Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Paschinjan zum Besuch des Ministerpräsidenten der Republik Armenien in Berlin am 2. März 2023

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Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Paschinjan zum Besuch des Ministerpräsidenten der Republik Armenien in Berlin am 2. März 2023

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Donnerstag, 2. März 2023

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)


BK Scholz: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der Premierminister Armeniens, Nikol Paschinjan, hier in Berlin zu Besuch ist. Wir hatten heute einen wirklich sehr guten und intensiven Austausch über die Frage, wie wir unsere bilateralen Beziehungen weiter vertiefen können.

Wie Sie verfolgt haben werden, hat Premierminister Paschinjan einen umfassenden Reformprozess in seinem Land angestoßen. Auf diesem Weg wollen wir Armenien weiterhin begleiten und nach Kräften unterstützen. Einen wichtigen Schritt sind wir im vergangenen Jahr gegangen, als Deutschland die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit wieder aufgenommen hat. Auf europäischer Ebene arbeiten wir mit Armenien im Rahmen der Östlichen Partnerschaft zusammen, um das Land auch in diesem Rahmen bei seinen Reformbemühungen zu unterstützen.

Gesprochen haben wir natürlich auch über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und seine beträchtlichen Auswirkungen auf Armenien und die ganze Region des südlichen Kaukasus. Mir ist bewusst, dass die Folgen dieses Krieges insbesondere in Armenien zu spüren sind.

Umso wichtiger ist es, dass Armenien und Aserbaidschan ihren langjährigen Konflikt schrittweise lösen. Der Ministerpräsident hat mir die jüngsten Entwicklungen dargelegt. Wir sind weiterhin besorgt über die instabile Lage an der Grenze von Armenien und Aserbaidschan und insbesondere über die zunehmend kritische humanitäre Situation in Bergkarabach. Der Status quo ist so nicht haltbar und muss zum Wohle derjenigen vor Ort schnell einer tragfähigen Lösung zugeführt werden.

Aus unserer Sicht geht es nun darum, eine friedliche Streitbeilegung auf Grundlage des Grundsatzes der territorialen Integrität von Armenien und Aserbaidschan sowie des Selbstbestimmungsrechts der Bürgerinnen und Bürger von Bergkarabach zu erreichen. Alle diese Aspekte sind gleichermaßen wichtig. Deutschland unterstützt daher mit Nachdruck die Bemühungen des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel. Ganz konkret tun wir dies mit der Entsendung von deutschem Personal zu der neuen Mission der Europäischen Union in Armenien, EUMA. Die Mission wird übrigens von einem deutschen Bundespolizisten geleitet. Der Austausch zwischen Premierminister Paschinjan und Staatspräsident Aliyev in Prag und zuletzt in München war ein erster ermutigender Schritt.

Wir haben auch die Vertiefung unserer Wirtschaftsbeziehungen besprochen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Armeniens in der EU. In diesem Kontext habe ich den Premierminister gebeten, seine Bemühungen um die Reformen des Landes weiter voranzubringen, und wir haben auch noch viele andere Fragen besprochen, sehr zahlreich, sehr intensiv und sehr vertrauenswürdig. Ich bedanke mich deshalb hier für den Besuch und kann sagen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass wir noch bei vielen weiteren Gesprächen die bedeutenden Fragen, die wir miteinander zu erörtern haben, voranbringen können.

MP Paschinjan: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren! Vor allem möchte ich Herrn Scholz meinen Dank für die warme Aufnahme, für ein inhaltsreiches Gespräch und für die Diskussion aussprechen. Meine Delegation und ich möchten feststellen, dass wir ‑ ‑ ‑ (ca. 30 Sekunden lang erfolgt keine Dolmetschung) ‑ ‑ ‑ die Bedeutung der Erhöhung des Handelsumfangs und eine Dynamik weiter beizubehalten.

Armenien misst der BMZ-Initiative, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen, hohe Bedeutung zu. Das ist eine hervorragende Möglichkeit für Armenien, die Reformen in Armenien zielführend voranzutreiben.

Wir haben auch über die finanzielle und technische Zusammenarbeit zwischen Armenien und Deutschland gesprochen, vor allem über die GIZ und die KfW, die ihre Tätigkeit in Armenien ausüben. Wir sind voller Hoffnung, dass wir bald mit den lokalen Büros dieser Organisationen einen neuen Impuls zwischen unseren Ländern geben werden.

