Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach dem Global Health Summit am 21. Mai 2021

BK‘in Merkel: Guten Tag oder guten Abend, meine Damen und Herren! Bis eben hat der Global Health Summit, also der globale Gesundheitsgipfel, in Rom gedauert. Er wurde von Mario Draghi ‑ die Italiener haben ja die Präsidentschaft der G20 inne ‑ gemeinsam mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, veranstaltet. Ich denke, dass dieser Gipfel zur richtigen Zeit stattfand und die Aktivitäten, die ja schon unter saudi-arabischer Präsidentschaft mit der Gründung von ACT-A und der COVAX-Fazilität begonnen hatten, aufgenommen hat.

Wir hatten von deutscher Seite aus bereits 2017 das Thema der globalen Gesundheit auf die Tagesordnung gesetzt. Aber es hat sich jetzt natürlich trotzdem gezeigt, dass trotz mancher Vorbereitungen die Weltgesundheitsorganisation und die Welt insgesamt noch nicht ausreichend vorbereitet waren, um auf eine Pandemie zu reagieren. Deshalb ist es gut gewesen, dass sich die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder, aber auch einige Partner wie zum Beispiel Norwegen und die Schweiz und die entsprechenden Institutionen ‑ dazu gehören die großen multilateralen Institutionen, aber auch die Impfinitiative GAVI, CEPI und die Gates-Stiftung ‑ heute zusammengetan und in einem sehr konstruktiven und auch ergebnisorientierten Austausch Erklärungen abgegeben haben, die uns weiterbringen, insbesondere bei der Versorgung der Welt mit Impfstoff.

Ich begrüße sehr, dass die Ergebnisse in einer Erklärung von Rom zusammengefasst sind, die sich klar zur multilateralen Zusammenarbeit bekennt und die davon ausgeht, dass jetzt insbesondere die Entwicklungsländer zu unterstützen sind, und zwar in allen Bereichen, sowohl bei der Versorgung mit Impfstoffen und Diagnostika als auch bei der Verbesserung der jeweiligen Gesundheitssysteme.

Die Säule für die Impfstoffe bei ACT-A, bei dem Zugang zu den verschiedenen Dingen wie Diagnostika, Gesundheitssystemen und Impfstoffen, ist COVAX. Wir haben von deutscher Seite aus heute noch einmal 100 Millionen Euro aus dem Haushalt zugesagt, sodass unsere Beiträge zu diesem Impfbereich jetzt über eine Milliarde Euro betragen. Bisher konnten 125 Länder mit 70 Millionen Dosen versorgt werden. Aber wir wissen: Geld ist nicht alles, sondern der Impfstoff muss auch zur Verfügung stehen. Das deutsche Engagement in diesem ACT-A beläuft sich insgesamt auf über zwei Milliarden, auf 2,2 Milliarden Euro.

Weil die Impfstoffdosen bei COVAX in diesem Jahr noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, haben wir gesagt, dass wir von deutscher Seite aus bereit sind, bis zum Jahresende, vorausgesetzt natürlich, dass unsere bestellten Impfstoffe auch wirklich ankommen, 30 Millionen Dosen an ärmere Länder, vorzugsweise Entwicklungsländer, zu geben. Dies werden auch andere europäische Mitgliedsstaaten tun, sodass die Europäische Union bis zum Jahresende 100 Millionen solcher Dosen zur Verfügung stellen wird.

Erfreulich ist, dass heute auch die Industrie deutlich gemacht hat, dass sie in diesem Jahr noch 1,3 Milliarden Dosen für ärmste Länder und Länder mit mittlerem Einkommen zur Verfügung stellen wird, für die Ärmsten auch zum Selbstkostenpreis. Das heißt, dass COVAX diese Impfstoffe sehr billig weitergeben kann.

Es reicht nicht aus, dass wir einfach nur eine solche Säule für die Impfstoffproduktion haben, sondern wir müssen diese Produktion auch besser koordinieren und stärken. Dazu ist jetzt in der Impffazilität, also bei COVAX, eine Arbeitsgruppe zur Koordinierung der Produktion gegründet worden. Es ist für uns als Deutsche sehr erfreulich, dass wir einen Co-Vorsitzen in dieser Gruppe haben. Das ist Herr Röller, der Sherpa, der zusammen mit seinem südafrikanischen Kollegen diese Arbeitsgruppe führen wird. Die wird dann dem G20-Gipfel in Rom am 30. und 31. Oktober berichten.

