Verstehen, was unsere Gesellschaft zusammenhält

Interview mit Soziologieprofessor Verstehen, was unsere Gesellschaft zusammenhält

Am 1. Juni wird das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)  seine Arbeit aufnehmen. Professor Olaf Groh-Samberg der Universität Bremen berichtet über die Arbeit des Instituts und die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts - auch und vor allem während der Corona-Pandemie.

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Foto zeigt Olaf Groh-Samberg

Professor Olaf Groh-Samberg

Foto: Lukas Klose

Olaf Groh-Samberg ist Professor für Soziologie an der Universität Bremen. Zudem ist er beim Socium Forschungsinstitut beschäftigt, das bundesweit einzige sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut, das Fragen von Ungleichheit, Sozialpolitik sowie deren gesellschaftliche und politische Wechselwirkungen empirisch wie theoretisch untersucht. Als Sprecher des neuen Forschungsinstituts für Gesellschaftlichen Zusammenhalt (FGZ) setzt er sehr seine Arbeit in diesem Bereich weiter fort.

Warum braucht Deutschland ein FGZ?

Prof. Groh-Samberg: Der Ton zwischen den verschiedenen Interessensgruppen wird teilweise rauer, ob das um die Frage des Populismus, die Integration von Flüchtlingen oder beispielsweise auch um die Frage der sozialen und ökonomischen Ungleichheiten geht. Alles zusammen führt zur Wahrnehmung, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet oder herausgefordert wirkt. Gleichzeitig stehen uns große Transformationen bevor, beispielsweise die Auswirkungen der Corona-Pandemie, der Klimawandel oder die Digitalisierung. Das neue FGZ soll all diese Herausforderungen untersuchen, um besser verstehen zu können, was unsere Gesellschaft zusammenhält und wie wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken können.

Welche Aufgaben wird das FGZ zukünftig übernehmen?

Prof. Groh-Samberg: Das Besondere an diesem Institut ist, dass es dezentral organisiert ist. Es wird also keinen zentralen lokalen Forschungsort geben. Ein Verbund aus elf verschiedenen Forschungspartnern bilden gemeinsam das FGZ. Zusammen werden wir in den nächsten vier Jahren über 70 Projekte durchführen. Thematisch werden beispielsweise Aspekte von Polarisierung und Populismus, Identitäten und regionale Erfahrungswelten, Medien und Konfliktkultur sowie Antisemitismus und Hasskriminalität abgedeckt.

Neben der Universität Bremen gehören die Technische Universität Berlin sowie die Universitäten Bielefeld, Frankfurt, Halle-Wittenberg, Hannover, Konstanz und Leipzig sowie das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen, das Leibniz -Institut, Hans-Bredow-Institut für Medienforschung Hamburg und das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena zu dem Verbund.

Welche Auswirkung hat die Corona-Pandemie auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Prof. Groh-Samberg: Die Corona-Pandemie beschäftigt uns Wissenschaftler sehr, deshalb haben wir diesen Schwerpunkt auch in unser Gesamtkonzept mitaufgenommen. Die Pandemie beeinflusst den gesellschaftlichen Zusammenhalt massiv, beispielsweise durch Kontaktbeschränkungen, Social Distancing oder Grenzschließungen. Der Zusammenhalt wurde quasi stillgelegt, damit sich das Virus nicht verbreiten kann. Anderseits erfordert diese Zeit auch sehr stark Solidarität. Menschen machen die Erfahrung, dass es nun auf ihr individuelles Handeln in der Krise ankommt. Am Anfang der Pandemie spürte man sehr viel Solidaritätsbekundungen, momentan hingegen wird die Kritik an den Maßnahmen lauter. Man wird also schauen müssen, wie sich das weiter entwickelt - es ist jetzt wieder eine sehr offene Situation geworden. Deshalb werden wir uns mit der zentralen Frage beschäftigen: Wie verändert Corona mittel- und langfristig den Gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Sie beschäftigen sich insbesondere mit dem Thema "Gesellschaftlicher Zusammenhalt und die Rolle der Mittelschicht". Worum geht es in diesem Projekt konkret?

Prof. Groh-Samberg: Uns interessiert besonders, wie sich Mittelschichten in den politischen und kulturellen Bereichen verorten, wie sie sich intern unterscheiden und wie sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen. Dazu werden wir eine große Datenerhebung machen: Wir ziehen eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung und befragen Personen im jährlichen Abstand, sodass wir auch über die Zeit hinaus beobachten können, wie sich Lebenslagen und Einstellungen verändern. Daneben starten wir auch eine regionalisierte Befragung, um regionale Kontexte mit aufzugreifen.

Was passiert mit den Forschungsergebnissen?

Prof. Groh-Samberg: Dieses Institut soll ganz gezielt nicht nur Forschung, sondern auch Transfer betreiben. Wir streben an, Handlungsempfehlungen an die Politik zu geben, Szenarien auszuloten: Wie könnten sich die Dinge entwickeln und was müsste man tun, wenn man Entwicklung befördern oder zurückdrängen will? Um die Ergebnisse verständlich und besser an Politik und Öffentlichkeit zu kommunizieren, werden wir sie von Anfang an viel stärker in die Forschung einbeziehen. Das bedeutet: Wir werden uns auch mit der Frage beschäftigen, was interessiert eigentlich die Bevölkerung und wie kann man diese vermehrt für empirische Forschungsprojekte mobilisieren?