Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem NATO-Generalsekretär Stoltenberg am 18. Januar 2022 in Berlin

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BK Scholz: Ich begrüße Sie alle. Vielen Dank, lieber Jens, für deinen Besuch heute. Es war gut und wichtig, dass wir so rasch nach meinem Besuch in Brüssel Anfang Dezember nun wieder den Gesprächsfaden im Rahmen eines direkten Gesprächs aufnehmen konnten. Ansonsten existiert der ja permanent.

Die Nato und das transatlantische Bündnis sind ein Garant für die deutsche Sicherheit und auch für die europäische Sicherheit. Das war so; das ist so, und das wird auch in der Zukunft so sein.

Wir erleben in diesen Tagen wieder, wie wichtig es ist, dass wir gemeinsam unseren Beitrag dazu leisten, Stabilität, Frieden und Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das immer der Fall ist. Gerade die Lage in und um die Ukraine macht uns deutlich, wie sehr diese Sicherheit gefährdet ist. Wir sind sehr besorgt. Unsere Position in dieser Frage ist klar - und wir sind uns da auch mit unseren Verbündeten und Partnern vollständig einig -: Differenzen über Fragen der Sicherheit müssen im Wege des Dialogs auf Grundlage von Gegenseitigkeit und auf dem Boden des Völkerrechts und der gemeinsamen Verpflichtungen und Prinzipien geklärt werden, wie sie in den verschiedenen OSZE-Grundlagendokumenten vereinbart wurden. Dazu gehören insbesondere die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Staaten. Natürlich gehört dazu auch das Recht auf freie Bündniswahl.

Wir erwarten von Russland, dass es die Lage deeskaliert. Dazu könnte zum Beispiel auch eine Reduzierung der Truppen an der ukrainischen Grenze gehören. Wir sind natürlich bereit, mit Russland in einen ernsthaften Dialog über Sicherheitsfragen in Europa einzutreten. Ich bin deshalb sehr dankbar, dass Jens Stoltenberg zu den Gesprächen im Rahmen des Nato-Russland-Rats eingeladen hat und dass diese Bemühungen jetzt auch fortgesetzt werden sollen.

Übrigens ist es genauso wichtig, diese Bemühungen im Rahmen der bilateralen Gespräche fortzusetzen, die zwischen den Vereinigten Staaten und Russland und im Rahmen der OSZE stattfinden. Das ist aus unserer Sicht der richtige Ansatz, auch wenn wir wissen, dass das schwierige Fragen sind und dass diese Fragen sich auch nicht einfach beantworten lassen.

Wir haben uns heute darüber ausgetauscht, wie wir diesen Prozess des Gesprächs weiter gestalten können und welche Themen und Fragen wir zuerst angehen wollen. Das könnte aus meiner Sicht auch dazu beitragen, dass die Kommunikationskanäle, die wir jetzt haben, besser genutzt werden können, dass wir zu mehr Transparenz beitragen können und dass es auch neue Wege gibt, miteinander über Grundsatzfragen der Rüstungskontrolle zu sprechen.

Wir wollen alle gemeinsam konstruktive und stabile Beziehungen zu Russland. Wir haben kein Interesse daran, dass es dauerhaft Spannungen gibt. Das Gegenteil ist der Fall. Aber es ist wichtig, dass sich dabei alle zu den Prinzipien bekennen, die wir miteinander vereinbart haben. Dazu gehört eben auch, dass Russland sich selbst zu diesen Prinzipien im Rahmen der OSZE bekannt hat.

Vergessen wir nicht: 2025 jährt sich der Abschluss der Schlussakte von Helsinki zum 50. Mal. Wir sollten uns darauf besinnen und das vielleicht zum Ziel nehmen, eine umfassende Lösung für die Zukunft vorzubereiten. Dazu gehört natürlich auch, dass wir uns weiterhin gemeinsam mit Frankreich im Rahmen des Normandie-Formats dafür einsetzen, Fortschritte zu erreichen. Dann haben wir nämlich alle Ebenen in Betracht gezogen: Es gibt die bilateralen Gespräche zwischen den USA und Russland; es gibt den Nato-Russland-Rat; es gibt die OSZE und das Normandie-Format. Alle müssen bespielt werden, damit wir eine Verbesserung der heutigen Situation erreichen.

Klar ist für uns gleichermaßen, dass jedwede russische Aggression gegen die Ukraine schwere Konsequenzen haben würde. Wir sind auch miteinander im Austausch, dass wir immer die Möglichkeit einer gemeinsam koordinierten Reaktion vorbereiten und miteinander besprechen.

