Das Nichtdarstellbare darstellen 

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Kanzler hält Laudatio für Anselm Kiefer Das Nichtdarstellbare darstellen 

Er gehört zur ersten Generation deutscher Künstler, die sich mit den Themen Identität und Nation in der Nachkriegszeit beschäftigt haben: Anselm Kiefer wurde von der Deutschen Nationalstiftung ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Bundeskanzler Scholz.

4 Min. Lesedauer

Bundeskanzler Olaf Scholz und Künstler Anselm Kiefer sitzen nebeneinander

Kanzler Scholz hielt die Laudatio: „Anselm Kiefer hat sich um die Aufarbeitung und das Freilegen deutscher und europäischer Geschichte verdient gemacht.“

Foto: Bundesregierung/Kugler

Der international anerkannte Maler und Bildhauer Anselm Kiefer ist mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt worden. Kiefer ist ein Künstler, der existenzielle Fragestellungen, etwa die, ob Kunst nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs überhaupt noch möglich ist, nicht scheut. Er illustrierte durch sein Wirken Geschichte, Religion und die alten germanischen Mythen sowie deren Symbole und grub im kollektiven Gedächtnis. Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte Kiefer bei der Preisverleihung im Französischen Dom in Berlin:

„Wir ehren heute Anselm Kiefer, der sich wie kaum ein anderer bildender Künstler um die Aufarbeitung und auch um das Aufwühlen und Freilegen deutscher Geschichte verdient gemacht hat. Er ist damit auch in seiner Wahlheimat Frankreich ein höchst angesehener und wichtiger Botschafter deutscher zeitgenössischer Kunst, ein Botschafter des geschichtsbewussten und des modernen Deutschlands. Das ist eine Leistung, die ich in diesem 60. Jahr des Elysee-Vertrages besonders hervorheben will.“ 

Das Verschüttete freilegen 

Sein künstlerisches Interesse richtet Kiefer auf die Geschichte – vor allem die verdrängte, verschwiegene Geschichte Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus. Darüber hinaus setzte Kiefer sich seit Ende der 1980er-Jahre mit Kabbala, Alchemie, Mythen und Erklärungen der Weltschöpfung auseinander. Auch orientalische Kulturen sowie die jüdische Mystik nehmen einen wichtigen Platz in seinem Werk ein. Das Nichtdarstellbare der jüngsten deutschen Geschichte in Bilder zu fassen, blieb lange Zeit Kiefers vorrangiges Anliegen.

Hierzu führte Bundeskanzler Scholz aus: „Was dabei immer wieder hervortritt, sind die Erinnerungen eines Kindes der unmittelbaren Nachkriegszeit: Düsteres, Verbranntes, Zerstörtes. Und dahinter Krieg, Flucht und Vertreibung. Ihre Kunst ist es, das in unserer deutschen und europäischen Geschichte Verschüttete freizulegen, hartnäckig und gnadenlos.“ 

Der Künstler wurde kurz vor Kriegsende 1945 in Donaueschingen geboren. 1966 bis 1968 studierte er Malerei in Freiburg und Karlsruhe. Nachdem er von 1971 bis 1992 in Buchen im Odenwald gearbeitet hatte, übersiedelte er nach Frankreich, wo er im südfranzösischen Barjac und seit 2007 in der Nähe von Paris arbeitet.

Arbeiter an der Vergangenheit

Kiefer hegt eine Vorliebe für scheinbar wertlose und verachtete Materialien – vornehmlich Asche und Blei, die er in seinen monumentalen Bildern und figurativen Skulpturen und Installationen vielschichtig zur Wirkung bringt.

Hierzu Bundeskanzler Scholz: „Denn es ist fast gleich, wo man in Europa den Boden aufwühlt; irgendwann gelangt man zu einer dieser Schichten von Asche, die ein prägendes Material Ihres Werkes ist. Wohin man auch schaut, gelangt man zu den zugedeckten und manchmal verschütteten Zeugnissen der Schrecken, die unsere gemeinsame europäische Geschichte bereithält. Dass dieses Bewusstsein unserer Geschichte weiterbesteht, daran haben Sie, lieber Anselm Kiefer, mit ihrem Werk einen wichtigen Anteil – als ein deutscher und dabei zutiefst europäischer Künstler und als ein unermüdlicher Arbeiter an der Vergangenheit, der uns damit eine zentrale Orientierung für die Zukunft gibt. Dafür gebührt Ihnen Dank und Anerkennung.“

Die Verdrängung beenden 

Kiefer durchbrach mit seinem Werk das Schweigen angesichts der deutschen Vergangenheit und verarbeitete auch die jüdische Sicht auf den Holocaust. Nur wenige zeitgenössische Künstler haben einen so ausgeprägten Sinn für die Verpflichtung der Kunst zur Beschäftigung mit der Vergangenheit und ethischen Fragen der Gegenwart. Kiefer beendete die Verdrängung von Namen, Begriffen und Topografien. Kiefer bekennt sich zur Verantwortung der Kunst wie folgt: „Ich glaube, dass Kunst Verantwortung übernehmen muss, doch sollte sie nicht aufhören, Kunst zu sein. Meine Inhalte sind vielleicht nicht zeitgenössisch, aber politisch.“

Anselm Kiefer steht vor seiner künstlerischen Inszenierung im Dogenpalast in Venedig.

Ein kultureller Mittler: Anselm Kiefer vor einem seiner Werke im Dogenpalast in Venedig

Foto: IMAGO/Andrea Merola

Eine Kunst, die mit Erinnerung Zukunft schafft

Eine weitere Laudatio hielt der Kunsthistoriker, Journalist und Autor Florian Illies: „Er durchbrach das Schweigen und die Selbstrechtfertigung der Deutschen über ihr Versagen und ihre elementare Schuld in den Jahren 1933 bis 1945, indem er mit seiner Kunst eine besonders verdrängte Emotion freilegte: die Scham.“ Kiefer habe die Kunst wieder zu einem wirkmächtigen Echoraum der Zivilgesellschaft gemacht.

Kultureller Mittler zwischen Deutschland und Frankreich

Kiefers Werke sind weltweit in den bedeutendsten Museen und Privatsammlungen vertreten. Im Februar 2023 wurde Kiefer in Paris mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet.

Für sein Schaffen als kultureller Mittler zwischen Deutschland und Frankreich erhielt Kiefer nun am 6. Juli 2023 den Deutschen Nationalpreis. Verliehen wurde der Preis von der Deutschen Nationalstiftung. 

Der Deutsche Nationalpreis würdigt Personen der Zeitgeschichte, die sich für das Zusammenwachsen, die Einheit und Vereinigung Deutschlands einsetzen. Er wird seit 1997 jährlich von der Deutschen Nationalstiftung vergeben. Diese will das Zusammenwachsen Deutschlands fördern, die Idee der deutschen Nation als Teil eines vereinten Europas stärken und zudem zu einer nationalen Identität in einem friedlichen, weltoffenen Deutschland beitragen. Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt zählte 1993 zu ihren Gründern.