Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und weiteren Teilnehmern im Anschluss an den 13. Integrationsgipfel am 9. März 2021

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, Daniel Gyamerah (Each One Teach One e. V.), Gonca Türkeli-Dehnert (Deutschlandstiftung Integration), Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, heute hat der 13. Integrationsgipfel stattgefunden. Im Mittelpunkt stand der Nationale Aktionsplan Integration der Bundesregierung, den wir in dieser Legislaturperiode erarbeitet haben. Federführend war natürlich die Staatsministerin für Integration. Es waren aber auch viele Ressorts vertreten. Stellvertretend für sie hören wir gleich noch einige Mitglieder der Bundesregierung.

Wenn ich „wir“ sage, sind das neben den Akteuren natürlich Bund, Länder, Kommunen und die Zivilgesellschaft. Dreihundert Akteure arbeiten gemeinsam an der Stärkung der Integration. Ich möchte allen ganz herzlich danken, natürlich auch denen, die heute an der Pressekonferenz stellvertretend für viele andere teilnehmen.

Beim Integrationsgipfel geht es letztlich immer wieder um Dialog und Austausch. Ich kann sagen, dass sich in über 13 Integrationsgipfeln seit 2006 dieser Austausch sehr verändert hat. Ich glaube, wir sind sehr viel stärker in die Kernbereiche dessen vorgestoßen, was Integration ausmacht.

Im Aktionsplan sind über hundert Kernvorhaben enthalten. Dies sind ganz konkrete Vorhaben, um hier wirklich voranzukommen. Alle Vorhaben sind an den fünf Phasen der Zuwanderung und des Zusammenlebens ausgerichtet. Ich finde, es ist sehr realistisch, dass wir diese Perspektive wählen. Ich will nur an die Phase I erinnern, in der wir uns mit der Phase vor der Zuwanderung und den Erwartungen beschäftigt haben. In Phase II haben wir uns mit dem Thema „Erstintegration: Ankommen erleichtern – Werte vermitteln“ und in Phase III mit der Eingliederung beschäftigt. Hier sind wir schon zu dem Thema „Teilhabe ermöglichen – Leistung fordern und fördern“ gekommen.

Heute haben wir uns mit Phase IV und Phase V beschäftigt, also dem Zusammenwachsen und dem Zusammenhalt, und zwar immer mit dem Ziel, dass aus einem Nebeneinander dann auch ein Miteinander wird. Wir alle sind Deutschland. Ziel und klares Votum für diejenigen, die hier lange und dauerhaft leben, ist, dass die Chance der Einbürgerung genutzt werden sollte.

Deutschland ist ein vielfältiges Land. Dazu bekennen wir uns ausdrücklich und glauben auch, dass darin ein Mehrwert für die Stärken unseres Landes liegt. Damit das ganze Potenzial dieser Vielfalt auch wirklich zur Geltung kommen kann, brauchen wir eine Vielzahl von Maßnahmen.

Wir sind über die Jahre und leider auch durch schreckliche Vorkommnisse - ich nenne nur Hanau; ich nenne nur NSU; ich nenne Halle - dazu gekommen, uns noch viel stärker mit den Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Hass und Antisemitismus zu beschäftigen. Ich glaube, gerade diese Beschäftigung, auch im Rahmen unseres Kabinettsausschusses, hat noch einmal zu einer Vertiefung der Diskussion und zu einer größeren Ehrlichkeit geführt.

Heute haben wir uns also mit den Phasen IV und V des Nationalen Aktionsplans Integration beschäftigt, zu denen auch die entsprechenden Berichte vorliegen. Die Phase IV umfasst zum Beispiel das Forum Sport, die Bereiche Gesundheit, Stadtentwicklung, Wohnen, Medien und Kultur. Es werden also sozusagen alle Sektoren betrachtet, die für die Gemeinschaft und das Zusammenwachsen der Gesellschaft stehen. In Phase V wird der Schwerpunkt vor allen Dingen auf politische Bildung und Partizipation, interkulturelle Öffnung, die Bedeutung von Einbürgerung und die Diversität in der Wirtschaft gelegt. Dies sind alles Themen, die hier in diesem Kompendium intensiv bearbeitet und auch mit Maßnahmen unterlegt wurden.

