Im Wortlaut
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 22. März 2024
BK Scholz: Einen schönen guten Tag auch von meiner Seite aus! Wir sehen uns ja jetzt schon zum zweiten Mal.
Wir können das unter Umständen tun, unter denen wir Fortschritte vermelden können, zunächst einmal große Fortschritte aus Deutschland. Ich bin sehr froh, dass der Bundesrat jetzt den Gesetzentwürfen zugestimmt hat, die wir auf den Weg gebracht haben. Ganz besonders gilt das für das Wachstumschancengesetz. Das ist ja nicht nur irgendein Gesetz, sondern eines, das dafür entwickelt wurde, Wachstum und Beschäftigung in Deutschland voranzubringen. Wir haben, damit Investitionen vorankommen, die Grundlagen dafür geschaffen, dass mehr Abschreibungen vorgenommen werden können, und zwar beim Wohnungsbau, aber auch bei den Anschaffungen der Wirtschaft und der Industrie; eine gute Sache.
Das gilt übrigens auch für Forschung und Entwicklung. Auch dort haben wir das sehr erfolgreiche Konzept steuerlicher Forschungsförderung noch einmal ausgeweitet - ein wichtiger, massiver Schritt -, um Unternehmen dazu zu bringen, dass sie in die Zukunft investieren. Sie wissen: Deutschland ist das große Land in Europa, das am meisten für Forschung und Entwicklung ausgibt. Wenn man die Ausgaben der privaten Unternehmen und des Staates zusammenrechnet, sind es mehr als drei Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Das wird mit vielen staatlichen Förderprogrammen unterstützt, aber eben auch mit dieser steuerlichen Förderung, die jetzt noch einmal ausgeweitet worden ist. Damit schaffen wir auch die Grundlagen dafür, dass wir in den globalen Märkten weiterhin erfolgreich sein können. Also ein guter Tag!
Ein guter Tag ist heute und war es auch schon gestern bei den Beratungen, die wir hier im Europäischen Rat geführt haben, weil wir dort über wichtige Fragen diskutiert und uns geeinigt haben, und zwar doch in sehr kurzer und konstruktiver Weise. Zunächst einmal will ich unterstreichen, dass wir weiter an der Entwicklung unserer Europäischen Union arbeiten. Deshalb ist es eine gute Entscheidung, dass Bosnien und Herzegowina nun in die Verhandlungen über den Beitritt einbezogen wird, über die Möglichkeiten, die damit verbunden sind, und dass dieser Prozess nun auf den Weg gebracht worden ist. 20 Jahre ist es her, dass in Thessaloniki den Staaten des westlichen Balkans versprochen wurde, dass sie Mitglieder der Europäischen Union werden können. Seither ist manches passiert, aber keines dieser Länder ist Mitglied geworden. Für mich ist es deshalb so wichtig, dass diese Staaten jetzt eine solche Perspektive haben, und dass jetzt mit Bosnien und Herzegowina auch für den Letzten dieser Prozess Fahrt aufgenommen hat, ist wichtig. Genauso ist es wichtig, dass wir es mit den Prozessen mit Moldau, mit der Ukraine und mit Georgien weitergeht. Auch da sind Fortschritte erzielt worden.
Ich finde, das ist ein ermutigendes Zeichen; denn die Europäische Union wird dadurch stärker werden, insbesondere, wenn sie dann darüber nicht vergisst, dass es gleichzeitig wichtig ist, innere Reformen voranzutreiben, damit Entscheidungsprozesse schneller und kürzer werden, damit die notwendige Konzentration auf die wichtigen Felder unserer Zusammenarbeit geleistet werden kann. Wie Sie wissen, bin ich sehr dafür, dass es auch Mehrheitsentscheidungen gibt, etwa in außenpolitischen Fragen oder wenn es um Steuern geht.
