Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron zum Abschluss der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg am 10. Oktober 2023

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Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron zum Abschluss der deutsch-französischen Kabinettsklausur in Hamburg am 10. Oktober 2023

in Hamburg

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Dienstag, 10. Oktober 2023

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK Scholz: Lieber Emmanuel, meine sehr geehrte Damen und Herren, zwei intensive und, wie ich finde, auch sehr arbeitsreiche Tage liegen hinter uns. Wir hatten diese Klausur langfristig als ein neues Format geplant, um die ganz besondere Qualität und Verbundenheit der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland auszudrücken. Kurzfristig hat es sich nun als ein ganz wichtiges Forum bewiesen, um auch aktuelle weltpolitische Fragen zu besprechen.

Die Lage in Israel hat uns selbstverständlich intensiv beschäftigt. Emmanuel und ich, wir haben gestern Abend an einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden, der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni und dem britischen Premier Rishi Sunak teilgenommen. Wir waren uns allesamt darin einig, dass wir die barbarischen Angriffe der Terroristen auf unschuldige israelische Zivilisten auf das Schärfste verurteilen. Wir stehen gemeinsam an der Seite Israels. Wir waren uns auch darin einig, dass Israel das Recht hat, sich gegen diese menschenverachtenden Angriffe zu verteidigen. Zugleich geht es natürlich auch darum, eine weitere regionale Eskalation zu vermeiden. Dazu stehen wir in intensivem Kontakt mit vielen Staaten der Region.

Sehr geehrte Damen und Herren, Hamburg ist eine ganz besondere Stadt, nicht nur für mich persönlich, wie Sie wissen. Die Stadt trägt auch voller Stolz den Beinamen des Tores zur Welt. Sie hat als Stadtrepublik mit einer Geschichte von mehreren hundert Jahren immer schon über den Tellerrand geblickt, in die Welt und in die Zukunft. Deshalb ist Hamburg ein guter Ort für unsere erste deutsch-französische Kabinettsklausur gewesen, selbst bei typisch Hamburger Schmuddelwetter. Ich glaube, Emmanuel, wir sind uns einig: Das Format hat funktioniert, und wir werden und sollten es fortsetzen.

Gestern Abend haben wir miteinander diskutiert, wie sich gesellschaftlicher Zusammenhalt in Phasen des Umbruchs organisieren lässt. Denn in vielen westlichen Demokratien ist gerade zu beobachten, wie Zusammenhalt schwindet, wie populistische, rechtspopulistische Kräfte auch an Zulauf gewinnen, die vor allem Trennendes betonen und die Gesellschaft auseinandertreiben wollen. Als Vertreterinnen und Vertreter der liberalen Demokratie kann uns diese Entwicklung nicht kalt lassen.

Die Diskussion unter den Kabinettsmitgliedern war spannend. Sie war vertrauensvoll und ausgesprochen offen. Das hat gutgetan, und es hat gezeigt: Unsere Länder und unsere Gesellschaften stehen vor ganz ähnlichen Herausforderungen. Wir können sie meistern, weil wir starke und lebendige Demokratien, innovative und anpassungsfähige Volkswirtschaften sind. Daraus sollten wir Zuversicht und Selbstvertrauen schöpfen. Ein starkes und souveränes Europa ist eine wichtige Voraussetzung, damit wir bei all den globalen Veränderungen unseren Platz in der Welt sichern können.

Heute Vormittag haben wir miteinander darüber gesprochen, wie wir die technologische Souveränität Europas weiter fördern und voranbringen können, insbesondere, aber nicht nur, wenn es um künstliche Intelligenz geht. Aus meiner Sicht hat uns die Diskussion zwischen den Ministerinnen und Ministern aus Frankreich und Deutschland gezeigt, dass wir uns sehr einig darin sind, dass wir die Chancen des technologischen Fortschritts nutzen und die Zukunft mitgestalten wollen. Gerade bei künstlicher Intelligenz haben wir festgestellt, welch große Möglichkeiten damit verbunden sind. Wir haben sehr intensiv erörtert, welche Kompetenzen tatsächlich in Europa, in Frankreich und Deutschland vorhanden sind, wenn es um die Wissenschaft geht, aber auch, wie viele Unternehmen bereits in diesem Bereich tätig sind. Da ist mehr möglich. Das wollen wir auch ermöglichen. Wir werden bei der europäischen Regulierung zu diesem Thema zusammenarbeiten. Die Perspektive, die wir verfolgen, ist: Wir wollen bei bestimmten Anwendungen konkret schauen, dass sie den Anforderungen entsprechen, die wir haben. Aber wir wollen die Entwicklung der Modelle künstlicher Intelligenz nicht beeinträchtigen. Denn sie sollen ja auch hier in Europa entwickelt und genutzt werden, mit den Kompetenzen, die wir bei uns haben.

Lassen Sie mich noch drei Aspekte aus unseren bilateralen Gesprächen ergänzen.

Erstens: Die Unterstützung der Ukraine bleibt uns weiterhin ein ganz wichtiges Anliegen. Akut geht es darum, in diesem Herbst und im Winter die Folgen des russischen Bombenterrors für die Zivilbevölkerung in der Ukraine so gering wie möglich zu halten. Der Schutz kritischer Infrastruktur bleibt wichtig. Deshalb wird Deutschland, wie ich vergangene Woche angekündigt habe, ein weiteres Patriot-Luftverteidigungssystem an die Ukraine liefern. Auch langfristig werden Frankreich und Deutschland die Ukraine unterstützen. Dazu werden gerade bilaterale Sicherheitszusagen mit der Ukraine verhandelt.