Ich möchte allen, die daran mitgearbeitet haben, ganz herzlich danken. Wir sind damit weitergekommen und haben gute Möglichkeiten, wirklich in die Bereite der Gesellschaft zu gehen.

Die Teilnehmer heute haben noch einmal angesprochen, dass - jedenfalls von der Grundidee her - bestehende Programme möglichst fortgeführt werden sollten. Diese Programme können immer wieder wechseln, aber sie müssen als solche erhalten bleiben. Darum werden wir uns kümmern, damit auch nach dem Ende dieser Legislaturperiode die Arbeit in diese Richtung fortgesetzt werden kann.

STM’in Widmann-Mauz: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland als wirtschaftliches starkes und modernes Einwanderungsland für die Zukunft aufzustellen, erfordert, dass alle ihre Fähigkeiten einbringen können und dass sie das auch tun. Das heißt Integration, und dafür braucht es jede und jeden - ob es die eingewanderten Fachkräfte aus der Europäischen Union oder aus Drittstaaten sind, ob es Geflüchtete, Kinder und Enkel der sogenannten Gastarbeitergeneration oder alle sind, die schon immer hier waren.

Integration und Zusammenhalt sind wie Globalisierung, Klimaschutz und Digitalisierung ganz entscheidende Zukunftsaufgaben für unser Land. Deshalb haben wir den Nationalen Aktionsplan Integration erarbeitet. In dieser Legislaturperiode setzen wir von Anfang an konsequent auf Integration - in Coronazeiten verstärkt natürlich auch digital - beim Deutschlernen, bei der Wertevermittlung, in der Berufsbildung oder beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Das sorgt für ein Leben auf eigenen Beinen, für stabile Zukunftsperspektiven und damit auch für ein gutes Zusammenleben in unserem Land.

Es zahlt sich für alle aus, in Integration zu investieren. Es ist nämlich ein Prozess, der alle angeht: diejenigen, die zu uns kommen, aber auch die Menschen in der Gesellschaft oder in die die Menschen kommen. Erstens ist Integration ein Treibstoff für unseren Wirtschaftsstandort. Im internationalen Wettbewerb brauchen wir die klugen Köpfe und die großen Talente in unserem Land. Ganz wesentlich ist dabei auch die (akustisch unverständlich) Integration, zum Beispiel auch von Frauen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte. Es ist ganz wichtig, sie voranzutreiben, denn sie prägen ja gerade auch die nächste Generation.

Zweitens. Deutschlands Wohlstand und Erfolg liegen im Zusammenhalt. Faire Chancen und gleichberechtigte Teilhabe müssen genauso selbstverständlich sein wie das Bekenntnis zu unseren gemeinsamen demokratischen Institutionen. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die dieses Bekenntnis teilen und leben, auch ganz selbstverständlich dazugehören sollen.

Der Nationale Aktionsplan Integration ist ein Gemeinschaftswerk. In ihm ist, wenn man so will, die gesamte Integrationsexpertise von Bund, Ländern, Kommunen und der Zivilgesellschaft, einschließlich der Migrantenorganisationen, eingeflossen. Wir haben in dieser Legislaturperiode damit den strategischen integrationspolitischen Ansatz für die 2020er-Jahre gesetzt. Wir haben mit dem Nationalen Aktionsplan Integration aber auch ein praxistaugliches Werkzeug gerade für die systematische Integrationsarbeit des Integrationsmanagements vor Ort mit mehr als hundert konkreten Maßnahmen als eine gute Investition in die Zukunft geschaffen, damit es wirtschaftlich stark und integrativ bleibt.

Vielen Dank.

Gyamerah: In Deutschland leben über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft. Wie für viele Communitys ist es auch für uns kurz nach dem Jahrestag des rassistischen Terroranschlags in Hanau schwer, über Integration und Zugehörigkeit zu sprechen. Im Kontext von Integration wird häufig nicht einmal von einem Brückenbau zwischen gesellschaftlichen Gruppen gesprochen, sondern dieser wird einseitig von Diskriminierten erwartet. Ich würde es trotzdem versuchen. Aber keine Brücke kann vom hohen Plateau ins Tal und gleichzeitig auf Augenhöhe gebaut werden. Auf der einen Seite sind Institutionen, Netzwerke und Ressourcen der weißen und dominanten Mehrheitsgesellschaft. Auf der anderen Seite geht es tief ins Tal, auf ein strukturell schwaches Fundament mit geringen finanziellen Mitteln, die den Säulenbau tragen.

