Forschen für Artenvielfalt, Moore und Klimaschutz

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Deutscher Umweltpreis Forschen für Artenvielfalt, Moore und Klimaschutz

Die Biodiversitätsforscherin und Makroökologin Katrin Böhning-Gaese und der Moorkundler Hans Joosten wurden mit dem Deutschen Umweltpreis  ausgezeichnet. Im Interview erzählen die beiden internationalen Spitzenforscher, wie sich weniger Artenvielfalt auswirkt – und warum es sich lohnt, Moore zu schützen.

6 Min. Lesedauer

 Portraitbild von Prof. Katrin Böhning-Gaese und Moorkundler Prof. Hans Joosten

Prof. Katrin Böhning-Gaese und Prof. Hans Joosten sind Preisträger des Umweltpreises 2021 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Eine der höchstdotierten Auszeichnungen dieser Art in Europa.

Foto: Michael Frank und Tobias Dahms

Frau Prof. Böhning-Gaese, Sie haben die Makroökologie in Deutschland und in Europa etabliert. Worum geht es in diesem Forschungsgebiet?

Katrin Böhning-Gaese: Die Makroökologie ist so etwas wie die Epidemiologie in der Medizin. Das heißt, wir arbeiten mit ganz vielen Daten zum Beispiel über ganz viele verschiedene Arten, über Langzeitbestandstrends, wir suchen nach Hotspots der Artenvielfalt und fragen, warum welche Arten zurückgehen, machen Zukunftsprognosen und untersuchen, was man tun könnte, um die Artenvielfalt zu fördern.

Wo beobachten Sie die größten Veränderungen von natürlichen Lebensräumen und Arten in Deutschland und in Europa?

Böhning-Gaese: Bei uns in Deutschland und in Europa geht die Artenvielfalt vor allem in der Agrarlandschaft, d.h. in Feldern, Wiesen und Weiden zurück. So haben wir in einer neuen Studie gezeigt, dass in Europa bereits seit den 90er Jahren insbesondere die insektenfressenden Vogelbestände der Agrarlandschaften zurückgingen. Das liegt daran, dass die Agrarlandschaft immer intensiver genutzt wird, dass wir Grünland verlieren und immer weniger unterschiedliche Sorten angebaut werden. Dazu kommt der Klimawandel, der die Ansiedlung von Tieren und Pflanzen aus dem Süden begünstigt. Gleichzeitig verlieren wir die eher nördlich verbreiteten Arten.

Was sind die Ursachen?

Böhning-Gaese: Die Ursachen sind vielfältig und mit einer einseitigen Ausrichtung auf landwirtschaftliche Produktivität verbunden. Neben einer Verarmung der Bewirtschaftungsmethoden und angebauten Kulturen ändert sich die Nutztierhaltung in Richtung Stallhaltung. Durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und zu viel Dünger, zu intensiver Bodennutzung verlieren wir Insekten, die nicht nur den Vögeln als Nahrung fehlen. Es gibt weniger Bienen oder Schmetterlinge, die Pflanzen bestäuben und weniger Vögel, die Pflanzensamen ausbreiten. Die biologische Vielfalt sichert aber die Lebensgrundlage auch für uns Menschen. Sie sorgt dafür, dass Ökosysteme funktionieren. Sie sorgt dafür, dass wir Nahrung, sauberes Wasser, dass wir überhaupt Luft zum Atmen haben.

Was muss getan werden, um den Artenrückgang aufzuhalten?

Böhning-Gaese: Gerade beim Rückgang der Arten in der Agrarlandschaft müssen wir alle handeln. Wir brauchen zum einen eine ökologischere Landwirtschaft, die die Biodiversität erhält. Damit die landwirtschaftlichen Betriebe ein gutes Auskommen haben, muss sich aber viel mehr ändern. Wir brauchen insbesondere Änderungen in der Agrarpolitik. Die jährlich über 6 Milliarden Euro Subventionszahlungen der EU an Deutschland dürfen nicht nach Fläche, sondern müssen für die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft ausgezahlt werden.  Aber auch wir Verbraucherinnen und Verbraucher müssen unser Verhalten ändern. Der Schutz der Artenvielfalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jede und jeder muss hier etwas beitragen.

Was können Verbraucherinnen und Verbraucher für mehr Klima- und Artenschutz tun?

Böhning-Gaese: Unsere Familie hat den Garten umgestaltet. Es gibt kaum noch Rasen, hauptsächlich Blühwiesen. Dort finden Insekten und andere Tiere wieder mehr Nahrung.
Wir essen zu Hause deutlich weniger Fleisch, dafür bewusster – am Wochenende den Sonntagsbraten. Ganz muss aber niemand darauf verzichten. Man sollte bedenken: Ohne Weidetiere würden unsere Grünlandökosysteme verschwinden. Das kann auch nicht das Ziel sein.

Herr  Prof. Joosten, Ihrer jahrzehntelangen Moorforschung ist es wesentlich zu verdanken, dass die große Bedeutung der Moore für den Klimaschutz erkannt wird. Woher kommt Ihre Liebe zu den Mooren?

