Im Wortlaut
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)
24 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Sonntag, 22. Mai 2022
P Sall: Guten Tag, meine Damen und Herren Journalisten! Ich habe mit meinem Gast, dem Bundeskanzler, anlässlich seiner Reise in den Senegal, die er seit heute Morgen absolviert, diskutiert. Herr Bundeskanzler, noch einmal heiße ich Sie herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen sehr angenehmen Aufenthalt in Senegal! Ich freue mich über Ihren Besuch, vor allem angesichts einer weltweit sehr angespannten Lage mit vielen sehr engen Agenden.
Dieser Besuch ist die erste Reise seit seinem Amtsantritt im Dezember, die Herr Bundeskanzler Scholz in Afrika absolviert. Das zeigt die exzellente Qualität der deutsch-senegalischen Zusammenarbeit.
Senegal und Deutschland haben eine lange Tradition der Freundschaft und Kooperation. Ich kann einige Beispiele dafür anbringen. Die erste Reise eines deutschen Präsidenten erfolgte 1962, zwei Jahre nach unserer Unabhängigkeit. Das war Präsident Heinrich Lübke. 2018 haben wir die Freude und Ehre gehabt, Kanzlerin Angela Merkel zu empfangen, und im Februar 2020 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ich selbst wurde oftmals nach Deutschland eingeladen, das letzte Mal im Februar.
1968 hat Präsident Léopold Sédar Senghor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Eine Kopie seiner Rede habe ich dem Bundeskanzler gegeben. 2015 wurde ich mit der Medaille für den Frieden und den Dialog geehrt. Ich erinnere daran, dass eine Straße in Dakar den Namen des deutschen Ethnologen Leo Frobenius trägt. Frobenius ist sehr viel nach Afrika gereist und war einer der ersten Ethnologen, der die ideologischen Grundlagen des Kolonialismus hinterfragte, die Idee der Europäer, die darin besteht, dass man in Afrika wilde Völker gefunden habe, denen man Zivilisation gebracht habe. Die Arbeit von Leo Frobenius hat viel dazu beigetragen, dass die Afrikaner selbstbewusster geworden sind. Seine Arbeiten gehören zu den Inspirationstheorien von Senghor über die Zivilisation des Universellen, eine Symbiose aller Kulturen.
In dieser gestörten Welt, in der es sehr viel Extremismus gibt, ist es sehr wichtig, daran zu erinnern, was die Völker über ihre Differenzen hinaus verbindet. Deswegen habe ich Bundeskanzler Scholz meine Freude über die Qualität unserer bilateralen Kooperation zum Ausdruck gebracht.
Diese Kooperation konzentriert sich heute auf die Förderung der erneuerbaren Energie, vor allem auf Solartechnik, auf Energieeffizienz und auf Berufsausbildung. Wir haben neun Projekte und Programme. Deutschland ist auch einer unserer ersten bilateralen Partner im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Es ist wichtig, das hier zu betonen, weil Deutschland Senegal mit 100 Millionen Euro unterstützt hat. Deutschland hat im Rahmen der Initiative namens „Compact with Africa“ einen Beitrag in Höhe von 20 Millionen Euro für das Institut Pasteur von Dakar für die Impfstoffherstellung angekündigt. Deutschland unterstützt Senegal im Rahmen einer Partnerschaft, um die Reformen zu unterstützen, vor allem im Bereich der Arbeitslegislation, der Grundstückreform, des Zugangs zu Finanzierung und Entwicklung für KMU, genauso wie im Bereich der Berufsausbildung. Deswegen haben wir all diese Themen besprochen und wünschen unsere ökonomischen Austausche durch Investitionen zu stärken, indem wir den privaten Sektor mit ins Boot holen. Wir haben sehr gute Indikatoren mit sehr viel Interesse deutscher Unternehmen. Ich habe Bundeskanzler Scholz versichert, dass Senegal ein sehr offenes Land für deutsche Unternehmen ist, zumal wir auch die Produkte deutscher Firmen schätzen. Deswegen haben wir ein gemeinsames Interesse, ebenso wie mit Blick auf die Situation im Sahel, den Kampf gegen den Terrorismus, die Situation in Afrika, wo unsere beiden Länder im Kampf gegen den Terrorismus engagiert sind, weil wir uns dessen bewusst sind, dass unsere beiden Kontinente, Europa und Afrika, mit Bezug auf Frieden und Stabilität eng miteinander verbunden sind.
