Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz zu aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik

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BK Scholz: Schönen Dank für die Einladung zu dieser Pressekonferenz und die Gelegenheit, ein bisschen über alle Themen, die Sie bewegen, zu sprechen, die natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes umtreiben.

Wir haben ernste Zeiten - ich glaube, das weiß jede und jeder in diesem Land -, die uns auch noch viel abverlangen werden, was diesen Winter und das nächste Jahr betrifft. Aber es ist auch so, dass wir in diesem Sommer ein bisschen spüren, dass es den Urlaub gibt und dass man das schöne Wetter und die Zeit genießen kann. Ich habe den Eindruck, dass viele Bürgerinnen und Bürger das auch tun. Ich jedenfalls habe mich in meinem Urlaub gut erholt. Ich hoffe, Sie sich auch in Ihrem, oder er steht Ihnen noch bevor.

Wir haben viele Themen, über die wir gleich diskutieren wollen. Ein paar will ich ansprechen.


Die größte Herausforderung ist natürlich der furchtbare Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, der jetzt schon so viele Monate währt und unverändert verlangt, dass wir weitreichende Entscheidungen treffen, um die Ukraine in ihrem Kampf um Unabhängigkeit zu unterstützen. Wir tun das, wie Sie wissen, durch einen massiven Bruch mit der bisherigen Praxis, indem wir sehr viele, sehr weitreichende und sehr effiziente Waffen liefern. Das werden wir auch die nächste Zeit weiter tun. Wir unterstützen die Ukraine auch finanziell.

Wir haben uns darauf eingestellt, dass das, was mit diesem Krieg verbunden ist, die ganze Welt berührt, aber selbstverständlich auch Europa und unser Land. Dabei geht es insbesondere um Preisentwicklungen, aber auch um die Energieversorgung und um die Herausforderungen, die damit verbunden sind. Deshalb haben wir uns intensiv genau auf diese Situation vorbereitet.

Ich habe bereits im Dezember des letzten Jahres - kaum dass ich Kanzler geworden war - im Wirtschaftsministerium gefragt: Was passiert eigentlich, wenn uns plötzlich kein Gas mehr geliefert wird? - Ich habe das auch im Kanzleramt recherchieren lassen. Meine Feststellung zu der Zeit war: Diese Frage hat sich offenbar bis dahin niemand richtig gestellt und hat auch niemand zu Ende beantwortet.

Deshalb war es wichtig, dass wir noch vor Kriegsbeginn angefangen haben, dafür zu sorgen, dass wir uns auf diese Situation vorbereiten. Wir haben seither viele Entscheidungen getroffen, die aus dieser Vorbereitung stammen: schnell Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten zu bauen, Gesetze zu ändern, damit das auch wirklich schnell geht, und die entsprechenden technischen Infrastrukturen zu beschaffen, insbesondere was Regasifizierungsanlagen betrifft.

Wir haben dafür gesorgt, dass wir die Speicher vollbekommen, indem wir Gesetze gemacht haben, die genau das regeln, anders als im letzten Jahr. Die Speicher sind schon jetzt viel voller als im letzten Jahr. Sie werden auch weiter gefüllt werden.

Wir haben dafür gesorgt, dass Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen werden können. Die ersten tun das bereits. Mit den übrigen Betreibern sind wir nach den gesetzlichen Veränderungen, die wir bewirkt haben, jetzt im Gespräch.

Wir prüfen, ob es Sinn macht und erforderlich ist, die drei vorhandenen Atomkraftwerke noch etwas länger laufen zu lassen. Das wird bald festgestellt werden können, wenn die entsprechenden Untersuchungen abgeschlossen sind.

Das ist eine intensive Vorbereitung auf die Situation, die uns jetzt bevorsteht, genauso wie die Entscheidung, die wir getroffen haben, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten.

Das erste und das zweite Entlastungpaket von insgesamt 30 Milliarden Euro sind noch nicht vollständig umgesetzt. Viele der Maßnahmen sind breit diskutiert worden: das 9-Euro-Ticket, die zeitlich befristete Ersparnis an den Tankstellen durch Steuerverzicht, aber selbstverständlich auch die vielen anderen Leistungen, die zum Beispiel mit einer Anhebung des Grundfreibetrags, der Arbeitnehmerpauschale und der Pendlerpauschale verbunden sind, mit Direktzahlungen an Familien mit 100 Euro für jedes Kind und 20 Euro für arme Kinder monatlich, mit 200 Euro für Grundsicherungsempfänger, einer Heizkostenpauschale, die wir auf den Weg gebracht haben, und natürlich der umfassenden Abschaffung der EEG-Umlage Mitte dieses Jahres, was den Strompreis von einer steuerlichen Belastung von etwa 20 Milliarden Euro befreit hat, die bisher jedes Jahr angefallen sind. Das sind diese Maßnahmen.

Wir werden neben dem notwendigen Energiesparen, das wir alle machen, damit wir gut durch diese Zeit kommen, und den Entlastungsmaßnahmen, die wir für die Bürgerinnen und Bürger bisher ergriffen haben, weitere ergreifen müssen. Dazu ist die Regierung auch fest entschlossen. Ich habe das zusammengefasst mit der Formulierung: You’ll never walk alone! Ich will hier wiederholen: Wir werden alles dafür tun, dass die Bürgerinnen und Bürger durch diese schwierige Zeit kommen.

Mir geht es dabei um diejenigen, die ganz wenig haben. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen beim Wohngeld und beim Bürgergeld etwas machen. Wir sind intensiv dabei, diese Reform vorzubereiten.

Wir haben gesagt: Wir wollen etwas für diejenigen machen, die zwar ein Arbeitseinkommen haben, aber auch rechnen müssen, die keine Ersparnisse haben und zum Beispiel mit den plötzlich gestiegenen Energiekosten nicht ohne Weiteres umgehen können und für die die höheren Heizrechnungen etwas ausmachen. Das gilt für ganz viele Bürgerinnen und Bürger. Es geht mir um diejenigen, die 2800, 3200 oder 4000 Euro brutto im Monat verdienen, für die das alles große Herausforderungen sind.

Deshalb ist klar, dass zu dem Gesamtpaket, das wir ergreifen werden, sicherlich auch steuerliche Entlastungsmaßnahmen gehören. Der Finanzminister hat gestern seinen Beitrag zu den notwendigen Überlegungen dazu vorgestellt. Ich finde das sehr hilfreich, weil wir ein Gesamtpaket schnüren müssen, das alle Bevölkerungsgruppen umfasst: die Mehrheit der Bevölkerung, die geringe oder normale Einkommen hat, Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende. Das wird am Ende das Gesamtpaket dieser Regierung sein, damit niemand alleine gelassen wird, niemand vor unlösbare Probleme gestellt wird und keiner die Herausforderungen, die mit den gestiegenen Preisen verbunden sind, alleine schultern muss.

Zwei letzte kurze Bemerkungen. Mit all den Entscheidungen, die wir jetzt wegen des Kriegs zu treffen haben, ist nicht verbunden, dass wir unsere übrigen Vorhaben aufgeben. Sie wissen, dass es zum 1. Oktober die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro geben wird. Sie wissen, dass wir uns bereits auf den Weg gemacht haben, dass Erwerbsminderungsrentner mehr Geld bekommen. Das ist gesetzlich beschlossen. Wir werden die Rente stabilisieren. Wir werden den Wohnungsbau voranbringen. Wir haben massiv zusätzliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt. Alle diese Dinge, die wir uns vorgenommen haben, kommen. Das wird auch für die Zukunft weiter wichtig sein; denn das ist eine der großen Herausforderungen, die wir haben.

Die andere Schlussbemerkung ist: Die industrielle Modernisierung, die Wohlstandssicherung Deutschlands, die Sicherstellung unserer Unabhängigkeit und Autonomie - das ist das zentrale gemeinsame Reformvorhaben dieser Regierung. Deshalb haben wir schon eine ganze Reihe von Gesetzespaketen auf den Weg gebracht, mit denen wir den schnellen Ausbau der Windkraft in Deutschland an Land und auf hoher See, der Solarenergie und der Stromnetze rechtlich absichern, gesetzlich auf den Weg bringen und vorschreiben. Wir werden dieses Tempo fortsetzen.

Das gilt auch für den Umbau der Industrien, egal, ob es die Automobilindustrie, die Stahlindustrie, die Chemieindustrie oder die Zementindustrie ist, die eine andere Grundlage für ihre Art und Weise der Produktion brauchen und die das tun wollen. Was wir ihnen dazu versprechen müssen, sind ein gutes Umfeld und in großer Menge bezahlbare Energie, insbesondere Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen. Genau das tun wir. Wir arbeiten sämtliche Versäumnisse der letzten Jahre ab, die in dieser Hinsicht wirklich groß waren. Es gab zwar gemeinsame Entscheidungen über Ausstiege aus der Kohleverstromung und der Atomenergie, aber keine Entscheidung, die ein großes Tempo für die industrielle Modernisierung Deutschlands mit sich gebracht hätte.

Mit jeder Windmühle, mit jeder Solaranlage, mit jeder neu in Betrieb genommenen Stromtrasse sinkt die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Ressourcen, die wir aus aller Welt importieren müssen. Das ist die gute Botschaft: Mit jeder dieser Anlagen wird die Energieversorgung auch billiger, weil wir dann auf diese Ressourcen zurückgreifen können. Mit jeder Anlage steigt die Chance für den industriellen Umbau, den wir uns vorgenommen haben. Gleichzeitig tun wir das, was notwendig ist, um das Klima zu schützen - die andere große Aufgabe, die wir haben.

In dem Sinne freue ich mich sehr auf unsere Gespräche und auf Ihre Fragen und geben Ihnen gern meine Antworten.

Frage: Herr Scholz, Ihr Vizekanzler Robert Habeck ist neulich ausgebuht worden. Frau Baerbock hat schon vor Volkstaufständen im Herbst gewarnt. Erwarten Sie soziale Spannungen oder irgendeine Art Protestbewegung, wenn die Belastungen durch die Energiekrise deutlicher werden, und könnte das Parteienströmungen wie der AfD Futter geben?

BK Scholz: Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass wir sie nicht alleine lassen. Wir haben das ja mit den beiden Entlastungspaketen von zusammen 30 Milliarden Euro gezeigt, die wir schon auf den Weg gebracht haben und die ich eben noch einmal skizziert habe. Eine der Maßnahmen, die Energiepreisprämie, ist noch gar nicht wirksam. Das wird im September passieren. Wenn jemand Ende September auf seine Lohnabrechnung schaut, dann wird er das das erste Mal realisieren. Man sieht, das alles passiert.

Aber wir haben das zu einem Zeitpunkt entschieden, als noch niemand das als wirklich großes Thema diskutiert hat. Da wurden noch viele andere Fragen diskutiert, die in der schwierigen Zeit, in der wir uns gegenwärtig befinden, auch wichtig und bedeutsam sind. Aber die Frage: „Wie entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger?“ war noch nicht das Topthema der Agenda, und schon hatten wir zwei Pakete auf den Weg gebracht.

Deshalb ist die klare Antwort auf Ihre Frage: Es wird auch ein weiteres Paket geben, das wir als Bundesregierung schnüren und mit dem wir den Bürgerinnen und Bürgern helfen werden, damit sie die Herausforderungen, die mit gestiegenen Preisen verbunden sind, auch bewältigen können.

Unsere Wirtschaftslage ist gegenwärtig trotz der Schwierigkeiten davon gekennzeichnet, dass wir eine hohe Beschäftigung haben und sie sogar weiter steigt. Ich glaube, deshalb haben wir alle Chancen, gut durch diese Zeit zu kommen, auch wenn es schwierig wird. Das ist etwas, worüber niemand beschwichtigend falsch reden darf. Wir müssen sicherstellen, dass alle wissen: Doch, es gibt eine Herausforderung mit der Energieversorgung, weil wir uns eben nicht auf die Sätze der letzten Jahrzehnte verlassen können, die immer geheißen haben: Egal, was los ist, Russland wird Gas liefern.

Die Antwort ist: Es gibt keine Gassanktionen aus Europa, und trotzdem werden die Lieferungen reduziert. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass wir das Richtige getan haben, als wir schon Ende letzten Jahres begonnen haben, uns mit der Frage zu beschäftigen: Was passiert eigentlich, wenn dies entgegen aller Vorhersagen doch passiert.

Zusatzfrage: Wann muss das weitere Entlastungspaket, von dem Sie sprechen, kommen, im Oktober, wenn die Gasumlage zuschlägt?

BK Scholz: Sie sehen ja an den beiden ersten Entlastungspaketen, die wir auf den Weg gebracht haben, dass manche Maßnahmen - das ist im Frühjahr entschieden worden - erst jetzt wirksam werden, auch weil das nicht von einem Tag auf den anderen geht. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell Entscheidungen treffen, damit sich alle darauf verlassen können und sie, wenn sie rechnen, wie sie durch dieses und das nächste Jahr kommen - das tun ja ganz viele Bürgerinnen und Bürger -, das auch genau im Blick haben.