Wir haben uns auch über unseren gemeinsamen Weg zum Nato-Gipfel in Madrid unterhalten, der im Anschluss an das G7-Treffen in Elmau stattfinden wird. Dort werden wir uns über das strategische Konzept der Nato unterhalten und wie es weiterentwickelt werden kann. Klar ist, dass sich die Nato treu bleibt, dass sie ihre Zusammenarbeit verstärkt und dass wir immer wissen, dass die transatlantische Zusammenarbeit der Wesenskern der Allianz ist.

Ich bin sehr dankbar, dass sich Jens Stoltenberg, dass du dich, lieber Jens, immer für die Zusammenarbeit zwischen der Nato und der Europäischen Union stark gemacht hast. Das gehört auch dazu, eine starke transatlantische Kooperation und eine starke Nato zu organisieren.

Was wir jetzt brauchen, ist gute Zusammenarbeit, Einigkeit und Zusammenhalt. Es ist gut, dass wir dazu auch heute wieder miteinander gesprochen haben. Schönen Dank!

Stoltenberg: Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, ich freue mich sehr, heute wieder in Berlin sein zu können. Ich danke Dir für Deine herzliche Begrüßung. Ich freue mich, erneut mit Dir zusammenzutreffen. Du hast uns im Nato-Hauptquartier in Brüssel besucht, nur wenige Tage, nachdem Du zum Bundeskanzler der Bundesrepublik ernannt wurdest und ins Amt eingetreten bist. Dein Besuch zwei Tage nach der Amtsübernahme war Ausdruck Deiner deutlichen persönlichen Verpflichtung gegenüber dem transatlantischen Bindeglied und auch Ausdruck der wichtigen Rolle, die Deutschland im Bündnis spielt.

Diese Verpflichtung spiegelt sich auch in der Koalitionsvereinbarung wider. Dort wird unterstrichen, dass die Bundeswehr die bestmögliche Ausrüstung und eine zuverlässige Finanzierung haben muss. Das ist eine Botschaft, die ich nachdrücklich begrüße. Wichtiger ist heute noch, dass diese Aussage für die Sicherheit Europas zu diesem entscheidenden Zeitpunkt bekräftigt wird.

Heute haben wir uns mit dem Thema des russischen Truppenaufmarsches in und um die Ukraine und den Auswirkungen dieses Verhaltens auf die Sicherheit in Europa befasst. Es handelt sich hier um ein reales Risiko. Die Nato hat Russland zur Deeskalation aufgerufen und hat deutlich gemacht: Sollte das nicht der Fall sein, dann werden die Kosten hoch sein.

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, ein Bündnis, das kein einziges Land bedroht, auch nicht Russland. Wir müssen hier ein geeintes Vorgehen verfolgen, eine gemeinsame strategische Verteidigung, die Hand in Hand mit einem Dialog zu Russland geht.

Die Mitgliedstaaten der Nato haben sich in der letzten Woche mit russischen Vertretern im Nato-Russland-Rat getroffen. Wir sind bereit, uns erneut mit ihnen an einen Tisch zu setzen und dann auch konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Wir möchten schriftliche Vorschläge auf den Tisch legen mit dem Ziel, ein konstruktives Ergebnis zu erreichen.

Heute habe ich eine Einladung an alle Mitglieder des Nato-Russland-Rates zu einer Reihe von Treffen verschickt, die sich mit der Beziehung zu Russland befassen. Es geht um die Stärkung und Verbesserung der Kommunikationslinien, die existieren, um die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen mit der Nato. Wir sollten uns aber auch mit der europäischen Sicherheit befassen, und dazu gehört auch die Lage in und um die Ukraine.

Die Bündnismitglieder sind auch bereit, konkrete Vorschläge zu diskutieren, die das Ziel der Risikominimierung und der Erhöhung der Transparenz in Bezug auf militärische Aktivitäten haben. Auch darüber wollen wir uns unterhalten, wie man Bedrohungen im Weltraum und im Cyberraum angehen kann. Briefings zu Übungen und über die Nuklearpolitiken der verschiedenen Länder, Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtweiterverbreitung können auch Themen sein.

Wir fordern Russland auf und ermutigen es dazu, sich mit uns dazu ins Gespräch zu begeben, auch zur Reduzierung von Raketensystemen und Nuklearwaffen. Die Nato steht also bereit, die Bündnismitglieder stehen bereit, sich in ein solches Gespräch zu begeben und auch den Besorgnissen Russlands Gehör zu schenken. Sie sind aber nicht bereit, entscheidende Prinzipien nicht weiter gelten zu lassen. Die Nato hat das Recht, seinen eigenen Weg zu wählen und die Bündnismitglieder zu schützen und zu verteidigen.