Deshalb braucht es im Interesse aller Empowerment, nämlich spezifische Förderung für alle rassistisch, antisemitisch und anderweitig verschränkt diskriminierten Communitys, seien es Sinti und Roma, Sintize und Romnja, Musliminnen und solche, die als muslimisch diskriminiert werden, Juden und Jüdinnen, Deutschtürkinnen, die arabischen Communitys, Geflüchtete und so, so viele mehr.

Für Empowerment braucht es auch Gleichstellungs- und Partizipationsgesetze auf Bundes- und Landesebene mit Quoten und zum Beispiel eine deutlich gestärkte Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Natürlich braucht es weiterhin widerständige Communitys, die kollektiv solidarisch arbeiten.

Zusammenfassend heißt das: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel - weg vom einzelnen Projekt, hin zu antirassistischer und Empowerment-Infrastruktur - und nicht nur einige wenige Akteure. Im Rahmen staatlicher Verantwortung brauchen wir Gesetze, die die Zivilgesellschaft nicht kontrollieren, sondern institutionelle Diskriminierung innerhalb von Behörden abbauen.

Türkeli-Dehnert: Für die Zukunft Deutschlands brauchen wir Menschen mit Einwanderungsbiografien als Leader in Politik und Zivilgesellschaft. Wir stehen im Wettbewerb um die besten Köpfe mit dem Rest der Welt. In Deutschland haben wir talentierte junge Menschen mit Migrationsbiografien. Wir müssen diese erkennen und fördern. Das ist keine großzügige Geste, nein, es ist eine Notwendigkeit, die im ureigenen Interesse Deutschlands liegt.

Die Deutschlandstiftung Integration hat in den letzten Jahren mehr als 1000 junge, talentierte Menschen mit Einwanderungsbiografie im Rahmen des Mentoringprogramms „GEH DEINEN WEG“ gefördert. Wir verstehen uns als Talentschmiede, als eine Art Booster für das berufliche Fortkommen unserer Stipendiatinnen und Stipendiaten, die etwa zu zwei Dritteln aus nicht akademischen Familien kommen.

Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung ganz persönlich sagen: Diese überaus talentierten, kreativen jungen Menschen sprechen neben zwei Muttersprachen mindestens noch zwei weitere Fremdsprachen. Sie bekommen Stellenangebote aus der ganzen Welt. Sie müssen nicht in Deutschland bleiben, und viele von ihnen werden es auch nicht tun, wenn ihre Biografien und sie selbst hier nicht anerkannt werden und sie in ihrem eigenen Land nicht mitreden, mitentscheiden und mitbestimmen können.

Konkret bereiten wir mit ihnen den Weg zu Führungspositionen mit drei Projekten in Bundesverwaltung, Verbandswesen und Wirtschaft vor. Lediglich 12 Prozent der Belegschaft in Bundesbehörden hat eine Migrationsbiografie. Das ergibt sich aus einer Erhebung der Integrationsbeauftragten mit entsprechenden Handlungsempfehlungen. Dies soll unser Projekt „Vielfalt im Amt – ViA“ mit Hospitationsmöglichkeiten in teilnehmenden Bundesministerien und nachgeordneten Stellen unterstützen. Im Modellprojekt „Lead Me“ wollen wir junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit hochrangigen Akteuren aus bundesweit tätigen Verbänden, Interessensvereinigungen und der Politik im Rahmen eines Mentoringprogramms zusammenbringen. Wir unterstützen außerdem die Mentoringinitiative „2hearts“, einen Zusammenschluss erfolgreicher Start-up-Gründerinnen und -Gründer, Managerinnen und Manager sowie Investorinnen und Investoren mit Migrationsbiografien aus der Technologiebranche. Ziel ist es, gründungswillige junge Menschen bei ihren unternehmerischen Schritten zu begleiten und ihnen Zugang zu Netzwerken und Startkapital zu geben.

Ich glaube, Staat und Zivilgesellschaft können viele Chancen der Teilhabe eröffnen. Lassen Sie uns uns gemeinsam auf die bestmöglichen Chancen fokussieren, die Deutschland allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft bietet.

