"Digitale Gesundheitsagenda" nutzt Patienten

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Im Wortlaut: Gröhe "Digitale Gesundheitsagenda" nutzt Patienten

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem birgt große Chancen, schreibt Bundesgesundheitsminister Gröhe in einem Zeitungsbeitrag. "Deswegen müssen wir Datenschätze heben", so der Minister. "E-Health" müsse neben den technischen Möglichkeiten die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.

  • Ein Beitrag von Hermann Gröhe
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe.

Gröhe: Die elektronische Gesundheitskarte ist ein erster Schritt zu einer sicheren elektronischen Patientenakte.

Foto: Bundesregierung/Kugler

Das Smartphone ist gerade zehn Jahre alt. Heute zählt es, wie andere Tracker, Wearables und Apps, unsere Schritte und den Puls, registriert unser Essen, verfolgt unsere Bewegung, unseren Schlaf. Der "digitale Leibarzt" nimmt Gestalt an - mit Handykameras, die Herzrhythmusstörungen erfassen, oder mit Computerprogrammen, die helfen, Sehstörungen von Kindern zu korrigieren. Diabetes-Patienten können in Zukunft ihren Blutzucker durch Kontaktlinsen kontrollieren.

Die Digitalisierung ist der mächtigste Treiber der Veränderung nicht nur in unserer Lebens- und Arbeitswelt, sondern auch im Gesundheitswesen. Sie birgt viele Chancen für mehr Lebensqualität und eine bessere Gesundheitsversorgung. Im Mittelpunkt stehen muss der Nutzen für die Versicherten und die Bedürfnisse der Patienten: hohe Versorgungsqualität, Teilhabe am medizinischen Fortschritt, Selbstbestimmung, Verständlichkeit und Sicherheit. Daran muss sich eine "digitale Gesundheitsagenda" ausrichten.

Digitalisierung muss mehr Sicherheit bringen. Die Chancen dafür sind gut. Denn gegenwärtig wird die Mehrzahl der fünf Milliarden Behandlungsdokumente im Jahr zwischen Arztpraxen, Laboren und Krankenhäusern per Fax oder Brief übermittelt. Das ist aus Sicht des Datenschutzes keine befriedigende Lösung. Wenn wir 150.000 Arztpraxen, 2,3 Millionen sonstige Gesundheitsberufe, 2000 Krankenhäuser, 20.000 Apotheken und über 70 Millionen gesetzlich Versicherte digital vernetzen, verbessert das auch den sicheren Umgang mit Daten. Künftig sollen alle digital erfassten medizinischen Daten doppelt verschlüsselt und Zugriffe durch den Arzt protokolliert werden. Das im E-Health-Gesetz festgeschriebene System wird seit kurzem getestet. Sind die Tests erfolgreich, wird die neue Telematikinfrastruktur von Sommer an schrittweise deutschlandweit eingeführt.

Die elektronische Gesundheitskarte ist das Kernstück dieser Telematikinfrastruktur. Sie ist auch ein erster Schritt zu einer sicheren elektronischen Patientenakte. Persönliche medizinische Befunde, elektronische Rezepte, Patiententagebücher oder Patientenpässe lassen sich mit ihr speichern. Sie sind eine echte Chance für mehr Selbstbestimmung der Patienten.

Die Menschen erwarten zu Recht eine bestmögliche medizinische Versorgung. Deswegen müssen wir Datenschätze heben. Je mehr Versorgungsdaten wir haben, umso leichter können sie mit den persönlichen Daten einzelner Patienten abgeglichen werden. Nur so können Krankheiten oder Risiken früher und besser erkannt und behandelt werden. Doch müssen Daten nicht nur digital erfasst, sondern vereinheitlicht werden.

Mit einem neuen Förderkonzept Medizininformatik fördert das Bundesforschungsministerium die Suche nach Wegen, Daten besser über die Grenzen einzelner Forschungsstandorte hinweg auszutauschen. Ziel ist, das medizinische Weltwissen für die Gesundheitsversorgung nutzbar zu machen.

Auch für die Kooperation von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern müssen die Fähigkeiten zum umfassenden Datenaustausch genutzt werden. Der neue "Innovationsfonds" wird mit jährlich 300 Millionen Euro Schwung die Entwicklung neuer Versorgungsformen- und in die Versorgungsforschung bringen. Neue digitale Verfahren zur Verbesserung der Patientenversorgung sollen Mauern einreißen und Brücken zwischen den Versorgungsbereichen bauen. Eines der Projekte wird erproben, wie auf dem Land chronisch herzkranke Patienten einen leichteren Zugang zu Spezialisten bekommen. Ihre Daten werden zu Hause erhoben und über eine Patienten-App auf dem Smartphone oder Tablet an ein digitales Versorgungszentrum übermittelt. So behalten alle Beteiligten den Überblick und können rasch eingreifen.

Telemedizinische Anwendungen werden wichtige Hilfsmittel sein, um durch eine intelligente Verbindung von Ärzten und Kliniken eine gute medizinische Versorgung gerade auch in den ländlichen Regionen zu sichern, die besonders vom Bevölkerungswandel betroffen sind.

Von unschätzbarem Wert sind die Datenschätze für die Forschung. Die Verbindung neuer Biotechnologien und der Digitalisierung wird die Medizin grundlegend verändern. Mit "Big Data"-Anwendungen können große Datenmengen schneller ausgewertet werden. Das erschließt neue Diagnosemöglichkeiten. So können Daten sehr vieler Patienten erfasst und auf bestimmte Gensequenzen hin untersucht werden - Gensequenzen, die Tumore auslösen. Wer sie erkennt, kann gezielt nach Wegen suchen, den Tumor zu bekämpfen.

