"Verlorene Kapazitäten wieder aufbauen"

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Generalinspekteur im Interview "Verlorene Kapazitäten wieder aufbauen"

Zu wenig Personal, schlechte Ausrüstung, zu wenig Geld - so urteilen die Kritiker über den Zustand der Bundeswehr. Die deutschen Streitkräfte seien auf dem richtigen Weg und müssten die begonnenen Trendwenden konsequent weiter verfolgen, antwortet der Generalinspekteur der Bundeswehr. Es gebe bereits eine Reihe von "Erfolgsgeschichten, die meist unter dem Radar laufen".

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General Eberhard Zorn

"Mit vielen unserer Fähigkeiten sind wir auf internationalem Top-Niveau", sagt der ranghöchste Soldat der Bundeswehr.

Foto: Bundeswehr/photothek/Thomas Imo

Die Bundeswehr hat beim Besuch der Bundeskanzlerin im Mai 2019 in Munster eindrucksvoll ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft dargestellt. Dennoch gibt es immer wieder Debatten über die Ausstattung und Finanzierung der Streitkräfte. Die Bundeswehr habe in den vergangenen Jahrzehnten an Substanz eingebüßt, baue diese aber modernisiert wieder auf, sagt der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, im Interview mit bundesregierung.de.  

Was ist aus Ihrer Sicht jetzt dringend notwendig, wo sehen Sie aktuell den größten Investitionsbedarf für die Bundeswehr? Was muss gegebenenfalls gestrichen werden?

General Eberhard Zorn: Wir haben einen klaren Plan mit dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Das zeigt deutlich, welche Investitionen an welcher Stelle in den nächsten Jahren notwendig sind. Beispiele sind die umfassende Digitalisierung der Landoperationen, aber auch Einzelprojekte wie der schwere Transporthubschrauber oder die deutsch-französischen Rüstungsprojekte. Mit Frankreich gemeinsam wollen wir das neue Kampfflugzeug FCAS und den Kampfpanzer der nächsten Generation realisieren. Wichtig ist, dass diese Vorhaben auch nachhaltig finanziert werden. Dafür benötigen wir einen kontinuierlichen Anstieg der Finanzmittel. Das sind wichtige Investitionen in ein Europa, das seine Bürger schützt.

Zum Thema "Streichen": Man hat sich nach dem Ende des Kalten Kriegs mehr als 20 Jahre sehr intensiv mit dem Streichen und Kürzen beschäftigt, aber wenig damit, was die Bundeswehr braucht, um dauerhaft einsatzfähig zu sein. In manchen Bereichen haben wir in diesen Jahren wertvolle Substanz abgehobelt, vor allem bei den Ersatzteilvorräten.

Jetzt geht es darum, die verlorenen Kapazitäten auf einem modernen Niveau wieder aufzubauen. Das strengt an, ist aber auch eine erfüllende Aufgabe, weil man die Fortschritte sieht. Den Leistungssprung, den wir jetzt bei der VJTF sehen, werden wir nun immer weiter in die Breite der Bundeswehr tragen.

2023 soll für die nächste Standby-Phase der VJTF eine Brigade bereitstehen, die über das gesamte Material verfügt, ohne sich von anderen Einheiten Material leihen zu müssen. Halten Sie das wirklich für möglich? 

General Eberhard Zorn: Ja, das halte ich für möglich. Wir haben einen ambitionierten Plan. Bis 2023 wollen wir eine Brigade entsprechend mit modernstem Material ausrüsten, vom Panzer bis zum Kampfschuh. Aber das ist noch nicht alles. Parallel wird sich auch Schritt für Schritt die Ausstattung der restlichen Bundeswehr erheblich verbessern.

Allein im Jahr 2018 hat die Bundeswehr 13 Transporthubschrauber, 10 Eurofighter und mehr als 100 Panzer erhalten, darunter 72 Schützenpanzer "Puma". In dieser Legislaturperiode erwarten wir unter anderem mehr als 200 weitere Panzer, 14 Marinehubschrauber vom Typ "Sea Lion", die ersten Fregatten des neuen Typs F125 und jede Menge persönliche Ausstattung, darunter Kampfstiefel für alle Klimazonen. Das sind Erfolgsgeschichten, die meist unter dem Radar laufen.