BM’in Giffey: Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben heute in der Diskussion nicht nur über Teilhabe, Sichtbarkeit und Repräsentanz gesprochen, sondern auch darüber, welche Bedeutung das Thema „Diskriminierung und Rassismus“ in der Einwanderungsgesellschaft hat, und darüber, dass wir immer noch an vielen Stellen ein Rassismusproblem in Deutschland haben. Daher ist es sehr wichtig, dass diese Themen auch im Nationalen Aktionsplan adressiert werden und dass wir ein eigenes Themenforum hatten, in dem es darum ging, wie wir gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorgehen können.

Wir haben im Rahmen dieses Forums mit mehr als 40 Migrantinnen- und Migrantenorganisationen, mit Wohlfahrtsverbänden und mit neuen deutschen Organisationen zusammengearbeitet, die daran teilgenommen haben. Die Arbeit ist nicht nur in den Nationalen Aktionsplan eingeflossen, sondern auch in den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Wir haben dort ja im letzten Jahr ein großes Maßnahmenpaket mit 89 Maßnahmen verabschiedet, um eben gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Wir haben das immer gefördert und unterstützt.

Vonseiten des Bundesfamilienministeriums ist im letzten Jahr im November die Kampagne „Vorsicht, Vorurteile!“ gegen Vorurteile und Rassismus gestartet worden, und wir arbeiten sehr eng mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zusammen. Es ist ja hier auch schon angesprochen worden, wie wichtig es ist, die Rolle der Antidiskriminierungsstelle zu stärken.

Wir haben gemeinsam zwei Forschungsprojekte in Auftrag gegeben, die sich mit der Frage befassen, wie ein flächendeckendes Angebot an Antidiskriminierungsberatung in Deutschland erreicht werden kann, zum anderen aber auch mit der Frage, wie eine einheitliche Dokumentation von Vorfällen, die gemeldet werden, und von Beratung, die dann insgesamt nötig wird, erfolgen kann.

Insgesamt kann man sagen, dass noch viel zu wenig Daten über die Lage der rassistischen Übergriffe, Anfeindungen und auch der Diskriminierungen vorliegen, die in der Gesellschaft vorkommt. Wir wissen von einzelnen Fällen von Menschen, die sich bei uns melden, die Beratung und Unterstützung erhalten wollen - natürlich auch vonseiten der vielen Organisationen, die andere Menschen vertreten -, aber wir benötigen dringend mehr Daten. Deswegen wollen wir gemeinsam mit der Antidiskriminierungsstelle einen nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor schaffen, der auf einer wissenschaftlichen Grundlage aussagekräftige Daten ermittelt, die eben Teilhabe und Chancengleichheit in unserer Gesellschaft fördern können, weil deutlich wird, was zu tun nötig ist.

Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium sowie dem Justizministerium auch schon im letzten Jahr begonnen, nicht nur unser Bundesprogramm „Demokratie leben!“ - das ist ja ein wichtiges Ergebnis des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus - fortzuentwickeln, weiterzuführen, zu bestätigen und es auch finanziell gut auszustatten. Das ist entschieden, und das wird auch kommen. Aber was wir auch brauchen - Sie wissen, dass ich mich dafür seit Langem dafür einsetze -, ist eine gesetzliche Grundlage, die unser Bundesförderprogramm, das einzelne Projekte fördert, auf eine verlässliche und auch gesetzliche Grundlage und verlässliche, sichere Füße stellt und es besser ausstattet. Wir sind im Moment in Absprache mit dem Bundesinnenministerium und dem Justizministerium dabei, Eckpunkte für ein Wehrhafte-Demokratie-Fördergesetz zu erarbeiten, das dann im Kabinett beschlossen werden soll. Ich hoffe sehr, dass es auch noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird, zu einer Einigung zu kommen, die es ermöglicht, dass wir dann nicht nur ein Bundesprogramm „Demokratie leben!“ haben, sondern auch ein Wehrhafte-Demokratie-Fördergesetz, das eben auch die Landesdemokratiezentren, die Partnerschaften für Demokratie, die bundesweiten Modellprojekte zur Demokratieförderung und auch unsere Netzwerke gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfreundlichkeit - egal ob Rechtsextremismus oder Antisemitismus oder eben Islamfeindlichkeit - absichert.

