Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der Ukraine, Selenskyj am 16. Februar 2024 in Berlin

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(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK Scholz: Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich über unser Gespräch und die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine berichte, auf eine Meldung eingehen, die uns alle jetzt erreicht hat. Sie ist noch nicht abschließend bestätigt, aber wir müssen ja doch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie zutrifft, nämlich dass Herr Nawalny in einem russischen Gefängnis verstorben ist. Das ist etwas, das sehr bedrückend ist. Ich habe Herrn Nawalny getroffen, hier in Berlin, als er sich in Deutschland von dem Vergiftungsanschlag zu erholen versucht hat, und mit ihm auch über den großen Mut geredet, den es erfordert, wieder in das Land zurückzugehen. Wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt mit seinem Leben bezahlt. Wir wissen aber spätestens nun auch ganz genau, was das für ein Regime ist. Wer Kritik äußert, wer sich für die Demokratie einsetzt, muss um Sicherheit und Leben fürchten. Deshalb sind wir alle sehr bedrückt. Wir sind bei der Familie, der Frau und dem Kind und all den Angehörigen und Freunden. Es ist etwas ganz Furchtbares, auch als ein Zeichen dafür, wie sich Russland verändert hat. Nach den nun schon leider lang zurückliegenden hoffnungsvollen Entwicklungen, die in Richtung Demokratie gegangen waren, ist das längst keine Demokratie mehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Wolodymyr, es ist schön, dich wieder hier in Berlin begrüßen zu können! Wir treffen uns hier kurz vor dem zweiten Jahrestag des mörderischen Überfalls Russlands auf die Ukraine. Unsere Gedanken sind bei all denen, die ihr Leben verloren haben, aber auch bei all jenen tapferen ukrainischen Frauen und Männern, die sich dem russischen Aggressor in den Weg gestellt haben. Wichtig ist: Putin hat kein einziges seiner Ziele erreicht. Die ukrainischen Streitkräfte hingegen haben mehr als die Hälfte der Gebiete, die Russlands Truppen besetzt hatten, befreien können. Die Widerstandskraft der Menschen in der Ukraine ist bewundernswert.

Lieber Wolodymyr, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine haben in den vergangenen beiden Jahren eine ganz neue Qualität erreicht. Von Anfang an haben wir die Ukraine in ihrem heldenhaften Verteidigungskampf unterstützt - finanziell, politisch und mit der Lieferung von Waffen. Für die militärische Unterstützung der Ukraine haben wir 2024 rund 7,1 Milliarden Euro und sechs Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre bereitgestellt. Insgesamt hat Deutschland für die militärische Unterstützung der Ukraine mittlerweile Leistungen und Mittel bzw. Verpflichtungsermächtigungen für zukünftige Leistungen in Höhe von rund 28 Milliarden Euro erbracht bzw. bereitgestellt. Damit ist Deutschland der zweitgrößte militärische Unterstützer der Ukraine. Das ist bekannt.

Heute schnüren wir ein weiteres militärisches Hilfspaket im Wert von etwa 1,1 Milliarden Euro für die Ukraine. Es enthält unter anderem die Lieferung von 36 Panzer- bzw. Radhaubitzen aus Industriebeständen, 120 000 Schuss Artilleriemunition, zwei weiteren Skynex-Luftverteidigungssystemen und dringend benötigten Flugkörpern vom Typ IRIS-T.

Heute gehen wir aber auch einen historischen Schritt weiter. Meine Damen und Herren, Präsident Selenskyj und ich haben vorhin eine Vereinbarung über unsere langfristigen bilateralen Sicherheitszusagen unterschrieben. Das Dokument kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Es legt fest, dass Deutschland die unabhängige Ukraine weiterhin bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg unterstützen wird; ich habe es oft gesagt: as long as it takes!

Wir werden unsere ukrainischen Partner darüber hinaus auch beim Aufbau moderner, wehrhafter Streitkräfte unterstützen, um jeden zukünftigen Angriff abzuschrecken. Sollte es in Zukunft noch einmal zu einer russischen Aggression kommen, haben wir detaillierte Unterstützungsvereinbarungen getroffen: diplomatisch, wirtschaftlich und, wie heute auch, mit militärischer Ausrüstung.