Punkt zwei: Europa braucht Tempo. Deshalb werden wir den Dschungel an Paragrafen und Bürokratie in der Europäischen Union lichten. In Deutschland kennen wir das auch aus der nationalen Debatte. Um die nötigen Veränderungen voranzubringen, um Wachstumskräfte und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu steigern, müssen wir die Bürokratie verringern. In Deutschland habe ich alle aufgefordert, bei einem Deutschlandpakt zusammenzuarbeiten, der mehr Tempo in die ökonomische Entwicklung, in Genehmigungsverfahren und staatliche Prozesse bringt und Bürokratie abbaut.

Wir brauchen aber auch eine ehrgeizige Agenda zur Bürokratieentlastung auf europäischer Ebene. Ich freue mich, dass wir hierzu einen gemeinsamen Impuls unserer beiden Länder vereinbart haben. Die Minister Habeck, Buschmann und Wirtschaftsminister Le Maire werden dazu erste gemeinsame Ergebnisse präsentieren.

Der dritte Punkt, der uns bewegt hat, ist natürlich die Frage der Migration. Auch dabei arbeiten wir sehr eng zusammen. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches System, das Ordnung, klare Regeln und effektive Verfahren in die irreguläre Migration bringt. Darin sind Emmanuel und ich uns einig. Deshalb werden unsere Regierungen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems kraftvoll vorantreiben. Denn darum geht es ja, denjenigen Schutz zu gewähren, die ihn brauchen, aber auch zu verhindern, dass irreguläre Migration genau das beeinträchtigt. Jetzt geht es darum, die Verhandlungen mit dem EU- Parlament schnell zu Ende zu bringen, nachdem sich die europäischen Staaten auf der Ebene der Minister geeinigt haben, was ich für einen großen Fortschritt halte.

Ich möchte noch einen Punkt ergänzen, der uns auch wichtig ist. Wir haben uns mit vielen Fragen beschäftigt, die die Zukunft betreffen, ob es die Frage ist, wie wir bei der Weltraumfahrt vorankommen, wo wir gemeinsam dafür sorgen wollen, dass Europa seine Souveränität behält, oder ob es um die Frage geht, wie wir die Energiesysteme in Europa so gut zusammenbringen, dass wir daraus gute Wachstumsimpulse und geringe Strompreise generieren können. Auch dort sind wir sehr intensiv und sehr konstruktiv dabei, gemeinsame Lösungen zu entwickeln.

Ich sagte es bereits: Das waren intensive anderthalb Tage. Emmanuel, dir, deinen Ministerinnen und Ministern gilt mein ganz herzlicher Dank. Schön, dass ihr hier seid und dass wir gestern und heute hier miteinander diskutieren konnten, immer mit dem Blick auf ein großes, gemeinsames Projekt von Deutschland und Frankreich, nämlich das Unternehmen Airbus!

Frankreich und Deutschland sind ein ganz wichtiges Paar für Europa. Wie bei vielen Paaren üblich, gibt es manchmal auch unterschiedliche Perspektiven auf die eine oder andere Frage. Aber es ist möglich, einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln und sich dabei auch von der Wertschätzung und Zuneigung zueinander tragen zu lassen. So wollen wir es weiterhin halten. Merci beaucoup!

P Macron: (auf Deutsch) Vielen Dank, Herr Bundeskanzler! (auf Französisch) Vielen Dank, lieber Olaf!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren Minister, meine Herren Botschafter, meine Damen und Herren, ich möchte mich bei Ihnen, Herr Bundeskanzler für die Organisation dieser deutsch-französischen Kabinettsklausur, für Ihren Empfang hier in Hamburg, also bei Ihnen zu Hause, und für die neue Arbeitsmethode, die wir gemeinsam eingeweiht haben, um einen vertieften Austausch über Themen der Entwicklung unserer Gesellschaft, der künstlichen Intelligenz, des sozialen Zusammenhalts und über viele anderen Themen, die auf unserer gemeinsamen Tagesordnung stehen, zu haben, bedanken. Ich denke, dass hier auch der europäische Geist vorherrscht, nämlich die Fähigkeit, miteinander zu diskutieren und bei vielen Themen eine Konvergenz für eine gemeinsame Zukunft für unsere beiden Länder und für Europa zu finden. Über unser Paar, unser Tandem, über den deutsch-französischen Motor wird viel gesprochen. So kommen die Dinge voran. Wir können Dinge wirklich auch strukturieren. Natürlich ist das auch unsere Verantwortung. Wir sind uns dieser Verantwortung auch bewusst. Das hat uns in diesen zwei Arbeitstagen geleitet, sowohl unsere Minister als auch unsere Teams.

Als Allererstes möchte ich, wie es Herr Bundeskanzler gesagt hat, einmal mehr unserer Solidarität mit Israel Ausdruck verleihen und unsere unmissverständliche Verurteilung der schrecklichen terroristischen Angriffe, die das Land seit Samstag heimsuchen, zum Ausdruck bringen. Gestern haben der Bundeskanzler und ich gemeinsam mit Präsident Biden, Premierminister Sunak und Regierungschefin Meloni darüber gesprochen, welche Lösung es zur Erreichung eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten geben kann.

Diese Klausur hat es uns auch ermöglicht, einmal mehr unsere Unterstützung für die Ukraine zu versichern und unser Engagement für ein Europa, das sich immer mehr schützt, seine eigenen Grenzen und seine Nachbarländer. Das tun wir gemeinsam, auch um das ukrainische Volk vor der russischen Aggression zu schützen. Wir haben europäische Programme aufgelegt, um unsere gemeinsame Verteidigungspolitik zu stärken.

Herr Bundeskanzler hat es bereits gesagt. Wir haben auch Fragen der Migration miteinander besprochen. Ich denke, dass das Abkommen, das unsere Innenminister erst vor wenigen Tagen erreicht haben, sicherlich ein ganz wichtiges Element für unser gemeinsames politisches Vorgehen ist. Wie auch unter unserem Vorsitz geht es hierbei wirklich um Effizienz und klare Regelungen im Umgang mit Migration, um unsere gemeinsamen Grenzen zu schützen und auch einen Ansatz zu haben, der einerseits in der Bekämpfung von Schleuserkriminalität und natürlich auch darin, die Grenzen und die Freiheit zu schützen, effizient ist.

