Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Fernández zum Empfang des Präsidenten der Republik Argentinien in Berlin am 11. Mai 2022      

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK Scholz: Lieber Präsident Fernández, vielen Dank für Ihren Besuch hier in Berlin! Ich danke auch für das gute und vertrauensvolle Gespräch, das wir miteinander hatten. Ich bin froh, dass wir in diesen Zeiten mit Argentinien einen verlässlichen Partner in Lateinamerika haben.

Wir haben internationale und regionale Themen diskutiert, allen voran natürlich der furchtbare, nicht zu rechtfertigende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Präsident Fernández und ich sind uns in der Verurteilung der brutalen russischen Aggression gegen die Ukraine einig. Schwerste Verstöße gegen das Völkerrecht und die internationale Ordnung können und dürfen nicht unbeantwortet bleiben. Deshalb unterstützt Deutschland die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. Ich habe dem Präsidenten dafür gedankt, wie entschlossen Argentinien in den internationalen Gremien die Verurteilung Russlands unterstützt hat.

Es ist gut, dass Argentinien sich kürzlich mit dem IWF auf ein neues Programm geeinigt hat. Der Internationale Währungsfonds ist eine ganz wichtige Institution, um Länder zu unterstützen, auf eigenen Füßen zu stehen und ihre ökonomische Entwicklung und Prosperität voranzubringen. Wir begrüßen es sehr, dass Argentinien größte Anstrengungen unternimmt, das Programm umzusetzen. Ich bin sehr froh darüber, hier genau verstanden zu haben, dass Argentinien dabei in der schwierigen wirtschaftlichen Lage am Ball bleibt.

Mit dem Präsidenten habe ich über seine Pläne gesprochen, wie er mit der wirtschaftlichen Situation des eigenen Landes umgehen will. Wir wissen in Europa selber, wie schwierig es ist, einschneidende Reformen umzusetzen, gerade wenn das weltwirtschaftliche Umfeld nicht einfacher geworden ist.

Wir haben uns auch über den Stand des Handelsteils des Abkommens zwischen der EU und MERCOSUR unterhalten. Wir finden, dass es im Interesse unserer beiden Regionen ist, hier Fortschritte zu erzielen. Dazu wollen wir gerne beitragen. Dabei will ich gerne unterstreichen, dass wir jedenfalls finden, dass verbindliche Verpflichtungen zu Standards in Umwelt- und Sozialfragen und zum Schutz der Menschenrechte nötig sind. Es geht auch um die Fragen, die wichtig sind, wenn es um den Erhalt von Waldflächen geht.

Präsident Fernández und ich hatten ein sehr substanzielles Gespräch über die breit gefächerten bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Ländern. Ich habe unsere Bereitschaft unterstrichen, deutsche Unternehmen bei ihrem Engagement in Argentinien generell zu unterstützen und zur Beseitigung von Hindernissen eng zusammenzuarbeiten. Ich begrüße auch die laufenden Gespräche der argentinischen Regierung mit vielen einzelnen Unternehmen aus Deutschland. Sie sind ein wichtiger Baustein für unsere Wirtschaftsbeziehungen.

Vor allem sind wir uns einig, dass unsere Länder im Energiebereich im beiderseitigen Interesse eng zusammenarbeiten wollen. Argentinien hat ein enormes Potential insbesondere für erneuerbare Energien und zur Produktion von grünem Wasserstoff. Dieser wird einen unverzichtbaren Beitrag leisten, das Transportwesen und die Schwerindustrie CO2-neutral zu gestalten.

Es ging also um große Fragen, für die wir uns die Zeit genommen haben und die wir vertieft haben. Ich bin sehr dankbar für den Besuch hier in Berlin.

Nochmals vielen Dank und alles Gute für die weitere Zusammenarbeit!

P Fernández: Recht herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler! Ich möchte mich für den Empfang und für den offenen Dialog bedanken. Argentinien und Deutschland haben langjährige Beziehungen in den Bereichen Handel und Kultur.

Wir haben alle Probleme, die die Welt heutzutage besorgen, besprochen. Dazu gehört auch der Krieg. Das ist eine besondere Sorge für mich. Argentinien hält den Vorsitz von CELAC, der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, und wir verfolgen mit sehr großer Sorge die Auswirkungen, die negativen Folgen des Kriegs für unseren Kontinent und auch für Afrika, wo die Lebensmittelsicherheit und auch die Energieversorgungssicherheit gefährdet wird.

