„Wir werden noch lange Waffen liefern“

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Bundeskanzler im Gespräch mit der taz „Wir werden noch lange Waffen liefern“

Olaf Scholz rechnet nicht mit einem schnellen Ende des Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Kanzler im Interview über die Bundeswehr, China und die Angst vor Putin.

  • Interview mit Olaf Scholz
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Bundeskanzler Olaf Scholz während eines Interviews.

Der Kanzler im Interview mit der überregionalen Tageszeitung taz. 

Foto: Bundesregierung/Kugler

Herr Scholz, sind Sie ein Linker?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Ich bin Sozialdemokrat seit meinem 17. Lebensjahr. Ich will, dass die Gesellschaft besser, gerechter und humaner wird. Insofern, ja.

Wie passt dieser Anspruch dazu, dass die Bundesregierung im großem Stil Waffen in Krisengebiete liefert und aufrüstet?

Scholz: Zur Verteidigung unserer Demokratie und unserer Freiheit brauchen wir eine starke Bundeswehr. Dazu gehört auch eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Und dazu gehört, dass wir die Ukraine dabei unterstützen, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu verteidigen.

Manche fremdeln mit Begriffen wie Kriegstüchtigkeit und Aufrüstung. Und sehnen sich nach Willy Brandts Entspannungspolitik. Verstehen Sie die?

Scholz: Willy Brandt und Helmut Schmidt haben mit ihrer Politik dazu beigetragen, dass 1989 der Eiserne Vorhang gefallen ist. Zu ihrer Entspannungspolitik gehörte immer eine starke Bundeswehr. In den 70er Jahren gab die Bundesrepublik drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung für Militär aus. Das sollte man nicht vergessen, heute sind es zwei Prozent.

Verstehen Sie, wenn Menschen befremdet von Worten wie Abschreckung sind?

Scholz: Ich verstehe es gut, wenn Bürgerinnen und Bürgern sich mit manchen Worten schwertun. Und wer von etwas befremdet ist, hat Fragen. Meine Antwort: Deutschland ist ein friedliches Land. Wir müssen aber in der Lage sein, unser Land und gemeinsam mit unseren Verbündeten das NATO-Bündnisgebiet zu verteidigen. Die Verantwortung dafür, dass jetzt Litauer, Esten und Letten auf uns schauen, um sie vor Russland zu schützen, die ergibt sich aus unserer Geschichte. Es ist doch dramatisch: Der russische Machthaber Putin will Grenzen mit Gewalt verschieben. Damit bedroht er die gesamte Friedensordnung Europas. Und das, war er jetzt tut, hat er lange vorher angekündigt. In Aufsätzen und Reden behauptete er, Belarus und die Ukraine seien keine eigenständigen Länder, sondern gehörten zu Russland. Wir alle hätten das wörtlich nehmen sollen.

Wann haben sie das letzte Mal mit Putin telefoniert?

Scholz: Zuletzt telefonierten wir im Dezember 2022.

Warum seitdem nicht mehr? Vor allem in Ostdeutschland wollen viele, dass es zu einer Verständigung mit Putin kommt. Warum versuchen Sie das nicht?

Scholz: Solche Gespräche sind dann sinnvoll, wenn man das Gefühl hat, etwas bewirken zu können. Die russische Kriegsführung spricht aktuell dagegen. Ich habe in der Vergangenheit einige Gespräche mit Putin geführt, was mitunter kritisch beäugt wurde. Und ich schließe weitere Gespräche für die Zukunft nicht aus.  Auf Initiative der ukrainischen Regierung gibt es im Übrigen diplomatische Bemühungen auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater, dabei werden auch Länder aus dem globalen Süden einbezogen – das ist wichtig.

Wann wäre es sinnvoll, wieder mit Putin zu reden?

Scholz: Wenn es so weit ist.

Das ist wann?

Scholz: Auf alle Fälle, wenn Russland einsieht, dass es keinen Diktatfrieden geben wird, und Putin erkennt, dass er seinen Feldzug abbrechen und Truppen zurückziehen muss.  

Dafür spricht derzeit nicht viel. Die Ukraine ist militärisch in der Defensive. Die russische Kriegswirtschaft ist stabil. Sollte der Westen nicht stärker auf Verhandlungen und Kompromisse drängen?

Scholz: Ich habe immer gesagt, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen darf. Und schnell war klar, dass dies kein kurzer Krieg werden würde. Wir werden noch lange Waffen und Munition an die Ukraine liefern müssen.

Der Historiker Heinrich August Winkler fordert von Ihnen, „endlich eine klare Strategie für einen Sieg der Ukraine zu benennen“. Machen Sie sich diese Formulierung – Sieg – zu eigen?

Scholz: Ich gestehe jedem seine Formulierung zu. Zu verhindern, dass Putin diesen Krieg gewinnt, ist viel, wie wir heute wissen. 

Wann endet dieser Krieg?