Wir dürfen uns hier nichts vormachen, was die Chancen auf Fortschritte anbetrifft. Die Spannungen sind hoch, und in solchen Zeiten ist der Dialog besonders wichtig. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, eine politische Lösung zu finden.

Ich begrüße auch die bilateralen Gespräche, die zwischen den USA und Russland stattgefunden haben, und die Diskussionen im Rahmen der OSZE.

Ich würdige die deutsche Führungsrolle bei dem Versuch, Fortschritte im Normandie-Format herbeizuführen. Wir werden weiterhin in enger Abstimmung mit den Bündnismitgliedern und den Partnern des Bündnisses bleiben. Dazu gehört natürlich auch die Europäische Union.

Herr Bundeskanzler, ich danke Ihnen noch einmal. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.

Frage: Ich habe eine Frage sowohl an den Bundeskanzler als auch an den Generalsekretär: Was genau ist im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine - Sie haben ja gerade die Bedrohungen geschildert - die Rolle der Nato? Wird es dann im Falle eines Angriffs eine Nato-Hilfe für die Ukraine in der einen oder anderen Form geben?

Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern gesagt, dass es politische und wirtschaftliche Konsequenzen hätte. Kann es auch militärische Konsequenzen haben?

Stoltenberg: Die Hauptaufgabe jetzt besteht darin, einen militärischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Deshalb haben wir ja auch an die Adresse Russlands eine klare Botschaft ausgesandt: Wenn sie sich wieder für die Gewalt gegenüber der Ukraine entscheiden, dann wird der Preis für Russland hoch sein - ökonomischer, finanzieller Art und auch wirtschaftliche und politische Sanktionen. Die Nato stellt der Ukraine Unterstützung bereit, und die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung, wie das jeder souveräne Staat hat, und die Nato-Mitglieder werden die Ukraine darin unterstützen, dieses Recht auf Selbstverteidigung hochzuhalten.

Natürlich müssen wir auch sicherstellen, dass es hier nicht zu Fehleinschätzungen kommt, dass es keine Missverständnisse gibt, was die Bereitschaft der Nato anbetrifft, alle Bündnismitglieder zu verteidigen und zu schützen. Deshalb hatten wir auch seit 2014, als Russland das letzte Mal Gewalt gegenüber der Ukraine angewandt hat, indem es die Krim annektiert hat und im Osten der Ukraine in den Donbass einmarschiert ist, die größte Erweiterung unserer kollektiven Truppenpräsenz, nämlich im östlichen Teil des Bündnisses. Darunter ist auch ein von Deutschland geführtes Bataillon in Litauen zu sehen.

Aber wie gesagt, in erster Linie geht es darum, Fortschritte an der politischen Front zu machen. Wir sind ja bereit, uns noch einmal mit Russland an den Tisch zu setzen, und ich habe heute eine Einladung an Russland und alle Bündnispartner ausgeschickt und sie aufgefordert, sich an einer Reihe von Gesprächen in den nächsten Tagen und Wochen zu beteiligen - auch im Rahmen des Nato-Russland-Rates -, damit man unsere Besorgnisse auf den Tisch legen kann, aber auch Russland Gehör schenkt und versucht, einen Weg voran zu finden, der es uns ermöglicht, einen militärischen Angriff zu verhindern.

BK Scholz: Ein paar Ergänzungen von mir: Es geht jetzt darum, alles dafür zu tun, dass es nicht zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt. Ich habe schon Bezug genommen auf die großen Truppenbewegungen Russlands entlang der ukrainischen Grenze, die wir für sehr bedrohlich halten und die auch für sehr bedrohlich gehalten werden müssen, wenn man sich einfach die Größenordnung und die Präzision dieser Bewegungen anschaut.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir jetzt sagen: Es wird hohe politische Kosten haben, hohe ökonomische Kosten haben, wenn es zu einer solchen Intervention kommt und das Prinzip der Souveränität der Staaten und der Integrität der Grenzen verletzt wird. Dazu haben wir uns alle verpflichtet und dazu sind wir auch im sorgfältigen Gespräch miteinander, um dann sofort und zielgerichtet entlang dieser Ankündigung, dass es hohe politische, ökonomische und finanzielle Kosten haben wird, reagieren zu können.