Mit dieser Vereinbarung setzen wir um, was die Staaten der G7 im vergangenen Sommer in Vilnius versprochen haben; ein Versprechen, dem sich inzwischen im Übrigen mehr als 20 Länder angeschlossen haben. Wir sind nach Großbritannien das zweite Land, das eine solche Zusage nun fest vereinbart. Weitere Länder werden bald folgen, nachher gleich unsere französischen Freunde.

Die heutige Vereinbarung umfasst auch umfangreiche Unterstützungsleistungen im zivilen Bereich, etwa bei der Räumung von Minen, der Sicherung der Energieinfrastruktur und für den Wiederaufbau des zerstörten Landes.

Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich der Außenministerin und dem Verteidigungsminister. Beide haben sich sehr engagiert, damit wir die Zusage für die Ukraine so schnell hinbekommen.

Die Vereinbarung spiegelt die Werte wider, die wir miteinander teilen. Sie beruft sich klar auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Ordnung also, in der unsere Gesellschaften leben wollen. Folgerichtig bekennt sich die Ukraine dazu, ihrerseits die Reformen fortzusetzen, die insbesondere auch für einen EU-Beitritt zentral sind.

Herr Präsident, lieber Wolodymyr, es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr unsere Länder in den vergangenen beiden Jahren zusammengerückt sind. Die heutige Vereinbarung steht dafür stellvertretend, und sie steht für eine Zukunft, in der sich die Ukraine in Frieden weiterentwickeln kann, einem Frieden, so sei mit Blick auf jene erwähnt, die nach einem raschen Waffenstillstand und Verhandlungen mit Russland rufen, der kein russischer Diktatfrieden sein darf.

Lassen Sie mich deutlich sagen: Natürlich wünschen wir uns alle ein baldiges Ende dieses brutalen Krieges, wir genauso wie jeder und jede in der Ukraine. Leider sehen wir: Russland ist nicht zu einem dauerhaften und gerechten Frieden bereit. Im Gegenteil, es hält an seinen Kriegszielen erbarmungslos fest, wie Putin erst dieser Tage wieder deutlich gemacht hat. Zwei Jahre nach Beginn dieses entsetzlichen Krieges schicken wir deswegen heute eine glasklare Botschaft an den russischen Präsidenten: Wir werden in unserer Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen! Wir stehen weiter fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer!

Lassen Sie mich heute auch an den US-Kongress appellieren, die nötigen politischen Beschlüsse zu fassen, um die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine weiterhin sicherzustellen.

Lieber Wolodymyr, ich freue mich, dass du heute für die Unterzeichnung nach Berlin gekommen bist, und über diesen historischen Schritt in unseren Beziehungen. Slava Ukraini!

P Selenskyj: Vielen Dank für diese besondere Beziehung zur Ukraine, zu den Ukrainerinnen und Ukrainern, vor allem dir persönlich, Olaf, aber auch dem deutschen Volk, den Familien, den einfachen Menschen, für diese Hilfe und Behandlung. Diese große Unterstützung ist historisch für unsere Soldaten und Streitkräfte sowie für die Menschen, die in der Ukraine auf einen Sieg hinarbeiten; dies natürlich auch im Namen von denen, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, eine sehr große Anzahl von Menschen, die ihr Land haben verlassen müssen. Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, Olaf!

