Im Wortlaut
in Berlin
8 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 1. Dezember 2022
BK Scholz: Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deutsche G7-Präsidentschaft geht in die letzte Phase, bevor Japan von Januar an den Vorsitz der G7 übernehmen wird.
Heute habe ich mit dem G7-Gleichstellungsbeirat gesprochen, dem Gender Equality Advisory Council oder kurz GEAC. Seit nun mehr vier Jahren berät der Council die G7 zu Fragen der Gleichstellung entlang der gesamten Themenpalette der Gruppe. Denn Krisen verstärken existierende Ungleichheiten, weil diese oft in den Hintergrund gedrängt werden. In der Pandemie haben wir deutlich gesehen: Viele hart errungene und sicher geglaubte Fortschritte bei der Gleichstellung standen plötzlich infrage oder wurden gar zunichte gemacht.
Es ist eine Aufgabe des Beirates, den Blick der G7-Staaten immer wieder auf diese Themen zu richten. Die von Professor Jutta Allmendinger überreichten Empfehlungen des GEAC an die G7 sind das Ergebnis intensiver Debatten untern den 20 Expertinnen und Experten des Gremiums. Diese stammen aus 14 Ländern und bringen damit eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Perspektiven und Hintergründe ein, was für die Arbeit sicherlich sehr wertvoll ist.
Natürlich ist ein herausragendes Thema auch hier der russische Überfall auf die Ukraine. In Kriegen und Konflikten sind Frauen ganz besonders stark von den Auswirkungen betroffen. Dies zeigt sich leider auch bei dem brutalen Angriffskrieg Russlands. Berichte über sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind ziemlich verstörend und berühren uns alle zutiefst. Millionen Frauen und Kinder sind vor russischen Truppen auf der Flucht. Allein in Deutschland haben seit Kriegsausbruch mehr als eine Million Menschen Zuflucht gesucht, ganz überwiegend Frauen und Kinder. Deshalb will ich auch an dieser Stelle nicht müde werden, den russischen Staatschef aufzufordern, diesen sinnlosen und schrecklichen Krieg endlich zu beenden und seine Truppen zurückzuziehen.
Der Gipfel in Elmau hat die klare Botschaft gesandt, dass die G7 ihre langfristigen Aufgaben nicht aus dem Blick verliert. Als G7 vereinen uns gemeinsame Werte ‑ Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Freiheit ‑, und die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter ist dafür unerlässlich. Darin sind sich die sieben Staaten einig.
Wir müssen uns als G7 an unseren eigenen Ansprüchen messen. Dafür haben wir in diesem Jahr einen wichtigen Schritt hin zu einem Monitoring unserer eigenen Fortschritte gemacht. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der OECD, ein sogenanntes „G7 Dashboard on Gender Gaps“ etabliert. Das Dashboard bietet anhand von zwölf Indikatoren einen prägnanten Überblick über die Gleichstellung in der G7. Ich nenne dieses Dashboard heute auch deshalb, weil es das Ergebnis der guten Zusammenarbeit zwischen den sieben Staaten und dem GEAC ist, quasi eine Koproduktion; denn die Empfehlung, dass die G7 ein solches Instrument entwickeln sollte, kam vom GEAC.
Ein Instrument wie das Dashboard ist kein Selbstzweck. Zentral ist vielmehr, dass aus den Erkenntnissen auch die nötigen Beschlüsse abgeleitet werden. Dafür liefern die Empfehlungen des GEAC auch ganz, ganz konkrete Anhaltspunkte, etwa wenn es um Prävention von geschlechterbasierter Gewalt, um internationale Fragen der Gewalt gegen Frauen und um die Umsetzung der Istanbul-Konvention geht. Natürlich wissen wir, dass gerade jetzt in dieser Situation die Probleme, um die es hier geht, ganz besonders präsent und drängend sind. Ich will an die Situation von Frauen in Afghanistan erinnern. Ich will an die Demonstrationen im Iran in den vergangenen Wochen erinnern. Viele Frauen, Mädchen und auch Männer haben unglaublichen Mut bewiesen, indem sie für mehr Freiheiten und eben auch für die Gleichstellung von Frauen auf die Straße gegangen sind. Sie haben der Welt eindrücklich vor Augen geführt, dass uns das Ziel von mehr Gleichberechtigung miteinander verbindet.
