Rede der Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt:,Entartete Kunst‘ - Beschlagnahmt und verkauft" in Bern

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Im Wortlaut Rede der Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt:,Entartete Kunst‘ - Beschlagnahmt und verkauft" in Bern

Das Kunstmuseum Bern zeigt aus dem Kunstfund Gurlitt rund 200 Werke, die die Nationalsozialsten als "Entartete Kunst" diffamierten. Für Kulturstaatsministerin Grütters ist die Ausstellung Schau "Teil unseres gemeinsamen Bemühens um Aufklärung und Transparenz. Die Aufarbeitung dieses beispiellosen Kunstraubs ist Teil der historischen Verantwortung Deutschlands."

Mittwoch, 1. November 2017 in Bern

Vor ziemlich genau 80 Jahren – am 26. November 1937 – propagierte Joseph Goebbels bei der Jahrestagung der Reichskulturkammer in Berlin in einer seiner berüchtigten, demagogischen Hetzreden den Ausschluss der Juden aus dem deutschen Kulturleben. Er sprach in diesem Zusammenhang auch über die Ausstellung "Entartete Kunst", die einige Monate zuvor in München eröffnet worden war. "Bedeutet das nun", so Goebbels’ rhetorische Frage, "eine Einengung der so viel beredeten künstlerischen Freiheit? Doch nur dann", fuhr er fort, "wenn der Künstler das Recht hätte, sich der Zeit und ihrer Forderungen zu entziehen und außerhalb der Gemeinschaft seines Volkes ein eigenbrötlerisches Sonderleben zu führen. Das aber kann und darf nicht der Fall sein. (...) die Kunst ist nicht ein Lebensbezirk für sich, in den einzudringen dem Volke verwehrt sein müsste. Sie ist eine Funktion des Volkslebens und der Künstler ihr begnadeter Sinngeber."

Die Aktion "Entartete Kunst", die uns das Kunstmuseum Bern mit rund 200, größtenteils in den 1930er Jahren in deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmten Werken aus dem "Kunstfund Gurlitt" vor Augen führt, steht für die Verhöhnung, Verfolgung und Entrechtung der Künstlerinnen und Künstler, die sich nicht, wie von Goebbels propagiert, als "begnadete Sinngeber" für die "Funktion des Volkslebens" und damit für die nationalsozialistische Ideologie in Dienst nehmen ließen. Sie steht damit auch für den Tod der Kunstfreiheit, ablesbar schon auf der Titelseite des Katalogs zur Diffamierungsausstellung Entartete „Kunst“: Es war die Kunst, die hier in Anführungszeichen stand, um der diktatorischen Definitions- und Deutungshoheit Ausdruck zu verleihen. 

Die Aufarbeitung dieses Teils der schändlichen Kunstpolitik der Nationalsozialisten sowie des beispiellosen Kunstraubs, verübt an meist jüdischen Kunsthändlern und -sammlern, ist Teil der historischen Verantwortung Deutschlands. Bei der Raubkunst geht es vor allem um die Anerkennung der Opferbiographien, des unermesslichen Leids unzähliger Menschen - insbesondere jüdischer Bürger in Deutschland und den besetzten Gebieten - unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Deshalb hat der Umgang mit dem Kunstbestand Gurlitts nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine moralische Dimension. 

Den menschlichen Schicksalen gerecht zu werden, die hinter den geraubten und entzogenen Kunstwerken stehen, dazu haben wir – die Bundesregierung, der Freistaat Bayern und das Kunstmuseum Bern als Erbe der Sammlung – uns vor drei Jahren gemeinsam verpflichtet. Ich bin sehr dankbar, liebe Frau Dr. Zimmer, lieber Herr Dr. Brülhart, dass sich das Kunstmuseum Bern zur Übernahme der Erbschaft bereit erklärt und die damit verbundene, große Verantwortung angenommen hat - zum einen im Bekenntnis zu den Washingtoner Prinzipien, den verantwortungsbewussten Umgang mit NS-Raubkunst betreffend, zum anderen in der Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit bei der aufklärenden Erforschung des Kunstfundes Gurlitt. 

Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, ist Teil unseres gemeinsamen Bemühens um Aufklärung und Transparenz. Mir war von Anfang an sehr daran gelegen, auch bei den Werken des Kunstfundes Gurlitt, die von den Nationalsozialisten als "entartet" verunglimpft und aus öffentlichen Sammlungen und Museen entfernt wurden, zu Lösungen zu kommen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht werden – insbesondere den Interessen der Museen, aus denen die Werke einst herausgerissen wurden. Das Kunstmuseum Bern hat sich deshalb bereit erklärt, Leihanfragen derjenigen Museen, die bis zur NS-Aktion "Entartete Kunst" Besitzer der angefragten Werke waren, prioritär zu behandeln und diesen nach Möglichkeit zu entsprechen. Auch dafür danke ich Ihnen, liebe Frau Dr. Zimmer, lieber Herr Dr. Brülhart, und allen Verantwortlichen.