Deutschland und Armenien arbeiten im Umweltbereich seit vielen Jahren zusammen. In dieser Zeit des Klimawandels sind wir sehr daran interessiert, diese Zusammenarbeit sowie auch das Wassermanagement und den Energiebereich gemeinsam anzugehen. Wir sind auch an der Entwicklung des grünen Wasserstoffs interessiert. Ich möchte mit Zufriedenheit feststellen, dass auch im wissenschaftlichen Bereich eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den deutschen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen besteht. Auch sie hat ein großes Potenzial.

Sehr wichtig sind die kulturellen Kooperationen und die menschlichen Beziehungen. In unserem Gespräch haben wir über die interparlamentarischen Beziehungen gesprochen und mit Zufriedenheit festgestellt, dass wir in der letzten Zeit sehr viele gegenseitige Besuche hatten. Die bilateralen Beziehungen zeichnen sich durch die dezentralisierte Zusammenarbeit zwischen den Regionen unserer Länder aus. Wir haben gute Beispiele dafür. Wir beide haben unterstrichen, dass in den bilateralen Beziehungen ein großes Potenzial besteht, und unsere Bereitschaft geäußert, konsequent daran zu arbeiten und uns ambitionierte Ziele zu setzen.

Auf unserer Agenda stand auch das Thema der Partnerschaft zwischen der EU und Armenien und, wie wichtig das CEPA-Abkommen für uns ist. Es öffnet auch unseren bilateralen Beziehungen neue Perspektiven.

Ich will diese Möglichkeit nutzen, um der Bundesregierung einen Dank für ihre Teilnahme an der EU-Mission in Armenien auszusprechen. Ich will meine Überzeugung aussprechen, dass sie eine bedeutende Rolle für die Stabilität in der Region spielen wird. Ich habe Herrn Scholz auch persönlich meinen Dank ausgesprochen, da ich weiß, dass sein persönlicher Einsatz für diese Entscheidung sehr hoch war.

In unseren Diskussionen waren auch die Sicherheitslage im Südkaukasus und die Herausforderungen, die für Armenien bestehen, sehr wichtig. Im November haben wir die (akustisch unverständlich) Erklärung unterzeichnet. Armenien hat immer Bemühungen unternommen, die Stabilität zu gewährleisten sowie die Rechte der Karabacharmenier zu verteidigen. Leider gibt es destruktive Schritte seitens Aserbaidschans. Es gibt Drohungen gegen und Bedrohungen für die armenische Demokratie, und seitens Aserbaidschans gibt es Schritte, die die Sicherheit in der Region gefährden.

Die aktuelle Frage ist, dass die einzige Straße, die Bergkarabach mit der Welt verbindet, seit dem 12. Dezember seitens Aserbaidschans blockiert wird. 120 000 Karabacharmenier sind jetzt in der Blockadesituation. Diese Handlung ist eine Verletzung des trilateralen Abkommens von November 2020 und führt zu einer Politik der ethnischen Säuberung. Das ist ein Bestandteil davon. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, zu unterstreichen, dass es sehr wichtig sein kann, eine internationale „fact finding mission“ zur Klärung der Umstände im Latschinkorridor und in Bergkarabach zu entsenden. Ich möchte unterstreichen, dass der internationale Gerichtshof Ende Februar eine Pflichtentscheidung getroffen und Aserbaidschan dazu verpflichtet hat, den freien Verkehr in beide Richtungen zu gewährleisten. Ich möchte unsere internationalen Partner dazu aufrufen, sich dafür einzusetzen, dass Aserbaidschan die Erfüllung dieser Entscheidungen gewährleistet. Die Demokratie in Deutschland und die Menschenrechte ‑ ‑ ‑ Die deutsche Rolle und die eindeutige Position Deutschlands in diesem Bereich sind uns wichtig. Sie können zu einer Stabilisierung im Südkaukasus führen.

Liebe Anwesende, lieber Herr Bundeskanzler Scholz, ich möchte noch einmal meinen Dank für die warme Aufnahme durch Sie aussprechen. Wir sind bereit, Bemühungen zu unternehmen, um die Kooperation zwischen unseren Ländern weiterzuentwickeln und zu vertiefen.

Vielen Dank.