Scholz: Diese Frage kann im Augenblick niemand beantworten. Ich weiß, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich vor einer Eskalation fürchten. Diese Angst ist doch verständlich. Neulich fragte mich ein Vater von zwei kleinen Söhnen bei einem Bürgergespräch, wann der Krieg ende, denn er wolle nicht, dass seine Kinder in den Krieg ziehen müssen.

Was haben Sie gesagt?

Scholz: Dass wir die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist, weil wir nicht akzeptieren können, dass die Macht das Recht bricht.

In Medien werden Sie oft als Zauderer kritisiert. Kann es sein, dass Ihnen dieses Image jenseits von Berlin eher nutzt?

Scholz: In Bürgergesprächen höre ich häufiger, dass die Bürgerinnen und Bürger es schätzen, wie besonnen ich agiere.

Kürzlich ist eine russische Rakete in polnischen Luftraum eingedrungen. Putin scheint zu zündeln. Macht Ihnen das Angst?

Scholz: Wer Verantwortung trägt, darf nicht furchtsam sein. Wichtig ist es, klug zu handeln. Deshalb verbinde ich meine standfeste Unterstützung der Ukraine mit einer Politik, die eine Eskalation zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO verhindert.

Sie reisen nach China. Von der letzten Chinareise sind sie mit der Botschaft zurückgekommen, dass China die russische Drohung mit Atomwaffen für nicht akzeptabel hält. Werden Sie mit Xi über den Ukrainekrieg sprechen?

Scholz: Natürlich wird das ein wichtiger Teil meiner Gespräche sein. Es geht darum, dass China Russland nicht dabei unterstützt, gegen seinen Nachbarn Ukraine einen brutalen Krieg zu führen. Frieden in Europa und die Unverletztlichkeit von Grenzen, das sind europäische Kerninteressen. 

Kann China eine Vermittlerrolle spielen?

Scholz: Auch China kann klar machen, dass dieser unsinnige imperialistische Krieg enden muss.

Werden Sie die Bedrohung Taiwans und die Lage der Uiguren ansprechen?

Scholz: Es gibt eine Reihe von Themen, bei denen wir klare Differenzen mit China haben. Und ein Dialog auf Augenhöhe bedeutet für mich, auch über solche Themen offen zu sprechen. So hat es meine Vorgängerin auch gehalten.

Hat es genutzt?

Scholz: Wichtig ist, dran zu bleiben.

Sprechen Sie diese Themen hart oder weich an? 

Scholz: Ich weiß nicht, was ich mit diesen Kategorien anfangen soll. Ich werde mich jedenfalls nicht entschuldigen, bevor ich solche Themen anspreche.  

Sie reisen mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China. Also wieder Business as usual, wie vor dem Ukrainekrieg und Chinas Unterstützung für Putin?

Scholz: Ein solches „business as usual“ kann es nach der Zeitenwende doch gar nicht geben. China ist aber ein großes Land mit einer wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung. Die weltpolitischen Themen habe ich bereits angesprochen, aber auch Wirtschaftsfragen treiben uns um. Zum Beispiel gleiche Wettbewerbsbedingungen. Von De-Coupling

...der wirtschaftlichen Abkopplung von China

Scholz: ...ist in unserer Chinastrategie nirgendwo die Rede. 

Aber von De-Risking. Die Abhängigkeit Deutschlands von China hat in den letzten Jahren zugenommen. Soll das so bleiben?

Scholz: In allen Lehrbüchern für Volkswirtschaft steht, dass man bei Geschäftsbeziehungen nicht alle Eier in einen Korb legen sollen. Das ist in der Vergangenheit von der Industrie nicht immer beachtet worden, nicht nur mit Blick auf China. Oft sind Entscheidungen getroffen worden, die große Abhängigkeiten bei einigen Komponenten geschaffen hat…

...Fiebersäfte, Chips, Halbleiter …

Scholz: …die Liste ließe sich beliebig verlängern. Deshalb ist es richtig, dass global tätige Unternehmen sich an die Lehrbücher erinnern. Wichtig aber: Auch wenn wir Lieferketten stärker diversifizieren, werden Deutschland und China einen umfangreichen wirtschaftlichen Austausch haben.

Deutschland war sich in Sachen Energie jahrezehntelang von Russland abhängig. Hat man daraus in Bezug auf China gelernt?

Scholz: In Deutschland wurde die friedensstiftende Wirkung wirtschaftlicher Kontakte sicher überbetont. Diese Illusion macht sich heute niemand mehr. Putins Krieg zeigt, dass sich die Macht auch über ökonomische Rationalitäten hinwegsetzen kann. Wirtschaftlich macht der Krieg für Russland keinerlei Sinn. Würden die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen nicht ins Militär und in die Taschen der Oligarchen fließen, sondern der gesamten russischen Gesellschaft zugute kommen, wäre Russland heute ein reicheres und mächtigeres Land.

Die Kriegswirtschaft in Russland ist aber stabil, die Geschäfte sind voll. Sind Sie nicht überrascht, wie wenig die westlichen Sanktionen bewirken?