Die verschiedensten Bereiche müssen angegangen werden. Es ist ganz klar, dass das keine Aufgabe ist, die in Projekten erledigt werden kann, sondern dass es für sie auch eine verlässliche gesetzliche Grundlage braucht. Das ist auch heute in der Diskussion wieder deutlich geworden. Deswegen sind eben beide Prozesse, der für den Nationalen Aktionsplan, aber auch die Umsetzung der Ergebnisse aus dem Kabinettsausschuss Rechtsextremismus und Rassismus, wichtige Dinge, die in der Zukunft eine Rolle spielen werden.

Wir müssen es ganz klar so verstehen, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die uns alle fordert - das ist auch heute in der Diskussion deutlich geworden -: die Politik auf der einen Seite, auch die Wirtschaft, aber auch die Zivilgesellschaft, all diejenigen, die sich für eine freie und gleichberechtigte Gesellschaft und Teilhabe aller Menschen einsetzen. Mir ist immer wichtig, dass wir das Bild von Integration durch Normalität prägen, dass wir nicht Menschen in Gruppen einteilen und sie zuordnen, sondern dass wir einfach sagen: Das alles sind Deutsche, die in unserm Land leben und die hier sind und etwas bewerkstelligen und bewirken wollen. - Ich wünsche mir, dass wir die Menschen sehen. Es ist wichtig, dass wir sie in dem bestärken, was sie werden wollen, und nicht immer auf Wurzeln und Herkünfte schauen oder sie in Schubladen einteilen, sondern jeden Einzelnen, der hier in diesem Land lebt, befähigen, seine Talente und Potenziale auszuschöpfen. Das ist dann letztendlich gelungene Integration. - Vielen Dank.

BM Altmaier: (Aufgrund technischer Probleme fehlt der Beginn des Redebeitrags.) haben auch zur Folge gehabt, dass über Integrationsthemen in allen Teilen der Gesellschaft, auch in der Wirtschaft, verstärkt diskutiert und geforscht worden ist und dass wir heute einen ganz anderen Blick auf die Herausforderungen haben.

Es ist selbstverständlich für eine Gesellschaft, die durch Einheit und Diversität zugleich gekennzeichnet ist, dass sich diese Diversität auch im Arbeitsleben widerspiegeln muss. Aber es stellt sich in vielen Unternehmen, bestärkt durch Studien und durch Erfahrungen vor Ort, immer mehr heraus, dass es sich nicht nur um eine moralisch-gesellschaftliche Verpflichtung handelt, sondern dass dies auch im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland selbst ist. Betriebe haben erkannt, dass kulturell vielfältige Teams Vorteile im Wettbewerb um Märkte, um Kunden und um Fachkräfte haben, dass es gut für die Innovationsfähigkeit ist, gerade auch in schwierigen Zeiten wie denen der Coronapandemie und in der Zeit der Digitalisierung. Diversität macht in vielen Fällen einen guten, einen positiven Unterschied. Das müssen alle verstehen, und wir müssen für Aufklärung und Verbreitung dieser Erkenntnisse sorgen. Es gibt Studien des DIW.

Wir haben darauf reagiert, indem wir mit unseren Kompetenzzentren, indem wir in unseren Runden Tischen, die wir zu den Themen organisieren, in unserer Gründungsstrategie für mehr Selbstständigkeit auf das Thema Migrantinnen und Migranten als Gründerinnen und Gründer, als Führungskräfte, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen verstärkt Wert legen. Dies wird angenommen. Wir wollen alle verfügbaren Talente aktivieren.

Einen Beitrag dazu leistet natürlich auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das durch die Coronapandemie etwas in den Hintergrund getreten ist, das aber in seiner Anwendung Schritt für Schritt vorankommt.

Wir werden in den nächsten Monaten mit unseren Runden Tischen, mit den Integrationsscouts, mit den Themenforen, die wir eingerichtet haben, dafür sorgen, dass das Thema der Diversität als ein positives Thema stärker besetzt und wahrgenommen wird. Wir denken, dass wir mit diesem Herangehen auch einen Beitrag zu mehr Integration und gleichzeitig zu mehr wirtschaftlichem Erfolg leisten können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, warum gibt es immer noch keinen anonymisierten Bewerbungsbogen für den öffentlichen Dienst? Das würde sehr vielen Migranten den Zugang erleichtern, flächendeckend.

