Wie wird ein Land EU-Mitglied?
Die Vergrößerung der Europäischen Union von ursprünglich sechs auf heute 27 Staaten – ein Erfolgsmodell mit weiterhin großem Zuspruch. Aber wie kann ein Staat der EU beitreten? Wie genau läuft das Verfahren ab? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
4 Min. Lesedauer
Beitrittskandidaten
- Albanien → 2022 Verhandlungen aufgenommen
- Bosnien-Herzegowina → 2024 Beitrittsverhandlungen beschlossen
- Montenegro → 2012 Verhandlungen aufgenommen
- Nordmazedonien → 2022 Verhandlungen aufgenommen
- Republik Moldau → 2024 Beitrittsgespräche aufgenommen
- Serbien → 2014 Verhandlungen aufgenommen
- Türkei → 2005 Verhandlungen aufgenommen*
- Ukraine → 2024 Beitrittsgespräche aufgenommen
- Georgien → Beitrittskandidat seit 2023
Potenzielle Beitrittskandidaten
- Kosovo
*Derzeit sind keine weiteren Öffnungen oder Schließungen von Verhandlungskapiteln vorgesehen.
Wer kann einen Antrag auf die EU-Mitgliedschaft stellen?
Jeder europäische Staat kann einen Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union stellen. Voraussetzung ist, dass das Land die Werte der EU achtet und fördert. Zu diesen gehört unter anderem das Bekenntnis zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.
Welche Bedingungen muss ein Land für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen?
Für einen Beitritt zur Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der EU 1993 bei ihrem Treffen in Kopenhagen drei Voraussetzungen formuliert. Diese sogenannten „Kopenhagener Kriterien" müssen alle Staaten erfüllen, die der EU beitreten wollen:
- Das „politische Kriterium“: Institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten.
- Das „wirtschaftliche Kriterium“: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten.
- Das „Acquis-Kriterium“: Die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen, das heißt: die Übernahme der gemeinschaftlichen Regeln, Standards und Politiken, die die Gesamtheit des EU-Rechts darstellen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Vom Antrag zum Kandidatenstatus
Möchte ein Land der EU beitreten, muss es als Erstes einen Beitrittsantrag an den Rat der Europäischen Union stellen. Das Verfahren zur Prüfung eines Beitrittsantrags läuft allerdings zunächst unter der Ägide der Europäischen Kommission. Daher leitet der Rat den Beitrittsantrag unverzüglich an die Europäische Kommission weiter. Die Kommission prüft den Antrag sodann anhand der Beitrittskriterien und gibt eine Stellungnahme („Avis“) zu möglichen Verhandlungen ab. Darin sind auch Empfehlungen für weitere Annäherungsschritte enthalten. Je nach Vorbereitungsstand des Bewerberlandes hinsichtlich der Erfüllung der Beitrittskriterien empfiehlt die EU-Kommission die Verleihung des Kandidatenstatus oder Vorgaben („Benchmarks“), die das Land zunächst noch erfüllen muss (potenzieller Beitrittskandidat).
Im nächsten Schritt entscheidet der Rat der Europäischen Union – auf der Grundlage der Stellungnahme – ob er dem Land den Kandidatenstatus verleiht. Die Zustimmung muss einstimmig erfolgen.
Vom Beitrittskandidaten zu den Beitrittsverhandlungen
Ist der Status eines Beitrittskandidaten verliehen, können die Beitrittsverhandlungen anvisiert werden. Die EU-Kommission überwacht ab dieser Phase bis zum EU-Beitritt die Reformfortschritte des Landes und hält diese in jährlichen Fortschrittsberichten fest.
Sind erste ausreichende Fortschritte erzielt, wird die Europäische Kommission Empfehlungen für die Eröffnung der eigentlichen Beitrittsverhandlungen aussprechen. Auch hierüber muss der Rat der EU einstimmig entscheiden und ein Mandat zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erteilen.
