Pressestatements von Bundeskanzler Scholz und Herr Professor Cantner anlässlich der Übergabe des Jahresgutachtens 2024 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) an den Bundeskanzler am 28. Februar 2024

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Im Wortlaut Pressestatements von Bundeskanzler Scholz und Herr Professor Cantner anlässlich der Übergabe des Jahresgutachtens 2024 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) an den Bundeskanzler am 28. Februar 2024

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Mittwoch, 28. Februar 2024

BK Scholz: Sehr geehrter Herr Professor Cantner, liebe Frau Bundesministerin Stark-Watzinger, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich jedes Jahr auf Ihren Besuch und Ihr Gutachten. Es ist wichtig für die langen Linien, die wir statt der vielen schnellen Schlagzeilen brauchen. Es ist wichtig für das, was wir uns für eine Weiterentwicklung Deutschlands, für die Transformation, vorgestellt haben.

Transformation ist ein Wort, hinter dem sich vieles verbirgt, aber das ja vor allem ein ganz großes Projekt für die Zukunft unseres Landes ist. Dabei geht es um die Frage: Wie können wir es schaffen, dass wir in 10, 20, 30 Jahren bei der Forschung vorne dabei sind, bei den Arbeitsplätzen, dass wir neueste Technologien einsetzen, so wie das für unser Wirtschaftsmodell und unser Gesellschaftsmodell schon so lange typisch ist?

Wir haben vieles getan, um das möglich zu machen. Das kann man etwa sehen, wenn man sich anschaut, was beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, bei der Schaffung eines Stromsystems, das resilient funktionieren kann, bei der Etablierung von Wasserstoff als dem Energieträger, den wir für die Wirtschaft der Zukunft brauchen, und bei der Frage der Kraftwerksstrategie an Veränderungen möglich gewesen ist ‑ und ich könnte diese Aufzählung noch unendlich verlängern.

Trotzdem ist es so, dass wir hier mit dem EFI-Gutachten Schwerpunkte kennengelernt haben, die für uns wichtig sind. Ein paar dieser Schwerpunkte will ich herausgreifen, aber gleich werden wir noch mehr dazu hören.

Ein großes Thema, das wir überall verhandeln, ist die künstliche Intelligenz. Da gibt es viele, viele Dinge, die für unser Land gut sind. Es gibt Start-ups, es gibt Unternehmen, die sich voran entwickeln, wir haben aber auch Investitionen von großen amerikanischen Firmen, und auch im Pharmabereich haben wir Unternehmen, die wissen, was sie mit dieser Technologie tun können. Das sind die Grundlagen dafür, dass wir mit künstlicher Intelligenz auch in Deutschland etwas anfangen wollen und können.

Die rechtlichen Regelungen hat Europa geschaffen. Jetzt geht es darum, dass wir uns nicht zu sehr fürchten vor der künstlichen Intelligenz, sondern unter dem Gesichtspunkt der Resilienz vor allem darüber diskutieren, wie wir sicherstellen können, dass Unternehmen sowie Forscherinnen und Forscher aus Deutschland genau das auch hier einsetzen können.

Rahmenbedingungen, die dafür notwendig sind, bereiten wir vor. Wir haben das Forschungsdatengesetz in Vorbereitung; da ist die Bundesministerin sehr aktiv. Wir haben unsere Gesetzgebung zu den Gesundheitsdaten schon gemacht, die auch unmittelbar Ansiedlungserfolge mit sich bringt. Und natürlich geht es auch um Recheninfrastruktur und alles das, was dazugehört.

Was wir in Deutschland auch brauchen sind diejenigen, die das alles können. Da geht es um kluge Frauen und Männer, die als Forscherinnen und Forscher, als Managerinnen und Manager in den vielen Bereichen, die hier wichtig sind, arbeiten und die modernen Technologien in Deutschland einsatzfähig machen. Wenn wir uns das Fachkräfteeinwanderungsgesetz anschauen, können wir sagen: Da sind wir jetzt rechtlich vorne dabei. Es ist in Deutschland also jederzeit möglich, ein Team aus Frauen und Männern aus aller Welt zusammenzustellen, die das dann zusammen mit einigen von hier in Deutschland vorantreiben ‑ und zwar in ganz kurzer Zeit.