Sie haben es bereits gesagt, lieber Olaf, Herr Bundeskanzler. Es geht hierbei auch um die Vereinfachung unserer Strukturen, also darum, ein schnelleres und effizienteres Europa zu haben. Auch unsere Minister werden sich darum kümmern. Es ist auch unsere gemeinsame Arbeit, der wir uns verschrieben haben.

Daneben ging es auch darum, in verschiedenen sehr technischen Themen voranzukommen. Aber das ist wirklich auch unser tägliches Leben. Es gab hier wirklich einen roten Faden, den wir verfolgt haben, nämlich unseren Willen, durch eine deutsch-französische Konvergenz ein Europa zu bauen, das stärker und souveräner ist und in einer immer unübersichtlicheren Welt auf beunruhigende Entwicklungen für unsere Bevölkerung reagieren kann, sei es in wirtschaftlicher oder in anderer Hinsicht, das zügig voranschreitet, um gute Investitionen zu tätigen, Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und ein wirklich souveräner Kontinent zu sein, autonom, wenn es um Rohstoffe geht, um Verteidigung, um Technologie, und wettbewerbsfähig. Denn da geht es natürlich wirklich darum, die sozialen Gesellschaftsmodelle, die wir haben, auch finanzieren zu können.

Ich freue mich über unseren gemeinsamen Willen, auch mit den Ministern, der Kapitalmarktunion, der Bankenunion wirklich einen weiteren Impuls zu geben. Es geht um viele Investitionen, die es uns sicherlich ermöglichen werden, ein effizienteres Europa zu haben, was private Investitionen angeht.

Zweitens, Sie haben es angesprochen: Wir haben lange über Fragen der Energie gesprochen. Wir haben hierbei ein kurzfristiges Ziel. Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Energiepolitik und um den Aufbau eines Modells, das es ermöglicht, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Wir haben natürlich sehr unterschiedliche nationale Modelle. Hier haben wir wirklich vertieft und auch sehr ermutigend darüber diskutiert und festgestellt, dass wir in den nächsten Wochen mit unseren Teams hieran gemeinsam arbeiten wollen, um bis zum Ende des Monats zu einer notwendigen Einigung zu gelangen.

Gleiches gilt für Fragen des Weltraums. Zugang zu Weltraum und Wettbewerbsfähigkeit ist für unsere Akteure wirklich von entscheidender Bedeutung. Europa hat dabei viel beizutragen. Dabei haben wir auch historisch viel zu bieten. Wir wollen das weiter stärken und die Diskussionen fortsetzen, um die Einigungen zu erzielen, die unerlässlich sind, um die autonome Fähigkeit eines europäischen Zugangs zum Weltraum zu sichern. Wir wollen hierbei mit ausgewählten Partnern kooperieren. Aber roter Faden auch im Bereich des Weltraums ist es, auch hier unsere strategische Autonomie zu gewährleisten und mit europäischen Akteuren (akustisch unverständlich)

Was die künstliche Intelligenz angeht, so haben wir wirklich sehr interessante Gespräche und Diskussionen gehabt. Wir wollen gemeinsame Finanzierungsprojekte vorantreiben und gemeinsame Initiativen ergreifen, um den Marktzugang für europäische Forschungsinitiativen zu ermöglichen und uns abzusprechen, was die Regulierung und einen europäischen Regulierungsrahmen, der unseren Werten entspricht, angeht. Aber wir wollen natürlich keine Regulierung, die die Innovation, die wir ja brauchen, im Keim ersticken würde. Wir arbeiten hierbei zusammen, um nicht zu viel Regulierung zu haben, und um, was die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation angeht, bei den Gründungsmodellen weiterzugehen, die es jetzt gibt, und es somit zu ermöglichen, eine intelligente Regulierung für die generative KI zu erarbeiten. Das ist ein gemeinsamer Ansatz, den wir verfolgen, und zwar mit einem ebenfalls gemeinsamen Willen, gemeinsame Projekte voranzutreiben, um auch Rechenkapazitäten deutsch-französischer und auch europäischer Art zu haben, um unsere Abhängigkeit von Prozessoren zu verringern und natürlich auch unsere Daten zu vergemeinschaften ‑ das wäre das Maximale ‑, um zumindest auf deutsch-französischer Ebene oder vielleicht auch paneuropäisch daran zu arbeiten und hier strukturierende Projekte aufzusetzen wie einen gemeinsamen Rahmen für die Gründungsmodelle. Bei all diesen innovativen Modellen ist es natürlich ganz wichtig, einen gemeinsamen Ansatz zu haben. Wir haben in der Diskussion auch gesehen, dass es den Willen gibt, was die Cybersecurity und das, dass wir nicht so stark verletzlich sind, angeht, voranzuschreiten. Das ist unser beider Anliegen.

Auch was schließlich die Fragen von Kultur und Bildung angeht, ist die deutsch-französische Konvergenz weiterhin am Wachsen. Wir haben viele gemeinsame Programme. Aber unser Wille ist es, hierbei noch weiterzugehen. Wir haben uns auch heute Morgen etwas angeschaut, zum Beispiel den Kulturpass für die junge Generation. Für sie setzen wir uns ja besonders ein.