Dem GEAC und Jutta Allmendinger möchte ich auch im Namen der gesamten Staatengemeinschaft der G7 für die wertvollen Erkenntnisse, die Expertise und die kontinuierliche kritisch-konstruktive Begleitung unserer Arbeit danken. Schönen Dank!
Prof. Allmendinger: Ich danke Ihnen und darf Ihnen hiermit diesen Report überreichen, der natürlich mit dem Ausdruck „a shared vision for gender equality“ gleichermaßen den Aufruf enthält, dass das wirklich gemeinsam getragen wird, nicht nur von Deutschland, sondern von den gesamten G7-Ländern und der gesamten Welt.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihr Interesse! Vielen Dank auch für das Vertrauen, dass ich GEAC 2022 leiten durfte! Wir haben zusammen einen Report erstellt, 21 Frauen aus G7-Ländern, aber wesentlich über die G7 hinaus. Gerade jenen, die nicht zu den G7-Ländern gehören ‑ aus der Ukraine, aus Afghanistan, aus Indien ‑, danke ich ganz besonders, weil deren Impulse von einer unglaublichen Wichtigkeit waren und unsere Probleme, die wir hier in Deutschland in der Gleichstellung haben und die wir innerhalb der G7 haben, noch einmal in eine andere Perspektive gerückt haben, und wir kennen diese andere Perspektive.
Der Report enthält wesentliche Ausrufezeichen. Er ist ein Aufruf dafür, dass wir heute viel zu tun haben, um morgen für die vielen Herausforderungen unserer Zeit ‑ ‑ ‑ Das sind jetzt nicht nur die Krisen der Pandemie, des Krieges, der Energieknappheit oder des Klimawandels. Wir haben eine massive demographische Umwälzung vor uns, in allen Ländern. Wir haben unglaubliche Fortschritte zu machen, was die Digitalisierung betrifft. All diese Fragen betreffen Frauen viel mehr als Männer. Das durchzieht den gesamten Bericht. All diese Fragen haben immer noch die Notwendigkeit, mit viel mehr Daten hinterlegt zu werden, als wir im Moment haben. Insofern ist der ganze Report auch ein Plädoyer, ein Bitte-bitte an G7, für eine bessere Datenlage zu sorgen.
Wir haben Daten. Das ist positiv. Das hat auch der Bundeskanzler eben erwähnt, dieses sogenannte Dashboard. Darunter müssen Sie sich vorstellen, dass wir viele Indikatoren zu vielen unterschiedlichen Bereichen haben, welche in einer vergleichbaren Art und Weise von der OECD, welcher mein großer Dank gilt, erhoben wurden. Wir können mit diesen Daten die Entwicklung für jedes einzelne G7-Land über die Zeit verfolgen. Wir können zeigen, wo Länder schlechter oder besser geworden sind. Wir können im intra- und internationalen Vergleich auch zeigen, wo Länder uns wirklich etwas vormachen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Kanada kann eine sehr hohe Frauenerwerbsbeteiligung mit geringen Unterschieden in der Arbeitszeit, die von Männern und Frauen geleistet wird, verbinden und von daher auch zeigen, dass die Unterschiede im Renteneinkommen zwischen Frauen und Männern nicht hoch sein müssen. Sie können ganz niedrig sein. In Kanada sind sie niedrig, während sie in anderen Ländern viel höher sind, beispielsweise auch noch in Deutschland. Wir müssen hier viel tun.