Frage: Meine Frage ist an den Bundeskanzler gerichtet: Aserbaidschan blockiert schon seit 81 Tagen die einzige Straße nach Bergkarabach, unterdrückt die Grundrechte von Karabach-Armeniern und bedroht die humanitäre Lage. Wie Herr Pashinjan bereits erwähnt hat, hat der Haager Gerichtshof Aserbaidschan bereits dazu verpflichtet, die Blockade aufzuheben. Das ist eine Pflicht für Aserbaidschan, aber es gibt bis heute keine Veränderungen; bis heute setzt Aserbaidschan diese Blockade fort. Was sagen Sie zu der Ignoranz von Aserbaidschan in dieser Frage?

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage und für die ausführliche Schilderung der wirklich sehr bedrückenden Situation! Wir haben auch sehr sorgfältig über die Lage in Bergkarabach gesprochen. Deshalb will ich wiederholen, was ich in meinem Eingangsstatement schon sehr klar gesagt habe: Wir stehen auf der Seite des Selbstbestimmungsrechts und wir stehen auf der Seite der Integrität von Ländern und Völkern. Selbstverständlich gehört dazu auch, dass wir die Sicherheit in der Region insgesamt voranbringen müssen. Dafür setzen wir uns sehr ein. Es ist auch sehr gut, dass wir das sehr intensiv besprechen konnten, und ich bin sehr froh, dass wir mit der Mission, die der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, unternimmt, aber auch mit unserer eigenen Beteiligung an der EU-Mission einen Beitrag dazu leisten können, die Situation zu verbessern. Das ist wirklich sehr schwer, und ich will sehr klar sagen, dass ich die Führungskraft, das Leadership meines Kollegen sehr begrüße. Das ist in dieser schwierigen Situation wirklich beeindruckend.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zum Umgehen von EU-Sanktionen. Die Exporte von Deutschland und anderen EU-Ländern nach Russland sind nach dem Angriffskrieg gesunken; gleichzeitig sind die Exporte nach Armenien angestiegen, und die Exporte von Armenien nach Russland sind ebenfalls angestiegen. Von Wirtschaftsminister Robert Habeck haben wir vergangene Woche gelernt, dass EU-sanktionierte Güter über Drittländer nach Russland gelangen, insbesondere Hightech und Fahrzeugteile. Die Zahlen deuten darauf hin, dass auch Armenien zu diesen Drittländern zählen könnte. Haben Sie dieses Problem heute angesprochen, und was gedenken Sie dagegen zu tun?

(ohne Dolmetschung) Mr. Pashinjan, I would like to also ask you a question: Studies on trade flow suggest that Armenia is one of the countries where western sanctions against Russia might be circumvented. That claim is supported by risen import/export numbers from Europe ‑ also Germany ‑ to Armenia and from Armenia to Russia, also regarding sanctioned goods. What do you say about that and what measures have you taken or will you take to prevent the bypassing of the sanctions?

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage! Sehr klare Aussage: Es ist so, dass wir natürlich über diese Frage gesprochen haben ‑ wie auch nicht, denn das gehört sich in sehr guten, engen Beziehungen. Selbstverständlich beobachten wir auch die Wirtschaftsdaten. Gleichzeitig ist es aber so, dass es uns wichtig ist, nicht allein die Wirtschaftsdaten zu betrachten und Korrelationen zu beschreiben, sondern zu gucken: Können wir sicher sein, dass nicht im ökonomischen Bereich unsere Sanktionen umgangen werden? Das ist natürlich etwas, das wir durchaus als Anforderung haben und wo wir auch die Hoffnung haben, dass das, was wir an Regeln haben, beachtet wird.

MP Paschinjan: Vielen Dank für die Frage. Als demokratisches Land und als Land, dem Transparenz mit allen unseren westlichen Partnern wichtig ist, haben wir gesagt, dass wir in dieser Frage bereit sind und transparent sind. Ja, die Zahlen verändern sich ‑ in der ganzen Welt verändern sich die Zahlen ‑, und auch die Logistikketten verändern sich. Ich will aber sagen, dass nicht nur unsere Importe aus der Europäischen Union gestiegen sind, sondern dass auch die armenischen Exporte in die EU gestiegen sind. Das hat auch den Hintergrund, dass wir an der Entwicklung der Beziehungen mit der EU interessiert sind.