Sind die Beitrittsverhandlungen gestartet, ist es das Ziel, in 35 Kapiteln die einzelnen Bereiche wie Wirtschaftspolitik, Außenpolitik, Rechtsstaatlichkeit und einige mehr zu verhandeln. Ziel ist die vollständige Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes der EU, der sogenannte „Acquis“. Damit ist die Übernahme beziehungsweise Integration der EU-Rechtsvorschriften in nationales Recht gemeint.
Anschließend prüft die Europäische Kommission in einem sogenannten „Screening“ für jedes Verhandlungskapitel, inwieweit das nationale Recht des Beitrittskandidaten vom EU-Acquis abweicht und entsprechender Anpassung bedarf. Die Europäische Kommission informiert den Rat der EU über die Ergebnisse des Screenings und spricht auf dieser Basis die Empfehlung zur Eröffnung bestimmter Verhandlungskapitel aus. Die tatsächliche Eröffnung eines Verhandlungskapitels erfordert sodann eine einstimmige Entscheidung des Rates. Die EU legt Wert darauf, dass bereits in einem frühen Stadium Fortschritte bei grundlegenden Beitrittsvoraussetzungen wie Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten, der Stärkung demokratischer Institutionen und der Unabhängigkeit der öffentlichen Verwaltung erzielt werden („fundamentals first“).
Sehen alle Mitgliedstaaten die Schließungsbedingungen für ein bestimmtes Kapitel als erfüllt an, kann das Verhandlungskapitel vorläufig geschlossen werden.
Vom Beitrittsvertrag bis zur Ratifizierung
Nach Abschluss der Verhandlungen wird ein Beitrittsvertrag entworfen, der die Ergebnisse der Verhandlungen enthält (etwaige Übergangsfristen und Schutzklauseln, Bestimmungen über notwendige Anpassungen der EU-Institutionen und Verträge sowie das voraussichtliche Beitrittsdatum). Bevor der Beitrittsvertrag von den Mitgliedstaaten der EU und dem Beitrittskandidaten unterzeichnet werden kann, müssen der Rat der EU, die Europäische Kommission sowie das Europäische Parlament zustimmen. Mit der Unterzeichnung des Vertrags erhält das Beitrittsland den Status eines „beitretenden Staates“ und damit gewisse Vorrechte bis zum endgültigen EU-Beitritt. So kann das Land bereits in diesem Stadium des Beitrittsprozesses an Sitzungen der EU-Organe als „aktiver Beobachter“ teilnehmen und besitzt dort ein Rede- aber kein Stimmrecht.
Anschließend erfolgt die Ratifizierung des Beitrittsvertrags durch jeden EU-Mitgliedstaat und den Beitrittskandidaten. Ist dieser Prozess abgeschlossen, tritt der Beitrittsvertrag zum vorgesehenen Datum in Kraft und besiegelt damit die Vollmitgliedschaft des beitretenden Staates.
Unterstützt die EU die Länder bei Ihren Beitrittsbemühungen?
Um beitrittswillige Länder bei ihren Reformvorhaben zu unterstützen, hat die EU eine Heranführungsstrategie entwickelt. Wichtigstes Element sind die individuell vereinbarten Beitrittspartnerschaften. Mit den Staaten Südosteuropas hat die EU Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Über die Heranführungsstrategie haben Kandidatenländer zudem die Möglichkeit, an EU-Programmen teilzunehmen.
Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP)
Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP) beruht auf bilateralen Vertragsbeziehungen, finanzieller Unterstützung, politischem Dialog, Handelsbeziehungen und regionaler Zusammenarbeit. Die wichtigsten Ziele des Prozesses sind die politische Stabilisierung und die Entwicklung einer funktionierenden Marktwirtschaft sowie die Förderung der regionalen Zusammenarbeit. Aus diesem Grund wird der SAP auch als Vorstufe des eigentlichen EU-Beitritts bezeichnet.