Liebe Delegationsmitglieder, liebe Journalisten, deutsches Volk, liebe Freunde, heute, wie der Herr Bundeskanzler schon gesagt hat, ist ein sehr wichtiger Tag für unsere Völker, für die Ukraine, für die Deutschen und auch für Europa, wenn wir zusammen das Völkerrecht und die Unabhängigkeit von Nationen verteidigen wollen. Hierin sind wir global vereint. Ich bin sehr dankbar für diese Sicherheitszusagen, für die militärische Unterstützung und für das neue Paket, das geschnürt wurde. Wir brauchen das genau jetzt. Es geht um mehr als eine Milliarde Euro. Das ist Artilleriemunition, die wir so dringend brauchen ‑ das ist kritisches Gut für uns an der Front ‑, das sind Haubitzen und auch andere Waffen sowie Luftverteidigungssysteme, die wir so verzweifelt brauchen. Unsere Menschen brauchen sie. Leider haben wir jetzt einen Rückgang hinsichtlich dessen verzeichnet, was wir von unseren Partnern erhalten, und die deutsche Unterstützung ist vital für uns und unsere Kämpfe an der Front.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, ich schätze es sehr, dass du uns beistehst, wie ganz Deutschland es tut. Diese Hilfe ‑ Artilleriemunition und andere Waffen ‑ wird in kurzer Zeit eintreffen. Diese Sicherheitsvereinbarung ist einfach beispiellos. Das ist ein sehr wichtiges bilaterales Dokument. Es geht nicht nur um eine sozusagen neue Richtung in unserer Zusammenarbeit. Es geht darum, dass Deutschland die Normalität in Europa und in der Welt schützen möchte, weil der Krieg niemals zum Alltag werden darf, für kein Volk auf dieser Welt. Die Aggressoren sollten schon vor ihren verbrecherischen Tätigkeiten und Angriffen wissen, dass sie verlieren werden.

Vor diesem Krieg haben wir über die präventiven Sanktionen gesprochen, über den Druck auf Russland, als Russland uns mit diesem Krieg abschrecken wollte. Wir haben von den Waffen gesprochen, die den Aggressor davon hätten abhalten können, von dieser Antikriegslogik. Diese Logik wollen wir hier dieser neuen Sicherheitsarchitektur, diesem Sicherheitsabkommen zugrunde legen. Konkret geht es bei diesem Abkommen mit Deutschland um Unterstützung. Die militärische Unterstützung hat ein Volumen von mehr als sieben Milliarden Euro. Das sind ganz klare Bedingungen und Vereinbarungen.

Es gibt ganz viele Momente, die genau belegen, dass Russland für all die Kriegsverbrechen verantwortlich ist, die am ukrainischen Volk begangen wurden. Jedes Kriegsverbrechen wird bestraft, und das ist nur gerecht. In diesem Abkommen ist auch die Rede von Sanktionen gegen Russland und von russischen Vermögen, die in unterschiedlichen Ländern eingefroren worden sind. Jeder Terroristenstaat sollte verstehen, dass das konfisziert werden kann und für die Verteidigung und den Wiederaufbau benutzt werden kann.

Es ist für mich sehr wichtig, dass es hierbei um die Position zur europäischen Integration und euroatlantischen Integration geht. Wir sind de facto schon ein Teil der europäischen oder euroatlantischen Familie, aber das müssen wir irgendwann auch juristisch festhalten.

Das ist ein sehr starkes Dokument. Lieber Olaf, ich bedanke mich ganz herzlich dafür! Ich bedanke mich bei unseren Teams, beim deutschen und ukrainischen Team, die an der Vorbereitung beteiligt waren.

Noch etwas: Heute haben wir uns in einem Vieraugengespräch mit dem Herrn Bundeskanzler und im Rahmen eines Delegationsgesprächs getroffen. Wir haben natürlich die Situation an der Front beredet, die sehr wichtig ist, und die Vorteile, die die russischen Aggressoren hinsichtlich der Artillerie und anderer Waffen haben. Das ist wahr. Aber wir tun alles, damit wir uns auch unter diesen Umständen effektiv verteidigen können. Ich danke für die internationale Unterstützung, und ich danke natürlich Deutschland!

Wir haben auch über Luftverteidigung gesprochen. Deutschland ist hier führend. Ich bin unseren deutschen Partnern so dankbar! Wir haben schon Tausende von Leben vor russischen Raketen gerettet. Aber wir brauchen noch mehr. Mit dem Herrn Bundeskanzler sprachen wir heute über ganz konkrete Dinge, die noch mehr Leben in der Ukraine retten können. Egal, wie schwierig das ist, und egal, welche Herausforderungen vor uns stehen, sollten wir uns immer vor Augen halten: Nur wenn wir vereint sind, können wir unsere Leben schützen.