Ich habe mit vielen gesprochen, auch bei Sparkassen, Banken und anderen. Ich habe viele Rückmeldungen bekommen. Manche sagen mir: Viele Bürgerinnen und Bürger haben keine Ersparnisse. Die kommen mit ihrem Arbeitseinkommen gerade so zurecht. Wenn die jetzt hören, dass sie vielleicht ein paar Hundert Euro mehr für die Heizrechnung zahlen müssen und ihr Versorger ihnen das mitteilt, dann hinterlässt das ein mulmiges Gefühl. Deshalb ist die ganz klare Aussage: Damit werden wir die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine lassen.

Frage: Herr Scholz, ich habe eine vielleicht etwas philosophische Frage. Sie sind ja im Dezember als sogenannte Fortschrittskoalition angetreten. „Wir wollen mehr Fortschritt wagen“, haben Sie gesagt. Inwieweit ist Ihre Vorstellung vom Fortschritt in der Weltgeschichte durch die Ereignisse, die wir seit dem 24. Februar erlebt haben, wenn nicht zerstört, so doch zumindest modifiziert worden? Hat sich an dem Fortschritt der Fortschrittskoalition etwas geändert?

BK Scholz: Das Thema „Fortschritt in Deutschland“ zu bewerkstelligen, steht unverändert als große Aufgabe für uns an. Auch das eint die drei Koalitionsparteien. Wir sind unterschiedliche Parteien und haben uns durch den Koalitionsvertrag nicht zu einem Vereinigungsparteitag versammelt, sondern zu einer gemeinsamen Regierung vereinbart. Wir werden das auch hinbekommen und weitermachen und dabei gute Lösungen für unser Land finden, gerade in den Fragen, die wichtig sind, was Liberalität und die Fragen betrifft: Wie bekommen wir die Arbeitskräftebedarfe in der Zukunft gedeckt, auch durch eine kluge Politik, was die Fachkräfteeinwanderung betrifft? Wie bekommen wir es hin, dass wir die technologische Modernisierung Deutschlands zustande bringen, sodass es tatsächlich möglich ist, dass wir auch noch in 10, 20, 30 Jahren ein führendes Industrieland mit weltweit exportfähigen Technologien sind? - Das alles wird diese Koalition weiter intensiv vorantreiben. Dazu haben wir uns klar verabredet.

Es ist sogar so, dass wir wegen der von Ihnen angesprochenen Veränderungen noch mehr Tempo in die Sache bringen. Denn dass wir vom Import von Kohle, Öl und Gas unabhängig werden müssen, ist, glaube ich, für alle jetzt ganz klar. Deshalb werden wir die Kraft haben für das Tempo, das wir bei der industriellen und wirtschaftlichen Modernisierung unserer Energieversorgung und unserer Produktion brauchen.

Was die Zeitenwende betrifft, die mit Russlands Angriffskrieg verbunden ist, so mache ich mir da nichts vor. Ich habe sie bewusst so genannt. Das ist eine Veränderung der Wirklichkeit, in der wir leben. Russland hat gesagt, es denkt weiter und erneut in den Kategorien des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, in imperialistischer Machtpolitik und hält es für möglich, einen Nachbarn mit Gewalt anzugreifen und sich einen Teil seines Territoriums unter den Nagel zu reißen. Das können wir nicht ändern, indem wir nur zuschauen, sondern nur, indem wir das tun, was jetzt unsere Sache ist. Das ist eben die Unterstützung der Ukraine. Aber das heißt auch, für unsere eigene Sicherheit mehr zu tun.

Ich habe vorgeschlagen, dass wir ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg bringen, dass wir sie besser ausstatten und dass wir dauerhaft mehr Geld für Verteidigung ausgeben, weil wir nur mit einer starken eigenen Verteidigung sicherstellen können, dass niemand uns und die Nato-Mitgliedstaaten angreift. Das ist die Konsequenz der Zeitenwende. Dass wir das schnell entschieden haben, ist auch ein gutes Zeichen für diese Koalition. Dass es uns gelungen ist, dafür Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und Bundesrat zu bekommen, ist ein gutes Zeichen für unser Land.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich müsste mit einer Nachfrage zu der ersten Frage anfangen, weil Sie sie nicht ganz beantworten hatten, nämlich zu den sozialen Spannungen. Sie haben nur gesagt, was die Regierung machen wird. Deswegen zuerst die Nachfrage, ob Sie glauben, dass das, was Sie angekündigt haben, zur Beruhigung führt, oder ob es nicht doch zu Unruhe im Land kommen kann, wenn sich die Situation verschärft.

BK Scholz: Nein. Ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen in der skizzierten Form kommen wird, und zwar deshalb, weil Deutschland ein Sozialstaat ist. Helmut Schmidt hat das einmal als eine der größten Erfindungen der deutschen Politik empfunden und beschrieben. Der Sozialstaat muss in dieser Situation wirksam sein, indem er klar sagt, dass wir niemanden alleine lassen werden. Ich habe das bewusst mit dem Satz „Du wirst nicht alleine durch die Zukunft gehen“ gesagt: You’ll never walk alone! - Das gilt und ist unsere Antwort darauf. Deshalb bin ich ganz zuversichtlich.

Die Bürgerinnen und Bürger sind schlau. Sie machen sich nichts vor. Sie wissen, dass das jetzt nicht ganz einfach wird und dass nicht alle Probleme, die auf uns zukommen, in unserer Hand liegen. Denn woanders entscheidet jemand über die Frage, wie das mit der Energieversorgung unseres Landes ist und ob Verträge eingehalten werden oder nicht. Aber wir bereiten uns in der Sache vor. Wir helfen den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen, damit sie diese schwierige Situation bewältigen können. Weil diese Botschaft klar ist, bin ich ganz sicher, dass wir uns unterhaken und dass das die deutsche Antwort auf eine solche Herausforderung sein wird.

Zusatzfrage: Damit wäre ich bei der eigentlichen Frage, nämlich nach der Schuldenbremse. Dieses „You’ll never walk alone!“ bedeutet ja, egal, was es kostet. Wird die Schuldenbremse weiter ausgesetzt bleiben, und muss es für weitere Entlastungen nicht noch in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt geben?

BK Scholz: Wir gehen davon aus, dass wir unsere Vorstellungen in dem finanziellen Rahmen bewältigen können, der uns bisher zur Verfügung steht. Wir müssen natürlich von Entwicklungen ausgehen, die wir vorhersagen und prognostizieren können. Jede Veränderung bedeutet immer, das noch einmal zu prognostizieren.

Ich habe sehr unterstützt, dass wir als Bundesregierung einen Haushaltsentwurf vorlegen, der sich für 2023 an die Regeln des Grundgesetzes hält - das sowieso -, der aber nicht von den Ausnahmemöglichkeiten Gebrauch macht. Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, die konkreten Vorschläge zu entwickeln. Ich bin sicher, dass wir sie finanzieren können.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte zur Gasversorgung nachfragen. Im Hafen von Brunsbüttel wird seit zwölf Jahren an einem Terminal herumgeplant. Sind Sie wirklich sicher, dass in Wilhelmshaven und Brunsbüttel bis zum Ende des Jahres schwimmende Terminals in Betrieb gehen können? Kommt das Ganze nicht zu spät, und ist das nicht zu wenig an Masse, um russisches Gas noch nennenswert ablösen zu können?

BK Scholz: Ja, es wird schon sehr lange an diesen Dingen gearbeitet. Ich erinnere mich, als Hamburger Bürgermeister an einer Sitzung mit dem damaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins und dem damaligen Umweltminister Schleswig-Holsteins teilgenommen zu haben, in der wir uns über die Perspektiven Brunsbüttels als LNG-Port verständigt haben. Ich habe diese Projekte in den Jahren seither und auch schon vorher intensiv verfolgt, sowohl für Brunsbüttel als auch für Stade und Wilhelmshaven, und mich immer wieder erkundigt, wie der Stand der Projekte ist.

Das ist ein großer Segen für uns, weil wir, als wir jetzt entschieden haben, diese Terminals zu bauen, nicht bei null anfangen mussten, sondern da sind jahrelange Vorplanungen gewesen, auf die man jetzt zurückgreifen konnte, die wirtschaftlich nur deshalb nie etwas geworden sind, weil es nie jemanden gegeben hat, der Flüssiggas im großen Umfang durch diese Terminals importieren wollte, sodass die Investoren ihre Investitionsentscheidung immer verschoben haben.

Meine Ansicht war auch schon vor einigen Jahren, wir sollten das möglicherweise mit öffentlichem Geld unterstützen, sodass die Anlagen da sind und sie für den Fall, dass sie gebraucht werden, genutzt werden können. Dazu konnte sich niemand durchdringen. Das ist sogar öffentlich kritisiert worden. Aber jetzt haben wir diese Basis. Deshalb wird es jetzt auch schnell gehen.

Die Antwort auf Ihre Frage ist: Ja. Die ersten Flüssiggasterminals werden zu Beginn des nächsten Jahres, in diesem Winter angeschlossen. Wir sind da mit unglaublichem Tempo unterwegs und versuchen möglichst viele davon zu etablieren, wenn es geht, so viel wie möglich in Betrieb zu nehmen, auch im Laufe des nächsten Jahres. Wir kommen zwar in eine Situation, in der wir sagen müssen, wegen der Weltmarktlage ist es vielleicht etwas teurer, Gas zu beschaffen. Aber wir werden immer genug bekommen. Darum geht es ja. Ich glaube, das werden wir hinbekommen.

Zusatzfrage: Nun gibt es ja das LNG-Beschleunigungsgesetz. Das scheint aber noch nicht richtig zu wirken, Herr Bundeskanzler. Die Genehmigungen für Brunsbüttel beispielsweise liegen noch gar nicht vor.

BK Scholz: Das Gesetz wirkt und ist auch eine gute Stütze, warum sich jetzt alle auf den Weg machen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir mit den Investoren der verschiedenen Projekte in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel intensiv sprechen. Ich könnte Ihnen jetzt sehr viele Details nennen, die letztendlich in der Übersetzung bedeuten: Doch, das wird mit riesigem Tempo vorangetrieben. Es wird auch noch an vielen einzelnen Maßnahmen gearbeitet, um das Tempo weiter zu beschleunigen.

Frage: Sie hatten schon eingangs gesagt, dass Sie die Vorschläge von Christian Lindner gestern erfreulich fanden. Das sehen in Ihrer Partei nicht alle so. Auch bei den Grünen gibt es Vorbehalte, mit dem Inflationsausgleichsgesetz würden vor allem Besserverdienende im nächsten Jahr profitieren. Haben auch Sie Kritik an dem Vorschlag, oder stellen Sie sich komplett dahinter? Wird das Teil eines großen Gesamtentlastungspakets, das im Oktober noch kommt?

BK Scholz: Der Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz, hat zweimal die kalte Progression ausgeglichen. Vielmehr hat der Gesetzgeber seinem Vorschlag Folge geleistet, das zu machen. Es kann ja offensichtlich, wenn ich das so sagen darf, keine falsche Idee sein, so etwas ab und zu zu machen.

Wir haben schon in dieser Legislaturperiode auch mit steuerlichen Entlastungen auf diese Krise reagiert, indem wir den Grundfreibetrag angehoben haben, was bedeutet, dass das nicht besteuerte Existenzminimum angehoben worden ist. Wir haben die Pendlerpauschale angehoben. Deshalb kann man ganz klar sagen: Zu dem Gesamtpaket, das die Regierung vorbereiten wird, gehört definitiv auch, dass es steuerliche Entlastungen gibt.

Natürlich werden wir gemeinsam schauen: Wie bekommen wir es hin, dass auch diejenigen mit einem höheren Nettoeinkommen aufgrund der Herausforderung von höheren Preisen gut durch die Zeit kommen können, indem wir das steuerlich möglich machen? - Das geht ja gar nicht anders. Insofern finde ich das einen guten Aufschlag für das, was wir jetzt als Diskussionen haben. Viele andere Dinge sind auch schon öffentlich genannt worden. Wir werden das zu einem sehr effizienten Paket zusammenbinden.

Ich wiederhole: Wir können mit bestimmten Maßnahmen, was Rentner, Studierende und diejenigen betrifft, die so wenig verdienen, dass wir ihnen mit Wohngeld helfen müssen, dass wir den Berechtigtenkreis ausweiten und Heizkosten nicht nur einmal wie in der Vergangenheit, sondern dauerhaft berücksichtigen, etwas tun. Aber natürlich geht es auch um diejenigen, die mit ihrem Einkommen knapp oder etwas mehr darüberliegen, aber die auch jeden Tag rechnen müssen, wie sie zurechtkommen. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Dazu werden wir einen gemeinsamen Vorschlag entwickeln.

Zusatzfrage: Können Sie noch eine Größenordnung nennen? Allein das Lindner-Paket wird schon 10 Milliarden Euro kosten.