Bei all dem rechne ich aber nicht damit, dass alles auf Anhieb glattgeht. Wachsen strengt an und es knirscht manchmal deutlich in der Bundeswehr. Aber das ist unvermeidlich, wenn man vorankommen will.

Deutschland hat mit der VJTF 2019 aktuell eine Führungsrolle im Nato-Bündnis übernommen. Gleichzeitig bemüht sich die Bundesregierung aber auch um eine engere Kooperation mit den europäischen Partnern. Wie passt das zusammen?

General Eberhard Zorn: Das passt sehr gut zusammen. Mit unserer Führungsrolle bei der VJTF 2019 leistet die Bundeswehr einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit der Nato. Und die Nato ist und bleibt der wichtigste Pfeiler der Landes- und Bündnisverteidigung. Aber es gibt immer auch Krisenherde, die vor allem Europa etwas angehen und eben nicht unbedingt die Nato – in Afrika zum Beispiel. Und genau hier muss Europa dann handlungsfähig sein. Auch deshalb haben wir gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten der EU die ständige strukturierte Zusammenarbeit PESCO im Bereich Sicherheit und Verteidigung ins Leben gerufen – deren Anstrengungen wiederum dem transatlantischen Verteidigungsbündnis nützen. Denn ein starker europäischer Pfeiler stärkt auch die Nato.

Wie schätzen Sie als ranghöchster Soldat der Bundeswehr die sicherheitspolitische Lage ein? Wie beurteilen Sie die Bedrohungslage?

General Eberhard Zorn: Ich sehe aktuell drei Bereiche, in denen wir und unsere Bündnispartner fast täglich Bedrohungen zu spüren bekommen. Das sind zum einen hybride Bedrohungsszenarien mit Bedrohungen und Angriffen aus dem Cyber-Raum auf unsere IT-Systeme und IT-Infrastruktur.

Zweitens ist der internationale Terrorismus unverändert gefährlich. Es gibt immer noch die Gefahr von Anschlägen zu Hause – und in vielen Einsatzländern wie Mali oder Afghanistan sind Anschläge wöchentliche Realität. Gewaltsame Konflikte wirken destabilisierend auf Länder, in denen wir uns engagieren und denen wir helfen wollen, sich friedlich zu entwickeln. Aber um genau dem entgegenzuwirken sind wir ja vor Ort.

Als Drittes beunruhigen mich die weit gesteckten strategischen Interessen Russlands und Chinas, von der Arktis bis Afrika, gekoppelt mit einer systematisch vorangetriebenen Modernisierung und Stationierung der militärischen Potenziale. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der Aufkündigung des INF-Vertrages und der Gefährdung des Rüstungskontrollregimes eine besorgniserregende Entwicklung.

Auslandseinsätze, Nato-Speerspitze, Landes- und Bündnisverteidigung und Hilfe bei Naturkatastrophen im Inland. Können die Soldatinnen und Soldaten all diese Aufgaben meistern?

General Eberhard Zorn: Die Bundeswehr ist besser, als die Schlagzeilen es oft darstellen. Mit vielen unserer Fähigkeiten sind wir auf internationalem Top-Niveau, das zeigt nicht nur die VJTF. Und auch quantitativ geht es voran. Personell wachsen wir. Die Bewerberzahlen sind stabil, trotz einer herausfordernden Demografie und einer sinkenden Zahl an Schulabgängern. Auch die Investitionen der vergangenen Jahre zahlen sich endlich aus, das Material kommt jetzt Schritt für Schritt in der Truppe an.

Zum Teil wird es allerdings etwas länger dauern, bis wir in diesem riesigen Aufholprozess auf einem Stand sind, mit dem wir zufrieden sein können. Das gilt vor allem für technisch komplexe Waffensysteme, zum Beispiel Hubschrauber. Aber auch da sind wir dran.

Natürlich sind die Aufgaben, denen wir uns stellen müssen, sehr anspruchsvoll. Aber ich habe die Truppe bei meinen Besuchen im In- und Ausland hochmotiviert und vor allem sehr einfallsreich bei der Lösungsfindung erlebt. Und genau darauf kommt es an, wenn man sich einer Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen stellen muss.