Putin tötet immer. Er ist dieser Krieg. Er ist die Personifikation dieses Krieges, und er wird nicht stoppen, nicht anhalten. Wir können ihn nur gemeinsam anhalten und stoppen. Es ist sehr bedauerlich, wie der Herr Bundeskanzler auch gesagt hat, dass Alexej Nawalny in einem russischen Gefängnis gestorben ist. Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet wie Tausende andere, die wegen dieses einen Menschen zu Tode gequält wurden. Putin ist es egal, wer sterben wird, Hauptsache, er bleibt bei seiner Position. Deshalb sollte er auch alles verlieren. Er sollte verlieren, sollte alles verspielen, und es sollte dann auch zur Verantwortung für die Verbrechen gezogen werden.

Lieber Olaf, liebes deutsches Volk, ich danke Ihnen bzw. danke euch noch einmal von ganzem Herzen und im Namen jedes Ukrainers und jeder Ukrainerin für diese ganz wichtige Unterstützung, die ihr leistet! Diese Unterstützung ist sehr pragmatisch, sehr stark, und ich bedanke mich. Slava Ukraini!

Frage: Herr Präsident, in der Ukraine ist das Thema Nummer eins die kritische Situation in Awdijiwka. Können Sie das kommentieren? Wie sehen Sie die Lage dort in Awdijiwka? Werden wir dort vielleicht neue Ansätze sehen? Was macht jetzt der neue Oberbefehlshaber?

An Sie beide eine Frage zur NATO: Dieses Abkommen ist ja nicht sozusagen ein Ersatz für eine Roadmap für die Ukraine zur NATO. Herr Selenskyj, erwarten Sie, in Washington ein Signal zu hören ‑ vielleicht ein anderes Signal als die Signale, die wir in Vilnius gehört haben? Herr Bundeskanzler, ist Berlin bereit, der Ukraine konkretere Signale zu geben, konkrete Vorschläge zu machen als die, die man in Vilnius bekommen oder gehört hatte?

P Selenskyj: Vielen Dank für die Frage. ‑ Zur Lage in Awdijiwka: Wir wissen und wir erinnern uns, was Russland mit unseren Städten und Dörfern macht. Sie werden keine Ruhe geben, solange sie dort nicht alles zerstört haben, was es dort noch gibt. Unsere Menschen, unsere Militärangehörigen und unsere Soldaten, verteidigen in Awdijiwka strategische Objekte, logistische Wege, die den Feind behindern. Ich verstehe, was passiert, ich habe Kontakt mit unserer militärischen Führung. Ich werde nicht sagen, welche Ansätze oder welche neuen Ansätze sie jetzt haben. Sie machen alles bzw. sie wollen alles machen, um die Menschen dort zu schützen. Das ist das wichtigste Signal von mir. Unsere Soldaten sind das Wichtigste, was wir haben; das ist unsere wichtigste Waffe. Jeder wird Ihnen sagen: Krieg bedeutet Verlust. Ja, das ist klar, aber vor allem sollten wir schauen, dass wir unsere Verluste minimieren. Unsere Soldaten sind das Wichtigste. Dieses Signal bekommt die militärische Führung von mir, und vor Ort arbeiten Profis, die schon wissen, was sie zu tun haben.

Was die NATO betrifft: Sie wissen, von wem in der NATO alles abhängt, nämlich von Verbündeten, von allen Verbündeten, und Sie wissen, von wem das mehr abhängt als von dem anderen. Wir hatten einen guten Gipfel in Vilnius. Natürlich wollten wir damals eine konkrete Einladung bekommen. Wir rechnen damit in der Zukunft ‑ die Ukraine wird in der NATO sein, das ist mir klar. Diese Sicherheitsabkommen sind zum Teil sehr konkret, und es geht um eine langfristige Unterstützung, weil die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO anstrebt. Die Verbündeten verstehen: Wir werden in der NATO sein.

Aber was passiert in Washington? Das ist schwer zu sagen. Man hat dort momentan innenpolitische Herausforderungen. Wir werden alles tun, um die Ukraine zu stärken ‑ von einem Schritt zum nächsten, von einem Treffen zum nächsten, von einem Abkommen zum nächsten.