Deswegen haben wir über die Ukrainefrage und über den Krieg und seine Konsequenzen in Afrika diskutiert. Ich habe an unsere Position zum Beispiel gegen die Aggression eines Landes gegen ein anderes erinnert und vor allem an unsere Position, eine Verhandlungslösung zu finden. Ich habe als Präsident der Afrikanischen Union Kanzler Scholz unsere Sorgen über die Preiserhöhungen in den westafrikanischen Ländern, die wir gerade spüren, dargelegt. Die Afrikanische Union hat wirklich Beratungen durchgeführt, um Wege zu finden, diese Konsequenzen zu lindern. Deswegen plädiere ich dafür, dass unsere bilateralen und multilateralen Partner uns begleiten und uns in diesem Schritt unterstützen. Ich habe den Ansatz des Kanzlers für die Suche nach Frieden und vor allem dazu, dass man einen Waffenstillstand erzielt, begrüßt, um auch die Getreideexporte wieder zu ermöglichen.
Ich habe Herrn Bundeskanzler Scholz auch für seine Einladung zum Gipfel in Deutschland im Juni gedankt. Wir denken, dass wir auf ihn als Anwalt des afrikanischen Kontinents bei den großen Themen, die ich gerade angesprochen habe, zählen können. Vielen, vielen Dank, Herr Bundeskanzler Scholz.
Ich übergebe Ihnen das Wort.
BK Scholz: Schönen Dank! Ich freue mich, heute bei Ihnen im Senegal sein zu können. Vielen Dank, lieber Präsident Macky Sall, für den herzlichen Empfang!
Dies ist meine erste Reise als Bundeskanzler auf den afrikanischen Kontinent, und als erste Station habe ich mich sehr bewusst für Senegal entschieden; denn die Partnerschaft unserer beiden Länder ist intensiv, sie verbindet uns und wird auch weiterhin wichtiger werden. Im Augenblick scheint ja in Europa, wo ein schrecklicher Krieg tobt, vieles in Bewegung geraten zu sein. Aber auch hier gibt es viele, viele Herausforderungen für die Sicherheit zu bewältigen. Ich will nur an den Konflikt in der Sahelregion erinnern. Dass Deutschland und Senegal dabei als Partner aufeinander zählen können, darin sind Präsident Sall und ich uns einig, und das ist ein gutes Zeichen, für das wir überaus dankbar sind.
Wir stehen vor dramatischen globalen Herausforderungen. Die COVID-19-Pandemie, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die Klimakrise und ihre verheerenden Folgen für die afrikanischen Staaten, all das hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Lebenswirklichkeit. Sie gefährden die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften, die sich der globale Süden erarbeitet hat. Damit diese Krisen nicht neue Brandherde anfachen, müssen wir entschlossen handeln; denn die Welt wird zunehmend multipolar mit verschiedenen Zentren und Einflüssen. Unsere Aufgabe ist es, dabei mitzuhelfen, dass es eine Welt ist, in der internationale Regeln gelten und in der wir miteinander solidarisch handeln. Bei diesem Bestreben kommt es auf jedes einzelne Land an. Deutschland zählt dabei auf den Senegal.
Lieber Herr Präsident, ich freue mich sehr, Sie schon bald wieder als meinen Gast auf dem G7-Gipfel sehen zu können. Ende Juni treffen sich die sieben wirtschaftlich stärksten Demokratien für drei Tage in Deutschland auf Schloss Elmau. Aber von dort soll ein gemeinsames Signal starker Demokratien ausgehen, die sich in globaler Verantwortung sehen. Wir wollen konkrete Initiativen und Partnerschaften für Klima und nachhaltige Investitionen auf den Weg bringen, weltweit Ernährungssicherung gewährleisten, die globale Gesundheit verbessern und die Demokratien widerstandsfähiger machen. Über all diese Themen haben wir auch schon heute miteinander gesprochen und werden das konkret weiter tun.
Deutschland hat, wie gesagt, in diesem Jahr den G7-Vorsitz inne. In dieser Rolle haben wir bereits konkrete Vorschläge dazu vorgelegt, wie wir die Folgen des russischen Angriffskriegs mit Blick auf die weltweiten Energiepreise, die globale Wirtschaft und im Kampf gegen Hunger in der Welt abmildern können. Natürlich sind die Auswirkungen des Klimawandels hier besonders spürbar. Lang anhaltende Trockenheit und Ernteausfälle führen zu verheerenden Hungerkrisen. Wir können diese Krisen nur in den Griff bekommen, wenn wir den Klimawandel aufhalten.
