Ein Statement für Menschlichkeit und gemeinsame Werte

Faces of Europe - Interview mit Fotokünstler Carsten Sander Ein Statement für Menschlichkeit und gemeinsame Werte

Eine außergewöhnliche Reise führte Fotokünstler Carsten Sander durch alle 27 EU-Mitgliedstaaten. Seine Mission: 1.000 Porträts von Europäerinnen und Europäern. Die Bilder zeigt er in der Wanderausstellung "Faces of Europe" – ein Teil des Kulturprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Im Interview spricht Sander über seine Kunst, zufällige Begegnungen – und warum Europa auf einem guten Weg des Zusammenwachsens ist.

3 Min. Lesedauer

Der Fotograf Carsten Sander und sein Fotoprojekt Faces of Europe

Carsten Sander zwischen zwei Porträts von Faces of Europe im Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel

Foto: Vanessa Sanchez Fernandez

Herr Sander, was hat Sie zum Projekt "Faces of Europe" inspiriert?

Carsten Sander: 2015 habe ich für "Heimat. Deutschland – Deine Gesichter" 1.000 Menschen in Deutschland fotografiert. Für Faces of Europe bin ich jetzt über die Landesgrenzen hinweg gefahren – das finde ich einfach schön. Europa hat so unfassbar viele Länder, unterschiedliche Geschichten und verschiedene Menschen! Zusätzlich zu den Porträts habe ich bei Faces of Europe" auch gefilmt und Interviews geführt, das macht das Projekt noch lebendiger.

Wie können wir uns Ihre Reise vorstellen?

Sander: Wir waren mit dem Faces of Europe-Wohnmobil, das mir gleichzeitig als Fotostudio dient, quer durch Europa unterwegs. Das war wirklich eine beeindruckende Reise, die wir aufgrund der Corona-Pandemie um drei Monate verspätet und dann in kürzester Zeit gemacht haben. Wir, das sind ein Kameramann und ich.

Welche Vision verbinden Sie mit Faces of Europe?

Sander: Ich dachte vor meiner Reise, dass die Unterschiede zwischen den Menschen in Europa größer sind, doch das habe ich so nicht erlebt. Im Gegenteil: Ich finde, dass Europa auf einem guten Weg des Zusammenlebens ist, zumindest emotional. Faces of Europe dokumentiert dieses Zusammenleben als Europäische Gemeinschaft. Es soll ein Statement sein für Menschlichkeit, gemeinsame Werte und ein friedliches Miteinander.

Wie haben Sie die Menschen für die Fotos ausgewählt?

Sander: Ein Teil wurde von den Botschaften für mich ausgesucht, denn die Menschen vor Ort wissen am besten, wer für das jeweilige Land steht. So kam eine sehr gute Auswahl zusammen: Da waren Korruptionsgegner, Roma-Beauftragte, Schriftstellerinnen, Politiker und DJs dabei – auch Björn Ulvaeus von ABBA. Der andere, etwas größere Teil der 1.000 Porträts entstand aus spontanen Begegnungen mit Menschen, zum Beispiel auf der Straße oder am Bahnhof. Wir haben einfach mit den Leuten geredet und sie dann gefragt, ob wir sie wie alle anderen im mobilen Studio fotografieren können.

Was haben Sie für Erfahrungen bei Ihrer Reise gesammelt?

Sander: Ein Beispiel: Die baltischen Länder haben mich besonders überrascht. Die Menschen dort haben einen schönen Gemeinschaftssinn. Sie sind wesentlich jünger als bei uns - auch die Politikerinnen und Politiker - sie kommen dadurch auf ganz andere Ideen. In Litauen, Estland oder auch Finnland gibt es sehr gute Sozialsysteme, die oft ebenfalls von jungen Menschen geschaffen wurden und auf Grund derer es zum Beispiel sehr wenig Obdachlose gibt. Von diesen Ländern kann auch Deutschland noch etwas lernen; das muss auch bei uns möglich sein.

Zusätzlich zu den Bildern wählten Sie pro Land auch eine besondere Geschichte aus, die hinter dem Bild steht. Welche Erzählung hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Sander: Es gibt viele Geschichten, die auf verschiedene Art und Weise beeindruckend sind. Ich habe zum Beispiel den jüdischen Holocaust-Überlebenden Walter Frankenstein (96), der in Stockholm in einem Heim wohnt, aber noch sehr aktiv ist, porträtiert. Im Interview erzählte er, wie er während des Zweiten Weltkriegs immer wieder von Menschen um ihn herum versteckt wurde. In all diesen Jahren musste er dann irgendwann bei Martin Bormann die Fußleiste lackieren und sich anhören: "Wenn du einen Tropfen auf den Boden machst, bist du in Auschwitz!" Wenn man so etwas hört, dann ist das plötzlich viel näher als jede Fernsehdokumentation. Walter Frankenstein wollte seinen deutschen Pass immer behalten, obwohl er seit langem in Schweden lebt. Er möchte weiterhin in Deutschland wählen können, damit dort nicht rechte Kräfte die Oberhand gewinnen, sagt er.

Sehen Sie für Künstler und Kulturschaffende eine besondere Verantwortung für Europa?

Sander: Nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt! Man sollte dabei immer im eigenen Land anfangen. Ich sehe in der Kunst so oft Egozentrisches und die Verarbeitung von Persönlichem, das finde ich momentan nicht so angebracht. Ich möchte mit meiner Kunst die richtigen Fragen stellen.

00:57

Video Begegnung mit Europa

Carsten Sander, der in Berlin und Düsseldorf lebt, ist ein bekannter deutscher Fotograf und Künstler. Das Projekt Faces of Europe setzt Sander im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt um. Ausstellungen gibt es bislang in Brüssel, Straßburg und Berlin, demnächst auch in Den Haag und Rom. Nach Abschluss der Europa-Tour werden die Porträts in einen Bildband veröffentlicht.