BK Scholz: Wir sollten von der Problemlage her losmarschieren, also schauen: Was müssen wir machen, damit wir diejenigen unterstützen, die arbeiten, aber nicht genug verdienen, damit sie die teuren Heiz- und Wohnungspreise finanzieren können? Das ist die Wohngeldfrage. Wir sollten überlegen: Was ist bei der Bürgergeldreform das Richtige? Wir sollten überlegen: Was können wir im Hinblick auf Rentner und Studenten tun? Was können wir für diejenigen tun, die wenig verdienen und deshalb von den Steuerentlastungen nicht so viel haben? Was können wir für diejenigen tun, für die die Steuerentlastung genau das richtige Instrument ist? - Dann rechnen wir das zusammen und schauen, ob wir uns das leisten können. Mein Gefühl sagt, wir werden das können.

Frage: Herr Scholz, zum Thema Ukraine. Der amerikanische Präsident Biden nennt Wladimir Putin einen Schlächter und Kriegsverbrecher. Teilen Sie diese Einschätzung? Soll Putin aus Ihrer Sicht wegen des Überfalls auf die Ukraine und der Tötung der Zivilisten zur Rechenschaft, zur Verantwortung gezogen werden?

BK Scholz: Das ist ein verbrecherischer Krieg; darüber gibt es gar keine Zweifel. Wir haben mit großem Entsetzen auch viele Kriegsverbrechen gesehen. Ich erinnere mich noch an meinen Besuch in der Ukraine. Natürlich werde ich nie die Bilder von den Autos vergessen, in denen Familien saßen, die aus der Stadt fliehen wollten und die angehalten und erschossen worden sind. Das ist nur ein Beispiel für das Ungeheuerliche, das in der Ukraine, von den russischen Soldaten ausgehend, geschieht.

Deshalb bin ich sehr überzeugt davon, dass wir alle Maßnahmen ergreifen müssen, um alle diese Verbrechen aufzuklären. Das geschieht mit unseren Möglichkeiten. Der Bundesjustizminister ist da sehr aktiv. Das geschieht mit den Möglichkeiten, die wir in diesem Fall bei der Unterstützung internationaler Gerichtsbarkeit haben. Wir werden auch als Europäische Union in dieser Frage zusammenarbeiten. Das alles wird aufgeklärt werden. Wir werden allen Dingen nachgehen, die wir ganz konkret ermitteln können, und die ukrainischen Behörden dabei unterstützen, alle Fälle aufzuklären und sie auch mit der Technik zu versehen, damit sie das können.

Zusatzfrage: Was ist denn mit der persönlichen Verantwortung des russischen Präsidenten?

BK Scholz: Ich meine, der russische Präsident trägt die Verantwortung für diesen Krieg. Er hat entschieden, dass es ihn geben soll. Das ist ein furchtbarer, unakzeptabler Krieg, der gegen alle Regeln verstößt und der mit den Regeln bricht, die wir miteinander vereinbart haben.

Ich wiederhole das, was ich gesagt habe: Das ist eine Zeitenwende. Dass man seinen Nachbarn einfach überfällt, nur weil man in irgendeinem Geschichtsbuch gelesen hat, ein Teil seines Territoriums gehörte besser zum eigenen Land, das ist die Bedrohung, mit der wir alle jetzt konfrontiert sind. Die weisen wir zurück und müssen wir auch zurückweisen mit den Möglichkeiten, die wir haben.

Frage: Herr Scholz, die Frage, die sich mir stellt, ist: Es ist jetzt 11.30 Uhr. Wir haben eine halbe Stunde gebraucht, um das Thema Europa auch nur ein einziges Mal anzusprechen. Wie schauen Sie denn auf die tatsächliche Solidarität derzeit in der Europäischen Union und zwischen den Mitgliedstaaten? Momentan wird beispielsweise die Stromversorgung in Frankreich mit aus Deutschland gewährleistet. Erhoffen Sie sich, dass die Solidarität in diesem Winter auch in die andere Richtung funktionieren wird?

BK Scholz: Schönen Dank. - Das ist ja die Bundespressekonferenz. Ich habe bewusst ein sehr kurzes Eingangsstatement gehalten. Ansonsten ist es an Ihnen, mit Ihren Fragen die Themen zu bestimmen, zu denen ich mich dann äußere. Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie jetzt eine Frage zu Europa gestellt haben.

Die Solidarität in der Europäischen Union ist doch besser, als sie vor einigen Jahren vorhergesagt wurde. Ich glaube, dass man, wenn man nur das Tagesaktuelle betrachtet, schnell den Überblick verliert. Ich will noch einmal an die Reaktion auf die Coronapandemie erinnern. Am Anfang gab es bezüglich der Frage, wie man mit der konkreten Pandemiebekämpfung umgeht, wirklich einige Entscheidungen, die kritisierbar waren, was Grenzschließungen und Ähnliches betrifft, auch den Versuch, sich nur alleine zu helfen. Aber im Großen und Ganzen ist das doch gut gelungen.

Gerade was die wirtschaftliche und soziale Antwort betrifft, haben wir mit dem Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union, dem European Recovery Program, und all den Sachen, die dazugehören, doch gezeigt: Wir können zusammenhalten. Das hat auch dazu beigetragen, dass Europa jedenfalls durch diese Krise besser gekommen ist, als alle es vorhergesagt haben, und dass all die Dinge, die wir nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers erlebt haben und die dann uns alle als Staatsschuldenkrise umgetrieben hat, bisher nicht passiert sind.

Wir haben auch sehr einheitlich und sehr solidarisch auf die russische Aggression reagiert. Das darf man nicht vergessen. Es sind sehr viele sehr weitreichende Veränderungen zustande gekommen.

Es gibt neue Bewegung in dem Aufnahmeprozess der sechs Staaten des westlichen Balkans, die 2003 das Versprechen bekommen hatten, dass sie Mitglied der Europäischen Union werden können, und nun, im Jahr 2022, befürchten, dass das noch immer weit weg ist. Das haben wir geändert. Ich hoffe, dass es jetzt auch bei dem Tempo bleibt, die Dinge voranzutreiben.

Wir haben Entscheidungen getroffen mit Angeboten im Hinblick auf die Ukraine und Moldau. Wir haben Entscheidungen getroffen im Hinblick auf mehrere Sanktionspakete, die wir gemeinschaftlich zustande gebracht haben. Wir haben Entscheidungen getroffen, die der Verbesserung unserer Energieversorgung dienen und auch dafür sorgen, dass wir europäische Infrastrukturen schaffen, die die wechselseitige Unterstützung leichter machen.

Deshalb bin ich sicher, dass wir, wenn es jetzt knapp wird, weiter solidarisch bleiben werden. Deutschland wird es jedenfalls sein.

Zusatzfrage: In den vergangenen Monaten gab es regelmäßig Kritik an der Rolle Deutschlands, insbesondere aus polnischen Kreisen. Derzeit hängt offenbar auch Polen, zumindest teilweise, an dem, was nach den russischen Aktionen an Gas aus Deutschland hinübergeliefert werden kann. Wie zuversichtlich sind Sie, dass in Deutschland im Winter das Verständnis dafür überwiegen wird, wenn Deutschland seine knappen Gasreserven mit anderen europäischen Staaten teilen muss?

BK Scholz: Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass wir als Europäische Union solidarisch durch schwierige Zeiten marschieren müssen. Ich glaube auch, dass wir als großes Land mit der größten Wirtschaftskraft und der größten Bevölkerung in der Mitte Europas eine besondere Aufgabe haben. Ein deutscher Bundeskanzler, eine deutsche Bundesregierung, aber auch ein Deutscher Bundestag und die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes können für die nationale Debatte nicht ein Spiel gegen Brüssel oder gegen andere Länder in der Europäischen Union spielen nach dem Motto: Die sind alle falsch gewickelt. Ich gehe da mal hin und sage dem mal, was Sache ist, komme dann zurück und frage, was wir erreicht haben. - Wir sind schon diejenigen, die dafür Sorge tragen müssen, dass der Fortschritt und die Zukunftsfähigkeit Europas gelingen. Dazu bekenne ich mich auch.

Frage: Schönen guten Tag, Herr Scholz! Sie haben gerade schon Ihre Zeit als Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg angesprochen. Ich finde es schön, dass Sie sich an Sitzungen zu Wilhelmshaven erinnern, aber nicht mehr an den Cum-Ex-Skandal. Dazu eine Frage: Was wissen Sie über das Geld im Schließfach von Johannes Kahrs?

BK Scholz: Nichts.

Zusatzfrage: Was glauben Sie denn, woher es kommt?

BK Scholz: Keine Ahnung. Ich nehme an, Sie wissen es eher als ich.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich wollte Sie bei den Entlastungen noch nicht ganz rauslassen und noch einmal nachfragen. Die Vorschläge von Finanzminister Lindner zum Abbau der kalten Progression haben eine intensive Debatte über soziale Gerechtigkeit auch bei der SPD, den Grünen und der FDP ausgelöst. Nominal werden höhere Einkommen höher entlastet als kleine Einkommen. Warum ist das sozial gerecht?

BK Scholz: Diese Debatte wird immer gern aus jeweils verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ich glaube, dass es gut ist, sie von ganz zu betrachten.

Ich habe neulich einen Aufsatz eines früheren Finanzministers aus Mecklenburg-Vorpommern gelesen, der politisch eher nicht zu denjenigen gehört, die man einen konservativen Sozialdemokraten nennen würde, und der gesagt hat: „Eigentlich ist das völlig okay mit der kalten Progression“, so wie ich das die letzten zwei Male gemacht habe. Er hat nämlich darauf hingewiesen, dass, wenn man die Prozentsätze vergleicht, es wieder anders herum ist. Es gibt es Aspekte: die Prozentsätze und die absoluten Summen. Es geht auch darum, dass wir insgesamt eine gerechte Lösung zustande bringen. Dazu sind wir auch gewillt.

Ich wiederhole: Für mich geht es natürlich darum, dass wir denjenigen helfen, die wenig Geld haben. Deshalb also die längst getroffene Entscheidung, dort, wo es richtig knapp ist, mit dem Wohngeld etwas zu tun, indem wir das dramatisch ausweiten, indem wir dafür Sorge tragen, dass die Heizkosten auch dauerhaft eine Rolle spielen. Dazu zählt, dass wir die Studierenden und die Rentner in den Blick nehmen. Dazu zählt aber auch, dass wir diejenigen in den Blick nehmen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Einkommen haben, das auch nicht dafür reicht, mit diesen Wechselfällen klarzukommen. Da müssen wir helfen. Dafür sind natürlich steuerliche Maßnahmen sehr sinnvoll, neben denen, die wir schon ergriffen haben. Die Entlastung, die jetzt im September kommt und die, glaube ich, erst danach von allen wahrgenommen wird und viel Geld kostet, ist über das Steuersystem organisiert.

Ich glaube, dass wir eine gute Lösung zustande bekommen werden, wenn man alles zusammenpackt. Dazu habe ich sehr konkrete Vorstellungen und bin ich mit sehr vielen im Gespräch. Das ist jetzt keine Sache, bei der wir neu anfangen zu denken, sondern wir arbeiten schon intensiv an einer Gesamtlösung und werden auch eine präsentieren.

Zusatzfrage: Die Bedürftigen haben bisher noch nicht so furchtbar viel bekommen. Es gibt den Vorschlag, beim Bürgergeld über den Inflationsausgleich hinauszugehen und bis zu 40 Euro obendrauf zu packen. Gehen Sie da mit?

BK Scholz: Wir als Regierung haben uns vorgenommen, dass wir eine große Reform zustande bringen und das Bürgergeld etablieren. Wir haben jetzt gesagt, das soll nicht irgendwann, sondern zum 1. Januar 2023 der Fall sein. Dazu hat jetzt die Ressortabstimmung begonnen. Selbstverständlich wird am Ende dieses Prozesses auch über die Höhe entschieden werden müssen. Dazu gehört aber auch, dass das in den Kontext eingeordnet wird, den wir gerade diskutieren, wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Deshalb wird das alles im Zusammenhang gedacht und sicher auch gemeinsam bewegt werden müssen.

Frage: Im Zusammenhang mit der Energie gibt es auch mit der Schweiz Verhandlungen über ein Solidaritätsabkommen. Können Sie sagen, wo man da steht und wo es allenfalls noch hakt?

BK Scholz: Nein.

Frage: Herr Bundeskanzler, auch ich habe noch eine Frage zu Cum-Ex und Warburg. Am Freitag nächster Woche ist ja der Untersuchungsausschuss. Kern des Ganzen wird auch sein, wie die Gespräche zwischen Herrn Olearius und Ihnen verlaufen sein könnten. Er als Warburg-Chef war im Jahr 2016, als die Gespräche zum Großteil stattfanden, schon in einem großen Schlamassel und stand einer großen Steuerrückzahlung gegenüber. Können Sie vielleicht uns hier vorab sagen, an was aus diesen Gesprächen Sie sich erinnern?