Senegal hat in jüngster Zeit die erneuerbaren Energien rasant ausgebaut. Heute Nachmittag werde ich das Fotovoltaik-Solarkraftwerk Diass besuchen. Es leistet einen wertvollen Beitrag zu einer klimafreundlichen Versorgung mit Energie. Wir werden Senegal auch im Rahmen der G7 hierbei weiter unterstützen, natürlich vielleicht auch im Rahmen einer Klimapartnerschaft.
Herr Präsident, wir schätzen Senegals langjähriges Engagement für Frieden in der Region. Uns eint die Sorge vor der schwierigen Sicherheitslage im Sahel und die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts. Deshalb ist es verheerend, dass sich russische Söldner inzwischen in Mali aufhalten. Sie werden dort für gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Auf diese Entwicklung musste Deutschland reagieren. Wir werden deshalb unser bisheriges Engagement neu organisieren. Wir werden unserer Verantwortung aber weiter gerecht werden und haben deshalb auch entschieden, dass wir die UN-Mission MINUSMA weiter unterstützen werden. Wir haben unsere Beteiligung an dieser Mission gerade um ein weiteres Jahr verlängert. Das Parlament hat diesen Vorschlag der Regierung unterstützt. Allerdings müssen wir auch die schwierigen Bedingungen, die in Mali jetzt herrschen, genau betrachten und uns den neuen Herausforderungen kritisch stellen. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Herr Präsident, ich danke Ihnen für diesen herzlichen Empfang in Dakar, und ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit!
Frage: Herr Präsident, die Energietransition ist sehr wichtig in Ihrer Politik. Was sind die Erwartungen Senegals in Richtung Deutschland in diesem Bereich?
Herr Bundeskanzler, Präsident Macky Sall hat es gesagt: Die Energiefragen und Nahrungsmittelfragen bedeuten sehr große Sorgen für Afrika in Bezug darauf, was zwischen Russland und der Ukraine passiert. Was könnte der Beitrag Deutschlands für die Lieferung dieser Produkte in afrikanische Länder sein?
P Sall: Vielen Dank, Sie haben eine sehr wichtige Frage gestellt, nämlich nach der Energietransition. Sie wissen, dass Afrika bei der Pariser Klimakonferenz stark dafür gekämpft hat. Deswegen haben wir sehr viele Gespräche über diese Thematik geführt. Wenn man über diese Energietransition spricht, muss man wissen, wo wir in Afrika stehen. Wir sind ein Kontinent mit 1,3 Milliarden Leuten, und die haben nicht Zugang zu Energie. Wenn man über Energietransition spricht, muss man deshalb auch wissen, dass unsere Priorität ganz auf Elektrizität für diese Bevölkerung liegt. Deswegen müssen wir auch ein Minimum der Industrie auf dem Kontinent sichern. Wir reden von Vulnerabilitäten in Bezug auf die Nahrungsmittelindustrie, und es gibt ein Minimum an Energie, um unsere Entwicklung zu sichern.
Wenn wir in diesem Rahmen nicht die großen Umweltverschmutzer sind, dann wäre es wirklich gerecht, wenn man Lösungen dafür suchte, dass man Afrika daran hindert, unsere natürlichen Ressourcen zu nutzen, die wirklich sehr viel weniger verschmutzend als Kohle sind. Wir haben zum Beispiel Gas. Mein Plädoyer ist, dass Afrika bei dieser Finanzierung unterstützt werden soll, zum Beispiel, wenn es um die Gasproduktion geht.
Man muss nicht fanatisch sein, um zu sagen: Die fossilen Energien sollen zu Ende gehen, ohne alternative Energien (akustisch unverständlich). Die Sonne liefert Energie, aber sie liefert keine Basisenergie. Wir sind an guter Stelle, um das zu sagen. 31 Prozent unserer Produktion stammt aus erneuerbarer Energie. Aber wir brauchen auch Basisenergie, und deswegen denken wir, dass es Gas sein soll. Deswegen habe ich Bundeskanzler Scholz darum gebeten, uns dabei zu begleiten, den Export von Gas- und LNG-Ressourcen nach Europa zu unterstützen, und dabei, dass wir dieses Gas für unsere Kraftwerke nutzen können, um unsere Emissionen zu reduzieren. Wenn man zum Beispiel Gas hat, ist das ein sehr positiver Fortschritt. Deswegen möchte ich, dass wir die Unterstützung Deutschlands und aller entwickelten Länder erhalten, um Gas in einer Transitionsperiode zu finanzieren.