Leider musste erneut, wie immer in den letzten Jahren seit dem furchtbaren Angriff Russlands auf die Ukraine, die Diskussion über die Ukraine und darüber, was wir gemeinsam als Europäerinnen und Europäer tun können, um sie zu unterstützen, große Zeit in Anspruch nehmen. Wir haben diskutiert - zunächst mit dem ukrainischen Präsidenten, der per Video zugeschaltet war, und dann auch untereinander - und haben gemeinsam ein paar Dinge noch einmal unterstrichen und vereinbart. Zunächst einmal ist für alle klar, dass wir die Ukraine so lange unterstützen werden, wie das notwendig ist. Putin rechnet damit, dass wir irgendwann mit unserer Unterstützung nicht mehr weitermachen können. Darum ist die Botschaft auch wichtig, dass er sich damit verrechnet hat. Sie ist auch wichtig im Hinblick darauf, dass nur so der russische Präsident versteht, dass er nicht darauf setzen kann, dass es irgendwann einmal Bedingungen gibt, unter denen wir unsere Unterstützung nicht mehr fortsetzen.
Wir haben das insbesondere auch im Hinblick auf die so dringend notwendige Unterstützung mit Waffen und Munition diskutiert. Da ist sehr viel passiert, auch seit den letzten Beratungen. Seitdem haben viele Länder ihre bilaterale Unterstützung ausgeweitet, wie Sie wissen, Deutschland vornan mit mehr als sieben Milliarden Euro in diesem Jahr in unserem Haushalt und mit insgesamt 28 Milliarden Euro, die wir seit Beginn des Krieges allein an Waffenhilfe zur Verfügung gestellt haben.
Wir haben jetzt Entscheidungen getroffen, die alle zusammen dazu beitragen werden, dass die Unterstützung für die Ukraine auch seitens der Europäischen Union intensiviert werden kann. Dazu zählt zunächst einmal, dass wir Einigkeit darüber erzielt haben, dass Waffen nicht nur in Europa, sondern auch außerhalb Europas beschafft werden, auch mit europäischem Geld. Ich bin der tschechischen Regierung für ihre Initiative sehr dankbar, der sich so viele Länder angeschlossen haben, weil dadurch auch neue Mittel mobilisiert werden. Aber ich bin vor allem auch dankbar, weil darüber für alle klar geworden ist, dass wir Waffen nicht nur bei uns in Europa beschaffen können, sondern dass wir den Blick weiten müssen. Deshalb hat das auch wieder eine Rolle bei der kürzlich gelungenen Verständigung über die European Peace Facility gespielt. Es geht um fünf Milliarden Euro, die dafür zur Verfügung stehen. In dieser Hinsicht ist auch eine Verständigung, dass die Mittel nicht nur für Waffenkäufe in Europa eingesetzt werden können, sondern auch außerhalb.
Das Gleiche gilt für eine weitere Verständigung, die wir jetzt erzielt haben, nämlich die, die „windfall profits“ aus den „frozen assets“ von Zentralbankeinlagen und verschiedene andere Gelder für die Anschaffung von Munition und Waffen nutzen zu können; alles zusammen eine massive Ausweitung der Unterstützung aus der Europäischen Union neben dem, was wir auch schon Anfang des Jahres und letztes Jahr vorbereitet hatten, nämlich der Haushaltshilfe in Höhe von insgesamt 50 Milliarden Euro.
Das ist also doch ein ganz, ganz großer Schritt nach vorne und insofern ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg unterwegs sind und uns darin auch einig sind. Im Übrigen - auch das ist mir ganz, ganz wichtig -, ist es eine Ermutigung, weiterzumachen. Da geht noch was mit der bilateralen Hilfe, da und dort, und darüber sind sich viele auch einig!