BK Scholz: Ich habe zu diesen Dingen sehr umfangreich und viele Stunden lang Stellung genommen und werde das wieder tun. Ich habe die Auskünfte gegeben, die möglich sind. Aber ich will Ihre Frage gern als Gelegenheit benutzen, um einmal auf Folgendes freundlich hinzuweisen:

Das ist jetzt seit zweieinhalb Jahren ein Thema für Journalisten und für alle Möglichen, die an dem Thema arbeiten, auch für den Ausschuss in Hamburg. Es sind unglaublich viele Personen gehört worden; es sind unglaublich viele Akten studiert worden. Wenn man die Presseberichterstattung über die jeweiligen Anhörungen und anderes verfolgt, dann ist das Ergebnis immer: Es hat keine Beeinflussung durch die Politik gegeben, was die Entscheidungen betrifft. - Ich bin mir sicher, dass diese Erkenntnis nicht mehr verändert werden wird. Nach zweieinhalb Jahren ist das ganz klar.

Zusatzfrage: Können Sie trotzdem noch einmal sagen, woran Sie sich erinnern, oder uns wenigstens erklären, warum Sie das hier nicht sagen können?

BK Scholz: Ich habe alles präzise beschrieben, was möglich ist, und werde genau diese präzise Beschreibung, die ich schon einmal vorgetragen habe, gern wiederholen. Ich werde das dort tun, wenn ich dazu befragt werde. Ich werde das auch gern über viele Stunden tun.

Aber ich sage noch einmal: Die Grundlage, die für diejenigen, die, wie ich hoffe, sich nicht wünschen, die aber zumindest genau herausfinden wollten, ob da etwas anderes ist, vielleicht schwer zu akzeptieren ist, die aber hoffentlich auch einmal akzeptiert wird, ist: Zweieinhalb Jahre unglaublich viele Anhörungen, unglaublich viele Akten haben nur ein Ergebnis gebracht: Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat.

Frage: Herr Bundeskanzler, unter welchen Bedingungen wären Sie dazu bereit, Wladimir Putin wieder in Deutschland zu empfangen?

In diesem Zusammenhang: Gerhard Schröder hat gesagt, er wolle niemandem in der Bundesregierung seinen Vermittlungsjob wegnehmen, aber vielleicht könne er noch einmal nützlich sein. Kann Herr Schröder in dieser Sache für Sie noch einmal nützlich sein?

BK Scholz: Über die Frage, wann Herr Putin wieder einmal in Deutschland sein wird, habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Zusatz: Die Frage war, unter welchen Bedingungen, nicht wann.

BK Scholz: Ich denke, dass eines doch ganz klar ist: Dieser Krieg muss beendet werden. Russland hat die Ukraine überfallen und versucht, einen Teil des Territoriums zu erobern. Das ist der Grund, warum wir weltweit so viele Sanktionen beschlossen haben. Das ist der Grund, warum wir jetzt viel mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben und sie so ausstatten, dass wir uns gegen jeden Angriff wappnen können. Das ist der Grund, warum wir die Ukraine mit Waffen unterstützen.

Das, was jetzt stattfinden muss - das ist die Aufgabe, um die es jetzt geht -, ist doch, dass Russland einsieht, dass es sich mit der Ukraine verständigen muss und dass das nicht auf einen Diktatfrieden hinauslaufen kann, wie es wahrscheinlich am Anfang der Gedanke in den Köpfen des russischen Präsidenten und seiner politischen Führungskräfte gewesen ist. Das darf nicht klappen, und das wird auch nicht klappen. Da bin ich ganz sicher. Wir alle gemeinsam werden die Ukraine unterstützen. Das ist die Aufgabe, um die es jetzt geht.

Zusatzfrage: Kann Gerhard Schröder für Sie noch einmal nützlich sein?

BK Scholz: Ich wüsste nicht. Letztendlich geht es darum, dass die Turbine, die in Deutschland vorhanden ist - damit es kein Rätselraten darüber gibt, habe ich mich entschlossen, dafür zu sorgen, dass jeder sie besichtigen kann und jeder sehen kann, dass sie fertig ist -, importiert werden kann. Das wäre mal ein verdienstvolles Geschäft, dafür zu sorgen und zu sagen: Nun hört mal auf, mit Scheinargumenten zu sagen: Ihr wollt sie nicht haben! Nehmt sie doch! Sie ist da.

Frage: Herr Scholz, zwei Fragen:

Erste Frage: Das 9-Euro-Ticket im ÖPNV ist ein großer Erfolg Ihrer Regierung. Welche weiteren Erfolge Ihrer Regierung wollen Sie beenden?

BK Scholz: Gar keine.

Zusatz: Offensichtlich schon, weil Sie das 9-Euro-Ticket nicht fortführen.

BK Scholz: Es war von vornherein zeitlich befristet.

Zusatzfrage: Das könnte man ja ändern.

Zweite Frage: Fordern Sie Johannes Kahrs auf, die Herkunft der 200 000 Euro in bar nachzuweisen und der Öffentlichkeit zu begründen?

Haben Sie mit ihm jemals über die Warburg-Bank gesprochen?

BK Scholz: Ich bin so neugierig wie Sie und wüsste natürlich gern, woher es kommt. Aber er wird wahrscheinlich weder mir noch Ihnen eine Auskunft erteilen.

Zusatzfrage: Sie können ja öffentlich fordern, dass er das tue. Denn Sie wollen ja nicht, dass Dreck an Ihrer weißen Weste hängen bleibt, oder?

BK Scholz: Da Sie ein seriöser Journalist sind, ist das ja ausgeschlossen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben vorhin erwähnt, dass man mit der Energiewende Unabhängigkeit von den Importen fossiler Energieträger erreicht. Aber schlittert Deutschland nicht in neue Abhängigkeiten hinein, und zwar in diesem Fall in Abhängigkeiten von China, das viele der Komponenten liefert, die für Solarenergie, Windenergie und andere zuständig sind?

Könnte sich Deutschland vor diesem Hintergrund Sanktionen gegen China überhaupt leisten, wenn sich der Konflikt um Taiwan weiter verschärft?

BK Scholz: Zunächst einmal: Über diese Frage entscheidet mit den rechtlichen Veränderungen der letzten Jahre auch die Europäische Kommission. Wir haben auch im Hinblick auf einzelne Fragen Entscheidungen dieser Art getroffen.

Aber die Frage der Abhängigkeit ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, übrigens auch alle Unternehmen. Denn es ist ja die Grundlehre, die manche Leute im dritten Semester der Betriebswirtschaftslehre hören, aber dann offenbar, wenn Sie Management machen, manchmal zwischendurch vergessen, dass man nicht alle Eier in einen Korb legt. Es gilt sowohl für die Importe, was also die Lieferketten betrifft, als auch für die Exporte, dass man diversifiziert. Ich bin mir sicher, dass die deutsche Wirtschaft diese Entscheidungen längst getroffen hat. Wir werden sie dabei unterstützen.

Ansonsten ist es aus meiner Sicht ein notwendiger Bestandteil unserer nationalen Sicherheitsstrategie, an der wir gerade arbeiten, dass die Frage der Unabhängigkeit unseres Landes in zentralen Fragen, was Lieferketten, Rohstoffe und andere Dinge betrifft, mitdiskutiert wird. Wir werden also schon dafür sorgen müssen, dass wir Lithium an vielen Stellen der Welt heben und dass wir es dann auch exportierbar in Länder wie unseres machen, sodass eben keine einseitigen, sondern diversifizierte Beziehungen zur ganzen Welt existieren. Das gehört dazu.

Zusatzfrage: Können Sie uns sagen, wann Sie einen Antrittsbesuch in China machen werden, oder ist er im Moment schon wegen der Spannungen um Taiwan ausgeschlossen?

BK Scholz: Das ist ein Termin, über den wir reden, der aber noch nicht fixiert ist.

Frage: Herr Bundeskanzler, in der Ampel gibt es immer wieder eine Menge Streitpunkte, an denen vor allem auch die Punkte von FDP und Grünen aufeinandertreffen. Können Sie uns sagen, wie die Zusammenarbeit aus Ihrer Sicht läuft und ob Sie sich sicher sind, dass Sie als Ampel die vier Jahre durchhalten?

BK Scholz: Zur letzten Frage: Ja. Ich habe sogar eine Perspektive, die darüber hinausreicht, wie ich bei verschiedener Gelegenheit schon gesagt habe. Ich will das hier gern noch einmal unterstreichen.

Es ist ja nicht so, dass mit dem Koalitionsvertrag ein Vereinigungsparteitag stattgefunden hätte, sondern es sind drei unterschiedliche Parteien, die auch mit unterschiedlichen politischen Programmen angetreten sind. Zum Beispiel in der Frage der Steuerpolitik kann man das sehen. Man muss nur noch einmal in die Wahlprogramme schauen. Das ist jetzt ja nicht aus den Köpfen der Parteien verschwunden.

Trotzdem haben wir es geschafft, einen sehr fortschrittsorientierten und die wichtigsten Probleme unseres Landes adressierenden Koalitionsvertrag zustande zu bekommen, den wir jetzt Stück für Stück und sogar mit großem Tempo abarbeiten und vorantreiben. Das gilt sogar für die Tatsache, dass große Herausforderungen auf uns zugekommen sind, die nicht alle in dieser Dimension so absehbar waren. Corona als weitere Geschichte war selbstverständlich absehbarer. Aber im Hinblick auf die Tatsache, dass es von natürlichen Rahmenbedingungen abhängt, was mit der Virusentwicklung und den Virusmutationen in der Welt passiert, ist das etwas, wofür wir einen gemeinsamen Kurs gefunden und jetzt auch gemeinsame Vorschläge vorgelegt haben, die wir zum Beispiel mit den Ländern diskutieren. Das Gleiche gilt für viele andere Fragen, die da sind.

Ich glaube, wenn man akzeptiert, dass sich die Demokratie in Deutschland so verändert hat, dass es jetzt realistisch ist, dass drei Parteien das Land regieren, dann sollte man auch akzeptieren, dass diese drei Parteien immer einmal wieder, ausgehend von ihren Ausgangspositionen, Kompromisse und Vorschläge für die Zukunft unseres Landes machen. Das wird uns gelingen, und das gelingt uns ja auch. Ich habe jetzt ganz viel von dem gesagt, was wir uns vorgenommen haben, was passieren wird und schon passiert ist. Das ist schon ganz schön viel, wenn man das mit früheren Jahren vergleicht.

Frage: In den vergangenen Wochen gab es intensive Gespräche zwischen Deutschland und den G7-Partnern zur Umsetzung eines „oil price cap“ gegen Russland, also einer Art Preisobergrenze, um die Gewinne des russischen Staates durch seine Öleinnahmen auch mit Schwellenländern zu kappen.

Sind Sie nach diesen Gesprächen zuversichtlicher, dass das jetzt bald kommen wird? Hat es eine solche Detailtiefe erreicht, dass das machbar wird?

BK Scholz: Ich muss zugeben, dass ich aus irgendwelchen technischen Gründen nur die Hälfte von dem, was Sie gesagt haben, verstanden habe.

Zusatz: Vielleicht noch einmal ohne Maske.

BK Scholz: Ich habe nicht einmal das Kernstichwort verstanden.

Vorsitzender Szent-Iványi: Machen Sie mal bitte ohne!

Zusatzfrage: Meine Frage hat sich auf die Beratungen Deutschlands und der G7-Staaten zu einem „oil price cap“ bezogen, also einer Preisobergrenze.

BK Scholz: Ich hatte das Wort „oil price cap“ nicht verstanden. Jetzt kann ich gern etwas sagen.

Wir diskutieren über die Frage, wie das geht. Das funktioniert ja nur dann, wenn es global organisiert ist. Das wird man nicht einseitig machen können, sondern nur in enger Kooperation mit vielen anderen, weil das Ganze sonst ins Leere läuft. Darüber sind Gespräche im Gange. Sie sind wegen der hohen technischen Komplexität noch nicht beendet und werden auch noch eine Zeit beanspruchen. Aber es wird sehr intensiv daran gearbeitet, dieses gemeinsame Vorhaben umzusetzen. Es wird aber nicht funktionieren, wenn sich nur die G7-Staaten darauf verständigen. Es sind ja noch andere dabei, die man als Partner braucht.

Zusatzfrage: Würden Sie sagen, dass es im Vergleich zu dem Gipfel in Elmau Ende Juni aus heutiger Sicht wahrscheinlicher ist, dass es umgesetzt werden kann? Denn es gab in den letzten Wochen viele Gespräche dazu.

BK Scholz: Sie sind ja nicht geführt worden, um das allgemein abzuwägen, sondern um konkrete Handlungswege zu beschreiben. Deshalb ist da durchaus Fortschritt zu beobachten.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zur Visavergabe. Stimmen Sie Ihren Kolleginnen aus Estland und Finnland zu, die jetzt einen Stopp der Touristenvisa für russische Bürger fördern? Eigentlich wäre das dann ein Einreiseverbot für Russen. Wie ist Ihre Haltung dazu? Inwiefern gehen Sie da mit?

