig große Auswirkung auf die Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Länder haben.

Ich denke, wir können sagen, dass Deutschland damals in seiner G20-Präsidentschaft für die Verbreiterung der Themenpalette einiges getan hat. Wir freuen uns, dass Japan jetzt einige dieser Themen übernimmt. Das Thema Weltgesundheit spielt weiter eine Rolle. Das Thema der Rolle der Frauen in den Gesellschaften spielt weiter eine Rolle, was ich für ganz wichtig halte – sowohl für die relativ hoch entwickelten Industrieländer als auch im Zusammenhang mit der Frage, wie Afrika mit seinen Chancen und wie ärmere asiatische Länder mit ihren Chancen umgehen. Das Thema Klimaschutz spielt natürlich auch eine Rolle und steht in Japan auch ganz oben auf der Tagesordnung.

Bei der Frage des Klimaschutzes – wir sehen das auch an den jungen Leuten, die jetzt weltweit auf die Straße gehen – zeigt sich in besonderer Weise, wie wir mit Nachhaltigkeit umgehen, wie wir an die Zukunft denken. Das heißt, wir haben uns nicht nur mit der Frage zu befassen, ob wir miteinander – Multilateralismus – etwas machen wollen, ob wir sozusagen über die bisherigen Gedankengänge zum tarifären Hürdenabbau hinaus gehen und noch die nichttarifären Fragen bedenken wollen, sondern wir müssen auch lernen, über das Jetzt und Heute hinaus zu denken und aus den Regelungen für das nächste Jahr Regelungen für das ganze Jahrhundert zu machen. Das ist natürlich eine ziemlich komplexe Aufgabe für eine Politik, die sich fast jeden Tag Wahlen stellen muss; jeden Tag in einem anderen Land. Das heißt also, das sind durchaus große Herausforderungen.

Aber so, wie es bei der Regulierung des Umgangs mit Daten ist, ist es auch bei der Frage, wie wir die richtigen Signale mit Blick auf den Klimawandel setzen können. Wir brauchen eigentlich internationale Lösungen. Man kann es mit einer Börsenumsatzsteuer oder einer Finanztransaktionssteuer in Europa versuchen. Wir haben das jetzt gemacht. Es kommt eine kleine Börsensteuer heraus, damit es möglichst geringe Marktverzerrungen gibt, weil sonst Marktteilnehmer aus dem Gebiet, in dem reguliert wird, einfach in das Gebiet abwandern, in dem nicht reguliert wird.

Ein ähnliches Thema haben wir bei der Frage zu den Anreizen im Bereich des Klimaschutzes. Natürlich ist theoretisch gesehen die CO2-Bepreisung das beste Instrument. Wir sehen neben Europa glücklicherweise auch eine Zunahme von CO2-Emissionssystemen von Lateinamerika über einzelne Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika bis hin zu China. Wir haben auch einen sogenannten ETS-Bereich. Aber sinnvoll wäre es natürlich, wenn wir auch für den Nicht-ETS-Bereich, zum Beispiel für die Bereiche Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, ein weltweites System bekämen. Die große Frage ist immer: Wie groß muss das System sein, damit es noch einen vernünftigen Effekt erzeugt? Wenn das System zu klein ist und nur zu Verlagerungseffekten führt, dann ist es natürlich nicht sinnvoll. Diese Frage wird uns in Europa mit Blick auf die Nicht-ETS-Bereiche stark beschäftigen, in denen wir Reduktionswerte erreichen müssen.

Ich sage nur: Wir haben in Deutschland die riesige Aufgabe, die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen. Wir werden das jetzt gesetzlich festlegen müssen. Wir werden dafür ein Klimakabinett bilden. Wir werden bis Ende des Jahres ein Klimaschutzgesetz oder mehrere Gesetze verabschieden. Aber da stehen wir vor Riesenherausforderungen, zum Beispiel im Bereich des Verkehrs. Deutschland ist ein Transitland. Deutschland bekommt alle Emissionen angerechnet, die aus dem Tanken in Deutschland resultieren. Egal, ob jemand aus Polen, Weißrussland, Russland oder Frankreich zu uns kommt: Wenn er in Deutschland tankt, dann führt das zu einer deutschen Emission. Das heißt, wir haben gar nicht ganz genau in der Hand, wie viele Emissionen im Verkehr entstehen. Trotz aller Reduktionen pro Fahrzeug in den Jahren seit 1990 hatten wir keine Emissionsreduzierung im Verkehr, weil diese Reduktionen durch mehr Verkehr aufgefressen wurden. Das heißt, wenn wir im Verkehrsbereich 42 Prozent des CO2-Ausstoßes von heute bis 2030 einsparen müssen, dann ist das eine irrsinnig große qualitative Veränderung und überhaupt nur durch Elektromobilität bzw. durch neue Antriebstechnologien zu schaffen. Mit alten Antriebstechnologien ist das nicht zu schaffen.

Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt noch über viele Dinge sprechen. Ich will aber nur noch kurz erwähnen – ich habe immer eine Uhr vor mir; das ist ja auch sehr heilsam –: Mir persönlich ist es besonders wichtig, dass wir die Entwicklung des afrikanischen Kontinents fördern. Wir haben in den letzten Jahrzehnten im Grunde explosionsartige Entwicklungsschübe in asiatischen Ländern gesehen, aber wir sind in Afrika noch nicht an diesem Punkt. Ich glaube, dass die Afrikanische Union sehr viel selbstbewusster geworden ist und dass wir aufhören müssen, sozusagen paternalistisch auf Afrika zu blicken. Wir müssen Afrika vielmehr als Partner im wirklichen Sinne sehen. Das heißt, wir müssen auch auf die Ideen dort hören, „ownership“, wie man heute so schön sagt, einfordern – also die Bereitschaft, sich mit bestimmten Zielen zu identifizieren und für sie zu kämpfen – und selber ab und zu auch mal den Mund halten. Wir denken ja oft, wir wüssten alles besser. Wir haben bestimmte Entwicklungslinien durchschritten und denken dann: Na ja, es ist doch ganz natürlich, dass andere auf uns hören und uns fragen: Wie war es denn und wie wollt ihr es machen? Das klappt schon bei der Erziehung der eigenen Kinder nicht immer; und das sollte man bei anderen Ländern schon gar nicht versuchen.

Allerdings müssen wir afrikanische Länder auch dazu ermutigen, Vertrauen in ihre Zivilgesellschaft zu entwickeln. Afrika ist ein so junger Kontinent, wie wir uns das hier im alternden Berlin bzw. im alternden Deutschland gar nicht vorstellen können. Wir müssen die Bereitschaft entwickeln, die Kreativität der Jugend und auch die Eigenschaft der Jugend, in viel größeren Zeiträumen zu denken, aufzunehmen und zu sagen: Jawohl, das kann für uns Inspiration sein; das kann für uns auch Antrieb sein. Diese Bereitschaft haben wir in Europa noch nicht ausreichend.

Insofern, meine Damen und Herren, bleibt viel, viel Arbeit. Ich bin gern bereit, in der Diskussion noch auf einiges einzugehen, aber insgesamt, glaube ich, müssen wir die Stimme des Multilateralismus in diesem breiten Ansatz, wie ich ihn eben auch beschrieben habe, so stark wie möglich machen. Das wird die Politik alleine nicht können. Dazu bedarf es vielmehr auch einer starken Zivilgesellschaft.

Deshalb freut es mich so, dass diese Konferenz in diesem Jahr einen großen Anklang gefunden hat, dass hier intensiv diskutiert wird und dass jeder und jede, wenn er bzw. sie nach Hause fährt, wieder viele neue Ansprechpartner hat. Denn dann kann man sagen: Lassen Sie uns trotz aller Unterschiede, die wir zwischen NGOs aus dem Umweltbereich und anderen Bereichen einerseits und den politisch Agierenden andererseits haben, immer eine gemeinsame Herangehensweise im Blick haben und sagen: Okay, aus Reibung, aus Unterschieden entstehen kreative Impulse, die wir aufnehmen müssen, denen wir uns stellen müssen; aber seien wir sozusagen eine gemeinsame Front für eine multilaterale Herangehensweise. Alles andere wird nach meiner Meinung nicht nur scheitern, sondern wird leider auch dazu führen, dass es wieder mehr gewalttätige Auseinandersetzungen gibt und dass es wieder mehr das gibt, was wir in Europa, einmal von den Balkankriegen abgesehen, glücklicherweise seit 70 Jahren nicht mehr hatten, nämlich mehr militärische Lösungsversuche. Die europäische Lehre aus den letzten Jahrhunderten ist, dass wir das auf jeden Fall vermeiden müssen und uns deshalb lieber der komplizierten Frage des Multilateralismus zuwenden und für sie kämpfen sollten.

Herzlichen Dank.