Jetzt müssen wir dafür Sorge tragen, dass die rechtlich bestehende Möglichkeit nun auch praktische Realität wird, indem wir überall die Techniken einsetzen, über die wir hier diskutieren, damit schnelle, unbürokratische Entscheidungen getroffen werden können. Etwa geht es, wenn es um Visaerteilung geht, auch um Digitalisierung für Aufenthaltserlaubnisse. Das ist etwas, wo wir eng miteinander zusammenarbeiten müssen und werden. Lassen Sie mich noch hinzufügen: Ich finde, dass es auch selbstverständlich sein muss, dass man sich als Wissenschaftlerin, als Wissenschaftler hier in Deutschland englisch unterhalten kann und auch damit seine Arbeit voranbringen kann.

Dankbar bin ich auch für die vielen anderen Erkenntnisse, die wir hier bekommen haben, etwa wenn es um soziale Innovation geht oder wenn es um Landwirtschaft geht. Das sind viele wichtige Impulse und Einsichten, die wir hier für unsere eigene Politik gewinnen können.

Zum Schluss: Man rätselt ja manchmal, woher der Exportüberschuss Deutschlands kommt. Er hat aber eine relativ einfache Ursache, nämlich unseren hohen Anteil an Forschung und Entwicklung, den wir in staatlichen Forschungseinrichtungen in unserem föderalen Land haben, aber auch den Forschungsaktivitäten, die von den Unternehmen vorangebracht werden. Wir sind unter den großen Ländern Europas das einzige, das mehr als drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung einsetzt, und das wollen wir auch weiter ambitioniert vorantreiben. Das ist aber die eine wirkliche Ursache dafür, dass so viele Güter und Dienstleistungen aus Deutschland und aller Welt nachgefragt werden, mit Innovationen, die neu zustande gekommen sind. Wer sich die Welt anschaut, wird auch feststellen, dass das ziemlich leicht messbar ist; denn in der Reihenfolge liegen, wie es sich gehört, gewissermaßen die USA, China, Japan und Deutschland vorne. Würde die Europäische Union flächendeckend über drei Prozent kommen, läge sie ganz vornean ‑ da liegt sie aber nicht. Das, glaube ich, zeigt uns, wie richtig es ist, dass wir so sehr auf Forschung und Entwicklung setzen.

Weil wir ja Politik machen, möchte ich noch darauf hinweisen, dass ein großer zusätzlicher Beitrag für die Stärkung des Forschungsstandortes demnächst im Bundesrat verhandelt wird, nämlich mit dem Vermittlungsergebnis, das wir zum Wachstumschancengesetz haben. Auch da geht es um erleichterte steuerliche Bedingungen für Forschung in Unternehmen, was unbürokratisch funktioniert. Deshalb hat sich die Ministerin entschlossen, voranzutreiben, dass wir diese vorhandene Möglichkeit jetzt noch einmal massiv ausweiten, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das für uns in allen Unternehmen praktisch wird.

In diesem Sinne: Schönen Dank für Ihre Arbeit, schönen Dank, dass Sie das immer wieder tun, dass Sie uns hier aufsuchen und wir die Möglichkeit haben, vertieft zu diskutieren und zu lesen, was Sie tun. Sie können, glaube ich, sehen: Wir hören uns das nicht nur an und lesen das nicht nur durch, sondern wir wollen das dann auch praktisch werden lassen. Das hat die Vergangenheit gezeigt und das soll die Zukunft noch mehr beweisen.

Schönen Dank!

Prof. Dr. Cantner: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz, sehr geehrte Frau Bundesministerin Stark-Watzinger, der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung neuster Schlüsseltechnologien und Zukunftstechnologien wie etwa KI oder in Richtung nachhaltiger Produktion und Konsum stellt eine der großen Aufgaben dieser Zeit dar. Wohlstand, Einkommen und Beschäftigung können nur dann gesichert werden, wenn das Deutschland gelingt.

Ein wesentliches Element dieses Umbaus oder der Transformation, wie wir das nennen, sind Innovationen ‑ technologische auf der einen Seite, soziale auf der anderen Seite.

Ein zweites wesentliches Element ist der Strukturwandel, der sich hier vollzieht. Dieser Strukturwandel generiert auf der einen Seite neue Geschäftsmodelle generiert; auf der anderen Seite macht er aber auch alte Geschäftsmodelle oder altes Verhalten obsolet. Dadurch generiert er Verlierer wie Gewinner. Um die Gewinner muss man sich nicht besonders kümmern, aber vielleicht doch ein bisschen mehr um die Verlierer.