Wir verurteilen die Aggression gegen die Ukraine, und ich bin überzeugt, dass wir Wege suchen müssen, um diesen Krieg so bald wie möglich zu stoppen. Das ist ein unmoralischer Krieg, der Menschenleben kostet, und nach der Pandemie mit sechs Millionen verlorenen Leben können wir nicht erlauben, dass ein Krieg weitere Leben fordert. Wir alle müssen zusammenarbeiten und einen Weg aus der Krise finden. Das ist nicht nur ein Konflikt zwischen Nato und Russland, sondern das ist ein Konflikt, der weit darüber hinausgeht. Das hat Folgen für die ganze Welt, und der Welt kann das nicht gleichgültig sein.

Wir haben auch über die Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien gesprochen. Zum letzten Mal habe ich Bundeskanzler Scholz beim G20-Gipfel getroffen, noch bevor er Bundeskanzler wurde. Ich bin überzeugt, dass wir viel zu bieten haben. Wir können viel von dem bieten, was die Welt zurzeit verlangt. Wir sind große Anbieter von Lebensmitteln und Energie. Wir haben das zweitgrößte Schiefergasvorkommen der Welt und wir möchten die Welt auch mit LNG beliefern. Da haben wir große Chancen, mit Deutschland zu arbeiten. Wir entwickeln eine große Anlage für grünen Wasserstoff, und es gibt auch Unternehmen, die im Bereich des blauen Wasserstoffs arbeiten. Das heißt, wir haben viele Möglichkeiten, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Deutschland hat eine langjährige Geschichte von Investitionen in Argentinien und kann sich auf uns verlassen.

Der Bundeskanzler hat von unserem Abkommen mit dem IWF gesprochen: Das war eine essenzielle Bedingung dafür, dass wir heute über diese Themen sprechen. Er hat auch von den Sorgen hinsichtlich des Pariser Clubs gesprochen. Wir möchten auch so bald wie möglich das Problem mit dem Pariser Club lösen. Ich habe gleiche Behandlung garantiert; alle Gläubiger werden also wie die argentinischen Gläubiger behandelt. Wir denken, das ist eine Sorge, die gerechtfertigt ist.

Wir haben auf jeden Fall unsere Beziehungen vertieft. Vielen Dank für den Empfang, für die Zeit, für die Wärme, Herr Bundeskanzler! Sie können auf Argentinien zählen, damit die Demokratien auf der Welt stärker werden und die Achtung der Menschenrechte noch stärker wird.

Vielen Dank noch einmal!

Frage: An den Bundeskanzler: Wie sieht die deutsche Regierung die weitere Entwicklung des Kriegs in der Ukraine? Welche Auswirkungen erwarten Sie mit Blick auf Preissteigerungen?

An den Präsidenten: Sie haben das Thema Energie- und Lebensmittel besprochen; das haben Sie auch gestern mit dem spanischen Präsidenten besprochen, der MERCOSUR unterstützt. Wie arbeitet man an der Vermeidung der Folgen in der ganzen Region?

BK Scholz: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nicht nur ein Krieg gegen das Land mit der zweitgrößten Fläche in Europa, sondern er ist auch ein Krieg mit Folgen für die ganze Welt. Der Präsident und auch ich haben ja schon von den unglaublichen Folgen gesprochen, die der Krieg in der Ukraine hat - wie viele Menschenleben er kostet, wie viele Städte und Dörfer zerstört werden, wie viel Infrastruktur zerstört wird. Wir wissen, dass solche Kriege lange Folgen haben. All die Bomben, die jetzt geworfen werden, werden da noch sehr lange sein. Wer in Deutschland lebt, weiß das: Die Bomben, die hier im Zweiten Weltkrieg runtergegangen sind, werden auch jetzt noch entdeckt, und immer wieder einmal ist in irgendeiner Stadt in Deutschland Bombenalarm. Die Ukraine wird sich also schon jetzt darauf einrichten müssen, hundert Jahre lang mit den Folgen dieses Krieges zu kämpfen. Deshalb werden wir auch gemeinsam den Wiederaufbau voranbringen müssen.

