Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es gibt in diesem Hause die gute Tradition, dass neu gewählte Bundeskanzler dem Bundesrat ihr Regierungsprogramm erläutern. Ich folge dieser Tradition sehr gerne und bedanke mich für die Gelegenheit, heute hier zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Zuerst möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, lieber Peter Harry Carstensen, nachträglich dazu gratulieren, dass der Bundesrat Sie zum Präsidenten für das neue Geschäftsjahr gewählt hat. Ich wünsche Ihnen im Namen der neuen Bundesregierung viel Glück und Erfolg. Als langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestages und als Ministerpräsident in Schleswig-Holstein kennen Sie die Bundes- und die Landesebene aus eigener Erfahrung. Ich bin mir deshalb sicher, dass die fruchtbare Zusammenarbeit der Verfassungsorgane mit Ihnen als einem Mann des Ausgleichs die besten Voraussetzungen hat.

Die neue Bundesregierung ihrerseits wird alles daransetzen, mit dem gesamten Bundesrat vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Ich sehe es als gutes Signal an, dass eine ganze Reihe eilbedürftiger Gesetze der neuen Regierung noch auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung genommen wurde. Hierfür wurde sogar der Sitzungstermin in die Vorweihnachtswoche verlegt. Ich bedanke mich dafür bei Ihnen allen sehr herzlich. Das ist ein hoffnungsvolles Signal.

Herr Präsident, in Ihrer Ansprache haben Sie an die Verfolgung der Sinti und Roma durch das Naziregime erinnert, an das Leid der Opfer und an das Leid der Überlebenden. Auch 60 Jahre später gehören diese schrecklichen Geschehnisse unverändert zum kollektiven Gedächtnis unserer Nation. Es ist unser aller Aufgabe, es zu bewahren, damit Menschen nie wieder zu Opfern von Intoleranz, Diskriminierung und Hass werden. Ich möchte den anwesenden Vertretern der Sinti und Roma versichern, dass sich die Bundesregierung entschlossen für dieses Ziel einsetzen wird.

Zum historischen Selbstverständnis unserer Nation gehört elementar unsere föderale Ordnung. Die Vertretung der Länder in einem eigenen Verfassungsorgan auf Bundesebene gab es bekanntlich lange, bevor sich die parlamentarische Demokratie und die Republik als Regierungs- und Staatsform durchsetzen konnten. Es ist Ausdruck dieser geschichtlichen Kontinuität, dass die Menschen in der ehemaligen DDR 1989/90 nach der Durchsetzung von freien Wahlen als Erstes daran gingen, ihre alten Länder wieder zu errichten.

Ich hebe die Bedeutung von staatspolitischer Tradition und Institutionen hervor, nicht nur weil meine Rede einer solchen Tradition entspringt, sondern auch aus zwei anderen Gründen:

Erstens gehören die Vielfalt der Länder und Regionen, die landsmannschaftliche Verbundenheit der Menschen und die bewusste Absage an einen allzuständigen Zentralstaat elementar zu dem, was Deutschland stark und liebenswert macht. Deutschland wäre nicht Deutschland ohne seine Länder.

1946 warb die SED mit dem Wahlslogan "Einheit bedeutet Aufstieg, Föderalismus bedeutet Niedergang". Für mich ist mit dem Scheitern dieses verheerenden Politikansatzes auch ganz persönlich klar: Ohne Vielfalt gibt es kein lebenswertes Deutschland. Die neue Bundesregierung wird alles tun, damit der historisch gewachsene Charakter unseres Landes lebendig erhalten bleibt. Wir wollen starke Länder und Kommunen mit eigenen Entscheidungsräumen und stabilen finanziellen Verhältnissen.

Zweitens werden Institutionen und Traditionen im 21. Jahrhundert nicht unwichtiger. Im Gegenteil, sie werden immer unverzichtbarer. Sie bilden das notwendige Gegengewicht, um den rasanten Wandel in allen Lebensbereichen und das Bedürfnis nach Stabilität in einer Balance zu halten.

Ich habe in meiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag dafür geworben, dass wir alle miteinander mehr Freiheit wagen sollten. Ich bin überzeugt davon, dass dies der beste Weg ist, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich bestehen zu können.