BK Scholz: Schönen Dank auch für die Frage. ‑ In der Tat, wir haben heute die Sicherheitsvereinbarung unterschrieben, auf die wir uns als G7 in Vilnius verständigt haben. Das ist ein ganz bewusstes, sichtbares Zeichen, dass alles sehr ernst gemeint ist. Statt großer Spekulationen über Worte sage ich deshalb: Das, was wir in Vilnius gemeinsam formuliert haben, wird von uns von ganzem Herzen unterstützt, und wir werden genau entsprechend der Worte im Geiste und im Herzen handeln.

Frage: Herr Scholz, Sie haben gesagt, dass das Sicherheitsabkommen, das Sie unterschrieben haben, relativ detailliert ist. Können Sie das etwas erläutern? Inwieweit geht dieses Abkommen auf konkrete Waffengattungen ein? Sind da auch Stückzahlen genannt? Vielleicht können Sie ein paar Beispiele nennen, damit wir uns besser vorstellen können, was da eigentlich heute von Ihnen zugesagt wurde?

An Herrn Selenskyj: Vermissen Sie etwas in dieser Sicherheitsgarantie? Hätten Sie sich mehr gewünscht?

BK Scholz: Schönen Dank! ‑ Wir werden bzw. haben schon parallel den gesamten Text für Ihre sorgfältige Lektüre bereitgestellt; Sie werden da also hineinschauen können. Das ist ja kein Geheimabkommen, sondern eines, das wir öffentlich vereinbaren, um dann auch gemeinsam entsprechend der darin getroffenen Vereinbarungen zu handeln.

Für Deutschland ist das im Hinblick auf viele Aspekte ein ganz wichtiges Commitment, das wir eingehen, auch weil es eine Sicherheitsvereinbarung ist, die auf lange Zeit ausgerichtet ist, die auch ganz konkret bespricht, wie es nach einem Friedensschluss sein könnte, mit einer Ukraine, die sich gegen die russische Aggression erfolgreich gewehrt hat, und was passiert, wenn es wieder zu neuen Aggressionshandlungen kommt.

Im Übrigen dokumentiert sie natürlich die unglaublich große Bandbreite der Waffenhilfe, die Deutschland für die Ukraine zur Verfügung stellt, und macht klar, dass wir da auch nicht nachlassen werden. Sie wissen, dass die Gesamtleistung der Unterstützung mit Waffen und Munition, die Deutschland bereits geleistet hat oder bereits zugesagt hat, alles zusammen etwa 28 Milliarden Euro ausmacht. Allein für dieses Jahr sind es 7,1 Milliarden Euro, konkrete Zusagen für die nächsten Jahre sind auch getroffen, und wir werden so weitermachen. Die Ukraine kann sich auf Deutschland verlassen.

P Selenskyj: Ich glaube, das Wichtigste, was in diesem Dokument enthalten ist, ist, dass es ein Abkommen mit konkreten Zahlen ist. Bei diesen Zahlen geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Jahre, es geht um entsprechende Handlungen nach dem Kriegsende, wenn die Aggression wiederkommen sollte, und es geht um konkrete Fristen, innerhalb derer die Ukraine dann unterstützt wird. Das sind konkrete Dinge, auf die jeder Mensch in der Ukraine zählen kann, das sind Sicherheitsgarantien. Die Ukraine hatte noch nie wertvollere und stärkere Dokumente als dieses Dokument, das wir heute unterzeichnet haben.

Ich bin auch dem Vereinigten Königreich sehr dankbar, mit dem wir das angefangen haben. Jetzt sind wir „on track“, und die G7-Länder und mehr als 20 andere Länder wollen sich dem anschließen. Konkret haben wir bis dato nur mit Deutschland und mit Großbritannien unterzeichnet, aber wir sind auf dem Weg, ähnliche Dokumente mit anderen Ländern zu unterzeichnen. Wir sind also auf gutem Wege. Mit aller Achtung für alle anderen bilateralen Dokumente, die wir bereits haben: Ich glaube, dieses Abkommen ist das wertvollste und das stärkste, das wir bis dato haben.