Die Europäische Union hat unter dem Kennwort „Team Europe“ bekannt gegeben, und dafür stehen auch 1 Milliarde Euro zur Verfügung, dass wir insbesondere die Impfstoffproduktion in Afrika voranbringen wollen, und zwar mit dem Ziel, dass Afrika bis 2040  60 Prozent der dort insgesamt gebrauchten Impfstoffe selbst herstellen kann. Heute beträgt dieser Anteil gerade einmal einen Prozent. Dieser Kontinent muss also in die Lage versetzt werden, hier auch wirklich voranzukommen.

Was die Patente und Lizenzen anbelangt, so wird in der Erklärung von Rom auf die freiwillige Zurverfügungstellung von Lizenzen und geistigem Eigentum rekurriert, und das unterstütze ich sehr.

Wir wollen insgesamt natürlich die Rolle der WHO stärken. Dazu wird es in wenigen Tagen eine Weltgesundheitsversammlung geben, die einen Bericht darüber auswerten wird, welche Schwachstellen die Dinge hatten. Wir treten für einen Vorschlag ein, den der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, gemacht hat, nämlich einen Pandemievertrag zu entwickeln, um auf zukünftige Pandemien besser vorbereitet zu sein, als es im Augenblick der Fall ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte kurz auf die Situation in Deutschland vor Pfingsten zu sprechen kommen, nachdem die Cafés heute schon wieder voll sind. Fürchten Sie, dass bei diesen ganzen Lockerungen, die es nun in den Ländern gibt, die Inzidenz nach Pfingsten möglicherweise schnell wieder auf 100 steigen wird?

Haben Sie in diesem Zusammenhang jetzt ein bisschen weiter gedacht und vielleicht auch heute darüber gesprochen, wie Deutschland, Europa und die Welt darauf vorbereitet sind, wenn im Herbst eine Nachimpfung nötig sein wird? Kann man das jetzt schon planen?

BK‘in Merkel: Zuerst einmal können wir uns sehr freuen, dass die Inzidenzen in den letzten Tagen und auch in den letzten zwei Wochen so gesunken sind, dass wir überhaupt wieder über Öffnungsschritte nachdenken können. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht. Ich hoffe nach der langen Zeit des Schließens und der nicht gegebenen Möglichkeiten, dass die Menschen mit diesen Möglichkeiten auch sehr verantwortungsvoll umgehen. Das Virus ist nicht verschwunden. Deshalb sind die sogenannten AHA-Regeln nach wie vor unbedingt einzuhalten. Das heißt, Maskentragen und Abstandhalten sind von allergrößter Bedeutung. Wir haben ja im Gegenteil die Sorge, dass die indische Variante inzwischen auch bei uns vorkommt. Sie scheint noch etwas aggressiver als die britische Mutation zu sein. Das heißt also: Wir müssen aufpassen, aber wir können uns angesichts der Entwicklung eben auch Öffnungsschritte erlauben. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir bei der gebotenen Aufmerksamkeit und Sorgfalt, die hoffentlich viele und die allermeisten anwenden werden, dann nicht darüber reden müssen, dass wir wieder schließen müssen. Das Wetter ist eine Hilfestellung, aber das Wetter erlaubt nicht, zu vergessen, dass wir nach wie vor in der Pandemie leben.

Wie immer gab es nicht nur eine Frage, sondern zwei.

Zuruf: Nachimpfungen!

BK‘in Merkel: Ja, nach den Nachimpfungen. – Wir beobachten ja im Augenblick noch die Studien dazu, wann solche Nachimpfungen notwendig sind und ob das bereits im Herbst oder vielleicht etwas später stattfinden wird. Diese Studien werden wir auswerten. Wir werden schauen, dass wir bis zum Impfgipfel in der nächsten Woche schon einmal die besten Ergebnisse erhalten werden.

Wenn mit Nachimpfungen begonnen werden muss, dann mit Sicherheit wieder bei der älteren Bevölkerung. Aber ich sehe diese Aufgabe jetzt, vor dem Herbst, nicht auf uns zukommen. Das heißt, jetzt konzentrieren wir uns erst einmal darauf, möglichst viele in der Bevölkerung zu impfen, die noch nicht geimpft wurden. Das wird die Aufgabe des Sommers sein.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich würde gerne noch zu der weltweiten Versorgung mit Impfstoffen nachfragen.