Das waren eingangs die Worte, die ich hier als Ergänzung zu Ihren Ausführungen, Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, aufzeigen wollte. Aber es geht wirklich um den Geist von Hamburg, den wir hier gespürt haben, den wirklich freundschaftlichen Willen, einander besser zu verstehen, sich informell auszutauschen und an Zukunftslösungen zu arbeiten. So werden wir auch die Früchte von Hamburg haben, dieser zweitägigen Klausurtagung, egal ob jetzt Schmuddelwetter ist oder nicht. Ich denke, dass wir in den nächsten Wochen noch viel von den Diskussionen heute und gestern hören werden, die es uns ermöglicht haben, voranzuschreiten.

Vielen Dank.

Frage: Guten Tag, Herr Bundeskanzler, guten Tag, Herr Präsident! In Absprache mit meinen Kollegen möchte ich drei Themen ansprechen, zunächst einmal Israel; das haben Sie ja angesprochen.

Die erste Frage ist natürlich die Frage der Geiseln. Wie viele französische und deutsche Geiseln werden derzeit im Gazastreifen festgehalten? Was wollen Sie tun, um ihre Freilassung zu erreichen? Bis wohin ist jedes Ihrer jeweiligen Länder zu gehen bereit, wo die Hamas jetzt mit deren Exekution gedroht hat?

Ich habe eine Frage zur israelischen Verteidigung. Wir sehen ja, dass der israelische Gegenangriff sich derzeit aufbaut. Es gibt jetzt natürlich auch eine Blockade, unter der auch die Zivilbevölkerung im Gazastreifen leidet: keine Nahrung, kein Strom, kein Wasser. Sind sie dafür, ja oder nein?

Abschließend noch zum Iran: Der Schatten Irans scheint ja hinter diesen Hamas-Angriffen zu stecken. Das wird zumindest teilweise behauptet. Was ist die Rolle Irans in dieser Krise Ihrer Meinung nach? Warum wird das in Ihren gemeinsamen Mitteilungen nicht erwähnt?

P Macron: Zur ersten Frage: Ich werde mich hüten, hier jetzt zu präzise Zahlen oder Namen zu nennen. Wir arbeiten hier gemeinsam mit unserer Botschaft, mit unseren Diensten, mit unseren Partnern vor Ort, mit den israelischen Behörden und auch mit der Krisenzentrale im Quai d'Orsay. Ich bedanke mich bei allen Diplomaten und dem Personal, die in den verschiedenen Partnerministerien mit uns zusammenarbeiten und mit den israelischen Behörden kooperieren.

Wie Sie wissen, gibt es leider auch französische Staatsangehörige, die verstorben sind oder vermisst werden. Wir müssen ihre Situation klären. Das wird von Fall zu Fall geklärt. Die Familien werden natürlich als Allererste informiert. Die Außenministerin und das Ministerium werden, wenn wir stabile Zahlen vorliegen haben, dazu auch etwas sagen.

Die Erpressung durch die Hamas ist natürlich absolut inakzeptabel. Das können wir nur entschiedenst verurteilen. Was unsere Vermissten oder potenziellen Geiseln angeht ‑ ich bin hier noch vorsichtig ‑, gibt es eine sehr enge Absprache mit den israelischen Behörden. In Zusammenarbeit mit den israelischen Behörden und allen Ländern, die in der gleichen Situation sind, sprechen wir eine gemeinsame Herangehensweise ab. Aber wir setzen hier wirklich auf die Information und die gute Zusammenarbeit mit Israel. Diese Erpressung durch die Hamas, die hier nach diesen schrecklichen Angriffen im Raum steht, ist absolut inakzeptabel.

Israel kümmert sich jetzt um seine Verteidigung. Es wird selbst noch beschossen. Wie wir bereits gesagt haben, unterstützen wir diese Verteidigungsmaßnahmen, und wir verurteilen auf das Schärfste alle terroristischen Angriffe, die immer noch stattfinden.

In den nächsten Tagen wird es hoffentlich möglich sein, jeglichen Angriff auf Israel einzustellen, die Geiseln zu befreien und die Situation zu klären. Es ist jetzt nicht an mir, hier zu sehr in die Zukunft zu blicken und Science-Fiction zu beschreiben. Unser Wunsch ist es, dass wir alle gemeinsam an einem dauerhaften Frieden für die Region arbeiten können. Das bedeutet natürlich: Es braucht politische Antwortelemente. All das wird sich im Laufe der Zeit zeigen.

Zum Iran: Wir verurteilen natürlich alle Länder, die sich zu diesen Angriffen durch die Hamas beglückwünscht haben. Wir sind derzeit dabei, gemeinsam mit unseren Partnern die Informationen abzugleichen. Ich habe hier keinen Kommentar über eine etwaige direkte Beteiligung des Iran zu machen. Es gab auch öffentliche Äußerungen seitens öffentlicher Vertreter des Iran, die inakzeptabel sind und die nicht unseren Werten entsprechen. Es ist möglich oder wahrscheinlich, dass es hier Hilfen für die Hamas gegeben hat. Aber ich möchte hier wirklich vorsichtig sein, bevor wir unsere Informationen wirklich alle stabilisiert und konsolidiert haben.

BK Scholz: Ich habe nicht viel zu ergänzen, vielleicht nur den Hinweis: Auch wir arbeiten intensiv mit Israel zusammen, was die Entführten, die Vermissten betrifft. Wir versuchen genau zu ermitteln, um wie viele Personen es sich handelt und was wir dafür tun können, dass sie wieder in Freiheit kommen, soweit sie jetzt verschleppt worden sind. Das ist für uns eine Sache von großer Bedeutung. Dabei hilft es auch, dass wir uns untereinander eng abstimmen. Es hilft natürlich auch, dass wir mit Staaten in der Region Gespräche führen, die auch dieses Thema mit beinhalten, sodass wir versuchen, so viel wie möglich zu tun, damit die Freiheit, das Leben und die Gesundheit dieser Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden können.

Dass sich Israel verteidigen muss, ist offensichtlich, und dass es dabei unsere Unterstützung hat, auch. Im Übrigen habe ich nicht viel zu ergänzen.

