Im Wortlaut
in Neu-Delhi
9 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Sonntag, 10. September 2023
BK Scholz: Meine Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich genauso wie alle anderen Teilnehmer hier das Mitgefühl mit all den Opfern des Erdbebens in Marokko ausdrücken. Das hat viele hier bewegt und umgetrieben. Wir alle sind dabei, Unterstützung zu organisieren. Deutschland hat auch schon das Technische Hilfswerk mobilisiert. Wir werden das Beste tun, um dazu beizutragen, denen zu helfen, denen geholfen werden kann.
Wir haben hier bisher eine sehr erfolgreiche Sitzung der G20 gehabt, erfolgreich deshalb, weil vieles zustande gekommen ist, was im Vorfeld von vielen nicht für möglich gehalten worden ist. Das ist zunächst einmal ein Fortschritt. Es ist gelungen, dass die Afrikanische Union jetzt ein weiteres Mitglied der G20 ist und zu den Treffen mit eingeladen wird und mit an unseren Beratungen teilnehmen kann. Das ist ein großer Fortschritt, für den sich viele eingesetzt haben, auch wir in Deutschland. Deshalb ist es bemerkenswert, dass das nun in so kurzer Zeit gelungen ist. Es ist ein wichtiges Zeichen auch für die G20 und ihre Bedeutung bei der Erörterung wichtiger Fragen, die sich mit unserer Entwicklung in der Welt befassen.
Wir haben darüber hinaus gemeinsam eine Entschließung verabschiedet, die viele Punkte beinhaltet, die für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung sind. Das ist für sich genommen ein großer Erfolg und hat viel Arbeit und Mühe und viele Diskussionen in den letzten Wochen und Monaten, aber natürlich auch erneut hier am Rande dieses Gipfels erfordert.
Wichtig ist, dass darin viele Punkte enthalten sind, die dazu beitragen können, dass sich die Welt gut entwickeln kann, indem wir Fragen für eine faire ökonomische Entwicklung adressieren, zum Beispiel auch, was die Möglichkeiten betrifft, dazu beizutragen, dass eine größere Unabhängigkeit entsteht, indem zum Beispiel Düngemittelfabriken errichtet werden, aber auch eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung möglich wird. Wir haben uns mit Verschuldungsfragestellungen beschäftigt, die auch von großer Bedeutung sind, und in diesem Zusammenhang auch versucht, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die internationalen Finanzinstitutionen ihr hilfreiches Wirken entsprechend entfalten können. Deutschland hat sich entschieden und auch bekannt gegeben, dass wir zum Beispiel die Weltbank mit hybridem Kapital unterstützen wollen, das die finanziellen Aktivitäten dieser so wichtigen Institution unterstützt. Das ist bedeutend, weil sich das in das einfügt, was hier miteinander verabredet worden ist.
Für mich gehört dazu auch, dass die Klimaziele weiterhin eine große Rolle spielen. Auch das ist in der konkreten Phase, in der wir uns in dieser Welt befinden, von zentraler Bedeutung. Es geht darum, dass wir nicht nachlassen, unser Bemühen fortzusetzen, um die Mitte dieses Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Ein großes Modernisierungsprojekt für die ganze Menschheit am Ende, das nur funktionieren kann, wenn es auch gemeinsame Anstrengungen gibt, das zu erreichen. Dass das in den Entschließungen und Entscheidungen hier weiterhin eine so zentrale Rolle gespielt hat, ist für uns ein wichtiger Erfolg, den wir auch sehr unterstreichen wollen.
Im Übrigen kann zu dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Zerstörung, die er in der Ukraine, aber auch, was die Weltwirtschaft betrifft, anrichtet, nicht geschwiegen werden. Viele Menschen leiden überall unter den höheren Preisen, die die Folge des Krieges sind, den Energieknappheitsgefahren und der Frage der Ernährungssicherheit, die neu davon berührt ist. Deshalb ist es wichtig, dass hier erneut klare Worte gefunden worden sind, die deutlich machen, dass die territoriale Integrität eines Staates wie der Ukraine nicht einfach mit Gewalt des Nachbarn infrage gestellt werden kann. Wir haben auch erneut unsere Worte festgelegt, die sich mit der Frage befassen, dass es auch nicht möglich ist, militärische Eskalationen weiter voranzutreiben.