Dafür brauchen wir die Kreativität, die sich aus der Vielfalt entwickelt. Dafür brauchen wir praxisgerechte Lösungen der Länder und Kommunen, die näher an den Problemen der Menschen sind. Dafür brauchen wir aber auch Sicherheit und Kontinuität, Regeln für den Interessenausgleich und Solidarität mit den Schwächeren. So verstanden bedeutet der Föderalismus auch im 21. Jahrhundert einen Vorteil für Deutschland, keineswegs einen Hemmschuh, wie manche es uns immer wieder glauben machen wollen.

In einer Gesellschaft, in der die Verteilungsspielräume geringer werden, machen wir aber die Erfahrung, dass es dem einen Teil des Gesamtstaates nur gut gehen kann, wenn auch die anderen Teile erfolgreich sind. Das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein aller staatlichen Ebenen bleibt deshalb notwendige Voraussetzung für den Zusammenhalt unseres Landes. Von ihm hängt wesentlich das Gelingen der vor uns stehenden nationalen Kraftanstrengung ab.

Natürlich sind Sie weiterhin den Interessen Ihrer Länder verpflichtet. Das gebietet schon die Achtung vor dem demokratischen Souverän, der Sie in Ihr Amt berufen hat wie mich in das meinige. Ich bin mir aber sicher, dass Sie aus Überzeugung auch eine tiefe Verantwortung für den Bundesstaat, für das große Ganze empfinden.

Die nächsten Jahre werden im Zeichen außergewöhnlicher Herausforderungen für das große Ganze stehen. Die neue Bundesregierung hat sich viel vorgenommen. Sie will eine Regierung der Taten sein. Im Mittelpunkt stehen Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung verbessern – auf dem Arbeitsmarkt, bei Steuern, beim Abbau von Bürokratie, bei Innovation und Forschung sowie bei den sozialen Sicherungssystemen, um nur einige der wichtigsten Bereiche zu nennen. Das kann aber nur gelingen, wenn die Menschen in unserem Land wieder mehr Vertrauen in die Politikfassen – Vertrauen, weil sich die Politik als verlässlich und berechenbar erweist. Nur dann kann es gelingen, dass wir Deutschland in den nächsten zehn Jahren wieder unter die ersten Drei in Europa führen.

Verlässlichkeit erfordert, dass wir die greifbar nahe vor der Umsetzung stehenden Reformprojekte wirklich zu einem Erfolg werden lassen. Dazu gehört für mich an vorderster Stelle die Reform der bundesstaatlichen Ordnung. Die Debatte darüber führen wir schon seit Jahrzehnten. In Vorbereitung auf diese Rede habe ich einen bemerkenswerten Satz von Kurt Georg Kiesinger, bekanntlich Kanzler der ersten großen Koalition, gefunden. Er hat gefragt, "ob die Kompetenzordnung des Grundgesetzes noch zweckmäßig ist."

In Sichtweite des Jahres 2006 können wir die Antwort geben und eine Reform vorweisen. Wir haben die Chance, dass Deutschland künftig entschlossener, transparenter und leichter regiert werden kann. Ich appelliere deshalb an alle Beteiligten, das ihnen Mögliche beizutragen, damit das Reformpaket mit der notwendigen Sorgfalt, aber doch rasch verabschiedet werden kann. In dem Gespräch mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch vergangener Woche sind wir übereingekommen, die Gesetzentwürfe rasch auf den Weg zu bringen. Noch vor der Sommerpause des nächsten Jahres wollen wir das Gesetzgebungsverfahren zum Abschluss bringen.

Die Länder gewinnen mit den geplanten Änderungen des Grundgesetzes erhebliche Freiräume. Das ist gut und richtig so. Sie stehen nun vor der Aufgabe, diese neuen Spielräume für mehr Wachstum und Beschäftigung zu nutzen. Auch diese wachsende eigene Verantwortung ist von uns gemeinsam gewollt.

In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, die weitergehenden Fragen der föderalen Finanzbeziehungen zu überprüfen. Die Bundesregierung wird sich auch für dieses Vorhaben mit Nachdruck einsetzen.

Letztlich geht es bei der Föderalismusreform nicht nur um mehr Effizienz und Transparenz unserer staatlichen Strukturen; es geht um die Akzeptanz von politischen Entscheidungen in Deutschland überhaupt. Das ist für mich die eigentliche Dimension dessen, was in den nächsten Monaten vor uns liegt.