Frage: Herr Bundeskanzler, konstatieren Sie nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen einen Rechtsruck in Deutschland? Erklären Sie sich diesen Rechtsruck auch mit der Migrationspolitik? Planen Sie deshalb einen Kurswechsel in der Migrationspolitik über die Reform des EU-Asylsystems hinaus?

Herr Präsident, wenn Sie nach Deutschland blicken, fürchten Sie einen Rechtsruck in Deutschland und Europa einschließlich Ihres eigenen Landes? Sehen Sie das als Folge der Probleme in der Migrationspolitik an? Erwarten Sie, dass Europa mehr tut, um die Migration einzudämmen?

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Die Stimmen, die auf eine rechtspopulistische Partei in Deutschland entfallen sind, müssen uns besorgen. Es geht schon um die Verteidigung der Demokratie. Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass dort politische Positionen vertreten werden, die mit den Vorstellungen, die wir von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Marktwirtschaft, Sozialstaat und Bildungsstaat haben, nicht gut vereinbar sind, schon gar nicht mit dem, was wir als gemeinsame europäische Perspektive entwickeln müssen; denn das ist doch ganz klar: Ein großer Teil unseres Wohlstands, aber auch unserer Sicherheit beruht darauf, dass wir in der Europäischen Union zusammenarbeiten, und das gilt ganz besonders für unsere beiden Länder.

Es ist wichtig, dass wir die Probleme lösen. Aber das ist immer richtig und immer wichtig. Probleme, die auf der Hand liegen, muss man angehen, und zwar ganz unabhängig von Wahltagen, die zwischendurch stattgefunden haben, nämlich weil sie angegangen werden müssen. Deshalb haben wir schon vor sehr langer Zeit angefangen, eine sehr konsistente Politik im Umgang mit Migration zu entwickeln. Sie beinhaltet einerseits, die Herausforderung anzunehmen, die damit verbunden ist, dass Deutschland wie viele andere europäische Länder Arbeitskräfte braucht, die wir benötigen, damit unsere Wirtschaft nicht schrumpft, damit wir ökonomisches Wachstum haben können, damit in den Krankenhäusern, den Pflegeeinrichtungen, den Fabriken, den Gaststätten und Hotels, im Tourismus und überall Arbeit getan werden kann, die sonst liegen bleiben würde.

13 Millionen Bürgerinnen und Bürger, denen man das niedliche Attribut Babyboomer zuschreibt, die aber jetzt alle um die 60 sind, werden in den nächsten Jahren in Rente gehen, und wir brauchen dafür Ersatz, den wir natürlich gewinnen können, indem wir dafür sorgen, dass alle jungen Leute, die die Schulen verlassen, so gut qualifiziert sind, dass sie eine Berufsausbildung oder ein Studium beginnen können und dann auf dieser Basis ihrer Arbeit nachgehen können, dass wir die Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung weiter steigern, gerade auch, was Frauen betrifft, hinsichtlich der wir in der Vergangenheit große Fortschritte gemacht haben, aber bei der weitere Fortschritte möglich sind, insbesondere, wenn wir an die Frage der Beschäftigung in Vollzeit bzw. Teilzeit denken. Das hat natürlich auch wieder etwas mit dem Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Ganztagsangeboten zu tun.

Gleichzeitig müssen wir natürlich auch darauf achten, dass wir die Fachkräfte aus anderen Ländern bekommen. Das haben wir mit dem Chancenaufenthaltsrecht und mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz gemacht, und auch die Staatsangehörigkeitsreform gehört dazu.

Gleichzeitig ist es so, dass wir als Staaten, die natürlich denjenigen, die verfolgt werden, Schutz gewähren ‑ das ist unsere humanitäre Verpflichtung ‑, auch dafür Sorge tragen müssen, dass die irreguläre Migration zurückgedrängt wird. Ich habe schon gesagt und wiederhole es hier gerne noch einmal: Die Zahl derjenigen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist zu hoch, vor allem, wenn man bedenkt, dass sehr viele davon vorher in anderen europäischen Ländern gewesen sind und dort nicht registriert worden sind und dort nicht in das Asylverfahren überführt worden sind, aber auch, wenn man bedenkt, dass ja viele darunter sind, die am Ende keinen Schutz erhalten, weil sie sich nicht auf Schutzgründe berufen können, die dazu führen, dass man ihnen einen solchen Status in unserem Land gewährt. Dann müssen sie auch wieder zurückgeführt werden.

Deshalb haben wir gemeinsam mit anderen Ländern daran gearbeitet, dafür Sorge zu tragen, dass die Außengrenzen Europas in dem Rahmen geschützt werden, und unterstützen die Staaten an den Grenzen, die das tun. Deshalb haben wir sehr dafür geworben, dass wir ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem entwickeln, das vom Gedanken der Solidarität getragen ist. Das bedeutet ‑ aufgreifend, was ich eben gesagt habe ‑, dass es eben so ist, dass alle Flüchtlinge in den Ländern, in denen sie zuerst sind, registriert werden, wir dann aber solidarisch die Aufgabe bewältigen, die sich daraus ergibt, und sie nicht den Ländern an den Grenzen Europas allein überlassen. Außerdem haben wir für Deutschland beschlossen, dass wir weitere Länder zu sicheren Herkunftsländern machen wollen, in diesem Fall zwei, die in die Europäische Union streben, Georgien und Moldau. Wir haben uns dann sehr intensiv mit den Ländern über hohe Effizienzsteigerungen verständigt, und zwar durch die Digitalisierung der Ausländerbehörden innerhalb kurzer Zeit, dadurch, dass wir sicherstellen, dass es bei den zuständigen Behörden immer eine 24-Stunden-Erreichbarkeit gibt, dadurch, dass wir sicherstellen, dass Asylanträge in den Erstaufnahmeeinrichtungen gestellt werden und möglichst auch die Anhörungen dort durchgeführt werden, dadurch, dass wir uns darum kümmern, dass die erstinstanzlichen Gerichtsverfahren so wie in einigen Ländern nur vier bis sechs Monate dauern und nicht wie in anderen manchmal zwei bis drei Jahre ‑ das kann gewissermaßen erheblich verbessert werden ‑, und natürlich auch, indem wir jetzt ganz konkrete Maßnahmen miteinander vereinbaren, die die Effizienz des Umgangs unserer Behörden mit denjenigen, die sich in Deutschland als Flüchtlinge melden, verbessern und auch sicherstellen, dass diejenigen, die nicht bleiben können, weil sie keinen Schutzstatus bekommen, oder die nicht bleiben dürfen, weil sie zum Beispiel mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, auch wieder zurückgehen müssen.