Es ist aber eben ein Krieg, der auch Folgen für die ganze Welt hat - der Präsident und ich haben darauf hingewiesen, und Ihre Frage macht das ja auch klar. Denn die Folge ist klar: Es gibt jetzt steigende Preise, was Energie betrifft, es gibt steigende Preise, was Lebensmittel betrifft. Wir müssen befürchten, dass Länder, die eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit der Welt spielen, nicht in der Lage sind, die Länder, die sie traditionell beliefert haben, mit Lebensmitteln zu versorgen - die Ukraine ist zum Beispiel ein großer Exporteur von Getreide. Das wird die Gefahr mit sich bringen, dass es Hunger gibt. Das sollten wir immer mit im Blick haben.

Insofern ist das nicht nur ein Krieg hier in Europa - ein furchtbarer Krieg, begonnen von einer Nuklearmacht -, sondern es ist ein Krieg, der uns alle berührt und alle betrifft. Darum ist unsere gemeinsame Anstrengung, den Krieg zu beenden und dafür zu sorgen, dass die Waffen schweigen, dass Russland seine Truppen zurückzieht und dass es zu einer Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine über das künftige Miteinander, über einen Frieden kommt. Das ist die Herausforderung, vor der wir alle stehen und wo wir uns nur unterhaken und gemeinsam Einfluss nehmen können, damit das diese Entwicklung nimmt.

P Fernández: In Bezug auf das Gespräch mit dem Bundeskanzler habe ich schon gesagt: Lateinamerika leidet unter den Folgen des Kriegs. Die Sanktionen gegen Russland haben Folgen nicht nur in Russland, sondern auf der ganzen Welt, und mit Blick auf die Entwicklungsländer beziehungsweise die peripheren Länder, wie ich oft sage, die oft von den Machtzentren der Welt vergessen werden, ist es absolut notwendig, dass wir berücksichtigen, dass es sehr kritische Situationen gibt - zum Beispiel in Zentralamerika, wo Gebiete als Folge des Klimawandels zu Wüsten geworden sind, sodass dort keine Landwirtschaft mehr betrieben werden kann.

Der Krieg hat die Preise von Lebensmitteln sowie auch die Energiepreise in die Höhe getrieben. Darüber haben wir mit dem Bundeskanzler besprochen. Das ist also nicht mehr nur ein Problem zwischen der Nato und Russland oder zwischen der Ukraine und Russland; vielmehr ist das jetzt zu einer globalen Frage geworden, zu einem Problem für die Welt. Die Welt ist globalisiert, und auch die Folgen der Probleme sind globalisiert worden. Deshalb rede ich hier als Stimme von Argentinien, das auch die Stimme vieler Länder in Lateinamerika und der Karibik vertritt, und wir verfolgen mit großer Sorge die Folgen des Kriegs auch in Regionen wie Lateinamerika oder Afrika, die so weit entfernt vom eigentlich Konflikt sind.

Ich denke auch, dass ein Waffenstillstand notwendig ist. Der Krieg muss gestoppt werden, und wir brauchen ein Diskussionsforum, um das Problem zu lösen. Wir sind keine Akteure, was dieses Problem betrifft, und möchte auch keine solchen Akteure sein - aber wie gesagt, das ist nicht mehr nur ein Problem zwischen der Nato und Russland oder zwischen Russland und der Ukraine, sondern das ist ein Problem für die Welt, und wir können nicht gleichgültig zusehen, wie der Krieg verläuft. Wir können der Verletzung von Menschenrechten und den ganzen Schmerzen, unter denen die Ukraine leidet, nicht gleichgültig zusehen.

Frage: Herr Präsident Fernández, Sie haben von dem Abkommen zwischen der EU und MERCOSUR gesprochen. Welche konkreten Erwartungen haben Sie jetzt, zum Beispiel was Entwicklungsfonds und auch den Bereich Klimaschutz betrifft? Denken Sie, dass, wenn es nach dieser langen Verzögerung keine Fortschritte bei dem Abkommen gibt, MERCOSUR mehr in Richtung China gehen muss?