Zu Akzeptanz von und Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik gehört untrennbar die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Ohne solide Finanzen wird das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates nicht zurückkehren, im Übrigen auch nicht die Bereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher zu mehr Konsum und der Wirtschaft zu mehr Investitionen.

Die neue Bundesregierung hat sich deshalb zu einem strukturellen Neuanfang in der Haushalts- und Finanzpolitik entschieden. Wir wollen den Trend zu immer höherer Neuverschuldung brechen. Ab 2007 sollen sowohl die Verschuldungsgrenze des Artikels 115 Grundgesetz als auch das Defizitkriterium des Maastricht-Vertrages wieder eingehalten werden. Das erfordert gewaltige Anstrengungen. Aber wir sind bereit, sie zu unternehmen.

Durch die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen Maßnahmen wird auch die Haushaltslage von Ländern und Kommunen nachhaltig verbessert. Bis 2009 ergeben sich hier unter dem Strich Entlastungen von mehr als 30 Milliarden Euro. Damit erhalten die Länder neben den gesetzgeberischen die finanziellen Spielräume, um auf ihrer Ebene mehr für Wachstum und Beschäftigung tun zu können. Sie werden zudem in die Lage versetzt, an der Konsolidierung der Staatsfinanzen mitzuwirken.

Der Bund kann die gewaltige Konsolidierungsaufgabe nicht alleine meistern. Angesichts der engen finanzpolitischen Verflechtung kann dies nur eine gesamtstaatliche Aufgabe sein. Die Bundesregierung strebt deshalb einen gesamtstaatlichen Pakt mit den Ländern an, um den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zukünftig wieder dauerhaft einhalten zu können.

Wir alle sind uns der Tatsache bewusst, dass die Sanierung der öffentlichen Haushalte allein über Ausgabenkürzungen nicht zu erreichen ist. Deshalb sind neben dem Abbau von Steuervergünstigungen Einnahmeverbesserungen unverzichtbar, unter anderem durch eine Anhebung der Umsatz- und der Versicherungssteuer.

Diese Maßnahmen sind aber nur zu rechtfertigen, wenn sie mit strukturellen Verbesserungen für Wachstum und Beschäftigung einhergehen; denn ohne Erfolge auf dem Arbeitsmarkt wird uns keine der anstehenden Reformen gelingen. Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, genau diese verbesserten Rahmenbedingungen zu schaffen, indem sie auf den Dreiklang "Sanieren – Investieren – Reformieren" setzt.

Erstens: Wir werden die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer auch für eine deutliche Senkung der Lohnzusatzkosten einsetzen. Wir haben hierüber im Zuge der Koalitionsverhandlungen gesprochen, an denen viele von Ihnen beteiligt waren. Ich bin dankbar, dass wir grundsätzliches Einvernehmen erzielen konnten. Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Impuls für mehr Beschäftigung in unserem Lande.

Zweitens: Neben eine beschäftigungsfördernde Lockerung des Kündigungsschutzes tritt der verbesserte Einsatz von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wir werden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüfstand stellen und die aktive Arbeitsmarktpolitik grundlegend neu ausrichten. Unser besonderes Augenmerk wird dabei auf die Eingliederung junger Menschen und auf die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerichtet sein. Unter anderem haben wir den Ländern angeboten, bis zu 50.000 über drei Jahre laufende Zusatzjobs für ältere Arbeitnehmer zu fördern.

Drittens: Wir werden uns im nächsten Jahr mit den Themen "Kombilohn" und "Niedriglohnbereich" intensiv auseinander setzen. Wir müssen dort Lösungen finden: einerseits um unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa sicherzustellen, andererseits um mehr Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich einfacher Tätigkeiten einzuräumen.

Viertens: Der Schritt, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für erwerbsfähige Menschen zusammenzuführen, ist unverändert richtig. Das Anlaufjahr 2005 hat jedoch gezeigt, dass wir in verschiedenen Bereichen Anpassungen vornehmen müssen. Dazu gehören die Angleichung des Arbeitslosengeldes II Ost an West, aber auch eine Korrektur bei der allzu großzügigen Anerkennung von Bedarfsgemeinschaften.