Frage: Boris Pistorius hat vor Kurzem erklärt, Deutschland könne in diesem Jahr drei- bis viermal so viel Artilleriemunition in die Ukraine liefern wie im Vorjahr. Er sagte, das Ergebnis des Krieges in der Ukraine werde sich in den Betrieben der Rüstungsindustrie entscheiden. Wie schnell kann man in der Rüstungsindustrie loslegen, wie schnell kann man das, was vor Ort gebraucht wird, in die Ukraine liefern?

BK Scholz: Wir haben bereits jetzt sehr viel Unterstützung geliefert aus unseren Beständen, wir haben bereits geliefert aus dem, was die Industrie zur Verfügung stellen kann, und wir schließen jetzt Stück für Stück Verträge mit vielen Unternehmen bzw. haben bereits Verträge abgeschlossen, die größere Produktionsmengen dort wirksam werden lassen. Das ist für uns ein sehr weitreichender Schritt, aber es ist einer, der genau jetzt erforderlich ist. Erst Anfang dieser Woche war ich zusammen mit dem Verteidigungsminister in Niedersachsen und habe an der Grundsteinlegung einer Munitionsfabrik teilgenommen. Das wird uns zusammen mit entsprechenden Vorhaben, die wir in Rumänien voranbringen, mit Vorhaben, die dieses Unternehmen konkret auch in vielen Teilen der Welt vorantreibt, in die Lage versetzen, immer die notwendige Menge an Munition zu produzieren. Wir werden genau schauen, dass alles das, was wir jetzt auf den Weg bringen, uns in die Lage versetzt, verteidigungsfähig zu sein.

Vielleicht noch ein Hinweis: Wir lernen jetzt ja auf bittere Weise, wie sich ein Krieg im 21. Jahrhundert zutragen kann, nämlich als konventioneller Krieg mit unglaublichen Zerstörungen, die dort stattfinden. Die Ukraine hat sich verteidigen können wegen des Mutes und der Beherztheit der Bürgerinnen und Bürger der Ukraine, aber selbstverständlich auch deshalb, weil so viele Länder ‑ Deutschland ist sicherlich ganz weit vorne dabei, aber auch viele andere europäische Länder, die USA, Kanada und andere Staaten ‑ Unterstützung möglich gemacht haben. Wenn wir uns verteidigen müssen, müssen wir das ja aus eigener Kraft können. Deshalb ist das, was wir jetzt wegen der Ukraine tun, gleichzeitig auch eine wichtige Aussage für die eigene Sicherheit und Zukunft; denn die Produktionskapazitäten, die wir jetzt errichten, sind dann auch ein klarer Hinweis, dass wir Nachschub nicht nur aus dem Lager bekommen können, sondern auch aus laufender Produktion. Das wird die Sicherheit erheblich verstärken.

Frage: In den USA stehen die Milliardenhilfen für die Ukraine ja auf der Kippe. Präsident Selenskyj, inwiefern erwarten Sie von Deutschland, dem zweitgrößten Unterstützer, dass es in diesem Fall in die Bresche springt und das kompensiert?

An Herrn Scholz gerichtet: Wäre Deutschland zusammen mit den europäischen Partnern überhaupt in der Lage, diese Lücke zu kompensieren und das irgendwie aufzufangen, hätte Europa die Kraft dazu?

P Selenskyj: Ich zähle darauf, dass die Vereinigten Staaten nicht wegfallen werden. Ich denke, dass der Großteil der Bevölkerung dort die Ukraine unterstützt, was ja gerecht ist. Sie verstehen, dass wir nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa und die gemeinsamen Werte verteidigen. Solche Signale habe ich vom Präsidenten und von der Administration des Präsidenten sowie von den Vertretern beider Parteien bekommen. Natürlich gibt es radikalere Stimmen. Es gibt in Amerika sehr laute Stimmen, die auch im politischen Prozess präsent sind. Aber ungeachtet aller Probleme, die jetzt im Repräsentantenhaus oder im Kongress oder in der Politik wegen des Wahlprozesses auftreten können, glaube ich, dass wir letztendlich die gewohnte pragmatische amerikanische Herangehensweise haben werden, weil wir die Sicherheit der Welt verteidigen. Dieser Krieg und diese Verteidigung finden jetzt auf ukrainischem Boden statt, und wir zahlen den höchsten Preis dafür.