Frage: Ich hätte eine Frage an den Herrn Bundeskanzler: Auch in Ihrer eigenen Partei mehren sich jetzt die Stimmen, die betonen, dass Nord Stream 2 eben kein rein privatwirtschaftliches Projekt ist, sondern immer an politische Bedingungen geknüpft war, eben zum Beispiel, dass die Integrität der Ukraine und auch die Nutzung der Pipeline durch die Ukraine nicht durch Russland infrage gestellt wird. Mit der Bitte, vielleicht nicht auszuweichen, hätte ich die Frage: Sind Sie weiterhin der Meinung, dass Nord Stream 2 ein rein privatwirtschaftliches Projekt ist? Wenn es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommen sollte, gehört dann ein politisches Aus für diese Pipeline auch zu dem Kasten möglicher politischer oder wirtschaftlicher Sanktionen, die Sie ja bisher nicht näher definieren?

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. Es ist ganz klar, dass wir uns dafür verantwortlich fühlen, dass zum Beispiel der Gastransport, der Gastransit über die Ukraine weiter stattfindet. Das haben wir schon in der Vergangenheit gemacht und zum Beispiel einen speziellen Bevollmächtigten ernannt, der dafür gesorgt hat, dass die Vertragsverhandlungen über die Verlängerung des Gastransits auch rechtzeitig fertig geworden sind. In gleicher Weise fühlen wir uns unverändert verpflichtet.

Die frühere Bundesregierung und die frühere Bundeskanzlerin hat sich - aber in enger Abstimmung auch mit mir und dem damaligen Außenminister - mit den Vereinigten Staaten in dieser Frage mit der Regierung und dem Präsidenten verständigt, und wir stehen zu allen Aspekten, die dazu gehören. Dazu gehört eben auch, dass klar ist, dass es hohe Kosten haben wird und dass alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt.

Frage: Herr Generalsekretär, würden Sie sagen, dass es seitens der deutschen Regierung etwas naiv ist, dieses Projekt Nord Stream 2 als ein rein wirtschaftliches Projekt zu betrachten? Wir haben nämlich erlebt, dass hier in Berlin jemand umgebracht wurde. Wir haben den Angriff auf den Deutschen Bundestag erlebt. Wir haben den Angriff auf ein Flugzeug aus Amsterdam über der Ukraine erlebt. Es gibt 50 000 Tote im Osten der Ukraine. Wir haben den Einmarsch auf der Krim erlebt und den Aufmarsch von 100 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Würden Sie sagen, dass es ein wenig naiv seitens der deutschen Regierung ist, dieses Projekt als ein rein wirtschaftliches Projekt anzusehen und zu bezeichnen?

Ich habe eine zweite Frage an den deutschen Bundeskanzler. Bundeskanzler Scholz, ich habe gerade gehört, dass Sie dem Kollegen gesagt haben, dass Sie nicht dafür sind, militärische Hilfe für die Ukraine zu leisten. Der hat gerade danach gefragt. Ich kann also nur festhalten, dass Sie das verneint haben. Würden Sie angesichts der Dinge, die ich gerade aufgezählt habe, nicht sagen, dass Nord Stream 2 möglicherweise auch ein etwas politisches Projekt ist, weil auch die ehemalige Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Merkel, in der Sie auch gedient haben, gesagt hat, dass dieses Projekt Nord Stream 2 auch politische Implikationen hat?

Stoltenberg: Es gibt dazu unterschiedliche Ansichten unter den Mitgliedern des Bündnisses. Aber alle Bündnismitglieder sind sich einig, wie wichtig es ist, dass wir unsere Energiequellen und die Lieferanten diversifizieren, und zwar aus einer Reihe von Gründen, aus Umweltgründen, aber auch aus Sicherheitsgründen. Das ist also eine Entscheidung, die innerhalb der Nato getroffen wurde. Wir ermuntern und ermutigen die Bündnismitglieder, ihre Lieferquellen zu diversifizieren. Das ist ja auch wichtig für den Erhalt der Energielieferung und ähnlicher Lieferungen, damit wir dann gleichzeitig einen Beitrag zur umweltfreundlichen Energieversorgung leisten können.

Ich habe natürlich zur Kenntnis genommen, was Fatih Birol von der Internationalen Energieagentur vor Kurzem sagte. Was wir im Verlaufe des letzten Monats erlebt haben, ist ein Rückgang des russischen Exports an Erdgas nach Europa. Russland hat die Fähigkeit, die Exporte deutlich hochzufahren, wenn es das will, aber auch eine deutliche Reduzierung der Gasmenge zu erreichen, das in den Lagerbehältern von Gazprom gehalten wird. Hiermit kann man also seitens Russland den europäischen Gasmarkt manipulieren, und das ist ein Ausdruck der Herausforderungen, denen wir uns im europäischen Gasmarkt gegenübersehen. Das unterstreicht noch einmal, wie wichtig es ist, dass wir unsere Lieferquellen diversifizieren.