Die Bundesregierung hält sich an die Zusage, die Kommunen im Zuge der Einführung des Arbeitslosengeldes II insgesamt um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. Sie hat vorgeschlagen – und folgt damit weitgehend dem Votum des Bundesrates –, die Bundesbeteiligung an den Kosten für die Unterkunft für 2005 und 2006 auf 29,1 Prozent festzuschreiben. Wir sind dabei – ich sage das sehr deutlich – an die Grenze des finanziell Vertretbaren gegangen. Nach unseren Berechnungen dürfte dies mehr als ausreichen, bundesweit die Kosten der Unterkunft zu tragen. Ich füge aber hinzu: Nun sind auch die Länder gefordert, für eine gerechte Verteilung auf Städte und Kreise zu sorgen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir dieses Gesetzgebungsverfahren heute abschließen könnten, nicht zuletzt um allen Beteiligten die notwendige Planungssicherheit zu geben. Die Bundesregierung erwartet und erhofft sich die Bereitschaft der Länder, im Jahre 2006 konstruktiv an einer gesetzlichen Neuregelung der Bundesbeteiligung mitzuwirken.

Fünftens: Zur Verbesserung des Investitionsstandortes Deutschland brauchen wir eine rechtsform- und finanzierungsneutrale Reform der Unternehmensbesteuerung mit international wettbewerbsfähigen Steuersätzen. Wir wollen im kommenden Jahr mit der Erarbeitung beginnen; in Kraft treten soll sie zum 1. Januar 2008.

Wir sind uns bewusst, dass dies auch das schwierige Thema "Gewerbesteuer" berühren wird. Hier muss nach jahrelanger Diskussion gemeinsam mit den Kommunen eine Lösung erarbeitet werden.

Sechstens: Was durch günstigere Rahmenbedingungen bei Arbeitsmarkt und Steuern aufgebaut wird, darf durch instabile soziale Sicherungssysteme nicht wieder zunichte gemacht werden. Auch hier gilt der Grundsatz "Sanieren – Investieren – Reformieren".

Die große Koalition ist mit ihren Grundsatzbeschlüssen zur gesetzlichen Rentenversicherung bereit, weit reichende Anpassungen an die demografischen Veränderungen der kommenden Jahrzehnte durchzuführen.

Wir haben uns vorgenommen, auch bei Gesundheit und Pflege zu langfristig tragfähigen Lösungen zu kommen. Erst dann erhält der Leitsatz von der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit volle Geltung. Gerade diese beiden Bereiche haben aber vielfältige Auswirkungen auf die Krankenhauslandschaft und die Pflegesituation in den Ländern. Wir wissen das und werden es bei der Konzeption der Reformberücksichtigen. Wir werden eng mit ihnen zusammenarbeiten.

Siebtens: Es gibt wohl seit langem keinen Koalitionsvertrag mehr, der so eindeutig auf den Abbau von Bürokratie, auf mehr Freiräume und schlankere Verfahren setzt. Das Gleiche gilt für die Innovationsfreundlichkeit und die Förderung von Zukunftstechnologien, die uns besonders am Herzen liegen.

Dahinter steht ein Verständnis vom Staat, der seinen Bürgern etwas zutraut und auf ihre Kraft setzt, bevor er selber eingreift. Dahinter steht auch ein Verständnis von technologischem und wirtschaftlichem Wandel, der für Deutschland vor allem Chancen bietet und nicht etwa nur Gefahren bedeutet.

Ich werbe dafür, dass uns der Bundesrat bei diesen Vorhaben unterstützt. Wenig ist gewonnen, wenn die Länder die Freiräume, die die Bundesregierung schaffen will, wieder mit eigener Bürokratie ausfüllen. Das Ziel, im Jahre 2010 drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben, ist ohne das Engagement der Länder nicht zu erreichen. Aber mit einer Gesetzgebung und einer Innovationspolitik aus dem gleichen Geist heraus haben wir die Chance, jetzt viel zu bewegen. Wir alle werden davon profitieren, meines Erachtens die Länder mit Aufholbedarf am meisten.

Achtens: Mehr Raum für eigene Wege lassen und die spezifischen Stärken fördern – das ist der Weg, den wir beim Aufbau Ost gehen sollten. Die reine Unterscheidung "Ost – West" bei den Förderinstrumenten ist in dieser Form nicht mehr sehr zukunftsträchtig. Wir wollen stärker auf die tatsächliche Förderungswürdigkeit achten. Das ändert aber nichts daran, dass die neuen Länder unsere besondere solidarische Hilfe benötigen und auch in Zukunft erhalten sollen .