Für mich ist es also insgesamt ein sehr erfolgreicher Gipfel mit guten Ergebnissen, die weiter gegangen sind, als es viele im Vorfeld befürchtet hatten. Das ist für mich deshalb auch etwas, das ein gutes Datum ist.
Für mich will ich an dieser Stelle der indischen Ratspräsidentschaft auch noch einmal Danke sagen. Es ist sehr erfolgreich gewesen, die vielen Bemühungen dort voranzutreiben. Dass viele Länder Asiens, Afrikas und Amerikas mitgeholfen haben, darauf hinzuwirken, dass eine solche Resolution jetzt möglich wird, und dass diejenigen, die sich ein bisschen skeptisch und widerstreitend gezeigt hatten, mitziehen, das ist auch ein Erfolg der indischen Diplomatie und Arbeit an dieser Stelle und natürlich unserer Zusammenarbeit.
BM Lindner: Meine Damen und Herren, ich ergänze die Ausführungen des Bundeskanzlers aus der Perspektive des Finance Tracks der G20. Wir haben unverändert eine fragile Situation in der Weltwirtschaft. Es gibt eine große Übereinstimmung darin, dass die Antwort lauten muss: erstens Reformen und Investitionen, zweitens weitere Zusammenarbeit und Intensivierung der gemeinsamen Bemühungen bei großen Herausforderungen und drittens eine Fiskalpolitik, die auf Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit aufbaut, um auch die weiteren Inflationsrisiken zu reduzieren.
Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, dass die Afrikanische Union als ständiges Mitglied in die G20 aufgenommen worden ist. Überhaupt waren der globale Süden und insbesondere Afrika hier ein Thema. Es hat auch eine Gesprächssituation unter Vorsitz des Bundeskanzlers zwischen der EU und Afrika gegeben. Das ist auch wichtig. Denn unser Nachbarkontinent aus deutscher Perspektive hat einerseits noch Belastungen aus der Coronapandemie. Wir haben dort die Verschuldungssituation, die angesichts der gestiegenen Zinslasten ein besonderes Risiko darstellt. Und wir sehen viele afrikanische Länder durch die steigenden Nahrungsmittelpreise belastet. Insofern ist es von einer besonderen Bedeutung und auch von einem besonderen Interesse für Deutschland und Europa, Beiträge für eine gute wirtschaftliche Entwicklung in Afrika zu leisten. Das ist in unserem Interesse, um beispielsweise Migration zu begrenzen und präventiv auf neue Migrationsbewegungen zu wirken.
Deshalb ist ein starkes Schwergewicht im Rahmen des Finance Tracks auf die Verbesserung der internationalen Finanzarchitektur gelegt worden. Wir setzen auf Reformen, damit beispielsweise afrikanische Staaten auch aus eigener Kraft wirtschaftlich vorankommen können. Dem dient der „Compact with Africa“. Wir stärken das „common framework“ zur Bewältigung der Schuldensituation. Und wir wollen - der Bundeskanzler hat es bereits angedeutet - die internationalen Finanzinstitutionen ertüchtigen, stärker transformativ Investitionen zu begleiten und nicht nur Armut zu bekämpfen. Dazu wird Deutschland 305 Millionen Euro sogenanntes Hybridkapital an die Weltbank geben. Es handelt sich also nicht um eine Erhöhung des Eigenkapitals, weil es zumindest gegenwärtig noch keine Übereinstimmung dafür gibt. Aber wir stellen Hybridkapital zur Verfügung, eine spezielle Anleiheklasse, die es der Weltbank ermöglicht, mit ihr das Ausleihvolumen für Staaten deutlich zu erhöhen. Es sind also nicht 305 Millionen Euro in der Wirkung bei den empfangenden Ländern, sondern wir reden dann über eine Hebelwirkung, die in den Milliarden-Dollar-Bereich geht.
Um Nachfragen vorzubeugen: Ja, diese 305 Millionen Euro sind bereits in der Finanzplanung des Bundes berücksichtigt.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben berichtet, dass es viele, viele Diskussionen über die Abschlusserklärung gegeben habe. Weil wir ja hier draußen nichts mitkriegen: Können Sie vielleicht noch ein bisschen schildern, wie Sie die Atmosphäre im Verhandlungsraum empfunden haben? Haben Sie zum Beispiel das, was Lawrow gesagt hat, als konstruktiv, destruktiv, aggressiv empfunden? Haben Sie mit Lawrow am Rande obendrein mal ein paar Worte gewechselt? Haben Sie ihm die Hand gegeben?