Das werden wir unterstützen durch Migrationspartnerschaften mit anderen Ländern, im Rahmen derer wir auch zusammen mit Europa versuchen, die Dinge voranzubringen. Da ist eine Änderung möglich gegenüber den letzten Jahren und Jahrzehnten, in denen sich Regierungen vor der von mir geführten Regierung vergeblich darum bemüht haben; denn wir haben etwas anzubieten. Gegen eine pragmatische Verständigung darüber, dass die Bürger wieder zurückgenommen werden, die aus diesen Ländern als Transit- oder Herkunftsländern stammen, können wir, weil wir es ja nötig haben, anbieten, dass diejenigen, die für unseren Arbeitsmarkt gebraucht werden, auch kommen können. Das ist dann etwas, das sowohl für diese Länder als natürlich auch für uns in Deutschland und Europa gut ist.

Diesen Kurs und diese Haltung der Regierung haben wir sehr sorgfältig vorbereitet, in vielen Punkten schon umgesetzt, und die nächsten Schritte werden auch weiter erfolgen, übrigens immer in enger Kooperation mit allen, die es angeht, auch den deutschen Ländern und den Kommunen.

P Macron: Zu Ihrer Frage: Ich werde mich natürlich hüten, die Innenpolitik von Freunden und Nachbarn zu kommentieren; das ist klar.

Man sieht, dass Nationalismus überall stärker wird. Das ist natürlich auch eine Antwort auf die Frage der Migration. Europa erlebt das derzeit. Wir brauchen eine effiziente Antwort auf das Problem der irregulären Migration, und daran wollen wir arbeiten. Das ist eine verstärkte europäische Zusammenarbeit, das heißt, ein Europa, das koordiniert und gemeinsam die Ankünfte verhindert, und zwar durch Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, und ein Europa mit einem verstärkten solidarischen und verantwortungsvollen Ansatz in unserer Migrationspolitik, durch den auch die Rückführungen gewährleistet sind. Das haben wir in den letzten Wochen auf Lampedusa ja erlebt. Das hat das einmal mehr gezeigt.

Ich denke, unsere Mitbürger in ganz Europa streben es auch an, nicht eine beliebige Immigration oder Einwanderung zu haben. Wir wollen natürlich nach wie vor Künstler, Studenten, Unternehmer haben, also eine Einwanderung, die legal ist, regulär ist und die wir uns auch ausgesucht haben, aber ein Vorgehen gegen Gruppen, die diese irreguläre Migration gestalten und organisieren und die natürlich die jetzigen Lücken und auch die Langsamkeit ausnutzen. Deswegen brauchen wir eine verstärkte europäische Zusammenarbeit. Dieser neue Text, der vor einigen Tagen verabschiedet worden ist, ist ein großer Fortschritt. Das ist auch unsere klare Ansage gegenüber den Drittländern, seien sie Transit- oder Herkunftsländer.

Frage: Das Goethe-Institut hat eine umfassende Umstrukturierung seines Netzes in einigen Ländern angekündigt. Frankreich wird dafür mit der Schließung von drei der fünf Goethe-Institute in Frankreich einen hohen Preis bezahlen. Herr Bundeskanzler, das Netz der 240 deutsch-französischen Vereine und Künstler fordert Sie auf, gegen diese Schließungen vorzugehen, die unbegreiflich wirken, wo Deutschland und Frankreich doch das Erlernen der gegenseitigen Sprache des Partnerlandes vertreten. Was ist Ihre Antwort darauf?

Herr Präsident, bedauern Sie diese Entscheidung, ja oder nein? Ist das nicht vielleicht ein weiteres Zeichen dafür, dass sich das deutsch-französische Verhältnis neben den schönen Worten und schönen Bildern, die wir heute sehen, vielleicht immer weiter verschlechtert oder am Ende vielleicht nur noch ein herzliches Missverständnis ist?

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Ich will Ihnen gerne sagen, dass uns die Goethe-Institute und ganz besonders die in Frankreich natürlich sehr wichtig sind. Deshalb ist auf alle Fälle klar, dass es eine sehr starke Präsenz des Goethe-Instituts auch weiterhin in Frankreich geben wird. Das halte ich auch für richtig; denn wie Sie gesagt haben, tun wir wechselseitig alles dafür, dass der Spracherwerb, der Erwerb der anderen Sprache, nicht nur in den Schulen, sondern auch auf viele andere Weisen möglich ist. Das gehört dazu. Es geht um Spracherwerb, es geht aber auch um kulturellen Austausch, der organisiert wird. Ich bin sehr dankbar für die engagierte Arbeit vieler, die in den Goethe-Instituten überall in der Welt und ganz besonders in unserem Partnerland Frankreich arbeiten.

Der Vorstand des Instituts hat Entscheidungen getroffen, die wir alle gemeinsam zur Kenntnis genommen haben. Das bleibt eine in ihren Entscheidungen unabhängige Institution. Aber Sie können sicher sein, dass wir alles dafür tun, dass wir eine gute Entwicklung haben, die es möglich macht, dass es eine starke Präsenz des Goethe-Instituts in Frankreich auch in Zukunft geben wird. Das steht auch außer Frage, übrigens auch in jeder Hinsicht.