In diesem Zusammenhang möchte ich eine kurze Bewertung des Ergebnisses des EU-Gipfels vom vergangenen Wochenende vornehmen. Mit der Einigung zum Finanzrahmen 2007 bis 2013 hat der Europäische Rat ein Zeichen gesetzt, dass das erweiterte Europa entgegen aller Skepsis die Kraft besitzt, die europäische Integration voranzutreiben. Deutschland hat dabei eine vermittelnde Rolle eingenommen, ohne seine eigenen Interessen aus dem Auge zu verlieren. Wir wissen, dass Planungssicherheit gerade für die neuen Länder an dieser Stelle von größter Wichtigkeit ist.

Ich freue mich, dass die Förderung aus den Strukturfonds für die neuen Länder gegenüber dem luxemburgischen Vorschlag noch einmal um 225 Millionen Euro verbessert werden konnte. Zudem wird die jetzt mögliche private Kofinanzierung den Einsatz der EU-Mittel erleichtern. Zu begrüßen ist auch, dass die Grenzregionen Bayerns zu Tschechien eine zusätzliche Förderung von 75 Millionen Euro erhalten werden. Mehr war angesichts der schwierigen Verhandlungssituation und des Vor-Einverständnisses mit dem luxemburgischen Paket in dieser Verhandlungsrunde nicht zu erreichen.

Natürlich fühlt sich die Bundesregierung dem Solidarpakt II verpflichtet. Über die Auswirkungen der Brüsseler Ergebnisse wird im nächsten Jahr im Zusammenhang mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen insgesamt zu diskutieren sein.

Neuntens: Wir wollen einen Schwerpunkt auf Bildung, Ausbildung und Wissenschaft setzen. Mit der Föderalismusreform sollen die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in Bildung und Forschung neu und besser verteilt werden. Die Länder bekommen jetzt klarere Kompetenzen in einem ihrer Kernfelder, der Schulpolitik. Sie erhalten mehr Autonomie bei den Hochschulen. Ich bin mir sicher, die Länder werden diese größeren Spielräume vorausschauend und verantwortungsvoll ausfüllen.

Der Bund wird sich für Vergleichbarkeit und Transparenz einsetzen. Er wird Ausbildung und Weiterbildung fördern, und er wird sich intensiv um die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft kümmern. Unser gemeinsames Ziel ist ein modernes, leistungsfähiges und gerechtes Bildungssystem. Der PISA-Vergleich ist für uns ein Ansporn; wir haben im Übrigen gesehen, dass hier viel erreicht werden kann. Bei der gerechten Verteilung von Bildungschancen ist in Deutschland noch vieles zu leisten.

Dabei muss sich – davon bin ich überzeugt – die Rolle des Staates insgesamt verändern. Das betrifft den Bund wie die Länder. Statt von oben zu entscheiden und Einzelheiten vorzugeben, brauchen wir mehr Anreize zu Kreativität und Wettbewerb, zu Leistung und Eigenverantwortung.

Zehntens: Die neue Bundesregierung wird sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten intensiv um die Familien kümmern. Uns lässt die Kinderarmut in unserem Land nicht ruhen. Wir wollen die Eltern noch mehr als bisher bei der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit unterstützen. Deshalb werden wir mit dem Elterngeld und den Modellprojekten für Mehrgenerationenhäuser neue Wege zu gehen versuchen und Steuererleichterungen für Kinderbetreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen schaffen.

Für den dringend notwendigen Ausbau der Kinderbetreuung kommt es zentral auf die Länder und Kommunen an. Der Bund wird sie, wie vereinbart, weiter nach Kräften unterstützen.

Mehr denn je erwarten die Menschen, dass die politisch Verantwortlichen in Deutschland die notwendigen Weichenstellungen für unser Land beherzt und zügig vornehmen. Die Menschen haben angesichts der Probleme unseres Landes immer weniger Verständnis für das, was sie als reinen Parteienstreit empfinden. Dies betrifft – seien wir ehrlich – auch ein wenig das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat.

Wir sind daher verpflichtet, gemeinsam Erfolg zu haben. Und: Es gibt eine breite gemeinsame Basis bei der Einschätzung der Lage und bei den politischen Zielen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Für die Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben wünsche ich Ihnen, verehrter Herr Präsident, und uns allen gutes Gelingen. Ich persönlich bin sehr zuversichtlich, dass wir Deutschland in allen seinen Teilen in den kommenden Jahren ein gutes Stück voranbringen können.