Wir haben uns auch über Sicherheit und Verteidigung unterhalten; denn es geht ja auch darum, dass wir angesichts der Zeitenwende, die der russische Angriff auf die Ukraine darstellt, unsere eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Das machen wir im Nato-Verteidigungsbündnis, und darin ist auch die gemeinsame Verabredung, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Ziemlich viele Länder haben das bereits erreicht oder sind auf dem Weg. Das ist ein großer Fortschritt. Wenn man das alles zusammenrechnet - bezogen auf die EU-Nato-Staaten, bezogen auf alle Nato-Staaten in Europa -, dann ist das schon ein erheblicher Betrag, der da zusammenkommt.
Aber wir können unsere Sicherheit noch erhöhen, indem wir einen Blick auf die Verteidigungswirtschaft werfen. Die muss ihre Kapazitäten ausweiten, die muss auch mehr Waffen für Europa in Europa produzieren können, und es ist notwendig, dass dies permanent geschieht. Das heißt, dass wir nicht, wenn es eine schwierige Situation gibt, erst eine Fabrik bauen müssen, eine Produktionsanlage wieder hochfahren müssen oder etwas Ähnliches, wie es heute der Fall ist, sondern dass wir auf einem bestimmten Niveau eine laufende Produktion haben, die dann ausgeweitet wird. Dazu hat die Kommission Vorschläge gemacht, über die wir im Weiteren diskutieren werden.
Ich will gern für mich unterstreichen, dass ich dabei eine Vereinfachung bei den Einkaufsprozessen besonders wichtig finde, dem „procurement“. Aus meiner Sicht ist es nämlich so, dass man sich eigentlich, wenn ein Staat schon mit einem Unternehmen verhandelt hat, einfach diesem Vertrag anschließen können muss, ohne dass ein neuer, komplizierter Prozess entsteht. Wir werden nicht so viele wettbewerbsrechtliche Hindernisse haben dürfen wie heute, wenn Unternehmen zusammenarbeiten wollen. Dann müssen wir gar nicht alles von Staats wegen machen und in großen Konferenzen versuchen, uns zu einigen, sondern dann ist es tatsächlich so, dass aus der Industrie selbst Kooperationsbeziehungen, größere „scales“ und Produktionsmengen entstehen, die wir brauchen, damit wir unsere Sicherheit erhöhen können.
Wir haben uns über die Entwicklung im Nahen Osten unterhalten. Ich bin froh, dass wir, nachdem wir unmittelbar nach dem Angriff gemeinsam unsere Position niedergeschrieben haben, jetzt noch einmal unsere Position gemeinsam festgehalten haben. Dazu gehört, dass wir den furchtbaren, brutalen Angriff der Hamas auf Israel verurteilen, auf die israelischen Bürgerinnen und Bürger, und dass wir sehr klar sind: Die Geiseln müssen freigelassen werden. Was mir auch wichtig ist: Es geht darum, dass diejenigen, die gestorben sind, auch an ihre Angehörigen herausgegeben wird. Das ist auch wichtig, um Abschied nehmen zu können. Verzweifelt genug sind die Familien ja schon jetzt. Außerdem muss es Klarheit geben.
Wir sagen, dass es neben dem Recht Israels, sich gegen diesen Angriff zu verteidigen und die Hamas zu bekämpfen, auch darum geht, humanitäre Ziele zu erreichen. Deshalb haben wir gemeinsam große Bedenken, was eine Großoffensive in Rafah betrifft. Darum haben wir klare Ansichten, was den Zugang humanitärer Hilfe nach Gaza betrifft: Das ist zu wenig. Es ist gut, dass es jetzt die Möglichkeit für Airdrops gibt. Deutschland beteiligt sich mit seinen Flugzeugen daran. Es ist gut, dass es neue Wege gibt, über die See Hilfsgüter nach Gaza gelangen zu lassen. Aber es ist alles zusammen nicht genug. Es geht immer auch um Lastwagen, um Trucks, die da hinkommen, und nicht wie heute in der Menge von täglich 200, sondern eher in Richtung 500 und mehr. Es muss durch neue Grenzübergangsöffnungen und viele andere Möglichkeiten erreicht werden, dass das auch tatsächlich gelingt. Wir halten das für wichtig.