Ein drittes Element ist die Zeitdimension. Transformation findet nicht innerhalb von einem Tag statt, sondern das dauert lange, über Legislaturperioden hinweg. Das muss man eben auch mit berücksichtigen.

Die Bundesregierung stellt sich dieser Aufgabe, dieser Transformation mittels eines Politikansatzes, den wir als transformative Forschungs- und Innovationspolitik bezeichnen. Das Gutachten, das wir Ihnen jetzt gleich übergeben, widmet sich ebendieser transformativen F&I-Politik im Allgemeinen, aber dann auch in vier speziellen Themen.

Zunächst ist festzuhalten: Die Bundesregierung hat bei dieser Politik im letzten Jahr eine ganze Reihe starker, positiver Akzente setzen können. Das SPRIND-Freiheitsgesetz, die DATIpiloten, die Missionsteams, die Zustimmung zum AI Act: Das alles geht in die gewünschte und in die erforderliche Richtung und wird verschiedene Transformationen sicherlich auch nachdrücklich unterstützen können.

Trotz dieser Erfolge bereitet uns der Gesamtansatz dieser Politik und auch das Gesamtbild einer langfristig angelegten transformativen Politik doch ein bisschen Sorge. Und zwar hat das damit zu tun, dass Sie diese transformationsorientierte Politik in Zeiten machen müssen, in denen andere Themen ganz groß sind. Stichworte sind: militärische Konflikte, geopolitische Spannungen, innenpolitische Spannungen, aber auch wirtschaftliche Probleme mit der Konjunktur und mit der Inflation, die natürlich Aufmerksamkeit erfordern, die aber eben auch budgetäre Erfordernisse haben. Somit tritt diese F&I-Politik in Konkurrenz zu diesen anderen Politikmaßnahmen, und wir spüren manchmal die Gefahr, dass genau diese Politik dann hinten runterfällt, weil sie langfristig angelegt ist und eben nicht zu kurzfristigen Erfolgen führt.

Ein zweiter Punkt, der uns ein bisschen Sorge macht, ist das Gesamtbild dieser transformativen F&I-Politik. Ein Narrativ dazu, wie die Zukunft in 10, 20 oder 30 Jahren aussehen soll, fehlt uns auch; denn wenn man das hat, dann werden die privaten Akteure sehr viel bereiter sein, auch in hochriskante, in hochunsichere Investitionen hineinzugehen und damit die Transformation auch vorantreiben.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir unter anderem drei Punkte vor.

Zum einen: Den langfristigen und strukturellen Ziele der transformativen F&I-Politik sollte auch in den kurzfristig angelegten Maßnahmen Rechnung getragen werden, zum Beispiel im Wachstumschancengesetz oder auch im Sondervermögen der Bundeswehr.

Ich hatte vorhin die Verlierer des Strukturwandels angesprochen: Hier ist dafür zu sorgen, dass die soziale Kompensation dieser Verlierer bei den Maßnahmen zum transformativen Wandel von vornherein mitgedacht werden.

Drittens: Dieser Strukturwandel ist eben nicht nur finanziell, also durch Budgets zu bedienen, sondern man kann das auch nichtfinanziell machen. Stichworte sind die Schaffung innovationsförderlicher Rahmenbedingungen bei Daten usw. oder eben auch der Abbau fossil orientierter Subventionen. Das alles ist budgetär zumindest nicht negativ relevant.

Ich komme nun zu den speziellen Themen des Gutachtens und fange mit der Transformation der Landwirtschaft an. Die Landwirtschaft selbst trägt durch ihre Produktionsweise nicht unerheblich zum Klimawandel und zu Umweltproblemen bei, das wissen wir. Sie leidet aber auch ganz stark selbst unter dem Klimawandel. Digitale Technologien und Smart Farming ermöglichen Produktionsverfahren, die weitaus nachhaltiger und weit weniger auf umweltschädliche Ressourcen angewiesen sind. Neue gentechnische Methoden der Pflanzenzüchtung können helfen, an den Klimawandel angepasste Nutzpflanzen zu entwickeln. Bei beiden Technologien gibt es allerdings noch erhebliche Innovations- und Diffusionshemmnisse. Eine Besteuerung des Einsatzes umweltschädlicher Ressourcen in der Landwirtschaft ‑ Pestizide, Dünger usw. ‑ und eine Regulierung der Verwendung neuer Nutzpflanzen auf der Ebene der Endprodukte anstatt auf der Ebene der Verfahren können helfen, einige dieser Hindernisse abzubauen.