P Macron: Ich wünsche mir, dass unsere Minister hier Mittel finden können, um diese Effekte aufzufangen, sollte sich diese Maßnahme bestätigen. Aber ich würde hier jetzt nicht von einer „mésentente cordiale“, also von einem herzlichen Missverständnis, sprechen, im Gegenteil. Die Herausforderung, vor der unsere Generation steht, ist ja, das neu zu erfinden. Das ist nichts, das irgendwie selbstverständlich oder einfach gegeben ist. Die vorangegangenen Generationen haben alle Krisen durchlebt. Das deutsch-französische Verhältnis, die deutsch-französische Freundschaft, ist durch viele Phasen gegangen. Alle Tandems in der Vergangenheit hatten auch ihre Krisen. Das bedeutet, wir sind natürlich auch nicht die Gleichen. Das ist so umso besser. Das ist natürlich auch wirklich das Herz und der Grund für die europäische Vitalität. Wir dürfen nie einfach die Hände in den Schoß legen und uns auf dem ausruhen, was bereits erreicht worden ist. Wir müssen neue Wege der Kooperation finden, uns besser kennenlernen, uns besser verstehen lernen und die Dinge voranbringen.

Ich bin mir einer Sache ganz sicher: Unser Motor ist wirklich auch der Motor Europas. Deutschland und Frankreich und damit auch die jeweiligen Zivilgesellschaften sowie Politik und Wirtschaft dürfen niemals vergessen, dass wir auch etwas vertreten, was über uns steht. Wenn Deutschland und Frankreich blockiert sind, dann wäre auch Europa blockiert. Das bedeutet nicht, dass alles geregelt ist, wenn wir uns einig sind, aber das ist ein großer Schritt nach vorne. Wenn wir uns nicht einig sind über etwas, dann wachen alle unsere Nachbarn auf und sagen: „Wir hätten ja Fortschritte gemacht, aber wenn Deutschland und Frankreich sich nicht einig sind…“. Wir haben also auch die Pflicht, die moralische, politische und historische Pflicht, voranzuschreiten ‑ sowohl für unsere beiden Länder als auch für ganz Europa.

Wir finden hier neue Wege der Zusammenarbeit. Sie haben auch die Jugend angesprochen. Natürlich ist der gegenseitige Spracherwerb der Partnersprache wichtig; es ist aber auch wichtig, neue Wege und Mittel zu finden, wie wir die gegenseitige Faszination am Leben erhalten. Das kann nicht gelingen, wenn es auf der einen oder anderen Seite des Rheins eine Jugend gibt, die entweder über den Atlantik, auf den amerikanischen Traum, oder in den Fernen Osten schaut und sagt: Das, was auf der anderen Seite des Rheins ist, interessiert uns nicht so sehr. Es wäre schlimm, wenn es so wäre. Wir müssen unserer Jugend also auch beibringen, fasziniert voneinander zu sein. Das hat nichts mit einem Gipfel oder mit Erklärungen zu tun, sondern mit unseren Intellektuellen, mit Künstlern, mit unserer wirklich ganz konkreten Zusammenarbeit. Glauben Sie mir: In unseren Augen ist das wirklich an der Spitze, ganz oben auf der Liste unserer Prioritäten. In dieser unübersichtlichen Welt ‑ damit habe ich meine Ausführungen ja begonnen ‑ ist ein geeinteres, geschlosseneres Europa umso wichtiger, und wenn Deutschland und Frankreich sich näher sind, dann ist das schon eine ganz wichtige Voraussetzung dafür.

Frage: Ich habe eine Frage an Sie beide genau zu dem Thema, das Sie eben erwähnt haben, nämlich dass Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten müssen und es ansonsten in Europa nicht vorangehe: Nun gibt es ja die Debatte über eine Reform des europäischen Industriemarktdesigns. Sie haben beide erwähnt, dass Sie intensiv über Energie gesprochen haben, aber bei diesem Thema sind Deutschland und Frankreich ja auf entgegengesetzten Seiten. Es geht um die Nutzung von Atomenergie, es geht um einen Industriestrompreis ‑ dabei hat Frankreich komplett andere Interessen als Deutschland ‑, und es geht dabei nicht um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA oder China, sondern es geht um die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den EU-Ländern. Wie gefährlich ist das im europäischen und im bilateralen Verhältnis? Wie weit sind Sie hier gekommen?

In Absprache mit den Kollegen eine kurze Nachfrage zu dem Thema Israel: Sind Sie beide dafür, dass die EU ihre Hilfen für die Palästinensergebiete fortsetzen sollte? Diesbezüglich gibt es zwischen Ihren Regierungen offensichtlich auch unterschiedliche Ansätze. Wären Sie dafür, dass die Justiz hier auch gegen Hamas und andere Palästinenserorganisationen vorgeht?

BK Scholz: Schönen Dank! Zunächst einmal will ich gerne sagen, dass wir uns in vielem einig sind, zum Beispiel darin, dass wir alles dafür tun wollen, dass Europa um die Mitte dieses Jahrhunderts CO2-neutral wirtschaften kann. Die Wege dahin sind unterschiedlich, aber sie passen gut zusammen. Auch wenn die Entscheidungen, die die einzelnen Länder getroffen haben, für unterschiedliche Pfade auf dieses Ziel hin sprechen, bedeutet es ja nicht, dass wir es nicht gleichzeitig miteinander erreichen werden.