Einigkeit besteht auch darin, dass wir sagen: Es braucht für die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger eine Perspektive, und die kann nur in einer Zweistaatenlösung bestehen, für die wir uns gemeinsam einsetzen, die aber jetzt sichtbar werden muss. Dazu gibt es Voraussetzungen - eine reformierte palästinensische Autonomieverwaltung, aber eben auch, dass der Wille besteht, das jetzt erreichen zu wollen. Die Hoffnung ist die Grundlage dafür, dass eine friedliche Verständigung gelingt. Eine Eskalation des Krieges in den Norden ist etwas, das alle mit großen Bedenken sehen, und deshalb haben wir gemeinsam gesagt: Das sollte nicht stattfinden.
Unter den vielen Themen, die wir noch verhandelt haben, will ich den Euro-Gipfel herausgreifen, der sich mit der Kapitalmarktunion und vielen Fragestellungen, die sich darum drehen, beschäftigt hat. Wir müssen dafür sorgen, dass wir angesichts des vielen Geldes, das in Europa, in unserem großen Wirtschaftsraum, vorhanden ist, unsere eigenen Fähigkeiten entfalten. Das ist im Wesentlichen gehindert durch das Fehlen einer hocheffizienten Kapitalmarkt- und Bankenunion. Das ist nicht ein schwieriges, technisches, kaum zu durchdringendes Thema unter vielen, das hier in Brüssel verhandelt wird, sondern es ist in Wahrheit die entscheidende Ressource für künftiges Wachstum.
Wenn man sich anschaut, was für große Unternehmen es in den USA gibt, die nicht vom Staat, sondern vom Kapitalmarkt über Jahre mit Milliarden finanziert und unterstützt worden sind, dann werden wir schon zur Kenntnis nehmen müssen, dass das in Europa viel seltener der Fall ist - obwohl das Geld hier ist. Was wir auch zugeben müssen, ist, dass manches Geld aus Europa in amerikanische Kapitalsammelstellen wandert, um dann nach Europa in Start-ups und Wachstumsfinanzierungen zurückzufließen. Das sollte uns eine Mahnung sein, dass wir damit vorankommen müssen, dass wir das aus eigener Kraft hier vor Ort bewältigen können; denn es fehlt ja nicht an den Finanzmitteln.
Was wir brauchen, sind deshalb große Reformen. Wir werden das auch im April weiter diskutieren; denn das hängt zu lange fest. Dabei geht es um Reformen, die aus meiner Sicht zum Beispiel das Insolvenzrecht umfassen können, die die Frage umfassen, wie wir mit der Körperschaftsbesteuerung umgehen, die die Frage des „ring-fencing“ thematisieren und die viele andere Themen betreffen, die da eine Rolle spielen. Ich will das weder eingrenzen noch unbegrenzt verhandeln, sondern sagen: Es muss so sein, dass wir Fortschritte erzielen. Das ist auch eine Ansicht, die von allen anderen geteilt wurde. Deshalb werden wir das vertieft weiter diskutieren - und hoffen, dass uns aus der Euro-Gruppe von den Finanzministern noch gute Vorschläge dazu gemacht werden. Es ist gut, dass wir das so intensiv diskutiert haben. Wir müssen diese Wachstumsressource für Europa endlich nutzen.
Schönen Dank!
Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte eine Frage zur Ukrainehilfe. Sie haben eben schon gesagt, dass es Fortschritte bei der bilateralen Hilfe gebe und dass es da eine erhöhte Bereitschaft gebe, die Ukraine zu unterstützen. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten immer noch sehr groß. Es gibt jetzt den Vorschlag der estnischen Ministerpräsidentin Kallas, dass sich die Mitgliedsstaaten darauf verpflichten, 0,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Ukrainehilfe zur Verfügung zu stellen. Was halten Sie von einer solchen Idee?