Nach dieser Transition werden wir natürlich vorangehen. Natürlich denken wir an grünen Wasserstoff zwischen den deutschen und senegalesischen Unternehmen. Ich denke, Deutschland hat uns mit einem 20-Megawatt-Energiekraftwerk unterstützt, und das ist ein Geschenk. Wir wünschen, dass wir andere zentrale Kraftwerke haben, um unsere Speichermöglichkeiten auch zu erweitern. Ich denke, man muss all diese Lösungen auf den Tisch bringen und nicht einfach dogmatisch sagen, die fossilen Energien sollten nicht mehr zur Verfügung stehen. Aber ich denke und bin davon überzeugt, dass wir in Deutschland einen sehr positiven Richtungspartner finden werden. Deswegen muss ich sagen, dass andere Länder uns auch in dieser Partnerschaft begleiten wollen.
BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage! – Ich kann zunächst einmal ausdrücklich unterstreichen, dass der Konflikt, der jetzt die ganze Welt erschüttert, der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, Konsequenzen hat, die weit über die beiden Länder hinausgehen. Natürlich sind die meisten Folgen direkt in der Ukraine zu sehen und zu spüren. Unglaublich viele Menschen sind gestorben, sehr viele verletzt, Dörfer, Städte, Infrastruktur, Straßen und Bahnlinien sind zerstört worden, und es wird unglaublich lange dauern, all diese Zerstörungen, die jetzt schon angerichtet worden sind, wieder zu beseitigen.
Selbstverständlich wird das noch schlimmer werden, wenn dieser Krieg immer weitergeht und nicht so schnell wie möglich ein Ende findet. Das ist der Grund, warum wir zusammen mit vielen anderen alles dafür tun, dass sich die Ukraine selbst gegen den Angriffskrieg verteidigen kann, dass aber gleichzeitig eine Situation entsteht, in der es zu einem Waffenstillstand kommt, Russland seine Truppen wieder zurückzieht und eine Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland geschlossen werden kann, die es dann auch ermöglicht, dass die ganze Welt ein wenig von dieser Situation wegkommt.
Denn das stimmt ja auch: Viele Länder auf der Welt sind von diesem Krieg betroffen, die weit weg davon sind. Das eine große Thema sind die steigenden Energiepreise, auf die der Präsident hingewiesen hat. Aber das andere große Thema ist selbstverständlich die Frage des Hungers in der Welt. Wir haben deswegen sehr viele Programme unterstützt und werden das auch weitermachen, um die Länder, die nicht mehr in der Lage sind, Lebensmittel in ausreichendem Maße zu beschaffen, zu unterstützen. Aber wir werden uns auch weiter aktiv dafür einsetzen, dass der Export von Getreide aus der Ukraine doch noch gelingt und dass es auch möglich ist, die notwendigen Düngemittel zur Verfügung zu stellen. Darüber wird gegenwärtig sehr intensiv gesprochen, weil das trotz des furchtbaren Konflikts Kooperationen voraussetzt, damit das auch tatsächlich aus einem Land heraus gelingen kann, das sich eines Angriffskrieges erwehren muss. Aber es ist wichtig, dass wir diesen Versuch unternehmen; denn sonst ist die Gefahr groß, dass es viele Länder in der Welt gibt, die größte Schwierigkeiten haben werden, ihre Bevölkerung zu ernähren. Das darf uns nicht kalt lassen, das lässt uns nicht kalt, und wir werden alles tun, was wir unternehmen können.
Was die Frage der Energiezusammenarbeit betrifft, ist die ganz breit. Es geht um erneuerbare Energien. Der Präsident hat darauf hingewiesen, was Speicherkapazität, was Solar- und Windenergie betrifft. Aber selbstverständlich geht es auch um die Zusammenarbeit bei der Nutzung der natürlichen Gasressourcen, die Senegal hat, bei der Nutzung der künftigen Möglichkeiten, die da entstehen, und auch bei den technischen Investitionen in die Kraftwerksinfrastruktur, die dazu notwendig sind. Das wird Thema unserer weiteren Gespräche sein, und wir wollen einander gute Partner sein. Das ist schon jetzt klar, und wir werden das dann in den fachlichen Gesprächen vertiefen.