BK Scholz: Das ist Putins Krieg. Deshalb tue ich mich mit diesem Gedanken sehr schwer.

Zusatzfrage: Finden Sie es also unproblematisch, dass Russen oder auch Putinanhänger in Europa im Urlaub ihre Sympathien kundtun und dementsprechend die Stimmung hier anheizen?

BK Scholz: Wir haben sehr weitreichende Sanktionen beschlossen, die auch viele, viele konkrete Personen, Oligarchen und Unterstützer des Machtnetzwerkes in Russland betreffen. Das werden wir sicherlich auch fortsetzen. Es würde gerade diese Maßnahmen in ihrer Wirksamkeit eher abschwächen, wenn es sich jetzt gegen alle richtete, auch gegen ganz Unschuldige.

Frage: Es hat international jahrelang Kritik daran gegeben, dass Deutschland trotz allen Warnungen der Verbündeten mit Russland Energiegeschäfte gemacht hat. Halten Sie diese Kritik, die auch Ihre Partei betrifft, im Nachhinein für berechtigt?

Resultiert daraus eine besondere Verantwortung Deutschlands für die Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen Russland?

BK Scholz: Für mich ist es sehr klar, dass wir bei den Entscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte früher die Entscheidung hätten treffen sollen, die wir jetzt getroffen haben, nämlich die, dass wir uns Importinfrastrukturen schaffen, mit denen wir jederzeit die Anbieter wechseln und sie diversifizieren können. Das stellen wir jetzt sicher. Schön wäre es gewesen, wenn das schon so wäre. Dann hätten wir jetzt nur das Problem der hohen Preise, aber nicht das Problem der Sicherheit der Energieversorgung. Das ist das, was wir jetzt zu Recht ändern.

Zusatzfrage: Schmerzt es Sie, dass deutsche Unternehmen weiterhin für Gas aus Russland bezahlen und sie ihre Turbine Gazprom sogar medienwirksam aufdrängen müssen?

BK Scholz: Aus meiner Sicht haben wir als Europäische Union und als G7 zu Recht entschieden, dass es keine Sanktionen gibt, die den Gasimport betreffen, weil die Abhängigkeit insbesondere vieler Länder im Osten Europas sehr, sehr hoch ist. Wir haben einen Anteil unserer Energieversorgung, der aus russischem Gas kommt. Wir haben auch norwegisches und niederländisches Gas. Wir schaffen jetzt die Möglichkeiten, aus aller Welt über die Häfen in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und Frankreich Gas nach Deutschland zu importieren und tun das auch schon. Wir schaffen die Strukturen, die uns in die Lage versetzen, dass wir über die norddeutschen Häfen in Wilhelmshaven, in Stade, in Brunsbüttel, in Lubmin Gas in das deutsche Gasnetz importieren können, für Deutschland, aber auch viele Länder, die gar keine Küstenlinie haben und deshalb auf die Importmöglichkeiten über die deutsche Küste auch für sich selbst angewiesen sind.

Frage: Herr Bundeskanzler, als Finanzminister haben Sie betont, dass NextGenerationEU ein Schritt zur Fiskalunion in der Europäischen Union sei. Würden Sie diese Bewertung heute wiederholen?

Welche weiteren Schritte sind notwendig, um die Fiskalunion zu erreichen?

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, noch einmal darauf hinzuweisen, was ich bei dieser Gelegenheit gesagt habe, dass nämlich der Moment, um den es dabei geht, der ist, dass wir uns deswegen, weil wir dieses Recoveryprogramm auf den Weg gebracht haben, darüber verständigen müssen, wie wir die Rückzahlung der von der EU aufgenommenen Kredite organisieren. Wie wichtig und richtig das ist, sieht man daran, dass die Entscheidung über Einnahmen, die es ermöglichen, dass zwischen spätestens 2028 und 2058 die Rückzahlung organisiert wird, noch nicht getroffen ist, also wirklich das echt harte Programm über die Frage, wie wir die Rate in Höhe von ungefähr 13 Milliarden Euro, die für die Europäische Union jedes Jahr fällig wird, organisiert kriegen.

In der Debatte, die hierzulande und, glaube ich, manchmal mit falschen Hoffnungen verbunden anderswo geführt wird, geht es immer um die Frage der Kreditaufnahme. Mir ging es immer um die Frage: How to deal with the credits? - Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt.

Wir haben eine gemeinsame Haltung der Bundesregierung zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Darüber haben wir uns miteinander verständigt. Das ist ein gemeinsames Papier, das wir auch an die Europäische Union geschickt haben, das auf verschiedenen Webseiten öffentlich ist und das der Finanzminister vor Kurzem vorgestellt hat. Dessen Botschaft ist: Wir wollen im Rahmen des geltenden Paktes, den wir nicht grundsätzlich ändern wollen, die Möglichkeiten der Flexibilität, die wir auch in der bisherigen Krisenbekämpfung hatten, für die Zukunft weiternutzen.

Zusatzfrage: Welchen Einfluss kann die wachsende Opposition auf die Politik der EZB in Ihrer Koalition haben, die wachsende Opposition auch gegen das letzte Projekt EPI?

Wie schätzen Sie die politische Krise in Italien im Hinblick auf die Zukunft dieser Fiskalunion ein?

BK Scholz: Das sind zwei ganz große Fragen.

Die Bundesrepublik Deutschland und auch die jetzige Bundesregierung schätzen die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Manchmal wird es vergessen, aber es war das deutsche Anliegen, dass die Europäische Zentralbank unabhängig von staatlichem Einfluss ist. Deshalb werden wir diese Unabhängigkeit verteidigen, auch in der Frage, wie wir mit Einzelentscheidungen kommentierend umgehen. Wir haben eine Verantwortung, die wir im Hinblick auf konkrete Entscheidungen immer zu beachten haben, weil wir prüfen, ob das, was an Entscheidungen im Einzelnen getroffen ist, mit den vertraglichen Rahmenbedingungen vereinbar ist. Das machen wir sehr routiniert und sehr regelmäßig. Der Präsident der Bundesbank hat sich zur Bewertung der letzten Entscheidung sehr konkret geäußert. Es gab zwei, die eine Rolle gespielt haben, nämlich zum einen der etwas größere Zinsschritt, der gemacht worden ist, worüber er sich sehr gefreut hat, und zum anderen die sehr abgewogene Entscheidung über die Frage, was man tun könnte, wenn eine spezielle Situation eintritt und dann eventuell vielleicht möglicherweise etwas zu tun ist. Mehr ist es ja nicht.

Was die Situation in Italien betrifft, will ich noch einmal sagen: Ich glaube, dass der Ministerpräsident ein großer Politiker ist, dass er eine großartige Arbeit für Italien leistet und geleistet hat und dass seine Regierungstätigkeit dem Land sehr gut tut.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich will noch einmal auf die Entlastungsdebatte zurückkommen. Sie haben eben gesagt: Wir werden viel machen, auch für Leute, die wenig haben. - Dann haben Sie im Verlauf dieser Stunde gesagt: Wir werden dann zusammenrechnen und sehen, was wir finanzieren können. - Jetzt sagt der Chef des DIW, Fratzscher: 70 Prozent dieser Steuerentlastungen gehen an 30 Prozent der Bürger mit den höchsten Einkommen.

Wo liegt Ihr eigener Fokus bei dieser Frage der Entlastungen?

BK Scholz: Mein Fokus liegt auf denjenigen, mit denen ich im letzten Jahr ein großes Gespräch über das Thema des Respekts begonnen habe. Respekt ist für mich das, was in unserer Gesellschaft leider zu viel abhandengekommen ist, was aber wichtig für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Damit meine ich diejenigen, die jeden Tag berufstätig sind und manchmal sehr wenig Geld oder nur normal viel Geld verdienen - ich habe das gesagt -, die sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger, die jetzt durch eine Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro am 1. Oktober profitieren werden. Natürlich werden wir deren wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse auch bei den Entlastungspaketen ganz genau in den Blick nehmen. Deshalb habe ich über das Wohngeld geredet. Deshalb rede ich über die Frage steuerlicher Entlastung und anderer Entlastungsmöglichkeiten auch gerade in diesem Zusammenhang ganz deutlich.

Wenn ich mich jetzt nicht verrechnet habe - das kann passieren, wenn man das vor so vielen Leuten kurz im Hintergrund tut -, dann kommt bei einer 40-Stunden-Woche und 12 Euro ein Einkommen von knapp über 2000 Euro - ich glaube, es sind 2080 Euro - brutto heraus. Das ist ja immer noch nicht viel Geld. Ich glaube, das muss man sich klarmachen.

Das Zweite ist, dass mich natürlich auch diejenigen bewegen, die darüber liegen. Ich habe von den Frauen und Männern in Deutschland gesprochen, die tolle, wichtige Arbeit für 2800 Euro, 3200 Euro brutto leisten, für 4000 Euro und manchmal auch mehr Geld. Aber wenn man die ganzen Familieneinkommen zusammenrechnet und sieht, was alles zu bewältigen ist, ist ziemlich klar, dass sie keine Rücklagen haben und dass sie sich bei den steigenden Preisen schon Gedanken machen, wie sie durchkommen sollen. Da ist die Botschaft, noch einmal: Wir werden euch nicht alleinlassen. - Diese Haltung ist mir wichtig. Darum habe ich über das Thema des Respekts für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft gesprochen, für die Selbstständigen, die auch in diesen Einkommenskategorien sind und manchmal auch knapsen müssen. Das wird auch meine Tätigkeit als sozialdemokratischer Kanzler immer bestimmen. Aber gleichzeitig kann ich sagen: Dass wir ein Gesamtpaket schnüren, das all diese Fragen adressiert, wird eine gemeinsame Leistung der ganzen Koalition sein.

Zusatzfrage: Einige Sozialverbände fordern, an den Tisch der Konzertierten Aktion geholt zu werden, damit die Gruppen, die sie vertreten, dort auch vertreten sind. Werden Sie das tun?

BK Scholz: Noch einmal einen schönen Dank für den Hinweis auf die Konzertierte Aktion. Denn sie gehört natürlich zu den ganz wichtigen Instrumenten, mit denen wir auf die jetzige Preissituation reagieren. Das wird nicht allein mit staatlichem Handeln gelingen, sondern dabei geht es um ein Zusammenspiel von Gewerkschaften, Unternehmensverbänden und Arbeitgeberverbänden mit der Politik, vertreten durch die Sachverständigen des Sachverständigenrates, die Bundesbank, aber eben auch die deutsche Bundesregierung.

In dieser Konstellation wollen wir das fortsetzen, weil es letztendlich das Anknüpfen an eine der wichtigsten Kraftquellen unseres Landes bedeutet, nämlich die Sozialpartnerschaft.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben heute, aber auch bei Siemens Energy den Eindruck erweckt, als würden Sie voll auf LNG setzen. Sind für Sie Pipelineprojekte jedweder Art nicht mehr sinnvoll, weil sie eine Infrastruktur zementieren, die Sie durch die Energiewende obsolet machen wollen?

BK Scholz: Nein. Ich glaube, dass wir Projekte brauchen, die sich auch mit Pipelines beschäftigen. Wenn ich eine ganz konkrete benennen darf: Die Pipeline zwischen Rostock und Schwedt ist eine, mit der ich mich jetzt gerade sehr viel beschäftige, damit deren Leistungsfähigkeit dramatisch gesteigert wird. Dazu haben wir sehr viele sehr konkrete Diskussionen mit allen möglichen Beteiligten geführt und bereiten vor, wie wir das möglich machen können.

Ich habe mich sehr mit einer heute leider von uns allen dramatisch vermissten Pipeline beschäftigt, nämlich mit der Pipeline, die man von Portugal und Spanien über Frankreich nach Mitteleuropa hätte bauen sollen. Sie würde jetzt einen massiven Beitrag zur Entlastung und Entspannung der Versorgungslage leisten. Deshalb habe ich bei den beiden Kollegen in Spanien und Portugal, aber auch im Gespräch mit dem französischen Präsidenten und mit der Kommissionspräsidentin sehr dafür geworben, dass wir zum Beispiel ein solches Projekt anpacken. Sicherlich wird es auch weitere Verbindungen geben, die zwischen Nordafrika und Europa dazu beitragen, dass wir eine diversifizierte Versorgung haben.

Was die in Ihrer Frage erwähnte Verfestigung betrifft, so halte ich das für einen Irrtum. Denn wir werden, wenn wir Wasserstoff in Deutschland als einen wichtigen Rohstoff für die Energieproduktion, aber auch für die industriellen Prozesse behandeln, ihn in großem Umfang in Deutschland produzieren können. Das hat etwas mit Elektrolyse und dem aus meiner Sicht dringend notwendigen Boom der Elektrolyse in Deutschland zu tun. Ich bin mit vielen dabei, zu besprechen, wie das gut funktionieren kann. Aber dann wird es eben auch um den Import von Wasserstoff nach Deutschland gehen. Aber auch dafür werden wir Pipelineinfrastrukturen brauchen, sodass es Sinn macht. All die LNG-Terminals, die wir jetzt bauen, und die Pipelines, die wir im Norden Deutschlands bauen, werden später weiterentwickelt und uminvestiert für die Wasserstoffimporte genutzt werden können, die uns helfen werden. Wir haben ja gar nicht so viel Zeit, denn wir wollen schon 2045 CO2-neutral wirtschaften.