Wenn Sie erlauben, hätte ich noch eine Frage zu einem Thema, das heute für große Aufregung in Deutschland sorgt: Der DFB hat sich dafür entschieden, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ab 2027 nicht mehr mit Trikots von Adidas aufläuft, sondern mit Trikots von Nike. Der Wirtschaftsminister hat daraufhin mehr Standortpatriotismus gefordert. Würden Sie sich dieser Forderung anschließen?
BK Scholz: Zunächst einmal ist an dem Vorschlag der Ministerpräsidentin ja sympathisch, dass alle wissen, dass sie ein bestimmtes Minimum an Unterstützung nicht unterschreiten sollten. Wenn man einmal hinguckt, würde ich sagen: Das ist schon ganz gut. Wie Sie wissen, habe ich bei der Münchner Sicherheitskonferenz vorgerechnet, dass, wenn man so viel Hilfe leisten würde, wie das die USA in den letzten Jahren getan haben, also was sie der Ukraine in den letzten beiden Jahren haben zukommen lassen, dies in Europa auf etwa 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung hinausliefe. Deshalb sind solche Maßstäbe gut und hilfreich, weil sie noch einmal Klarheit verschaffen, dass es nicht auf irgendwelche Geste ankommt - nach dem Motto: da habe ich einmal etwas gemacht und da kommt etwas heraus -, sondern dass es schon um die Menge geht, die auch zusammengezählt werden muss. Das finde ich wichtig.
Der DFB hat entschieden und hat mich auch nicht gefragt; insofern will ich das nicht so richtig weiter kommentieren. Aber das Wichtigste ist ja, dass Tore geschossen werden.
Frage: Herr Bundeskanzler, eine Frage zu Ukraine: Sie haben gerade gesagt, wie wichtig die Botschaft ist, die von diesem Gipfel hinsichtlich der Unterstützung für die Ukraine ausgeht. Wie passt das zu den Plänen, jetzt neue Zölle - oder möglicherweise auch alte Zölle, wie man sieht - auf gewisse ukrainische Landwirtschaftsimporte zu erheben, nachdem jetzt in einigen Ländern Landwirte protestiert haben? Der Rat muss dem ja auch noch zustimmen. Wie wird sich Deutschland dazu verhalten?
BK Scholz: Es ist ganz klar, dass unsere Unterstützung der Ukraine auch darin besteht, dass wir ihr ermöglichen, wirtschaftlich tätig zu sein, sodass exportiert werden kann. Deshalb waren die Entscheidungen, die wir da getroffen haben, sowohl notwendig als auch richtig. Wenn die Zahlen, die ich habe studieren können, richtig sind, sind die Exporte der Ukraine, was verschiedene landwirtschaftliche Güter betrifft, fast alle auf dem Niveau von vor dem Krieg; denn durch die Möglichkeit, wieder über das Schwarze Meer zu exportieren, findet ein immer weiter wachsender Teil der Exporte wieder über das Schwarze Meer statt, über die ukrainischen Häfen - mit der Folge, dass auch die klassischen Exportländer erreicht werden. Das ist ja auch für uns wichtig gewesen; denn vor allem in Afrika, aber auch anderswo in der Welt sind viele darauf angewiesen, dass es ein gutes Angebot gibt. Deshalb hoffe ich einmal - so als äußerer Rahmen -, dass manche Debatten sich mit der immer größeren Präsenz der Zahlen dann auch reduzieren werden.
Was ich richtig finde, ist, dass wir uns auf alle Fälle über Zolle auf Getreideexporte aus Russland Gedanken machen. Das findet ja auch statt. Ansonsten ist hier darüber diskutiert worden, dass man einen sehr pragmatischen, moderaten Weg geht, der alle Beteiligten gewissermaßen in einem Boot versammelt. Es ist auch meine Hoffnung, dass das gelingt.