An Sie Herr, Bundeskanzler, eigentlich ziemlich dieselbe Frage: Sie haben ja vor wenigen Tagen gesagt, dass Sie beziehungsweise dass Europa sich mehr in Richtung Demokratien in Asien, Afrika, aber eben auch Lateinamerika orientieren will, und das eben auch vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage. Können wir hier also noch einmal einen kräftigen Push Ihrer Regierung erwarten, damit das doch sehr riesige EU-MERCOSUR-Handelsabkommen vorankommt und es einen First-mover-Vorteil gibt, der lateinamerikanische Kontinent sich also zuerst für deutsche und europäische Unternehmen öffnet und eben nicht für China?

P Fernández: Es ist sehr wichtig, dass wir Fortschritte machen mit Vereinbarungen zwischen MERCOSUR und Europa. Ich denke, dass es nicht nur mit Diskussionen über die Umwelt beziehungsweise Umweltschutz zu tun hat, dass die Vereinbarungen gescheitert sind. Natürlich ist auch Argentinien für den Schutz des Amazonas als Lunge der ganzen Welt; wir sind uns in diesem Punkt also einig.

Was wir wirklich diskutieren müssen, ist, denke ich, wie wir angesichts des Protektionismus bestimmter Akteure in der EU handeln. Ich glaube, das ist das größte Hindernis für ein Abkommen.

Darüber hinaus geht es natürlich um die wirtschaftlichen Asymmetrien zwischen Europa und Lateinamerika, die mit der Pandemie und jetzt mit dem Krieg noch tiefer geworden sind. Ich habe dem Bundeskanzler gesagt, dass wir beginnend mit den Bereichen Politik, Kultur, Wissenschaft und Technologie Vereinbarungen treffen müssen, nicht beginnend mit dem Bereich Wirtschaft - alles, was uns verbindet und was uns aus dieser protektionistischen Debatte, die von bestimmten Ländern gefördert wird, herausführt.

Ich werde am Freitag Präsident Macron treffen. Auch mit Frankreich haben wir eine sehr enge Beziehung, und ich hoffe, dass wir das auch mit ihm besprechen können und dass wir das Verhältnis zwischen Lateinamerika beziehungsweise MERCOSUR und Europa weiter vertiefen können. Ich bin absolut für dieses Verhältnis, für diese Beziehungen.

BK Scholz: Ich will gar nicht viele Worte anfügen. Es ist in der Tat so, dass wir es sehr begrüßen würden, wenn weitere Fortschritte in diesem Prozess stattfinden. Das Abkommen ist wichtig und es wäre ein großer Fortschritt. Es gibt Fragen, die uns betreffen, was Umweltstandards und soziale Standards betrifft, die in diesem Rahmen mit bewegt werden müssen. Aber am Ende geht es darum, die Sache zu einem Erfolg zu bringen. Das jedenfalls würden wir gerne ermöglichen.

Frage: Ich habe eine Frage an Bundeskanzler Scholz. Hat Deutschland Argentinien darum gebeten, Sanktionen gegen Russland zu beschließen?

Was die G20 betrifft: Beim letzten Treffen des IWF im Frühling haben amerikanische Beamtinnen und Beamten, auch Janet Yellen, von Druck auf Russland gesprochen, also Wirtschaftssanktionen. Die wollten auch Russland aus der G20 ausschließen. Herr Bundeskanzler, Herr Präsident, sind Sie auch dafür, Russland aus der G20 auszuschließen?

Was BRICS angeht: Es ist bekannt, dass Argentinien beabsichtigt - das hat Präsident Fernández auch bei seinem Besuch in China betont -, Mitglied von BRICS zu werden. Was hält Deutschland von dieser Absicht Argentiniens, BRICS-Mitglied zu werden?

BK Scholz: Zunächst einmal ist es so, dass wir es sehr begrüßen, dass Argentinien einen sehr klaren Standpunkt eingenommen hat - auch, wenn es um die Generalversammlung der Vereinten Nationen geht -, deutlich gemacht hat, dass dieser Angriffskrieg Russlands nicht zu rechtfertigen ist, ihn verurteilt hat und sich auch auf die Seite der Opfer dieses Krieges gestellt hat.