Nur für diejenigen, die sich das alles zu einfach vorstellen: Der Strom spielt dabei eine große Rolle. Wir produzieren heute 600 Terrawattstunden Strom. Wir werden zum Ende des Jahrzehnts schon 800 Terrawattstunden brauchen und am Ende des übernächsten Jahrzehnts wahrscheinlich die doppelte Menge, also etwa 1600 Terrawattstunden Strom, damit eine CO2-neutrale Industrie möglich ist. Deshalb ist der Ausbau der erneuerbaren Energien so wichtig, der aber auch indem wir das tun, immer billiger, immer industrialisierter wird und für uns deshalb eine sichere und in der Perspektive dann auch nicht so teure Stromversorgung gewährleisten wird.

Frage: Guten Tag, Herr Bundeskanzler. Sie sprachen davon, dass Sie Versäumnisse abarbeiten wollen - das haben Sie betont – und auch, dass Sie sich nicht wirklich daran erinnern können, dass Sie den Chef einer großen Bank mehrmals getroffen haben. Er hat aber dem deutschen Staat 47 Millionen Euro geklaut. Danach haben Sie Ihren Apparat in Hamburg angewiesen, noch einmal darauf zu schauen und dieser angeklagte Banker das geklaute Geld behalten durfte. Meine Frage ist: Das ist doch eigentlich nicht glaubwürdig.

BK Scholz: Vor allem ist es nicht glaubwürdig, wenn man in eine Frage Fakten mischt, die nach zweieinhalb Jahren Recherche nicht erwiesen sind, die auch Sie ja sehr intensiv machen und auch immer wieder mit diesem Thema - - -

Zuruf: Aber was doch bewiesen ist - - -

BK Scholz: Deshalb ist es nicht so, wie Sie sagen. Es gibt, nachdem man all diejenigen Beteiligten gehört hat, keinen einzigen Hinweis darauf, dass es eine Einflussnahme der Politik auf diese Entscheidung gegeben hat.

Im Übrigen nur der Vollständigkeit halber und weil es hier ja auch öffentlich berichtet wird: All die Steuern, die der Staat verlangt hat, hat er auch eingezogen.

Zusatzfrage: Bewiesen ist doch - und das wissen Sie auch -: Nachdem Sie den Mann mehrmals getroffen haben - woran Sie sich erst einmal nicht erinnern konnten, jetzt aber doch -, durfte er nach Ihrer Anweisung das von seiner Bank geklaute Geld behalten. Das ist also eine Tatsache. Das sind Fakten. Das ist bewiesen.

BK Scholz: Nein, das ist keine Tatsache. Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten zähle, die so etwas machen. Aber Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können, wenn Sie es müssten. Sie würden sie nicht erhärten können, wenn Sie es müssten. Bedenken Sie das, wenn Sie so etwas sagen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben jetzt mehrmals schon die Studierenden erwähnt, wenn es um die Entlastungen beim Thema Inflation oder Energiekrise ging. Es gibt natürlich auch noch andere junge Menschen, beispielsweise Schülerinnen und Schüler, Auszubildende, auch Arbeitsuchende. Die sind zum großen Teil bei den Entlastungspaketen, die bisher geschnürt wurden, außen vorgelassen worden. Würden Sie als Bundeskanzler beim kommenden großen Gesamtpaket Ihren Ministerinnen und Ministern künftig ein bisschen mehr auf die Finger schauen, sodass die Jugend in Deutschland nicht verarmt?

BK Scholz: Wir haben uns darüber schon sehr viele Gedanken gemacht. Diese sind auch in den Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung eingeflossen, so zum Beispiel eine BAföG-Reform. Davon haben wir auch schon etwas umgesetzt, was bereits in Kraft getreten ist, und für viele eine Verbesserung mit sich gebracht hat. Wir haben auch Regelungen getroffen, die, falls wieder eine Situation eintritt, in der viele, die neben dem Studium ihren Nebenjob verlieren, in finanzielle Notlage geraten, besser sind als die, die wir zuletzt hatten. Ganz konkret ist das in dieser Frage also eine Reaktion auf die COVID-19-Pandemie.

Natürlich gehört dazu auch, dass wir für uns die Frage in den Blick nehmen: Wie können wir mit der Situation umgehen, dass es für viele junge Leute eine ganz beschränkende Situation gewesen ist, in so einer existenziell wichtigen Lebensphase weniger Kontakte zu haben, sich nicht mit den Freunden treffen zu können? Da ist ja viel an Möglichkeiten der Zusammenarbeit, der Freizeit, der Interaktion, des Sich-Kennenlernens, des Leben-Kennenlernens verlorengegangen. Deshalb haben wir schon in der letzten Regierung Maßnahmen getroffen, die die Länder in die Lage versetzen sollen, ein bisschen nachzuholen, was sowohl Freizeit als auch schulische Qualifikationen betrifft. Deshalb gehört es auch zu unseren Entscheidungen, dass wir gesagt haben: So wie wir die Lage jetzt verstehen, wären zum Beispiel neue Schulschließungen keine adäquate Reaktion auf die Pandemieentwicklung.

Zusatzfrage: Es ging jetzt aber um konkrete Entlastungspläne in Bezug auf die Inflation und die Gaskrise. Wenn ich konkret werden darf: Die Kindergelderhöhung beträgt ungefähr acht Euro im Monat. Sie hatten gerade eben vom BAföG gesprochen. Das sind ungefähr sechs Euro mehr im Monat. Glauben Sie, dass das die Teller füllt?

BK Scholz: Ich habe ja gesagt, dass wir bei unseren Plänen, die wir haben, alle Bevölkerungsgruppen in den Blick nehmen werden und dass wir versuchen werden, eine Gesamtlösung zu entwickeln, die - und das habe ich ausdrücklich gesagt – genauso die jungen Leute, die Studierenden in den Blick nimmt wie zum Beispiel die Rentnerinnen und Rentner.

Frage: Herr Scholz, Sie sind der Kanzler, der seit dem Zweiten Weltkrieg die größte Krise zu bewältigen hat. Ich möchte gerne wissen: Wann haben Sie in welcher Form in besonderer Weise von der Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht? Mir ist das 100-Milliarden-Sondervermögen erinnerlich. Das würde ich als eine solche Durchsetzung betrachten. Wo noch, oder wo haben Sie es vor?

BK Scholz: Es ist gut, dass ich sie habe. Aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe: „Bitte, Herr Minister, machen Sie das Folgende“, sondern es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regierung die wichtigen Entscheidungen trifft, die uns in die Lage versetzen, auf diese Krise zu reagieren. Allein unser Gespräch, das wir hier heute führen, hat ja gezeigt, wie weitreichende Maßnahmen wir auf den Weg gebracht haben, wie weitreichende Maßnahmen wir bereits für die Zukunft vorbereiten. Das geschieht natürlich, weil ich ständig mit allen Beteiligten spreche. Es bleibt aber eine Gesamtleistung der Regierung, wenn es gut läuft. So ist es ja auch. Das Sondervermögen haben wir durchbekommen, sogar mit Hilfe der Opposition, was ja wegen der Grundgesetzänderung wichtig war. Wir haben durchbekommen, dass wir diese riesigen Temposchritte bei der Energiewende auf den Weg bringen, dass die ganzen Entscheidungen bei der Frage „Wie gehen wir mit der möglichen Gasmangellage um?“ rechtzeitig getroffen wurden. Ich habe es bereits berichtet: Ich habe im Dezember Wirtschaftsministerium und Kanzleramt gefragt: Was ist eigentlich, wenn wir kein mehr Gas kriegen? - Wir arbeiten schon seit Januar daran, das ganz konkret zu machen. Wir treffen uns sehr, sehr häufig - heute zum Beispiel wieder - und ganz regelmäßig und besprechen diese konkreten Situationen.

Ich finde es gut, dass es der Regierung trotz dieser großen Herausforderungen, die mit diesem Thema verbunden ist, gelungen ist, die richtigen Entscheidungen in großer Geschwindigkeit und immer rechtzeitig zu treffen.

Zusatzfrage: Zu dem Phänomen der Krise gehört, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland - Vermögensungleichheit, Einkommensungleichheit, Fähigkeit, mit Krisen fertig zu werden - immer weiter auseinanderdriftet. Das ist empirisch nachweisbar. Das kann einem sozialdemokratischen Kanzler nicht gefallen. Was tun Sie explizit, um dieses weitere Öffnen der sozialen und finanziellen Schere zu verhindern?

BK Scholz: Zunächst einmal ist es so, dass wir eine gute Wirtschaftsentwicklung mit einem hohen Beschäftigungsstand brauchen. Letzteres haben wir. Die gute Wirtschaftsentwicklung können wir auch gewährleisten. Wir müssen aber durch diese Zeit gekommen, wo es mit der Energieversorgung im Winter ein bisschen eng wird. Deshalb ist das - angefangen vom Sparen von Gas und Energie bis zu all den anderen Maßnahmen, die ich geschildert habe und hier nicht wiederholen will - natürlich das, was wir tun, damit wir das sichern und für die Zukunft darauf aufbauen können.

Dass wir unsere industrielle Transformation vorantreiben ist die Grundlage dafür, dass es gute und sichere Arbeitsplätze für die Zukunft gibt. So weitreichende Reformen, wie ich sie hier vorhin schon skizziert habe - der Mindestlohn, die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten, die Stabilisierung des Rentenniveaus, die Reformen im Bereich des BAföG, die Bereitschaft, etwas für Studierende und Rentner zu tun, die große Wohngeldreform, die Bürgergeldreform und dass wir die Kindergrundsicherung als Perspektive dieser Legislaturperiode im Blick haben -, sind ganz konkrete Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, dass es genau andersherum läuft, als Sie befürchten. Genau diese Maßnahmen werde ich aufgreifen. Ich wiederhole noch einmal: Das ist für mich zentral.

Die Fragestellungen vieler Bürgerinnen und Bürger liegen nicht im öffentlichen Fokus. Das, was sie für ihren täglichen Lebensunterhalt, für ihre Lebensperspektiven brauchen, wird nicht jeden Tag überall diskutiert. Im Augenblick ändert sich das ein bisschen durch die Inflation. Aber es ist doch so, dass das eigentlich nicht jeden Tag vorkommt. Die von mir eben erwähnte Verbesserung der Erwerbsminderungsrente findet statt und kostet Milliarden. Es könnte aber sein, dass die meisten Bürger davon nichts mitbekommen haben, weil das gar nicht Gegenstand öffentlicher Debatten, Problemstellungen, Erörterungen und Wahrnehmung ist. Trotzdem müssen wir uns darum kümmern. Trotzdem tun wir das. Das habe ich eben beschrieben.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte auch noch einmal beim Fall Warburg einhaken. Man muss sich ja die Abläufe anschauen. Es gab im November 2016 dieses Treffen mit Herrn Olearius und Herrn Warburg. Danach haben Sie Herrn Olearius angerufen und gesagt, er möge diesen Brief, den er Ihnen übereicht hat, ohne weitere Bemerkungen an den Finanzsenator weitergeben. Danach wurden die 47 Millionen Euro erlassen. Im Jahr 2017 gab es eine große Spende an die SPD. Herr Olearius hat in seinem Tagebuch geschrieben, er habe Herrn Kahrs gebeten, Sie noch einmal vor diesem Treffen im November zu briefen. Hat dieses Treffen mit Herrn Kahrs stattgefunden, ja oder nein?

BK Scholz: Alles, was ich dazu berichten kann, habe ich bereits berichtet und werde ich in der nächsten Woche noch einmal im Ausschuss berichten. Das steht auch schon überall nachzulesen, weil es darüber keine neuen und geheimen Fakten gibt. Das ist ja, glaube ich, das Bemerkenswerte. Wir haben eine Situation, wo jetzt zweieinhalb Jahre versucht worden ist, etwas zu identifizieren, was es nicht gibt, nämlich eine politische Einflussnahme auf diese Entscheidung. Und ich bleibe dabei: Es hat diese politische Einflussnahme nicht gegeben. Ich werde am nächsten Freitag noch einmal sehr viele Stunden lang - darauf freue ich mich auch - alle Fragen beantworten. Ich vermute, Sie werden zuhören. Und das ist alles gut.

Zusatzfrage: Aber es tauchen auch durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft neue Erkenntnisse auf. Die zuständige Finanzbeamtin - es sind Chatnachrichten aufgetaucht - sprach von einem „teuflischen Plan“. Noch einmal die Nachfrage: Sie können also ausschließen, dass Herr Kahrs Sie vor Ihrem Treffen mit Herrn Olearius und Herrn Warburg - in der Folge gab es die Entscheidung, die 47 Millionen Euro nicht zurückzufordern - nicht gebrieft hat, dass es kein weiteres Treffen mit Herrn Kahrs im Herbst 2016 zum Fall Warburg gegeben hat?