Frage: Herr Bundeskanzler, noch einmal zu der Frage der „frozen assets“ und der „windfall profits“: Jetzt gibt es aus Belgien und aus den USA die Idee, dass man das vielleicht noch hebeln könnte, also in einen Fonds packen könnte, um dann die Zinseinnahmen dafür zu nutzen, noch mehr Geld schneller für die Ukraine und für Militärhilfe zur Verfügung zu stellen. Ist diese Idee, einen neuen Fonds zu schaffen, der durch die Zinseinnahmen abgesichert ist, in Ihrem Interesse? Würden Sie sagen, dass die EU das weiterverfolgen sollte?
Eine Frage zu Bosnien: Was bedeutet das jetzt eigentlich für Kosovo, die im Westbalkan jetzt so ein bisschen alleine im Raum stehen? Haben Sie die Hoffnung, dass möglicherweise noch in diesem Jahr auch noch Beitrittsverhandlungen mit Kosovo beginnen könnten?
BK Scholz: Schönen Dank. - Ich finde erst einmal, dass die Nutzung der „windfall profits“ und auch ihre Lenkung in Richtung Waffenhilfe ein riesiger Fortschritt ist. Das ist ein rechtlich völlig abgesichertes Vorgehen; das will ich hier einmal betonen. Wir haben uns sehr genau mit dem Völkerrecht und mit den anderen Rechten, die hier zu beachten sind, auseinandergesetzt, und haben gesagt: Diese unerwarteten und eigentlich ja nur aus der Einfrierungssituation entstehenden Erträge stehen niemandem zu; deshalb kann die Europäische Union sie vereinnahmen und verwenden, um sie diesem Zweck zuzuleiten. Ich glaube, dass das, was wir tun werden, schon ist, sie direkt zu verwenden und nicht jetzt noch neue Konstruktionen zu entwickeln. Das hat jedenfalls hier bei den Debatten keine Rolle gespielt. Dass jeden Tag darüber nachgedacht wird, wie man das mit der Unterstützung der Ukraine noch besser machen kann, ist ja den Schweiß der Edlen wert, aber hier hat das keine Rolle gespielt.
Wir arbeiten hart daran, die Möglichkeiten für den Kosovo zu verbessern. Deshalb habe ich auch im Rahmen des Berlin-Prozesses, aber auch ganz eigenständig mit sehr vielen anderen Freunden zusammen darauf gedrungen, dass wir zu einer Verbesserung der Situation zwischen Serbien und dem Kosovo kommen. In einzelnen Fragestellungen, in denen lange Zeit Stillstand herrschte, wurden ein paar Fortschritte erreicht. Das ist gut. Aber es muss weitergehen. Es geht auch um eine Deeskalation der verschiedenen Situationen. Sie wissen, dass wir auch Vorschläge dafür gemacht haben, was etwa einen Gemeindeverband und Ähnliches betrifft. Wir arbeiten hart daran, die Rahmenbedingungen in diese Richtung zu schaffen. Denn am Ende sollen alle dabei sein.
Frage: Herr Bundeskanzler, auch ich habe eine Frage zu den „windfall profits“. Die Debatte darüber, diese Erträge zugunsten der Ukraine zu verwenden, geht auf Dezember 2022 zurück. Das ist jetzt fast anderthalb Jahre her. In dieser Zeit war Deutschland immer eines der Länder, die eher auf der Bremse standen und rechtliche Bedenken geäußert haben. Uns wurde hier auch immer wieder gesagt, dass die Verwendung dieser Erträge rechtlich nicht völlig losgelöst von der Verwendung der Assets betrachtet werden könne. Jetzt hat die Bundesregierung offensichtlich eine andere Position oder überhaupt zum ersten Mal eine einheitliche Position dazu bezogen.
Könnten Sie, bitte, noch einmal erklären, was dieses Umdenken bewirkt hat? Warum jetzt, nach mehr als 15 Monaten, diese Entscheidung, und warum nicht schon zum Beispiel vor einem halben Jahr?