Eine zweite Frage, wenn Sie erlauben, die auch viele Migranten interessieren würde: Die Wirtschaft hat sich darauf verständigt, freiwillig mehr Tests in den Unternehmen zuzusagen. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend? Hätten Sie mehr erwartet?

BK’in Merkel: Um mit dem Zweiten zu beginnen: Ich bin zufrieden, dass die Wirtschaftsverbände, auch unterstützt vom DGB, diese Verpflichtungserklärung abgegeben haben. Wir haben sehr darauf geachtet, dass Verbindlichkeit da ist. Durch das Monitoring, durch die ständigen Berichte, was und wer daran teilnimmt, haben wir, denke ich, den Überblick. Wir erwarten, dass die Wirtschaftsunternehmen wirklich substanziell daran teilnehmen. Die Teststrategie ist ein Muss für die Möglichkeit von Öffnungen und eine Brücke, bis wir größere Teile der Bevölkerung geimpft haben werden. So werden wir Anfang April die erste Review, die erste Überprüfung, haben, wer mitmacht.

Ich kann nur alle einzelnen Unternehmen dazu aufrufen, sich diesem Aufruf der Wirtschaftsverbände anzuschließen. Denn die Verbände selbst haben kein direktes Durchgriffsrecht. Das heißt: Sie stehen dahinter; sie wollen es. Sie wollen auch mit all ihren Möglichkeiten dafür Sorge tragen. Aber es hängt zum Schluss an jedem einzelnen Unternehmen.

Wir in der Regierung werden uns natürlich sehr genau anschauen, was dabei herausgekommen sein wird.

Was den anonymisierten Fragebogen anbelangt, kann vielleicht auch die Staatsministerin noch etwas dazu sagen. Vom Grundsatz her muss der öffentliche Dienst seine Bewerber diskriminierungsfrei überprüfen. Ich finde es erst einmal schon ein vorweggenommenes Armutszeugnis, wenn der Name darüber Auskunft gibt, ob jemand eine Chance hat oder nicht, schon in der öffentlichen Verwaltung. Ich würde mir persönlich zutrauen, dass ich eine Bewerbung fair einschätzen kann, egal wie der Name lautet. Es geht ja nur um den Namen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir wirklich auch vorurteilsfrei über Bewerbungsbögen entscheiden können.

STM’in Widmann-Mauz: Ich darf vielleicht ergänzen. Ein Ergebnis des Nationalen Aktionsplans ist die Entwicklung einer Diversitätsstrategie für den öffentlichen Dienst auf Bundesebene. Wir haben im vergangenen Jahr die Ergebnisse der ersten großen Beschäftigtenbefragung der obersten Bundesbehörden vorgestellt. Wir haben dazu zunächst einmal eine gute Datengrundlage geschaffen, um zu wissen, wo wir stehen, und haben Handlungsempfehlungen erhalten, mit welchen Instrumenten wir Diversität von der Einstellung über die Chancen in der Weiterentwicklung und auch die Karrieren im öffentlichen Dienst ermöglichen können. Dafür sind anonymisierte Bewerbungsverfahren ein Element. Es gibt aber schon in der Einschätzung auch dessen, was Bewerberinnen und Bewerber mitbringen, zum Beispiel mit Mehrsprachigkeit oder auch mit ihrem Mehrwert für den öffentlichen Dienst, deutlich mehr zu erkennen, entsprechende Mentoringverfahren, die sie dann auch auf dem Weg in höhere Positionen begleiten. Wir wissen, dass der Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den höheren Vergütungsgruppen deutlich geringer ist als in den niedrigeren Vergütungsgruppen.

Der Prozess, den wir jetzt auf den Weg gebracht haben, wird in der Bundesverwaltung also zu entsprechenden Maßnahmen führen. Dessen bin ich mir sehr sicher. Die Bundesregierung hat sich, wie gesagt, auch in dem Beschluss des Kabinetts dazu bekannt. Damit sind wir auf einem guten Weg. Aber wir wollen uns den ganzen Werkzeugkasten auch in der Breite anschauen und je nach Behörde die richtigen Werkzeuge herausgreifen, die dann auch die besten Ergebnisse bringen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, was waren die Hauptforderungen der Migrantenorganisationen an Sie und an die Politik?