Deshalb zähle ich auf diese Unterstützung, aber nicht nur sie. Es sind nicht nur Worte, sondern es sind auch Taten. Ich habe mich heute bei Herrn Bundeskanzler für sein Treffen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bedankt, dafür, dass sie über die Unterstützung der Ukraine gesprochen haben, dass wir die Unterstützung beider Parteien haben können, dass die Unterstützung der Ukraine weiterhin stattfinden kann. Dies zum einen. Zum anderen gibt es natürlich immer Risiken. Es gibt Risiken; es gibt unterschiedliche Gruppen, die Druck ausüben wollen. Auch die Wahlen sind ein schwieriger Prozess.

Wir zählen aber nicht nur auf Deutschland, sondern auf die Europäische Union, auf diese Vereinigung der Länder. Es geht nicht nur um Geld oder bestimmte Waffengattung. Es ist eine politische Vereinigung. Wenn es hier eine Einigung gibt, dann gibt es Sanktionen gegen Russland, gegen die russische Industrie und andere Bereiche. Diese Schritte hängen davon ab, wie einig sich die europäischen Länder sind, nicht nur die Europäische Union. Wir zählen auf die europäische Einigung auch in dieser Hinsicht, aber natürlich auch zusammen mit den Vereinigten Staaten.

Zur Erhöhung der Waffenproduktion, über die der Bundeskanzler gesprochen hat: Alle haben verstanden, dass man diese Produktion erhöhen sollte. Auch Russland tut dies. Aber Russland kann mit Europa und dem Rest der Welt nicht mithalten. Auch die Ukraine produziert jetzt mehr Waffen, zehnfach, hundertfach mehr an einigen Waffen, tausendfach mehr an Drohnen, zum Beispiel den sehr wichtigen Kampfdrohnen. Ich habe Herrn Bundeskanzler schon eingeladen, dass wir zeigen, was wir jetzt schon können ‑ wir können nicht öffentlich darüber sprechen ‑, was unsere Menschen und unsere Industrie während des Krieges schon geschafft haben: neue Verteidigungstechnologien, Sicherheitstechnologien, die jetzt in diesem Krieg sehr wichtig sind. Ich denke, wir können dieses Wissen später mit unseren Partnern teilen, auch mit Deutschland.

BK Scholz: Sie wissen, dass ich in den USA war. Ich habe mit dem amerikanischen Präsidenten gesprochen, der ein ganz klarer Unterstützer der Ukraine ist und sich sehr dafür einsetzt, dass auch der Kongress die finanziellen Mittel jetzt bereitstellt, die notwendig sind. Ich habe die Gelegenheit meines USA-Besuchs auch genutzt, um dort in der Öffentlichkeit zu sprechen, aber auch mit Senatorinnen und Senatoren. Das war sehr hilfreich. Bei beiden großen Parteien des amerikanischen Kongresses habe ich mich dafür eingesetzt, dass diese Entscheidung jetzt, zeitnah, gefällt wird.

Wir wissen um die politischen Rahmenbedingungen in den USA. Trotzdem ist das sehr wichtig. Denn wir haben etwas, was uns verbindet, die Ukraine, die Staaten der Europäischen Union, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika, uns alle in der NATO: Das ist unser Bekenntnis zur Demokratie, zum Rechtsstaat, zum Recht des Menschen, dazu, dass er im Mittelpunkt steht und nicht der Zweck für die Machtpläne irgendwelcher Imperienplaner ist. Es ist, denke ich, ganz entscheidend, dass das auch in entsprechende Unterstützung mündet.

Die USA sind eine Großmacht, und ihre Unterstützung ist für die Sicherheit der Ukraine und ihre Fähigkeit, sich zu verteidigen, essenziell. Auch wir leisten unseren Beitrag. Trotzdem sollte der Beitrag der USA nicht unterschätzt werden. Mein Appell an die Verantwortlichen im amerikanischen Kongress, im Senat und im Repräsentantenhaus, ist, dass sie diese Entscheidung treffen. Es kommt auch auf Amerika an.