BK Scholz: Alles, was ich berichten kann, habe ich bereits berichtet. Das werde ich gerne noch einmal wiederholen. Ich wiederhole auch noch einmal, was ich eben gesagt habe: Es ist in der Tat so, dass man nach zweieinhalb Jahren irgendwann einmal sagen muss: Wir haben jetzt wirklich alle Scheinwerfer angeschaltet. Wir haben jeden befragt. Wir haben jede Unterlage eingesehen. Und wir haben herausgefunden: Es gibt kein einziges Indiz für eine Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger auf das, was dort in der Finanzverwaltung jeweils fachlich erörtert und entschieden worden ist. Ich habe keinen Anspruch darauf, dass irgendjemand mal sagt: Okay, zweieinhalb Jahre habe ich versucht, es herauszukriegen. Ich habe es nicht geschafft. - Aber ich gebe zu: Ich bin Mensch genug. Ich freute mich, wenn es der eine oder andere mal über sein Herz brächte.

Frage: Zur Außenpolitik. Als freier Journalist hätte ich gerne eine, wenn Sie so wollen, Einordnungshilfe für Blicke in den Nahen Osten. Werden Sie als Übernahme Ihrer Vorgängerin unverändert die Staatsräson fortführen, also ganz grob beschrieben das Schutzpaket für Israel, trotz der veränderten israelischen Regierungspolitik, mehr gezielte präventive Erschießungen, Tötungen?

In dem Zusammenhang: Wie erschließt sich Ihnen die für mein Gefühl ungleiche Diskussion in Deutschland zur Israel-Politik, zum Antisemitismus? Respektable Personen wie die früheren Botschafter Stein und Primor, die Chefin des Einstein Forums, Susan Neiman, und Moshe Zimmermann tauchen überhaupt nicht auf, es sei denn mal in einer Kolumne der „FAZ“. Wie erschließt sich Ihnen das?

BK Scholz: Ob es an mir ist, mir da irgendetwas zu erschließen, weiß ich nicht. Ich möchte aber gerne sagen, dass Sie recht haben. Wir werden die Israel-Politik in großer Kontinuität fortsetzen. Es ist wichtig, dass wir den Staat Israel und seine Existenz sichern und unterstützen. Da haben wir als Land eine große Verantwortung.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben anklingen lassen, wie entsetzt Sie angesichts der Versäumnisse waren, die Sie im Amt vorgefunden haben, was die Energiesicherheit Deutschlands angeht. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass Sie sich schon über viele Jahre für LNG-Terminals eingesetzt haben. Nichtsdestoweniger haben Sie über Jahrzehnte Verantwortung in der Partei getragen, die zusammen mit der Union die fatale Abhängigkeit von Russland in der Energiepolitik verantwortet. Und Sie waren in der vergangenen Koalition Vizekanzler. Sehen Sie bei sich selbst Anlass, ein wenig zerknirscht zu sein, oder liegt Ihnen das fern?

BK Scholz: Das ist durchaus etwas, zu dem ich fähig bin, obwohl es gegenteilige Gerüchte gibt.

Ich will aber etwas ganz Konkretes sagen: Ich glaube, es ist so, wie ich versucht habe, vorhin darzulegen: Jedes Land, jedes Unternehmen ist gut beraten, sich so aufzustellen, dass man jederzeit wechseln kann, was seine Lieferanten und was übrigens auch seine Exporte betrifft, dass man also diversifiziert. Ich glaube, das würde uns jetzt einfacher fallen, wenn wir die Infrastrukturen geschaffen hätten, die man dazu benötigt, damit das jederzeit möglich ist. Ziemlich viele Länder der Welt kriegen ja zum Beispiel ihr Gas nicht über Pipelines, sondern über Schiffe. Das hätte uns auf den Einfall bringen können, dass wir - und sei es als rein staatlich finanziertes Investment - Terminals schaffen, mit denen das jederzeit möglich ist, falls man mal in Schwierigkeiten gerät.

Wenn ich mich einmal an den Problemen der italienischen Regierung orientiere, ist dort viele, viele Jahre Gas aus dem Iran bezogen worden. Dann hat man diese Abhängigkeit beendet. Gott sei Dank ist es dort geografisch möglich, aus dem Norden Afrikas neue Quellen zu erschließen. Aber das zeigt ja: Das Problem ist nicht nur ein Problem von uns, sondern es ist überall in der Welt so, dass wir gucken müssen: Sind wir technisch in der Lage, schnell auf andere umzusteigen und was muss man dazu tun?

Für viele Unternehmen wird es so sein, dass sie dann sagen müssen: Selbst wenn die Konzentration auf einen Zulieferer an einer Stelle die billigste ist, habe ich lieber zwei oder drei an unterschiedlichen Stellen und bei Sachen, die ganz zentral sind, vielleicht auch immer einen Fuß in Europa, damit das etwas ist, auf das ich unmittelbar Zugriff haben kann. So sollten wir die Fragen lösen, wenn es um unsere Export- und Importstrategien geht und auch, was andere Rohstoffe als Kohle, Öl und Gas betrifft. Die Frage ist: Wie kann man sicherstellen, dass wir bei den neuen Dingen, die wir brauchen - Kobalt, Lithium und viele andere Stoffe - immer in der Lage sind, das, was wir brauchen, auch zu bekommen?

Dass wir auch im Hinblick auf Produktionskapazitäten, die für die industrielle Entwicklung wichtig sind, neue Entscheidungen treffen, sieht man daran, dass wir uns im Koalitionsvertrag bereiterklärt haben, Milliarden zu investieren, um in Deutschland die Halbleiterproduktion möglich zu machen. Die Intel-Ansiedlung in Magdeburg ist nur der erste große Baustein. Es werden viele kleine, aber noch weitere größere an anderen Stellen folgen, die dazu beitragen sollen, dass wir es schaffen können, dass wir diese Abhängigkeit zum Beispiel reduzieren. Das muss man auch bei vielen anderen Themen so machen.

Der wichtigste Schritt zur Reduktion unserer Abhängigkeit ist ganz sicher der Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich bin fest davon überzeugt, dass das das Wichtigste ist, was wir machen können, um uns für die Zukunft Souveränität zu verschaffen und gleichzeitig das zu tun, was für unsere wirtschaftliche Zukunft wichtig ist, nämlich erneuerbare Energien auszubauen und das Klima zu schützen.

Zusatzfrage: Vieles, von dem, was Sie sagen, klingt zumindest aus heutiger Sicht naheliegend. Würden Sie sagen, dass es da etwas aufzuarbeiten gibt, sei es in einer Enquete-Kommission oder auf andere Weise? Würden Sie sagen, dass die Versäumnisse, die ja zu einer wirklich schwierigen Lage für dieses Land geführt haben - zum Teil zu einer schwierigeren Lage als in anderen Ländern -, irgendwie geklärt werden müssen und auch gesehen werden muss, wer eventuell davon profitiert hat?

BK Scholz: Das glaube ich nicht, aber ich will auch niemanden daran hindern. Das ist ja nicht Sache der Regierung.

Ich möchte aber gerne sagen: Wir müssen uns auch als Gesellschaft in die Lage versetzen, solche Sachen rational zu erwägen. Als durch eine Indiskretion bekannt wurde, dass ich sehr wohl im Namen der gesamten Bundesregierung vorgeschlagen hatte, im Gespräch mit den Vereinigten Staaten von Amerika LNG-Terminals zu bauen, haben sich unisono fast alle - natürlich niemand hier im Raum - aufgeregt, haben gesagt: „Was?“, haben das auch noch mit der falschen Konnotation Frackinggas versehen und versucht, die Debatte über die steuerfinanzierte Unterstützung des Baus von Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten zu töten. Dass die Debatte nicht zu Ende ist, merkt man ja an der Frage, die der geschätzte Kollege hier eben gestellt hat - das ist jetzt kein Vorhalt, sondern das ist eine gesellschaftliche Debatte -: Wenn wir neue Pipelines bauen, verfestigen wir damit nicht die fossile Infrastruktur? Meine Antwort ist: Nein.

Aber wir werden uns jetzt so aufstellen müssen, dass wir auch in fünf und zehn Jahren die Frage von Ihnen oder einem Kollegen von Ihnen, der dann an der Stelle sitzt, beantworten können: Haben Sie bedacht, dass es, bis es so weit ist, dass wir alles mit erneuerbaren Energien und mit Wasserstoff machen, eine Zwischenphase gibt, in der es Zweifel gibt, ob wir, falls es irgendwo an der einen Stelle Importinfrastrukturen hakt, von woanders her etwas bekommen können?

Die Debatten, die über die Frage der Erschließung neuer Gasfelder in Afrika oder anderswo stattfinden, sind nur einleuchtend, wenn man sie auf dieses kleine Schema beschränkt, das im Hinblick auf langfristige Perspektiven gilt. Sie müssen auch vor dem Hintergrund betrachtet werden: Kann uns, bis wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien durch sind, in der Zwischenzeit noch etwas passieren? Die Antwort ist: Das sollte nicht sein. Da müssen wir jetzt alle Entscheidungen treffen. Das heißt, aus dieser Vergangenheit muss die Lehre gezogen werden, dass die infrastrukturelle Sicherheit unserer Versorgung ein Thema ist. Ich komme noch einmal auf das zurück, was ich vorhin auf eine Frage sagen durfte: In der Sicherheitsstrategie der Bundesregierung wird die Frage der Unabhängigkeit von Rohstofflieferungen und anderen Zulieferungen, die für unsere wirtschaftliche Stabilität essentiell sind, eine Rolle spielen müssen - und dann nicht konsequenzenlos, wenn ich das gerne ergänzen darf.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zum Thema Steuern. Im Zusammenhang mit dem Entlastungspaket wird immer wieder diskutiert, Steuern zu erhöhen und etwa eine Übergewinnsteuer für besonders erfolgreiche Unternehmen oder Unternehmen, die von dieser Situation profitieren, zu erheben. Kann eine Erhöhung der Einkommenssteuersätze für besonders gut verdienende Menschen Teil des Entlastungspakets sein?

BK Scholz: Gerade was die letzte Frage in Bezug auf die Einkommenssteuer betrifft, gab es unterschiedliche Konzepte der Parteien, die zur Bundestagswahl angetreten sind, und auch derjenigen, die jetzt eine Regierung gebildet haben. Wir haben uns darauf verständigt, für Spitzenverdiener keine solche Einkommenssteuererhöhung vorzunehmen. Das stand im SPD-Wahlprogramm. Ich glaube, auch in dem der Grünen, aber nicht in allen dreien.

Zusatzfrage: Übergewinnsteuer?

BK Scholz: Das ist auch etwas, was sich dort nicht findet. Um es ganz klar zu sagen: Das ist übrigens auch technisch sehr herausfordernd. Deshalb konzentrieren wir uns im Augenblick auf das, was wir zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger tun wollen. Ich habe eben ja schon berichtet, dass ich glaube, dass wir in der Lage sein werden, das zu finanzieren, was wir für erforderlich halten.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte die Frage der Gerechtigkeit noch einmal aufnehmen. Wäre es nicht im sozialdemokratischen Sinne gerecht, stärker zu gucken, ob man in dieser Lage zum Beispiel Mineralölkonzerne stärker besteuert?

BK Scholz: Das ist eine Diskussion, die im politischen Raum geführt wird. Sie kennen die entsprechenden Ideen, die innerhalb der SPD und auch der Grünen diskutiert werden. Gleichzeitig ist es so, dass wir uns als Regierung auf die Dinge konzentrieren, über die wir uns sinnvollerweise zuallererst verständigen müssen. Das, was jetzt zu allererst ansteht, ist neben den Entscheidungen, die für unsere Energieversorgungssicherheit wichtig sind und dass wir gut durch diesen Winter und das nächste Jahr kommen, die Frage: Was tun wir zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger über das hinaus, was wir schon gemacht haben? Ich wiederhole das, was ich gerade der Kollegin gesagt habe: Ich glaube, das werden wir finanzieren können.

Zusatzfrage: Aber würde es nicht Ihrer Auffassung von Gerechtigkeit entsprechen, da genauer hinzugucken?

BK Scholz: Ich habe, wie ich eben schon gesagt habe, im Bundestagswahlkampf ein Wahlprogramm vertreten, das solche Gerechtigkeitsfragen adressiert hat.

Frage: Angesichts der Zeit habe ich nur eine Frage: Herr Bundeskanzler, wann haben Sie das letzte Mal mit Johannes Kahrs gesprochen?

BK Scholz: Ich will jetzt nicht die Antwort geben, die einige hier fürchten. Es muss aber schon ewig lange her sein.

Zusatzfrage: Das heißt, Sie haben aktuell keinen Kontakt zu ihm?