BK Scholz: Ich verstehe das, was Sie sagen, nicht. Sie müssen sich mit falschen Quellen umgeben. Das kommt ja vor; man hat so viel zu tun.
Die Entscheidung, dass wir uns um die „windfall profits“ kümmern, ist die, für die wir die ganze Zeit geworben haben. Wie Sie wissen, hat es ganz andere Debatten über die „frozen assets“ gegeben. Wir haben gesagt: Es muss eine rechtmäßige sein. - Die rechtmäßige Entscheidung ist, dass wir die „frozen assets“ nutzen können. Wir haben sehr früh einen Prozess angestoßen, in dem das vorbereitet worden ist.
Es gibt übrigens mehrere Resolutionen und Beschlüsse, in denen das schon seit Langem immer wieder gesagt worden ist, damit dieser Prozess jetzt so weit gekommen ist. Dazu hat es auch Verständigungen gegeben, die nicht erst heute erfolgt sind, sondern auch vorher, mit rechtlichen Maßgaben, die dazu geführt haben. Die Kommission hat sehr viel auch juristische Arbeit hineingesteckt, um den rechtlichen Rahmen für die Nutzbarkeit der Gewinne aus den „frozen assets“ zu schaffen. Ich kann Ihre Einschätzung also nicht teilen.
Frage: Ich habe eine Frage zum Nahen Osten. In den Schlussfolgerungen gestern stand zum ersten Mal das Wort „Waffenstillstand“. Aber heute Morgen haben vier Länder, unter anderem Spanien und Irland, einen Brief, ein Statement abgegeben, in dem sie klarstellen, dass das nicht genug sei. Sie verlangen einen sofortigen Waffenstillstand.
Warum ist es so schwer, dass die 27 EU-Länder direkt und klar einen Waffenstillstand fordern, wenn jetzt auch die USA das ziemlich klar sagen? Was fehlt noch? Was muss noch geschehen, damit man ein bisschen Klartext schreibt?
BK Scholz: Klartext existiert, aber es gibt eben unterschiedliche Klartexte. Der Klartext, auf den wir uns hier verständigt haben, lautet, es soll jetzt einen nachhaltigen - das steht dort; gemeint ist: einen länger anhaltenden - Waffenstillstand geben, verbunden mit der Freilassung aller Geiseln und der Überstellung der getöteten, der gestorbenen Geiseln sowie mit der Möglichkeit, mehr humanitäre Hilfe nach Gaza gelangen zu lassen. Darüber wird in Katar verhandelt. Wir sind seit sehr langer Zeit daran, das von allen Ecken und Enden immer wieder zu unterstützen, mit allen Beteiligten zu sprechen und das voranzubringen, und handeln dabei sehr zusammen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.
Darum geht es jetzt, und darauf haben wir uns verständigt. Es geht ja nicht darum, dass das unkonditioniert stattfindet. Denn es muss auch die Freilassung aller Geiseln geben. Dann muss in dieser Zeit auch bemessen werden, wie ein länger anhaltender Waffenstillstand zeitlich eingegrenzt wird.
Frage: Herr Bundeskanzler, auch zu den „windfall profits“: Mit welchem zeitlichen Horizont rechnen Sie, bis man das Geld nutzen kann?
Mit wie viel Widerstand oder Bedenken rechnen Sie im weiteren Aushandlungsprozess noch?
BK Scholz: Es ist ja nicht mehr viel auszuhandeln. Die rechtliche Grundlage haben wir bereits geschaffen. Das musste nicht heute geschehen; das ist schon passiert. Wir müssen jetzt die Grundlage für die Verwendung schaffen. Daran arbeitet die Kommission. Wir haben jetzt „guidances“ gegeben, wohin das gehen soll, nämlich in der Perspektive überwiegend für das, was an Munition und Waffen notwendig ist.