BK Scholz: In der Tat kommt es darauf an, dass wir unsere Energieversorgung auf neue Füße stellen. Sie wissen, dass es zu den großen Projekten dieser Regierung gehört, dass wir uns innerhalb von 25 Jahren von der Nutzung fossiler Ressourcen vollständig unabhängig machen wollen. Das ist ein ehrgeiziges Projekt, und das betrifft dann Kohle, Öl und Gas als Ressourcen, die wir für unsere Energieversorgung und für unsere industriellen Prozesse nutzen wollen. Wir sind deshalb gerade dabei, die größten Reformen in diesem Land anzustoßen. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren gehört dazu, aber auch, den Ausbau der Erzeugungskapazitäten insbesondere erneuerbarer Energien voranzubringen. Deutschland wird schon zum Ende dieses Jahrzehnts erheblich mehr Strom verbrauchen und ihn auf der Basis von erneuerbaren Energien beziehen. Wir streben an, diese Intensität auch weiter auf ein Vielfaches der heutigen Stromverbräuche zu steigern, aber dann eben unabhängig von Öl, Kohle und Gas.

Natürlich achten wir heute auf eine möglichst gute, diversifizierte Energieversorgung, aus Skandinavien, aus Norwegen, aus den Niederlanden und der Nordsee, aus dem europäischen Gasmarkt, und arbeiten neben dem Projekt auch weiter daran, ganz prinzipiell unabhängig von solchen Ressourcen zu werden, weil wir auf „fossile free“ setzen und das jetzt als große nationale Strategie verfolgen.

Im Übrigen kann ich nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe. Die Bundesregierung, auch die frühere, hat sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und seiner Regierung sehr klar über unser Vorgehen in dieser Frage verständigt. Wir verfolgen diesen Kurs weiter.

Frage: Herr Generalsekretär, Herr Bundeskanzler, Großbritannien hat sich jetzt dazu entscheiden, Panzerabwehrwaffen an die Ukraine zu liefern. Haben Sie Verständnis für diesen Schritt? Unterstützen Sie ihn vielleicht sogar, oder befürchten Sie, dass dieser Schritt zu einer weiteren Eskalation der Spannungen mit Russland beitragen kann?

BK Scholz: Die deutsche Bundesregierung verfolgt in dieser Frage seit vielen Jahren eine sehr gleichgerichtete Strategie. Dazu gehört auch, dass wir keine letalen Waffen exportieren. Daran hat sich durch den Regierungswechsel, der im Dezember des vergangenen Jahres stattgefunden hat, nichts geändert.

Jetzt reden wir auf europäischer Ebene und auch im Nato-Russland-Rat, im Rahmen der OSZE, in den bilateralen Gesprächen der USA mit Russland und selbstverständlich auch im Rahmen des Normandie-Formats darüber, wie wir zu einer Situation kommen können, in der die gegenwärtige Eskalation beendet wird, wir sicher sein können, dass es keine Gefährdung der territorialen Integrität der Ukraine und keine militärische Aggression gegen die Ukraine gibt, aber auch keine anderen Wege eines Versuchs der politischen Veränderung mit Gewalt. Das ist alles, was wir gegenwärtig unternehmen. Diese Gespräche und Verhandlungen sind genau das, worauf wir setzen.

Stoltenberg: Die Nato unterstützt die Ukraine. Wir unterstützten sie nachdrücklich politisch für die territoriale Integrität und ihre Souveränität. Wir unterstützen sie ganz praktisch, indem wir die Verteidigungsinstitutionen unterstützen, auch beim Kapazitätsaufbau und im Bereich der Ausbildung. Wir helfen ihr zum Beispiel dabei, ihre eigene Marinekapazität zu verbessern. Als ich die Ukraine vor Kurzem besucht habe, war ich in Odessa. Dort habe ich mit eigenen Augen sehen können, wie die Nato die ukrainische Marineakademie dabei unterstützt, ihre Marinefähigkeiten aufzubauen. Die Nato als Bündnis leistet der Ukraine also Unterstützung, und zwar auf unterschiedliche Art und Weise.

Wenn es nur um tödliche Waffen, um Verteidigungswaffen geht, haben unterschiedliche Bündnismitglieder unterschiedliche Ansätze. Einige Mitglieder des Bündnisses stellen auch solche Unterstützung bereit.

Ich persönlich denke, dass wichtig ist, dass die Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung hat. Das ist in der Charta der Vereinten Nationen verankert. Die Nato unterstützt die Ukraine, damit sie dieses Recht verteidigen und ausüben kann.