Zwischen Zukunftsängsten, Einsamkeit und familiären Konflikten

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Interview Hilfetelefon "Nummer gegen Kummer" Zwischen Zukunftsängsten, Einsamkeit und familiären Konflikten

Um Kinder, Jugendliche und Eltern während der Corona-Krise bei Problemen besser unterstützen zu können, verstärkt das Hilfetelefon "Nummer gegen Kummer" seine Beratungsangebote. Anna Zacharias von der Bundesgeschäftsstelle in Wuppertal erklärt, wie wichtig gerade jetzt Unterstützung sein kann, um häuslicher Isolation und Konflikten besser entgegenzuwirken.

4 Min. Lesedauer

Eine Frau sitzt am Schreibtisch und telefoniert.

Aufgrund der derzeit großen Nachfrage wurde das Kinder- und Jugendtelefon um sechs Wochenstunden und das Elterntelefon um 30 Wochenstunden erweitert.

Foto: Kummer e.V./ Claus Langer

Seit einigen Wochen gibt es in Deutschland Ausgangsbeschränkungen. Inwieweit hat sich Ihre Arbeit aufgrund der Corona-Pandemie verändert?

Anna Zacharias: Die Arbeit ist zunächst grundsätzlich gleich geblieben. Dennoch bekommen unsere leicht erreichbaren und kostenlosen Beratungsangebote gerade jetzt eine noch größere Bedeutung, da sie dazu beitragen können, durch Zuhören und Verständnis Überlastungen abzubauen und Isolation aufzulösen. Da unsere Beratung hauptsächlich von qualifizierten ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern getragen werden, die selbst in großer Anzahl von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind, ist dies eine enorme Herausforderung - sowohl für die einzelnen Standort-Träger als auch für den Dachverband von der "Nummer gegen Kummer". Aber es ist uns allen gemeinsam besonders wichtig, den Ratsuchenden gerade jetzt in dieser Krisensituation zu zeigen: "Wir sind für Euch da – mehr denn je!"

Im März wurde ein deutlicher Anstieg bei der telefonischen und der Online-Beratung der "Nummer gegen Kummer" verzeichnet. So fanden beim Elterntelefon 22 Prozent mehr Beratungen statt als im Vormonat. Bei der Chat-Beratung für Kinder und Jugendliche lag der Anstieg bei 26 Prozent. Wie gehen Sie damit um?

Zacharias: Wir haben unsere Beratungsangebote deutlich erweitert, um den Familien in Deutschland – Eltern, Kindern und Jugendlichen – in der aktuellen Situation noch mehr Unterstützung und Entlastung zu bieten. Aktuell sind etwa 3.200 qualifizierte ehrenamtliche Beraterinnen und Berater für die "Nummer gegen Kummer" bundesweit in Schichtendiensten im Einsatz.

Sie werden derzeit von vier Hauptamtlichen aus der Bundesgeschäftsstelle der "Nummer gegen Kummer" in Wuppertal unterstützt, um die kurzfristig erweiterten Beratungszeiten gewährleisten zu können. Darüber hinaus gibt es in Wuppertal zwölf weitere hauptamtliche Mitarbeitende, die unter anderem für die Qualitätssicherung, die Öffentlichkeitsarbeit, die Statistik und die technische Betreuung zuständig sind. Ich selbst gehöre dazu und arbeite derzeit aktiv in der Online-Beratung mit.

Das Kinder- und Jugendtelefon wurde um sechs Wochenstunden, das Elterntelefon sogar um 30 Wochenstunden erweitert. Zusätzlich haben wir für unsere Standorte eine aktuelle Beratungshilfe herausgeben, die Informationen zu weiterführenden Hilfen bietet und auch aktuell noch erreichbare Notrufnummern, Hotlines und Ansprechpartner bereithält.

Mit welchen Anliegen wenden sich Menschen an Sie und welche Themen werden gerade jetzt besonders oft angesprochen?