Aber: Es gibt 22.000 Gene, die den rund drei Milliarden DNA-Buchstaben im menschlichen Erbgut zugeordnet werden müssen. Der Aufwand lohnt sich. Denn wo wir heute oft nur bestimmte Formen einer Erkrankung behandeln, werden wir in Zukunft eine Therapie entwickeln können, die ganz auf die einzelne Person abgestimmt ist und auf die genetisch bestimmte "Wurzel" einer Erkrankung zielt. So wird der Weg frei für eine "Präzisionsmedizin".

Wir müssen alle Kräfte bündeln und Hemmnisse für die Entwicklung und Nutzung der neuen Möglichkeiten abbauen. Wenn wir bei dieser Entwicklung ganz vorne mit dabei sind, können wir sicherstellen, dass die Menschen in Deutschland auch in Zukunft schnellen Zugang zum medizinischen Fortschritt haben.

Mit dem medizinischen Fortschritt stellen sich im digitalen Zeitalter neue ethische Fragen. Deshalb müssen wir Chancen und Risiken der Digitalisierung diskutieren und abwägen. Medizinischer Fortschritt führt dazu, dass früher erkannt werden kann, ob eine Krankheit eintritt.

Aber wie sollen wir damit umgehen, wenn es sich um Erkrankungen handelt, für die es in absehbarer Zeit keine wirksame Behandlung gibt? Wie sollen Menschen mit statistischen Prognosen, vermehrten Daten über den eigenen Körper und Schlussfolgerungen daraus umgehen? Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen. Einfach dürfen wir es uns nicht machen. Sowohl das Tun als auch das Unterlassen müssen durchdacht, begründet und abgewogen werden.

Zur Ethik gehört, dass der digitale Fortschritt nicht auf Kosten der Solidarität, des füreinander Einstehens geht. Alle müssen daran teilhaben können, und zwar unabhängig von Alter, Wohnort und Geldbeutel. Es geht um das grundlegende Bedürfnis nach Solidarität und Gerechtigkeit. Niemand darf in seinem Versicherungsschutz benachteiligt werden, wenn er oder sie bestimmte digitale Anwendungen nicht nutzen kann oder will. Auch das gehört zum Wechselspiel zwischen Datenschutz und Datenschatz. Unser solidarisches Gesundheitswesen ist ein hohes Gut, es darf durch den Fortschritt der Digitalisierung nicht in Frage gestellt werden. Dafür zu sorgen, wird eine der großen Aufgaben der Zukunft sein. Dabei spielt die Selbstverantwortung der Versicherten eine Rolle. Versicherte werden in Zukunft mehr darauf achten müssen, wem sie ihre Daten geben und zu welchem Zweck.

Schon heute nutzt jeder zweite Deutsche das Internet auf der Suche nach Gesundheitsinformationen. Dabei ist deren Qualität entscheidend. Hier müssen wir mehr tun. Um Gesundheitskompetenz für mehr Vorsorge und Vorbeugung zu stärken, brauchen wir gute und qualitätsgesicherte Angebote. Einrichtungen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bieten vielfältige Informationen. Wir müssen sie besser bündeln und leichter im Netz auffindbar machen. Wir brauchen ein deutsches Gesundheitsportal, auf dem alle wichtigen Informationen rund um das Gesundheitswesen zu finden sind - mit hoher Qualität und zugleich verständlich und leicht zu erfassen.

Das ist auch deshalb wichtig, weil es immer mehr Möglichkeiten der digitalen "Vermessung" des Körpers über Digitalgeräte gibt. Aber wie erkennt man, welche Information verlässlich ist und welche nicht? Darauf müssen wir politisch eine Antwort geben. Bei medizinischen Apps, die dazu dienen, Krankheiten zu verhüten, zu erkennen oder zu behandeln, müssen wir sicherstellen, dass sie als Medizinprodukte zertifiziert werden und die entsprechenden Anforderungen an Qualität und Sicherheit erfüllen.

Die Digitalisierung ist wirtschaftlich ein Treiber. Experten erwarten, dass sich das weltweite Marktvolumen des digitalen Gesundheitsmarkts von knapp 80 Milliarden Dollar 2015 bis 2020 auf mehr als 200 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln wird. Wir müssen Chancen auch hier nutzen. Deutschland ist Spitze bei medizinischem Fortschritt. Es ist bemerkenswert, dass deutsche Medizintechnik-Anbieter ein Drittel ihres Umsatzes mit Produkten erzielen, die keine drei Jahre alt sind - kein Wunder, dass die Gesundheitswirtschaft jedes Jahr rund 50 Prozent stärker wächst als die Gesamtwirtschaft.

Aber das ist kein Selbstläufer. Wir brauchen einen engeren Austausch von Industrie, Existenzgründern, Wissenschaft und Krankenkassen. Nur so findet Fortschritt schnell Eingang in die Versorgung der Versicherten. Das Ziel muss sein, solche Innovationen in der digitalen Gesundheitswirtschaft zu fördern, die einen echten Mehrwert für die Versicherten bringen und Kostenentlastungen für das Gesamtsystem ermöglichen.

Mehr Sicherheit, mehr Selbstbestimmung, wissenschaftlich abgesicherte und zugleich verständliche Gesundheitsinformationen, zukunftsweisende Versorgungsformen und neue Therapiemöglichkeiten - hier liegen die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Echten Fortschritt bringt uns die Digitalisierung aber nur, wenn wir nicht technische Möglichkeiten, sondern die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.