Scholz: Die Sanktionen sind dafür gedacht, dass wir die Handlungsmöglichkeiten Russlands, diesen Krieg zu führen, beschränken. Das ist gelungen. Aber natürlich hört ein Land mit 140 Millionen Einwohnern und viel Rohstoffen nicht auf, Dinge herzustellen und zu konsumieren.

Müssen die Sanktionen verschärft werden?

Scholz: Sie sind sehr umfangreich. Nun müssen wir vor allem stärker schauen, dass sie nicht umgangen werden.

Aber der innenpolitische Preis ist hoch. Gerade in Ostdeutschland leiden viele Unternehmen unter den Russland-Sanktionen. Was sagen Sie den Leuten dort?

Scholz: Erstens: Es geht darum, die Friedensordnung Europas zu verteidigen. Russland führt einen imperialistischen Krieg und darf nicht siegen. Zweitens: Russland hat seine Gaslieferungen eingestellt, nicht wir. Drittens haben wir es mit sehr viel öffentlichem Geld geschafft, die ökonomischen Folgen des Krieges bei uns abzuwettern. Wir haben neue Bezugsquellen für Gas und Öl erschlossen, Terminals gebaut, um Flüssiggas zu importieren. All das hat dazu geführt, dass die Energiepreise wieder sinken.

Aber die Menschen vertrauen der Erfolgsgeschichte, die Sie erzählen, nicht. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass die Ampelparteien das Vertrauen der gesellschaftlichen Mitte verloren haben, weil die Menschen die wirtschaftlichen Folgen von Krieg und Inflation spüren.

Scholz: Nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen haben viele damit gerechnet, dass uns eine zehnjährige Wirtschaftskrise droht, von der sich Deutschland nicht mehr erholt. Das haben wir durch entschlossenes Handeln verhindert.

Um mehr Zuversicht zu wecken, schlagen Experten vor, ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft aufzulegen. Schaffen Sie das?

Scholz: Wir schaffen eine erfolgreiche Angebotspolitik, indem wir die Infrastruktur Deutschlands entwickeln und den Klimaschutz voranbringen. Ein Beispiel: Im Bereich der erneuerbaren Energien planen wir allein fünf neue Stromtrassen, damit der Strom aus sauberen Quellen überall da ankommt, wo er gebraucht wird. Ein anderes Beispiel: Die Pharmawirtschaft investiert immens, weil wir mit dem Gesundheitsdatengesetz und dem Medizinforschungspaket den Standort attraktiver machen.

Brauchen wir mehr öffentliche Investitionen?

Scholz: Wir brauchen öffentliche Investitionen. Deshalb haben wir sie massiv ausgeweitet. Vor allem aber brauchen wir Rahmenbedingungen, die privatwirtschaftliche Investitionen in großen Dimensionen möglich machen. Ein drittes Beispiel: Demnächst wird im Bundestag das Solarpaket verabschiedet, das zu deutlich mehr privaten Investitionen führen wird. Von solchen Initiativen brauchen wir noch mehr.

Das Wort Schuldenbremse wollen Sie nicht in den Mund nehmen?

Scholz: Ich habe keine Hemmungen, das Wort auszusprechen. Oft ist zu hören, man solle über eine Reform nachdenken. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat – die sehe ich im Moment nicht. Deshalb sollten wir im Rahmen der Möglichkeiten handeln, über die wir jetzt verfügen. 

Im Krieg in Gaza sind mehr als 30.000 Menschen gestorben, die meisten davon Frauen und Kinder. Deutschland ist der zweitwichtigste Waffenlieferant für Israel. Wieso stellt die Bundesregierung nicht wie die USA Bedingungen, um Zivilisten besser zu schützen?

Scholz: Bei all unseren Waffenlieferungen gilt, dass die Waffen im Rahmen des Völkerrechts eingesetzt werden müssen und damit keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden dürfen.

Wieso wollen Sie nicht darüber diskutieren, solche Lieferungen an schärfere Bedingungen zu knüpfen?

Scholz: Deutschland steht eng an der Seite Israels. Israel hat das Recht, sich nach dem barbarischen Überfall der Hamas vom 7. Oktober zu verteidigen. Die Geiseln müssen endlich freikommen. Gleichzeitig dringen wir seit längerem darauf, dass mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangt – 500 Lastwagen pro Tag. Das habe ich zuletzt bei einem gemeinsamen Presse-Auftritt mit dem israelischen Premier sehr klar gesagt – absichtlich auf Englisch im Übrigen. Ich habe vor einer Bodenoffensive auf Rafah gewarnt und deutlich gemacht, dass wir weiterhin auf eine Zwei-Staaten-Lösung setzen, denn auch die palästinensische Bevölkerung braucht eine Perspektive.

Die Netanjahu ausgeschlossen hat. Muss die Bundesregierung Waffenlieferungen nicht an politische Forderungen binden?

Scholz: Jede Waffenlieferung, die wir genehmigen, bewerten wir im Vorfeld sehr sorgfältig.

Würde die Bundesregierung weitere 30.000 getötete Zivilisten hinnehmen?

Scholz: Wir trauern um alle zivilen Opfer – und sind im ständigen Gespräch mit Israel.