Unser zweites Thema ist die Attraktivität des Wissenschafts- und Innovationsstandortes Deutschland, bemessen an der Mobilität internationaler Wissenschaftler. Wir wissen ja: Zukunftstechnologien wie KI oder andere Technologien zur Nachhaltigkeit selbst zu entwickeln und einzusetzen, ist für Deutschland wichtig. Dafür bedarf es eben eines Wissenschafts- und Innovationsstandortes, der hohe Qualität hat. Statistiken zur Wanderung von internationalen mobilen Forschenden zeigen, dass sich Deutschland in den letzten Jahren von einem Nettoabwanderungs- zu einem Nettoeinwanderungsland entwickelt hat. Das heißt, die Attraktivität des Wissenschafts- und Innovationsstandortes hat in den letzten Jahren zugenommen. Dennoch gibt es Handlungsbedarf. Da ist noch Luft nach oben, insbesondere bei den Verfahren der Visaerzeugung, bei der Regelung zur Behandlung von Renten- und Ruhegehaltsansprüchen sowie bei der Attraktivität und Kompatibilität der wissenschaftlichen Karrierewege für die sogenannten Young Researchers.

Unser drittes Thema betrifft soziale Innovationen. Soziale Innovationen sind immens wichtig für die Transformation, die ich angesprochen habe. Soziale Innovationen verändern das Verhalten der Menschen im Umgang mit neuen Technologien, bei Produktion und Konsum, gegenüber der Natur und hinsichtlich Veränderungen in der Gesellschaft. Die EFI begrüßt daher nachdrücklich die Strategie der Bundesregierung für soziale Innovationen und soziale Unternehmen. Wir sehen aber auch, dass der Mangel an empirischen Daten zu sozialen Innovationen und sozialen Unternehmen einer evidenzbasierten und damit erfolgreichen Umsetzung dieser Strategie entgegensteht. Hier muss rasch und umfassend eine solide empirische Basis geschaffen werden. Das ist eine Conditio sine qua non.

Der vierte Schwerpunkt ist, nicht überraschend, die künstliche Intelligenz ‑ das Topthema der letzten Wochen und Monate. Die Entwicklungen überschlagen sich hier ja hier tagtäglich; man kommt fast nicht hinterher. Doch eines steht fest: Deutschland und Europa stehen zurzeit nicht in der weltweit ersten Reihe der KI-Entwickler. Es könnten hier Abhängigkeiten entstehen, die man nicht haben möchte. Um den großen Playern in den USA und China gegenhalten zu können, müssen Deutschland und Europa nun an starken Innovationsökosystemen zur künstlichen Intelligenz arbeiten. Deren Aufbau gilt es zu unterstützen. Rechenkapazitäten, große Datenräume und Kompetenzen zu KI am Standort halten: Darauf kommt es jetzt an. Da darf auch keine Zeit mehr verstreichen.

Das Ganze abschließend noch einmal zurück zur Politik und einem vielleicht drögen Thema, aber einem extrem wichtigen Thema, nämlich der Wirkung F&I-politischer Maßnahmen. Meine Damen und Herren, jedes Unternehmen monitort und kontrolliert das eigene Tun, um so erfolgsorientiert voranzukommen, um so erfolgsorientiert wirtschaften zu können. Die Evaluation politischer Maßnahmen erfüllt denselben Zweck beim Politikhandeln und befördert damit auch ein Politiklernen. Wir stellen fest, dass die F&I-politischen Maßnahmen der Bundesregierung zwar untersucht werden, doch lassen die verwendeten Daten und die eingesetzten Methoden in aller Regel keine Bestimmung der Wirkung der Maßnahmen zu. Entsprechend tappen die Entscheidungsträgerinnen und -träger hier im Dunkeln. Es besteht hier enormer Nachbesserungsbedarf. Was zu tun ist, das haben wir in unserem Gutachten 2024 aufgeschrieben.

Lieber Herr Scholz, liebe Frau Stark-Watzinger, ich darf Ihnen das Gutachten hiermit überreichen und wünsche viel Spaß beim Lesen.

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