Mein herzlicher Dank gilt darüber hinaus den deutschen und schweizerischen Museumsfachleuten für die hervorragende, in der Provenienzforschung unerlässliche und deshalb wegweisende Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Ausstellung. Als Kunsthistorikerin weiß ich nur zu gut, wie mühsam, langwierig und ungeheuer schwierig es häufig ist, die Herkunft eines Kulturguts über Jahrzehnte zurück zu verfolgen und zweifelsfrei zu klären. Das gelingt nur mit Hilfe eines internationalen Netzwerks, mit einem länderübergreifenden wissenschaftlichen und politischen Schulterschluss. Deshalb freue ich mich auch sehr, dass die schweizerische Bundesregierung seit 2016 Museen und Sammlungen mit insgesamt zwei Millionen Franken bei der Provenienzforschung unterstützt. Ganz offensichtlich hat die gemeinsame Übernahme der Verantwortung für den "Schwabinger Kunstfund" das Bewusstsein für die Bedeutung der Provenienzforschung deutlich gestärkt. Auch das gehört heute zur "Bestandsaufnahme Gurlitt", ebenso wie die Präsentation des aktuellen Forschungsstandes.

Jenseits dieser - der Transparenz, Aufklärung und Aufarbeitung gewidmeten – Bestandsaufnahme verdienen die Meisterwerke der Moderne, denen eine breite öffentliche Wertschätzung noch über viele Jahrzehnte nach ihrer Stigmatisierung und Verunglimpfung durch den nationalsozialistischen Kampfbegriff "entartete Kunst" verwehrt blieb, aber auch schlicht und einfach das Licht der Öffentlichkeit und die leuchtende Begeisterung im Auge ihrer heutigen Betrachter. Ich bin sicher: Viele Kunstliebhaber werden die Freude teilen, die ich eben beim Rundgang durch die Ausstellung, beim Anblick großartiger Werke beispielsweise von Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc und Otto Dix empfunden habe.

Mit ihrer wechselvollen Geschichte erzählen diese Meisterwerke im Übrigen nicht nur von der ideologischen Vereinnahmung und Degradierung der Kunst und von der Ausgrenzung und Entrechtung zahlreicher Künstlerinnen und Künstler; sie mahnen auch zum Widerspruch, wenn Kunst in Anführungszeichen geschrieben wird, und sie appellieren an unseren demokratischen Widerstandsgeist, wenn Künstler und Kulturschaffende von Populisten und Nationalisten aufgefordert werden, - ich zitiere aus einem einschlägigen Wahlprogramm - "einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern" oder "zur Identifikation mit unserem Land an(zu)regen." Denn eine Kunst, die sich festlegen ließe auf die Grenzen des politisch Wünschenswerten, eine Kunst, die den Absolutheitsanspruch einer Ideologie oder Weltanschauung respektierte, die gar einer bestimmten Moral oder Politik diente - eine solchermaßen begrenzte oder domestizierte Kunst würde sich nicht nur ihrer Möglichkeiten, sondern auch ihres Wertes berauben.

So kann uns der "Berner Teil" der Doppelausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" nicht zuletzt auch die künstlerische Freiheit einmal mehr schätzen und gegen jede Form der staatlichen, der politischen, der weltanschaulichen Vereinnahmung im Dienste eines Kollektivs verteidigen lehren - ganz im Sinne des berühmten Expressionisten Max Beckmann (- einst ebenfalls in der Diffamierungsschau "Entartete Kunst" vertreten -), der 1938 in seinem berühmten Vortrag "Über meine Malerei" Stellung gegen die Kulturbarbarei der Nationalsozialisten bezog. Der Kollektivismus sei die "größte Gefahr, die uns Menschen allen droht", erklärte er, und ich zitiere weiter: "Überall wird versucht, das Glück oder die Lebensmöglichkeiten der Menschen auf das Niveau eines Termitenstaates herabzuschrauben. Dem widersetze ich mich mit der ganzen Kraft meiner Seele." Diese Kraft, meine Damen und Herren, wünsche ich auch unseren Demokratien. Möge diese Ausstellung, mögen die Lehren aus der Aufarbeitung der nationalistischen Kunstpolitik genau dazu beitragen!

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