BK Scholz: Nein. Aber was die Frage des Beitrags des russischen Außenministers betrifft, den er da vorgetragen und vorgelesen hat, waren das die üblichen Erzählungen. Ich glaube, niemand im Raum hat sie geglaubt.
Frage: Herr Bundeskanzler, in der Erklärung steht: Unsere Zeit darf nicht die eines Krieges sein. - Aber das ist sie ja. Das ist der zweite G20-Gipfel in Folge, der von der Agenda des russischen Kriegs gegen die Ukraine bestimmt wird. Hat das, was heute passiert ist, jetzt die Gemeinschaft in irgendeiner Weise zusammengebracht?
Glauben Sie, dass die Milliarden, die in diesen Krieg letztendlich durch Waffenlieferungen und anderes fließen, in absehbarer Zeit mehr in Klimaschutz und die Beseitigung der Probleme, die die G20 sonst noch haben, fließen können?
BK Scholz: Dieser russische Angriffskrieg bedrückt die ganze Welt. Ich habe bereits darüber berichtet. Er hat ökonomische Folgen, die überall zu spüren sind. Die Energiepreise sind seitdem gestiegen. Es ist so, dass Lebensmittelpreise gestiegen sind und die Lebensmittelsicherheit nicht in allen Regionen der Welt gewährleistet ist. Insofern ist es auch richtig, dass das hier erneut verhandelt worden ist und sich auch in den Dokumenten wiederfindet.
Im Übrigen hat man auch schon bei den Entscheidungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesehen, dass es eine klare Stellungnahme zu dem russischen Angriffskrieg gibt. Das spiegelt sich hier in der Erklärung wider, in der sehr klar gesagt worden ist, dass die territoriale Integrität von Staaten nicht mit Gewalt beeinträchtigt werden darf. So ist es auch. Deshalb werden wir - Deutschland und viele, viele andere Staaten - auch die Ukraine solange unterstützen, wie das notwendig ist. Natürlich wünscht sich niemand sehnlicher als die Ukrainerinnen und Ukrainer, dass der russische Angriff zu Ende geht, dass Russland Truppen zurückzieht. Aber solange das nicht der Fall ist, wird es auch weiter die notwendige Unterstützung geben müssen.
Frage: Herr Bundeskanzler, auch noch einmal zum selben Thema: Ich würde gerne wissen, wie Sie in dieser Abschlusserklärung den Teil zum russischen Angriffskrieg im Vergleich zur Erklärung von Bali sehen. Ist das ein Rückschritt, oder ist das Niveau von Bali aus Ihrer Sicht gehalten worden?
Was hat dieser Gipfel aus Ihrer Sicht eigentlich für die Ukraine gebracht? Der ukrainische Präsident Selensky war ja beim letzten Gipfel noch zugeschaltet. Dieses Mal war das nicht der Fall. Es gibt in der Erklärung kleine Verurteilung des russischen Angriffskriegs. Steht die Ukraine am Ende dieses Gipfels als der große Verlierer da?
BK Scholz: Ich glaube, dass man sich vielleicht an der Art und Weise, wie das zustande gekommen ist, sein eigenes Urteil bilden kann, ob das ein Erfolg ist, was aus meiner Sicht der Fall ist. Am Ende war es das gemeinsame Bestreben vieler Länder in Afrika, Asien, im Süden Amerikas, Europas, der USA und vieler anderer, dafür zu sorgen, dass es eine solche Erklärung gibt, die auch die territoriale Integrität und die Souveränität zum Thema macht. Es geht ja um die Ukraine. Für mich ist ein Zeichen, dass das ein Erfolg ist, daran zu messen, dass Russland am Ende seinen Widerstand gegen einen solchen Beschluss aufgegeben hat, weil sich einfach alle anderen in diese Richtung bewegt hatten. Für mich komme ich deshalb zu dem Ergebnis, dass das gut ist und ein Erfolg ist, weil sich lange nicht abgezeichnet hat, dass wir so weit kommen und klar ist, was man darin zu lesen hat.
Zusatzfrage: (akustisch unverständlich)
BK Scholz: Es ist aus meiner Sicht, wenn das auf diese Weise festgelegt wird, eine Aussage, die natürlich auch die Position der Ukraine, um deren Souveränität und territoriale Integrität es ja geht, unterstützt.