Zacharias: Junge Menschen, die uns über das Kinder- und Jugendtelefon erreichen können, suchen normalerweise häufig Rat und Unterstützung zu den Themenbereichen "psychosoziale Probleme und Gesundheit" sowie "Partnerschaft, Liebe und Sexualität". Beispielsweise sind das Probleme mit dem eigenen Aussehen, Selbstvertrauen, Langeweile, Einsamkeit, aber auch zu Konflikten in der Familie.
Seit der Corona-Pandemie gab es hier aber deutliche Verschiebungen. "Normale" Probleme und Sorgen treten in den Hintergrund. Die Corona-Krise beschäftigt die jungen Menschen zunehmend. So gibt es vermehrt Gespräche zu Zukunftsängsten, Einsamkeit und Konflikten in der Familie.

In den Gesprächen am Elterntelefon stehen Kinder im direkten oder indirekten Fokus der Beratung. Die Anrufenden sprechen häufig über die eigene schwierige Erziehungssituation und das Erleben von Überforderung. Oft geht es auch um Konflikte mit Behörden, Gesetzen und anderen Personen. Ein weiterer häufiger Anrufanlass sind Sorgen hinsichtlich spezifischer Auffälligkeiten von Kindern. Auch das Thema "Gewalt und Missbrauch" wurden im Jahr 2019 in mehr als 2.600 Gesprächen am Elterntelefon angesprochen.

Aktuell sehen wir auch am Elterntelefon deutliche Verschiebungen. Die Corona-Krise beschäftigt auch die Eltern zunehmend. So gibt es vermehrt Gespräche zur Betreuungssituation der Kinder, zu Konflikten in der Familie und Gefühlen der Verunsicherung und Überforderung. Ein deutlicher Anstieg von Beratungen zur Thematik häusliche Gewalt ist aktuell an unseren Angeboten aber nicht zu verzeichnen.

Um dem steigenden Bedarf an Anrufenden schnell zu begegnen, erweitert die "Nummer gegen Kummer" kurzfristig ihre Beratungszeiten durch längere Erreichbarkeit am Telefon und in der Online-Beratung. Dafür stellt das Bundesfamilienministerium in diesem Jahr 225.000 Euro zusätzlich zur Verfügung. Damit sind dies für das Jahr 2020 insgesamt 656.000 Euro.

Wie können die Experten die Anrufenden konkret unterstützen?

Zacharias: Unsere Angebote übernehmen nicht selten die Funktion des ersten möglichen Ansprechpartners. Neben der eigentlichen Beratung können Anrufende darauf vertrauen, dass das Gespräch mit den Experten der Verschwiegenheit unterliegt und sie anonym bleiben können. Dieser Vertrauensschutz hat für alle Angebote höchste Priorität.

Für viele ist es bereits eine sehr positive Erfahrung, wenn den Ratsuchenden ein offenes Ohr geschenkt wird und nachempfunden werden kann, wie es den Anrufenden gerade geht. Dadurch können Vertrauen aufgebaut werden und gemeinsame Lösungsmöglichkeiten zu bestehenden Problemen gefunden werden. Zudem werden sie ermutigt und bestärkt, ihr Leben und ihre Lebenssituation aktiv zu gestalten. Wenn über das Gespräch hinaus weitere Hilfe notwendig ist, werden auch Adressen von örtlichen Hilfsangeboten oder spezifischere Notrufnummern weitergeben.

Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter der Nummer 116 111 von Montag bis Samstag von 14 bis 20 Uhr und zusätzlich Montag, Mittwoch und Donnerstag von 10 bis 12 Uhr erreichbar. Das Elterntelefon berät unter der Nummer 0800 – 111 0 550 von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr und zusätzlich am Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19 Uhr zu erreichen. Die Online-Beratung  steht Kindern und Jugendlichen im Chat am Mittwoch und Donnerstag von 15 bis 17 Uhr und zusätzlich am Dienstag und Freitag von 10 bis 12 Uhr zur Verfügung. Die E-Mail-Beratung ist rund um die Uhr erreichbar.