Darüber hinaus: Haben Sie heute auch über die Behauptung gesprochen, dass wegen mangelnder Sprachkenntnisse überdurchschnittlich viele Migranten an COVID erkrankt seien und man aus Angst, als Rassist bezeichnet zu werden, nicht darüber rede?

BK’in Merkel: Nein, darüber haben wir konkret nicht gesprochen, aber wir haben darüber gesprochen, dass eine offene Diskussion natürlich zu einer offenen Gesellschaft gehört und dass die Befindlichkeit, das Empfinden und auch die Situation derer, die eine Einwanderungsgeschichte haben, genauso zur Sprache kommt wie bei denjenigen, die in der Mehrheitsgesellschaft leben. Beides muss zur Sprache kommen.

Die erste Forderung heute war, dass eine hohe Sensibilität für Diversität in der Gesellschaft entsteht, dass man das reflektiert und weiß: Wo beginnt Rassismus eigentlich? Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Zweitens gab es die Forderung, dass wir die Programme, die wir haben, möglichst nicht beenden, sondern dass darauf etwas Neues folgt.

Die dritte Forderung war, dass vielleicht die strukturelle Beteiligung noch weiter entwickelt werden muss. Ich glaube, wir haben in dieser Legislaturperiode sehr viel getan, um das ganze Themenfeld aufzuarbeiten, aber jetzt geht es wirklich darum, diese ganzen Pläne strukturell in die Praxis umzusetzen, sodass sie in der Gesellschaft selbstverständlich werden. Es ist jetzt also sehr viel theoretische Arbeit gemacht worden, es sind Erhebungen gemacht worden, es sind Modellprojekte gemacht worden, aber ein Modell ist noch nicht das gesamte Leben. Vieles von dem, was wir hier machen, muss einfach zur Normalität werden - das ist der Wunsch, und zwar in der breiten Gesellschaft.

STM’in Widmann-Mauz: Ich kann vielleicht noch ergänzen: Wir haben natürlich auch darüber gesprochen, wie wichtig faktenbasierte Kommunikation ist und wie wichtig dabei gerade auch die migrantische Community sowie auch die Medien, die in die Communitys hineinwirken, sind. Auch hier haben wir einerseits eine gute Informationspolitik, die in vielen Sprachen durch die unterschiedlichen Ressorts angeboten wird. Aber die Verbreitung in die Communitys, auch über die Länder und die Zivilgesellschaft, ist enorm wichtig. Darüber haben wir heute auch gesprochen, und das ist ein guter Dialog.

BK’in Merkel: Damit wir hier nicht nur als Veranstalter zu Wort kommen: Vielleicht kann Herr Gyamerah noch sagen, was er in Bezug auf Vorhaben und Wichtigkeiten gehört hat?

Gyamerah: Vielen Dank. - Es wurde unter anderem der Punkt aufgemacht, auch von Tyron Ricketts, dass wir über eine neue Erzählung über Deutschland ins Gespräch kommen müssen und da sozusagen die Vielfalt der Bevölkerung sichtbar sein muss.

Ich will auch noch einmal kurz auf die Frage eingehen, die von der dpa zu anonymisierten Bewerbungsverfahren gestellt wurde, denn ich sehe das tatsächlich kritisch und unterstütze das gar nicht nur. Anonymisierte Bewerbungsverfahren können, wenn überhaupt, nur dann hilfreich sein, wenn sichergestellt ist, dass wirklich auch mehr Menschen, die von struktureller Diskriminierung, rassistischer Diskriminierung betroffen sind, angeworben werden und sich bewerben, man dann ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren hat und im letzten Schritt - so wie das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz es auch vorsieht - positive Maßnahmen, also „affirmative action“, möglich sind. Denn sonst haben wir nachher ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren und genauso wenige Bewerbungen, wie wir vorher hatten, und werden die Diversität unserer Gesellschaft nicht in den Bundesbehörden widerspiegeln können.