BK Scholz: Nein.

Frage: Herr Bundeskanzler, planen Sie einen Besuch in der arabischen Welt?

BK Scholz: Ja.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

BK Scholz: Ich habe die erste Frage kurz beantwortet, aber ich sage noch einmal den ganzen Satz: Ja, natürlich plane ich eine Reise, und das wird gerade sorgfältig erörtert.

Was die Frage der Energielieferungen aus den verschiedenen arabischen Ländern betrifft, befinden wir uns darüber in mehreren Gesprächen. Wir haben ja ein Vorgehen, das für Deutschland bedeutet, dass wir privatwirtschaftliche Akteure haben, die diese Importvereinbarungen treffen müssen, und dass wir das als Staat politisch begleiten. Es gibt keine staatlichen Gas-, Öl- oder Kohlehandelsgesellschaften solcher Größenordnungen, die das machen könnten, wie das in manchen anderen Ländern der Fall ist. Darum bleibt das immer ein etwas hybrides Projekt zwischen staatlicher Aktivität und privatwirtschaftlichen Vereinbarungen, hinter denen wir aber - das kann ich Ihnen versichern - so her sind, dass wir uns das jetzt natürlich mit größter Intensität anschauen. Wenn man alles zusammenrechnet, ist die Energieversorgungssicherheit Deutschlands für die nächsten Jahre und Jahrzehnte gewährleistet, und da bleiben wir dran.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie erzählen sehr viel über die Unterstützung für die Ukraine, aber leider sehen wir in Polen diese Unterstützung nicht. Polen hat seit Februar 100 Panzer und Panzerhaubitzen in die Ukraine geschickt, Deutschland in derselben Zeit vier Gepard-Panzer, wenn ich mich nicht irre, und zwei Panzerhaubitzen. Aber ich wollte vor allem nach dem sogenannten Ringtausch fragen: Wann bekommt Polen endlich Panzer aus Deutschland, und was für Panzer werden das sein?

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Fragen. Ich will trotzdem dazu sagen: Deutschland ist im Augenblick unter den Ländern, die die fortschrittlichsten und auch für die gegenwärtige militärische Auseinandersetzung essenziellsten Waffen liefern. Mehrfachraketenwerfer gibt es aus Deutschland, den USA und Großbritannien. Die sind sehr wirksam und helfen der Ukraine gegenwärtig in dieser Situation.

Der Flakpanzer Gepard, der wichtig ist, damit die Truppen unbehelligt von Angriffen aus der Luft agieren können und man auch bestimmte Räume schützen kann, kommt aus Deutschland, ein sehr kompliziertes, hochmodernes, hocheffektives Gerät, an dem wir die Soldatinnen und Soldaten der Ukraine geschult haben. Ein Großteil der Flakpanzer ist jetzt bereits geliefert worden, und der Rest wird innerhalb von ganz kurzer Zeit noch kommen.

Wir haben zusammen mit den Niederlanden, mit denen wir in dieser Frage auch militärisch und sowieso integriert zusammenarbeiten, die Panzerhaubitze 2000 geliefert, und das ist doch eine sehr bedeutende Menge. Wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, dann sind es zusammen mit den Niederlanden 19, wenn die ihre letzte Lieferung auch noch geliefert haben werden. Zusammen mit den Waffen anderer sind das hocheffiziente Geräte. Auch das wird übrigens aus der Ukraine berichtet, sogar, wie intensiv sie die einsetzt, nämlich in einer Intensität, die zeigt: Damit kann man richtig etwas bewirken.

Das gilt dann auch für vieles andere, das wir zur Verfügung gestellt haben. Darunter sind auch sehr moderne Geräte, über die die Bundeswehr zum Teil selbst nicht verfügt und die wir von der Industrie neu zu beschaffen versuchen. Dazu gehört zum Beispiel IRIS-T, eine Möglichkeit, die die Luftabwehr einer großen Stadt wie zum Beispiel Odessa gewährleisten kann. Das ist ein modernes, neues Produkt aus der Industrie, bei dem das Unternehmen zusammen mit uns den eigentlich geplanten Empfänger dieses Geräts überreden musste, dass er zurücksteht, was gelungen ist. Wenn wir weitere Geräte produzieren wollen, dann sind die ja auch nicht über Nacht fertig. Aber auf alle Fälle müssen die entweder zusätzlich von der Industrie produziert werden können, oder andere müssen zurückstehen. Das gilt übrigens auch für das demnächst ausgelieferte Radar COBRA, das dazu beiträgt, dass die Ukraine in der Lage sein wird, russische Artillerie zu identifizieren und damit auch entsprechend effizienter zu sein. Das wird einen substanziellen Unterschied für die Situation ausmachen.

Dass wir vorher im großen Umfang nicht nur Munition und Minen und alle möglichen Waffen geliefert haben, sondern auch Panzerabwehrwaffen und Flugabwehrwaffen, soll nur gesagt sein. Wenn man sich die Liste der deutschen Lieferungen und auch ihre Qualität anschaut, dann wird man feststellen: Das ist hocheffizient, und das ist auch genau das, was in der gegenwärtigen Situation benötigt wird.

Darüber hinaus bemühen wir uns, zusammen mit anderen sicherzustellen, dass die in der Ukraine genutzten Waffen - viele Waffen aus dem Gebiet des früheren Warschauer Vertrags - auch genutzt werden können, dass es neue Munition dafür gibt, dass sie repariert werden können und dass wir auch weitere Lieferungen von solchen Geräten zur Verfügung stellen. Darüber stehen wir mit mehreren Ländern in konkreten Gesprächen. Mit einigen wie Tschechien haben wir sie bereits finalisiert, mit anderen wollen wir das gerne machen und sind auch kurz davor, dass das jetzt passiert. Insofern wird das unmittelbare Wirkung haben, weil dann Geräte, die dort bekannt sind und für die Munition vorhanden ist, aus diesen Ländern dorthin geliefert werden können, und wir das dann mit unseren modernisierten Waffen ersetzen, meistens aus Industriebeständen, die dorthin zurückgeliefert worden sind, modernisiert worden sind und eingesetzt werden können.

Auch für Polen gilt die Bereitschaft, dass wir das gerne machen, und Vereinbarungen, wie wir sie mit Tschechien geschlossen haben, mit der Slowakei anstreben und mit Griechenland geschlossen haben, sind mit Polen auch möglich. Ich glaube, dass eine ernsthafte Betrachtung nur einen Schluss zulässt, nämlich dass eine Verständigung mit Polen in gleicher Weise wie mit seinen Nachbarländern möglich ist, wenn die denn gewünscht ist; das erneuere ich hier gerne noch einmal. Gerade wenn man sich die Dinge anschaut, die der eine oder andere sagt, bin ich mir da nicht so sicher. Aber ich wiederhole: Wenn sich die Wünsche so darstellen, wie sie sich für andere Länder als Nachbarn Polens darstellen, die sehr genau auf dieser Basis entweder kurz vor Vertragsabschluss stehen oder ihn schon vorgenommen haben, dann wird das auch mit Polen möglich sein, und wir sind dazu gerne bereit, und zwar schon sehr, sehr lange.

Frage: Sie haben mehrmals gesagt, es dürfe keinen Diktatfrieden geben. Können Sie uns sagen, wie Sie sich vorstellen, dass der Westen, Europa oder Deutschland zu einem Ende des Krieges beitragen könnten? Teilweise ist die Zerstörung enorm, und jetzt wird um das größte Kernkraftwerk Europas gekämpft. Ein Unfall dort würde natürlich möglicherweise auch andere Länder in den Krieg ziehen. Was könnte man machen, um das Ende des Krieges irgendwie zu beschleunigen?

BK Scholz: Ich bin erst einmal in der Frage ganz klar, dass ein Friedensschluss nur einer sein kann, den die Ukraine für sich selbst richtig findet. Deshalb bin ich mit all denen nicht einverstanden, die jetzt oder vielleicht in Zukunft anfangen, sich Dinge auszudenken, die die Ukraine dann richtig finden soll. Das ist aus meiner Sicht falsch. Es können nur der ukrainische Präsident, die ukrainische Regierung, das ukrainische Parlament und das ukrainische Volk sein, die sagen: Das ist eine Lösung, die wir richtig finden.

Das ist nun wiederum offensichtlich: Wenn man von diesem Ansatz ausgeht, wird es niemals funktionieren, dass das ein Diktatfrieden ist, der irgendwelchen russischen Vorstellungen folgt, die letztlich einfach darauf hinauslaufen, dass man seine Eroberungsziele teilweise oder ganz durchsetzen kann. Das ist aus meiner Sicht offensichtlich. Deshalb ist es eine große, große Notwendigkeit, dass wir die Ukraine auch weiterhin so finanziell und militärisch mit Waffen unterstützen, wie wir das bisher tun.

Gleichzeitig müssen wir uns der Frage des Wiederaufbaus all der Infrastrukturen, der Gebäude und der Einrichtungen widmen, die jetzt durch diesen Krieg betroffen sind. Das sind dramatische Zerstörungen. Das wird Milliarden kosten, und es wird die ganze Weltgemeinschaft in Anspruch nehmen, dort vernünftige Lösungen zu entwickeln. Wir hatten jetzt gerade erste Konferenzen in der Schweiz. Ich bemühe mich zusammen mit der Europäischen Kommission auch, das voranzutreiben und intellektuell die Frage zu erörtern, wie man eigentlich das riesige Programm in einer Welt insbesondere nach dem Krieg stemmen kann, um sich aus dieser Situation zu befreien und die Ukraine zu unterstützen. Das wird eine große, große Aufgabe, die mit „Marshallplan“, glaube ich, nur geringfügig beschrieben ist. Die ist größer.

Frage: Herr Bundeskanzler, wenn ich den Tenor dessen, was Sie jetzt hier gesagt haben, grob zusammenfasse, dann lautet die Botschaft: Fürchtet euch nicht, es wird alles gut, wir tun etwas und werden weiterhin etwas tun, trotz aller Herausforderungen. – Jetzt formuliere ich die Frage so, dass Sie nicht mit Ja oder Nein antworten: Sehen Sie, dass das Krisenmanagement in allen Bereichen - Corona, Kriegsfolgen, Energiesicherheit, Teuerung - wirklich rund läuft? Inwieweit sehen Sie nicht auch die Notwendigkeit, dass man den einen oder anderen Punkt in Ihrem Krisenmanagement noch besser machen könnte?

BK Scholz: Die Herausforderungen für Preisentwicklung, Wirtschaftsentwicklung und Energieversorgungssicherheit, die mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine verbunden sind, sind immens, und deshalb beschäftigen wir uns ernsthafterweise regelmäßig und intensiv damit, was wir als Nächstes noch machen müssen. Ein anderer Ansatz wäre völlig falsch. Ich bin froh, dass wir sehr früh angefangen haben und dass wir sehr früh sehr weitreichende Entscheidungen getroffen haben. Aber wir werden gewissermaßen nicht irgendwann einmal die Hände in den Schoß legen können, sondern wir müssen da weitermachen.

Die Lage zu beobachten und die richtigen Entscheidungen zu treffen, gilt natürlich auch für die anderen Herausforderungen wie zum Beispiel die von Ihnen angesprochene Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Wir haben versprochen, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Handlungsmöglichkeiten der Länder sicherstellen werden, bevor die gegenwärtigen auslaufen. Wir haben gesagt: Das werden wir im August vorstellen. Das ist jetzt passiert. Es ist auch mit den Chefs der Senats- und Staatskanzleien der Länder und mit den Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister diskutiert worden, und wir diskutieren das auch mit anderen. Unser Programm ist, dass wir, wenn der Bundestag im September zusammenkommen wird, diese Gesetze gleich beschließen werden, sodass es einen unmittelbaren Anschluss in Bezug auf Handlungsmöglichkeiten für den ganzen Winter gibt, wenn die Gesetze, die heute gelten, am 23. September auslaufen. Das wird klappen. Insofern bin ich ganz zuversichtlich.

Natürlich führen wir jetzt die Diskussion mit den Ländern, um daraus ein gemeinsames Projekt zu machen. Dabei wird ja nicht diskutiert, um mitzuteilen, was wir richtig finden, sondern um das gewissermaßen in Kooperation miteinander zustande zu bringen. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man: Die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von den relevanten Politikerinnen und Politikern in den letzten Wochen geforderten Handlungsoptionen sind substanziell verankert und stehen dann zur Verfügung.

Welchen Verlauf die COVID-19-Pandemie im Herbst nehmen wird, kann niemand sicher vorhersagen. Wenn es gut läuft, muss man ja viele dieser Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene nicht nutzen. Wenn es aber eng wird, stehen sie dann zur Verfügung.

Frage: Herr Scholz, das schließt ein bisschen daran an: Vermissen Sie angesichts der dramatischen Krisenlage Angela Merkel? Wenn ja, warum? Wenn nicht, warum nicht?

BK Scholz: Ich telefoniere gerne mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler, falls das die Frage war.