Jetzt ist ja eigentlich genau das eingetreten, was man verhindern wollte: Die reichen Staaten, die Industriestaaten, haben trotz aller angekündigten Hilfe doch erst einmal sich selbst versorgt ‑ die Amerikaner vielleicht noch ein bisschen konsequenter, sage ich einmal, als die Europäer, aber wir eben auch. Kommt dieser Schritt jetzt nicht eigentlich zu spät?

Wie wollen Sie eigentlich in Afrika auf diesen Wert von 60 Prozent kommen? Sind das dann Fertigungsstätten von BioNTech und anderen europäischen oder amerikanischen Firmen, oder soll der Transfer doch an afrikanische Firmen gehen?

BK‘in Merkel: Erst einmal ist Europa ja in einer vergleichsweise guten Position: Wir haben 40 Prozent all dessen, was in der Europäischen Union produziert wurde, exportiert, und zwar nicht nur an reiche Länder, sondern auch an Länder, die man vielleicht als Länder mit mittlerem Einkommen bezeichnet. Das heißt, hier ist sehr viel passiert. Die ersten Dosen ‑ ich habe es ja gesagt: 70 Millionen Impfstoffdosen ‑ sind auch an 125 Länder gegangen, bei denen auch sehr arme Länder dabei sind. Es ist dort also langsamer begonnen worden, aber es ist auch begonnen worden. Man darf auch nicht vergessen, dass zum Beispiel durch die Produktion in China und auch durch die Produktionsstätten in Indien auch Länder mit mittlerem Einkommen sich bereits versorgen. Das heißt also, es sind nicht nur die reichen Länder. Aber natürlich ist es richtig, dass die Zeit jetzt drängt und dass zum Beispiel auch Entwicklungsländer mehr Zugang zu Impfstoffen bekommen müssen. Deshalb ist ja auch die Mitteilung, 1,3 Milliarden Dosen vom heutigen Tag an noch in diesem Jahr zur Verfügung zu stellen, eine gute Mitteilung; denn das sind ja doch substanzielle Beträge.

Zweitens. Das, was ich mit den 60 Prozent als Ziel genannt habe, ist eine Zielsetzung für das Jahr 2040, das heißt also, für heute in knapp 20 Jahren. Hier gibt es ja Anknüpfungspunkte, zum Beispiel in Südafrika die Firma Biovac, die bereits heute Impfstoffe herstellt. Von Johnson & Johnson wird bereits in Südafrika hergestellt. Das heißt, das werden zu großen Teilen auch Kooperationen mit südafrikanischen Firmen sein, oder aber eben auch Ausgründungen aus den schon jetzt auf der Welt produzierenden Firmen. Schritt für Schritt wird Afrika und werden die afrikanischen Länder aber eben auch die Kapazität und die Fähigkeit entwickeln, solche Impfstoffe herzustellen. Aber das geht ja weit über Corona hinaus; es geht dann ja auch um die vielen Impfstoffe, die gegen andere Krankheiten gebraucht werden ‑ Malaria, Ebola und vieles andere mehr. Da finde ich den Anspruch des afrikanischen Kontinents oder der Afrikanischen Union schon sehr richtig.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, können Sie sich vorstellen, noch als Bundeskanzlerin mit US-Präsident Biden eine größere Friedensinitiative für den Nahen Osten zu starten oder anzustoßen?

Sie haben in diesem Zusammenhang auch von der Unverzichtbarkeit der indirekten Gespräche mit Hamas gesprochen. Was heißt das konkret?

BK‘in Merkel: Premierminister Netanjahu hat heute zum Beispiel dem ägyptischen Präsidenten gedankt, der eben gerade auch im Hinblick auf den Gazastreifen sehr initiativ war, um den Waffenstillstand mit zu befördern. Das war mit meinen Worten gemeint.

Wenn es Initiativen gibt, dann müssten die natürlich zum Beispiel von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben hier ja schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. Frankreich und auch Großbritannien werden bei so etwas eine wichtige Rolle spielen, und auch Deutschland ist dazu natürlich bereit. Eine konkrete, über den jetzigen Waffenstillstand hinausgehende Initiative gibt es aber noch nicht.

Ich bedanke mich und wünsche Ihnen ein frohes Pfingstfest!