Ich möchte noch einen zweiten Punkt in Bezug auf Frau Giffeys Äußerungen ansprechen, den ich tatsächlich etwas anders sehe. Sie sagen ja immer, wir sollten wegkommen von den unterschiedlichen Bezeichnungen der Gruppen. Ich bin stolz darauf, schwarz zu sein und als schwarzer Mann in diesem Land zu leben. Ich würde gar nicht sagen, dass wir die Begriffe wegbekommen müssen; denn das Problem ist nicht die Diversität, sondern das Problem ist die Hierarchie dahinter. Deshalb würde ich sagen, dass wir so, wie wir im Bereich der Frauenförderung Frauen stärken, auch schwarze Menschen, People of Color, stärken müssen und mit einer völligen Normalität über diese Vielfalt sprechen müssen. Ich empfinde das gar nicht als etwas Negatives. - Danke schön.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, dieses Jahr wird das 60. Jubiläum des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland gefeiert. Seit 13 Jahren findet dieser Integrationsgipfel statt. Die Migranten empfinden aber immer noch, dass die Partizipation an der Gesellschaft nicht so gut funktioniert. Man empfindet im gesellschaftlichen Leben Vorbehalte. Wie kann man die Vorbehalte gegenüber Migranten aus der Welt schaffen?

BK’in Merkel: Wir feiern in diesem Jahr in der Tat den Jahrestag, den Sie genannt haben, mit dem ja auch ein neues Kapitel in der Geschichte Deutschlands begonnen hat. Damit das wirklich eine deutsche Geschichte wird, haben wir ja schon einige Schritte zurückgelegt. Endlich sind wir weg vom Wort „Gastarbeiter“ - es sind vielmehr Mitbürgerinnen und Mitbürger, viele mit deutscher Staatsbürgerschaft, und wir ermutigen auch viele weitere, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Trotzdem gibt es immer noch strukturelle Nachteile. Dem sind wir ja sozusagen auch auf der Spur, indem wir unsere Bildungs- und Integrationsberichte machen, indem wir uns immer wieder anschauen, wie die Schulabschlüsse und wie die Berufswünsche sind. Es ist ja nicht umsonst so, dass wir hier jetzt sprechen.

Ich finde, das was Herr Gyamerah gerade eben gesagt hat, sehr interessant und wichtig. Es geht nicht darum, dass wir alle gleich werden, sondern es geht darum, dass jeder seinen Platz in dieser Gesellschaft hat und das, was er oder sie an Hintergrund mitbringt, auch einbringen kann. Teilhaben bedeutet also nicht nur „Irgendjemand bietet etwas an, und dann habe ich daran teil“, sondern es geht auch darum, dass man mitgestalten will. Unser Land ist die Summe aller Individuen, und dabei soll jeder auch sein Potenzial und seine Möglichkeiten einbringen können. Deshalb geht es auch aus meiner Sicht in der Tat um die Hierarchie in der Vielfalt, und da brauchen wir eben eine Gleichheit. Wir alle wissen: Wenn wir gerecht sein wollen, dann müssen wir jedem die gleichen Chancen geben, und die Chancen sind nicht von vornherein immer gleich verteilt. Deshalb braucht es dieses Empowerment, wie Herr Gyamerah das nennen würde, beziehungsweise deshalb bedarf es an bestimmten Stellen der gezielten Förderung.

Es bedarf allerdings auch zweier weiterer Dinge, und das muss man auch ganz klar aussprechen: Es bedarf einer Mehrheitsgesellschaft, die offen ist und diese Vielfalt als Bereicherung begreift; es bedarf aber auch des Willens und der Bereitschaft derer, die in Gemeinschaften leben, in denen sehr viele Migranten sind, sich in diese Gesellschaft einzubringen. Dafür muss die Atmosphäre geschaffen werden. Das ist durchaus eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, aber es ist vor allen Dingen auch eine staatlich-strukturelle Aufgabe, dass der Staat das ermöglicht.

Auf diesem Stand, würde ich sagen, sind wir heute, und da haben wir noch sehr, sehr viel zu tun, um wirklich die vielen Vorurteile aufzudecken, die teils bewusst, teils unbewusst da sind, und natürlich auch die vielen rassistischen Ausschreitungen, die wir jeden Tag sehen - ob in Worten oder in Taten -, wegzubekommen. Da haben wir leider in den letzten Jahren sehr viel Ungutes erlebt - ich denke nur an NSU oder Hanau. Für jemanden, der zum Beispiel türkischstämmig ist, ist es dann nicht so einfach zu glauben, dass man hier genauso willkommen ist und die gleichen Möglichkeiten hat. Dafür wollen aber wir mit dieser Arbeit, die wir tun, sorgen.