Wir haben uns vorgenommen, auf die vorliegenden Reports von Kanada, wo GEAC das erste Mal implementiert worden ist, Frankreich ‑ dann gab es eine Lücke mit den Vereinigten Staaten ‑ und Großbritannien aufzusetzen. Wir wollten nicht die hervorragende Arbeit dieser GEAC-Kommissionen noch einmal machen, sondern wir wollten uns auf sieben ganz konkrete Fragestellungen beziehen und sie gemeinsam bearbeiten. Das Wort „gemeinsam“ ist mir ganz wichtig. Es war nicht ich, es war auch nicht die Berliner Gruppe im Wissenschaftszentrum Berlin, sondern es waren viele Sitzungen, die wir leider über Zoom führen müssen. Heute ist das erste Mal, dass wir Teile von uns überhaupt sehen. Es ist meine Begeisterung, dass so viele von GEAC gekommen sind.
Wir haben beschlossen, über folgende Themen zu reden: Gewalt, die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit von Männern, „care economy“. Wir haben darüber gesprochen, wie man es erreichen kann, dass viel mehr Frauen Zugang zur Selbstständigkeit bekommen und nicht nur Unterstützung für eigene Selbstständigkeit, sondern auch Zugang zu Venturecapital, wie man so schön sagt, was international zu weit mehr als 90 Prozent zu Männern, aber nicht zu Frauen gelangt. Wir haben uns vorgenommen, ein deutliches Ausrufezeichen zu setzen, dass die Organisationen und die Individuen, die sich für Frauen weltweit einsetzen, viel mehr finanzielle Unterstützung von den G7-Ländern bekommen, als sie bislang bekommen. Das ist ganz wichtig, um auch international zu mehr Gerechtigkeit zu führen. Sie wissen, dass in sehr vielen Ländern unserer Erde Frauen nicht einmal den Zugang zu Bildung haben. Wir haben uns mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Krisen und den Gründen dafür beschäftigt, warum Frauen so viel schlechter dran sind und wahrscheinlich über die Zeit deutliche Verluste haben werden, gerade aufgrund der Pandemie, aber auch der Energieknappheit, der Migration und allen vielen weiteren Herausforderungen. Wir haben ein Hohelied auf „feminist diplomacy“ gesungen und gesagt: Wir müssen das in alle anderen Bereiche ausdehnen, auch weil das ein Weg ist, zwei zentrale Verteilungsmechanismen noch höher zu ziehen, nämlich den Verteilungsmechanismus, dass man sich bei allen öffentlichen Ausgaben ordentlich anschaut, wie viel eigentlich in Männer oder männliche Organisationen oder männliche Produktionsbereiche, männlich dominierte Produktionsbereiche geht und wie viel eigentlich bei den Frauenberufen ankommt, den Pflegeberufen. Neben diesem „gender budgeting“ ist natürlich dieser Genderimpact auch etwas, was alle Ressorts zu durchziehen hat.
Letztlich sind wir uns dessen sehr wohl bewusst, dass es hier nicht um Männer oder Frauen geht. Das ist keine binäre Kategorie. Es ist auch keine Kategorie, die man jenseits von Statusunterschieden anschauen kann, von Einkommensunterschieden, von Unterschieden, in welcher Region sie großwerden und ob sie in Autokratien oder in Demokratien aufwachsen. Diese Intersektionalität, wie wir es nennen, ist wichtig. Auch deshalb haben wir einen sehr starken Fokus auf genau diesen Bereich gelegt.
Das sind die wichtigsten Punkte. Sie können sie in diesem Report nachlesen, verbunden mit sehr klaren „recommendations“ und mit der großen Hoffnung, dass an diesen Punkten aufgesetzt dann in Japan und nach Japan mit der Ratspräsidentschaft von Italien daran gearbeitet wird. Wir haben in Deutschland jetzt alles dazu getan, eine Webseite aufzubauen, die kontinuierlich gezogen werden kann, und Materialien zur Verfügung zu stellen, die dazu führen, dass GEAC über die G7-Ratspräsidentschaften hinweg ein festes, ein etabliertes und ein auch nachhaltiges Instrument zum Checken von Geschlechtergerechtigkeit in all ihren Facetten wird.
Allerherzlichsten Dank!