Was Gespräche über die Umgehung von Sanktionen anbetrifft, so möchte ich unterstreichen: Das sind nicht mehr als Gespräche. In der Tat ist das Gegenteil der Fall. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Im Frühling des letzten Jahres hat ein Inhaber aus dem Westen ein Flugzeug eines russischen Flugbetreibers in Armenien erworben. Das ein einfaches Beispiel. Wir haben unseren Partnern gegenüber in unseren Beziehungen immer Respekt gezeigt, und die Legalität ist uns sehr wichtig. Prinzipiell ist unser Ansatz, dass wir auf legalem Boden agieren. Ein solcher Vorfall zeigt natürlich, dass uns gegenüber keine Vorwürfe gemacht werden können. Andererseits müssen wir die Entwicklungen sehr aufmerksam beobachten, damit auch der Privatsektor nicht solche Aktionen unternimmt, damit es keine negativen Veränderungen in Bezug auf die Beziehungen mit unseren Partnern gibt.

Frage: Die EU-Mission EUMA in Armenien (akustisch unverständlich), dass ein neues Abkommen mit der EU mit einer Sicherheitskomponente notwendig ist, da CEPA nicht mehr dem Stand unserer Beziehungen entspricht, die wir heute haben. Ich würde gerne erfahren, ob auf Ihrer Agenda auch solche Fragen standen und ob eine Erhöhung der Anzahl der Beobachter dieser Mission geplant ist.

BK Scholz: Ich bin zunächst einmal sehr stolz auf die Mission selbst. Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges, das Europa beitragen kann. Wir werden sie natürlich entsprechend der Anforderungen ständig weiterentwickeln.

MP Paschinjan: Ich habe bereits erwähnt, dass das zu den Themen unseres Gesprächs gehört hat. Wir sind sehr dankbar über diese Entscheidung. Sie haben über das heutige Abkommen gesprochen. Die Beobachtermission wird mit einem gegenseitigen Schreiben geregelt. Wir haben jetzt vor, auch eine Debatte über einen Vertrag über die Regelung der Arbeit dieser Mission zu führen. Ich denke, dass es hinsichtlich der Monitoring-Mission in der nächsten Zeit ein Dokument mit einer Formulierung über die bereits getroffenen Vereinbarungen geben kann, nachdem entsprechende Verhandlungen geführt worden sind.

Frage: Herr Premierminister, Ihr Land hat sich letzte Woche bei der Ukraine-Resolution der UNO-Generalversammlung enthalten. Warum zögern Sie, den russischen Angriff auf die Ukraine vollumfänglich zu verurteilen?

Herr Bundeskanzler, Sie reisen heute für eine Blitzvisite nach Washington, um den US-Präsidenten zu treffen. Sie hätten auch zum Hörer greifen können, um mit Joe Biden zu sprechen. Welche Entscheidungen sind so wichtig, dass Sie die unbedingt unter vier Augen besprechen wollen? Herr Merz hat Ihnen Geheimniskrämerei vorgeworfen.

Haben Sie neben möglichen Friedensplänen für die Ukraine auch Forderungen der deutschen Industrie bezüglich des Inflation Reduction Acts im Gepäck?

MP Paschinjan: Die Republik Armenien unternimmt alles, damit wir auf internationaler Ebene als verlässlicher Partner der internationalen Gemeinschaft agieren. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich sichtbare Schritte unternommen haben. Dieser Ansatz wird fortgeführt.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Es ist ein Ausdruck der Qualität der transatlantischen Beziehungen und auch der guten Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler, dass wir uns sehr viel und sehr oft miteinander austauschen und unterhalten.

Ja, ich kann Ihnen zugestehen: Wir telefonieren oft miteinander. Wir haben Videokonferenzen. Und wir wollen ab und zu auch mal, wie sich das in einem guten Leben gehört, direkt miteinander sprechen. Das muss möglich sein, auch wenn die Transportdauer über den Atlantik etwas größer als in ein europäisches Nachbarland ist, wo ich das auch regelmäßig tue. Das gehört dazu. Ich bin sehr froh darüber, dass miteinander arbeiten und ganz regulär miteinander sprechen ein Teil der Qualität unserer Beziehungen ist. Das ist in einer Weltlage notwendig, in der viele Dinge sehr schwierig geworden sind, in der, wie das der deutsche Bundespräsident früher einmal formuliert hat, die Welt aus den Fugen geraten ist. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir als so enge Freunde über all diese Fragen kontinuierlich miteinander sprechen. Das ist also nichts Besonderes. Aber es ist eben auch wichtig, dass wir es direkt tun. Ich freue mich darauf!

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