Das sind ja sehr, sehr viele. Es wird oft über die zivilen Opfer gesprochen, und das sind in der Tat unzählige, aber wir dürfen ja nicht vergessen: In diesem Krieg sterben auch sehr viele junge Männer und Frauen als Soldatinnen und Soldaten, und es sind sehr, sehr viele. Russland hat jetzt schon mehr Soldaten verloren als in seinem eigenen Afghanistanfeldzug, um sich die Größenordnung einmal klarzumachen. So ähnlich ist das. Auch die Ukraine hat große, große Verluste zu verzeichnen, und das ist etwas, das uns nicht unberührt lassen kann.

Ansonsten geht es darum, dass wir in der Welt einen Weg dafür finden, wie wir es schaffen, dass Russland von diesem Krieg abgebracht werden kann. Dazu haben viele Länder Sanktionen auf den Weg gebracht. Deutschland hat sich hierbei mit seinen Verbündeten sehr aktiv eingebracht - in der Europäischen Union, im transatlantischen Bündnis mit den USA, aber auch im Rahmen der G7 -, und viele andere Länder haben sich auch noch beteiligt, die in diesen Zusammenhängen erst einmal gar nicht beteiligt sind. Aber das sind Entscheidungen, die jeweils die Länder zu treffen haben. Was wir ganz wichtig finden, ist, dass niemand die Sanktionen, die verhängt werden, umgeht; denn das ist natürlich etwas, das nicht akzeptiert werden kann.

Ansonsten würde ich Ihnen gerne versichern, dass es aus unserer Sicht wichtig ist, dass wir eine multilaterale Welt anstreben, in der viele zusammenarbeiten, und das wird ja einfacher, weil die Welt sich verändert. Meine feste Überzeugung ist, dass sie nicht so bipolar sein wird, wie wir das in der Nachkriegszeit erlebt haben. Es wird nicht wieder so kommen, wie es zwischen den USA und der Sowjetunion war, und es wird auch nicht zwischen den USA und China so sein, sondern es wird so sein, dass es viele Länder gibt, die auf die künftige Gestaltung der Welt Einfluss nehmen - die USA selbstverständlich, China selbstverständlich, die Europäische Union und Deutschland selbstverständlich, Russland auch; ganz bestimmt -, aber eben auch viele Länder, andere Länder, des wieder aufgestiegenen Asiens wie Südkorea und Japan, aber auch Vietnam, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Indien; große Länder. Es wird große Länder in Afrika geben, es wird große Länder im Süden Amerikas geben, die alle eine Rolle spielen. Das ist der Blick, für den ich sehr werbe. Außerdem werbe ich dafür, dass wir diesen Blick noch einmal genauer schärfen und sehr klarmachen: Es gibt aber auf der Nord- wie auf der Südhalbkugel Länder, die eine Sache verbindet, nämlich dass sie Demokratien sind, dass sie als Demokratien auf die Welt sehen und dass sie deshalb auch einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Miteinander leisten, weil das eine Natur der Demokratie ist. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir beide als Demokraten und dass unsere beiden Länder hier eine Gelegenheit gefunden haben, unseren Austausch fortzusetzen.

P Fernández: Ich denke wie der Bundeskanzler. Argentinien denkt, das Schlimmste, was der Welt passieren könnte, wäre, ein bipolares System zu haben. Das hat zu keinem Fortschritt auf der Welt geführt. Wir müssen viel mit den internationalen und multilateralen Organisationen arbeiten, in diesem Rahmen, und das muss auf Regeln basieren. Dafür, dass wir diese Ziele verfolgen können, ist Demokratie eine essenzielle Voraussetzung.

Argentinien hat Interesse daran, BRICS-Mitglied zu werden. Natürlich muss man dabei berücksichtigen, dass der wichtigste Handelspartner Argentiniens ein BRICS-Mitglied ist. Ich meine Brasilien. Das würde zu einer anderen Stärke führen.

Was die Sanktionen angeht, hat Argentinien fast keine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russen. Von Sanktionen könnte also fast keine Rede sein. Aber ich kann sagen, dass die Sanktionen gegen Russland negative Folgen für die ganze Welt haben, auch für Argentinien. Deshalb bestehe ich auf der Notwendigkeit, eine schnelle Lösung beziehungsweise einen Weg zu finden, den Konflikt zu überwinden. Auch wenn wir keine Sanktionen zu verhängen haben, brauchen wir Ordnung in der Wirtschaftswelt. Wenn Lieferungen von Weizen und Sonnenblumenöl ausbleiben - ich habe irgendwo gelesen, dass 75 Prozent des Sonnenblumenöls in Europa aus der Ukraine kommt - und wenn man nicht darauf achtet, glaube ich, dass man einen Fehler begeht.