Für Deutschland ist es so, dass wir in sehr großem Umfang auf den Ausbau von Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ‑ Windkraft auf hoher See, Windkraft an Land, Solarenergie, Biomasse und Wasserkraft ‑ setzen und auf einen massiven Ausbau unseres Stromnetzes ‑ übrigens auch in enger Kooperation mit unseren Nachbarstaaten, zum Beispiel auch Frankreich ‑, während für Frankreich die Atomenergie eine größere Rolle spielt. Das ist aber kein Anlass für Gegensätze, sondern einfach eine unterschiedliche Entscheidung, und wir müssen dafür sorgen, dass die Dinge gut zueinander passen.

Im Übrigen ist es unsere Perspektive, dass wir bei der Frage des künftigen europäischen Strommarktdesigns dann am erfolgreichsten sind, wenn es eine gemeinsame europäische Lösung gibt, und die ist natürlich dann am wahrscheinlichsten, wenn Deutschland und Frankreich sie gemeinsam entwickeln. Da haben unsere sehr intensiven Diskussionen für uns beide, aber auch für all die Ministerinnen und Minister, die sich an diesen Diskussionen beteiligt haben, schon das Zeichen ergeben, dass wir da miteinander vorankommen wollen und das auch werden. Wir sind da also sehr zuversichtlich.

Was die Nachfrage zu Israel betrifft, will ich gerne sagen: Wir haben natürlich die Notwendigkeit, uns jetzt alles genau anzuschauen, und das werden wir tun. Dabei geht es einerseits um humanitäre Hilfe ‑ oft auch weit weg vom Ort des Geschehens, wo einfach Menschen unterstützt werden, damit sie Wasser haben und damit sie etwas zu essen haben ‑, und gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass durch nichts, was stattfindet, irgendeine Struktur unterstützt wird, die etwas mit dem Terrorismus zu tun hat. Wir sind uns sicher: Das ist nicht der Fall. Aber dass wir uns das alles bei solchen Gelegenheiten immer neu anschauen, ist ein Gebot der Notwendigkeit, und entsprechend haben sich auch alle geäußert.

P Macron: Zu Ihrer ersten Frage: Unsere Herausforderung ist es, zu erreichen, unsere Volkswirtschaften zu dekarbonisieren und dabei wettbewerbsfähig zu bleiben und natürlich weiterhin eine starke Industrie für unsere Bevölkerung zu haben. Die Priorität ist es in diesem Kontext, ein Europa mit einer kohärenten Strategie zu haben ‑ erst einmal für die nächsten Jahre gegenüber den USA, die weniger abhängig sind und niedrigere Preise haben. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre ist das jedenfalls so, und das ist ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit.

Die europäische Strategie und die deutsch-französische Strategie muss sich deshalb auf ganz einfache Dinge konzentrieren: Dekarbonisierung unserer Stromerzeugung fortsetzen, raus aus Gas und Kohle. Wir haben also drei Dinge zu tun bis 2050: Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Atomenergie ‑ alle sagen das. Wenn man eine dieser drei Optionen herausnimmt, dann funktioniert das nicht, weil es entweder zu kostspielig ist oder nicht ausreicht. Die deutsch-französische Komplementarität ist hier natürlich sehr groß, weil wir auch ganz unterschiedliche Modelle haben. Es wäre ein historischer Fehler, hier jetzt kurzfristig zu reagieren und sich entweder für erneuerbare Energien oder für Atomenergie zu entscheiden. Das würde nicht funktionieren. Es geht also erst einmal um eine Erzeugung, die so günstig wie möglich und dekarbonisiert ist, und darüber hinaus müssen wir einen freizügigen Markt für CO2-arme Stromproduktion aufbauen. Das wird es uns ermöglichen, hier wirklich freizügig zu sein und gut zu produzieren.

Es gibt also unterschiedliche Modelle, und das ist auch ein Vorteil, da wir uns hier ergänzen. Wir müssen hier noch die Diskussionen finalisieren, um den Rahmen zu bestimmen und alle Zweifel auszuräumen; denn der Wille ist der Gleiche. Für stromintensive Produktion wollen wir keine Subventionen; vielmehr wollen wir etwas, was dem tatsächlichen Strompreis, dem Produktionspreis, entspricht. Ich denke, bei diesem Thema muss man sich wirklich immer die Prioritäten ins Gedächtnis rufen: Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten und natürlich dekarbonisieren, und auch hier ist die deutsch-französische Absprache ganz wichtig und ‑ das kann man nach den Gesprächen, die wir hier gehabt haben, sagen ‑ auch absolut möglich. In den nächsten Tagen und Wochen wird es uns sicherlich möglich sein, hier ein solides Abkommen für uns selbst und für Europa zu finden.

Was die Hilfe für die palästinensische Bevölkerung angeht, so sind wir nicht für eine Aussetzung der Hilfe, die der palästinensischen Bevölkerung direkt zugutekommt. Wir selbst haben Verfahren eingesetzt, um sicherzugehen, dass diese Hilfen nicht die Hamas finanzieren können. 2022 waren das 95 Millionen Euro für die Zivilbevölkerung im Bereich Wasser, Gesundheit, Nahrungsmittelsicherheit und Bildung. Das wird vor allem über die Vereinten Nationen ausgezahlt und kommt direkt der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland, in Gaza und auch in den Nachbarländern zugute, und das entspricht auch den Zusagen Frankreichs.

Ich bin insofern für eine Überprüfung aller europäischen Hilfen, die geleistet werden, aber nicht für eine komplette Aussetzung, nachdem diese Verfahren ja bereits überprüft worden sind. Ich denke, das ist wichtig; denn wir müssen ja wirklich unerbittlich gegen den Terrorismus von Hamas kämpfen, aber wir dürfen Terrorismusbekämpfung nicht mit grundlegenden humanitären Bedürfnissen und dem Schutz der Zivilbevölkerung verwechseln. Ansonsten würde das Risiko bestehen, dass sich der Terrorismus in der Region noch weiter ausbreitet.