(Zuruf)
- Da sie verfügbar sind und nicht gesucht werden müssen und da man weiß, wo sie sind, geht es wohl schnell.
Frage: Herr Bundeskanzler, danke für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Können Sie bestätigen, dass Sie den Vorschlag von Kaja Kallas für eine gemeinsame Verschuldung in Höhe von hunderten Milliarden Euro für Rüstung in Europa niemals akzeptieren werden?
BK Scholz: (lacht) Schöne Frage! Das hat hier am Rande eine Rolle gespielt. Sie kennen die Position Deutschlands. Wir sind nicht unbedingt Fans solcher Ideen.
Frage: Sie haben die Kapitalmarktunion erwähnt und gesagt, dass das sehr wichtig sei. Zu Anfang dieser Woche haben Sie gesagt, dass Deutschland hierbei über ein, zwei Stöckchen springen sollte. Welche Stöckchen haben Sie im Sinne? Ist darunter auch die zentralisierte Kapitalmarktaufsicht?
BK Scholz: Ich denke, dass es nicht darum geht, dass wir uns jetzt erst einmal über Institutionen unterhalten, sondern es geht darum, dass wir wissen, was wir damit eigentlich wollen. Meine Analyse der Diskussion über Kapitalmarktunion und Bankenunion ist, dass das Pferd immer von hinten aufgezäumt worden ist. Das heißt, man hat sich in irgendwelche Instrumente verliebt und sie dann für das wichtigste Thema unter der Sonne gehalten.
Tatsächlich geht es doch darum, dass man sich erst einmal sagt: Was wollen wir damit eigentlich? - Wir wollen, dass die unglaublichen Mengen an Kapital in Europa dahin fließen, wo sie gebraucht werden, und nicht irgendwo herumliegen und ungenutzt bleiben, mit geringen Erträgen. Dazu müssen wir viele, viele Dinge ändern. Ich habe ein, zwei genannt. Ich bin diesbezüglich ganz offen und pragmatisch. Es wird nicht den einen Weg geben, bei dem alle dabei sind.
Ich wollte deshalb einfach nur offenmachen, dass alle bereit sind, dies für eine zentrale Sache zu halten, um die sie sich kümmern und bezüglich derer sie auch bereit werden, Kompromisse abzuschließen. Wer Nein sagen will, der braucht gar nicht viel Arbeit zu machen. Er muss nur in den Schrank greifen. Da steht zu jedem Punkt einmal Nein, aus 27 verschiedenen Ländern. Das wird nichts werden. Es muss schon ein neuer Wille, ein neuer Geist sein, der uns in die Lage versetzt, hierbei wirklich etwas zu wollen.
Deshalb habe ich auch betont, warum das so zentral ist. Es geht darum, dass wir, wenn ich das einmal so sagen darf, moderne Angebotspolitik machen, indem wir die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum verbessern. Das ist eine ganz zentrale Rahmenbedingung.
Frage: Wir bekommen jetzt Zölle auf russisches Getreide. Glauben Sie, dass das die Bauernproteste ersticken wird oder dass wir noch weitere Zurücknahmen vom „Green Deal“ bekommen werden?
BK Scholz: Wir alle haben uns darüber verständigt, dass wir das ganze europäische landwirtschaftliche Förderungs- und Regulierungsregime modernisieren müssen, damit es einfacher, effizienter und unbürokratischer wird. Das ist das große Versprechen der Kommission. Davon erwarte ich mir auch sehr weitreichende Vorschläge, möglichst auch schon viele vor der Wahl, die man sehr genau anschauen kann, damit auch die Bürgerinnen und Bürger hinschauen können.
In der Landwirtschaft geht es darum, Lebensmittel herzustellen. Das ist der Hauptzweck. Das darf man nicht aus dem Blick verlieren. Das muss auch gut, einfach und wirtschaftlich vernünftig gehen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir Biodiversität und Umwelt erhalten müssen, was wir auch wollen.