Bezüglich der Ausgrenzung Russlands aus der G20 denke ich, dass das eine Frage ist, die wir nicht besprechen sollten, weil die G20 eine ganz besondere Organisation ist. Ich glaube, dass wir alle hören müssen, nicht nur die Nato, sondern die ganze Welt.

Frage: Herr Präsident, zunächst eine Frage an Sie: Deutschland und andere Nato-Staaten liefern inzwischen in größerem Umfang Waffen an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland. Ihr Land hat sich gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine entschieden. Ich würde trotzdem gerne wissen, ob Sie für die Waffenlieferungen der Nato-Staaten Verständnis haben oder ob Sie sie sogar befürworten.

Herr Bundeskanzler, ich würde gerne noch einmal an die Frage des Kollegen zur G20 anknüpfen. Können Sie sich vorstellen, sich im Oktober beim G20-Gipfel in Bali mit Wladimir Putin an einen Tisch zu setzen?

Wenn Sie erlauben, habe ich noch eine innenpolitische Frage. Ihre Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht, steht in der Kritik wegen eines Hubschrauberflugs mit ihrem Sohn. Ich würde gerne wissen, ob Sie Verständnis für diese Kritik haben oder ob Sie meinen, dass die Verteidigungsministerin alles richtig gemacht hat.

P Fernández: Beeindruckende Frage! Gott sei Dank muss ich nicht darauf antworten, sonst wäre das wirklich heikel! Ich könnte natürlich meine Meinung abgeben, aber ich glaube, das passt hier nicht. Aber ansonsten würde ich das gerne tun.

Wie lautete die Frage noch einmal? Ich war nach der zweiten Frage so beeindruckt, dass ich die erste vergessen habe.

Zuruf: Waffen.

P Fernández: Schauen Sie einmal, Lateinamerika ist ein Kontinent des Friedens. Wir sind gegen den Krieg, und wir möchten keine Waffen mehr in Kriegen sehen. Ich bin tief berührt, wo ich jetzt sehe, dass Menschen getötet werden - nach einer Pandemie! Ich habe wirklich gedacht, dass die Pandemie die Welt verändern würde, dass die führenden Personen der Welt einsehen würden, dass es wichtig war, sich zusammenzutun und gemeinsam zu arbeiten. Ich hätte nie gedacht, dass wir nach dem Ende der Pandemie einen Krieg sehen würden, der so viele Menschenleben fordern würde. Ich bin grundsätzlich gegen den Krieg.

Natürlich treffen Länder Entscheidungen. Würde Argentinien Waffen liefern? Ich würde keine Waffen liefern, damit kein Mensch mehr stirbt. Aber natürlich ist Argentinien bereit, sich darum zu bemühen, dass sich die Welt hinsetzt, um das Problem so bald wie möglich zu lösen.

BK Scholz: Zunächst einmal zu der letzten Frage, die ich dann ja doch beantworten will: Es ist ausdrücklich so, dass Sie ja wissen, dass die Verteidigungsministerin mitgeteilt hat, dass alle Vorschriften beachtet worden sind.

Was die G20-Frage betrifft: Ich bin sehr froh, dass die indonesische Präsidentschaft den ukrainischen Präsidenten eingeladen hat. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Zeichen und zeigt ja auch, dass die Debatten um die G20, die bis zu dem Treffen stattfinden, auf keinen Fall in irgendeiner Weise von dem Krieg unberührt bleiben können, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat. Es ist ja schon eine unglaubliche Störung des Weltfriedens, dass hier ein solcher Aggressionskrieg - und auch mit solcher Kraft - gegen einen unschuldigen Nachbarn vorgetragen wird. Selbstverständlich wird das für uns alle eine wichtige Rolle in den Debatten der nächsten Tage und Wochen spielen. Was das dann im Einzelnen bedeuten wird, wenn die Zeit näher rückt, werden wir alle gemeinsam festzulegen haben. Da sind wir noch nicht. Wichtig ist erst einmal dieses gute Zeichen.