Hans Joosten: Ich bin im niederländischen Ort Liessel am Rand eines Moores geboren. In den 1970er Jahren wurde dieses Moor angegriffen. Es war eine regionale Mülldeponie, es wurde umgepflügt für die Landwirtschaft, hunderte Hektar Torf wurden abgebaut. Und dann habe ich beschlossen: Das muss aufhören. Ich habe eine Moorschutzgruppe gegründet, und mein ganzes Studium den Mooren gewidmet - und bin seitdem auf Moore – auch weltweit – spezialisiert.

Menschen haben über Moore leider oft eher negative Vorstellungen. Sie werden mit Begriffen wie „Sumpf“ und „Dreck“ belegt. Dabei sind Moore faszinierende Naturplätze. Den meisten ist vermutlich gar nicht klar, dass die rauen und kargen Moorlandschaften ebenso zu unserer Identität gehören wie der Wald. Wir wollen unsere Moorbibliothek am Greifswald Moor Centrum zu einem globalen Kenntnis- und Kulturzentrum zu Mooren ausbauen. Wir werden es auch mit Hilfe dieses Preises schaffen, um mehr Aufmerksamkeit zu kriegen für die sehr positive Ökosystem-Dienstleistungen, die Moore uns bringen.

Warum sind Moore für den Klimaschutz so wichtig?

Joosten: Moore sind sehr wichtige Kohlenstoffspeicher. Sie enthalten weltweit etwa 600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das ist mehr als alle Biomasse auf der ganzen Welt speichert. Aber die Entwässerung von Moorböden, vor allem für land- und forstwirtschaftliche Nutzung, heizt den Klimawandel an, weil dadurch enorme Mengen an Treibhausgasen freigesetzt werden. Die Treibhausgas-Emissionen aus entwässerten Mooren in Deutschland machen fast sieben Prozent der gesamten Emissionen aus. Das ist mehr als der hier startende Flugverkehr an Treibhausgasen ausstößt. Wir brauchen deshalb Lösungen. Denn wir brauchen die Moore als unentbehrliche Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel.

Ihre Mission heißt: „Moor muss nass!“ Sie haben den Begriff der so genannten Paludikultur geprägt. Was ist das?

Joosten: Paludikultur ist eigentlich ein schönes Wort für Sumpfwirtschaft. Paludikultur ist eine nasse Landwirtschaft. Wir setzen sie ein als Alternative zur konventionellen Landwirtschaft, die Moore entwässert. Paludikultur erlaubt es, das Land, also das Moorland, wieder nass zu machen. Es werden Pflanzen angebaut, die an hohe Wasserstände angepasst sind, etwa Schilf, Rohrkolben oder Torfmoos. Das wird traditionell ja auch schon betrieben.

Wir brauchen das natürlich viel weitgehender. Die geernteten Pflanzen können nicht nur wie Schilf zum Dachdecken, sondern auch als Bau- und Dämmstoff oder als Verpackungsmaterial verwendet werden. Es laufen momentan sehr viele Pilotprojekte. Wir sind dabei neue Produktionsketten aufzubauen. Um den Treibhausgasausstoß der zu fast 95 Prozent trocken gelegten Moore zu verringern, müssen wir die Paludikultur breit entwickeln.

Welche Klimawirkung kann mit Paludikultur erzielt werden?

Joosten: Unser Team am Greifswald Moor Centrum hat eine Rechnung aufgestellt: Um bis 2050 die Treibhausgas-Emissionen aus Mooren in Deutschland weitestgehend zu reduzieren, müssten jährlich 50.000 Hektar landwirtschaftlich genutzte Moorflächen vernässt werden. Aktuell geht der Prozess mit rund 70.000 Hektar restaurierter Moorflächen in den letzten 40 Jahren allerdings nur schleppend voran.

Ich begrüße es, dass die Bundesregierung in ihrem Klimaschutzprogramm den Moorbodenschutz und die Verringerung der Torfverwendung aufgenommen hat. Es müssen zusammen mit der Landwirtschaft Lösungen gefunden werden. Ich bin ein Optimist und ein Kämpfer und ich suche gern nach Lösungen. Veränderungen brauchen Zeit, ja, aber ich bin mir sicher, dass wir den Schutz der Moore politisch und praktisch rechtzeitig umsetzen können.

Haben Sie noch einen Tipp für private Gärtner?

Joosten: Jede und jeder von uns kann etwas tun, um das Moor und damit das Klima zu schützen: Das einfachste ist, im eigenen Garten keine Erde mit Torf zu verwenden. Man kann stattdessen Komposterde nehmen oder beim Kauf auf torffreie Erde achten. Wir müssen unsere Lebensweise anpassen. Ich mag gern Fleisch und Milchprodukte, aber ich verzichte immer mehr darauf. Für das Klima ist es notwendig.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) wurde nach dem Beschluss der Bundesregierung vom Oktober 1989 ins Leben gerufen, um den Erlös aus dem Verkauf der bundeseigenen Salzgitter AG für eine Umweltstiftung zu verwenden Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Deutsche Bundesstiftung Umwelt" wurde am 18. Juli 1990 verkündet. Die DBU hat seither mehr als 10.200 innovative Umweltschutzprojekte mit besonderer Berücksichtigung der mittelständischen Wirtschaft mit rund 1,9 Milliarden Euro unterstützt. Mit dem Deutschen Umweltpreis wurden seit 1993 71 Einzelpersonen und Teams für ihre vorbildlichen Leistungen zum Schutz und Erhalt der Umwelt ausgezeichnet.