Frage: Herr Präsident, Sie sagen, Sie verurteilen die Aggression. Das haben Sie in den Vereinten Nationen formell nicht getan. Ihr Land hat sich enthalten. Wenn Sie heute noch einmal entscheiden müssten, würden Sie nach dem, was Sie wissen, das Gleiche tun?
Sie haben auch das Mandat der Afrikanischen Union, um mit Moskau über die Sicherheit von Getreidelieferungen und Düngemittel zu verhandeln. Bedeutet das, Sie werden bald nach Moskau reisen? Was wären Sie bereit, im Gegenzug zu tun?
Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung spricht ja selbst von einer massiven Desinformationskampagne Russlands hier in der Region. Wie besorgt sind Sie darüber?
Sie haben selbst gerade angesprochen, dass viele Länder der Welt die Auswirkungen dieses Angriffskriegs auf die Ukraine spüren. Dennoch sind Sie noch nicht nach Kiew gereist. Darüber gibt es in Deutschland eine große Debatte. Wovon werden Sie abhängig machen, wann Sie dahin fahren?
P Sall: Vielen Dank! – Senegal hat eine Wahlerklärung vor den Vereinten Nationen über seine Position abgegeben. Ich erinnere daran, dass nach dem Ende der russischen Aggression ‑ ‑ ‑ Als Präsident der Afrikanischen Union habe ich diese Invasion auch verdammt, und in einer ersten Erklärung habe ich gesagt, man müsse die internationalen Grenzen respektieren. Deswegen hatten wir gewünscht, dass sofort ein Waffenstillstand herrscht. Das war die erste Position Senegals. Danach gab es diese Wahlabstimmung in den Vereinten Nationen, bei der wir unsere nationale Öffentlichkeit betrachten. Die Enthaltung ist auch eine Position. Wir waren also nicht dagegen und nicht dafür. Als wir im Rat der Menschenrechte waren, hat Senegal dafür gestimmt, weil wir für eine Kommission für die verschiedenen Staaten plädiert haben. Senegal hat also diesbezüglich kohärente Positionen.
Man muss auch sagen, dass wir in Afrika verschiedene Positionen haben. Man bemerkt sehr unterschiedliche Positionen. Die meisten Länder haben sich enthalten. Nur wenige haben gegen die Entscheidungen gestimmt. Andere haben sich enthalten oder nicht gewählt. Aber das alles muss die Leute dazu führen, sich Fragen zu stellen, um zu sehen, warum Afrika diese Position hat. Das ist nämlich ein Konflikt, der nicht regional ist, der auf einem anderen Kontinent stattfindet. Er betrifft auch uns direkt, aber wir müssen auch sagen, dass wir als Afrika Frieden wollen. Wir wollen wirklich nicht Verbündete in diesem Konflikt sein. Wir wollen Frieden, auch wenn wir diese Invasion verdammen. Wir möchten, dass es einen Dialog über einen Waffenstillstand gibt, weil es letzten Endes auch immer in einem Dialog am runden Tisch enden wird. Deswegen denken wir, dass wir das machen müssen. Das ist unsere Position, die Position von Staaten, die den Kampf gegen diese Preiserhöhungen, gegen Hunger usw. usf. führen müssen. Deswegen müssen wir unserer Bevölkerung Nahrungsmittelsicherheit und Frieden im Kampf gegen den Terrorismus sichern. Deswegen muss man auch verstehen, dass Afrika sehr viele Probleme hat, und deswegen möchte es auch seine Partner an seiner Seite sehen.
Die Frage in Bezug auf die Ukraine ist eine sehr wichtige Frage. Wir möchten mit unseren Partnern zusammenarbeiten, damit es einen gerechten Frieden für Russland, für die Ukraine und für die ganze Welt gibt. Das möchte ich an dieser Stelle dem Herrn Bundeskanzler sagen.
BK Scholz: Schönen Dank. ‑ Zunächst einmal will ich gerne unterstreichen, was der Präsident eben gesagt hat. Seine Haltung und die seiner Regierung ist völlig klar: Immer wieder ist betont worden, dass der Angriffskrieg, den Russland dort gestartet hat, nicht akzeptiert, nicht hingenommen werden kann und ein Bruch der Regeln ist. Es war ja sogar ein Regierungschef aus Afrika, der im Sicherheitsrat eine sehr klare und kluge Bemerkung mit dem Hinweis auf die Tradition des Kolonialismus gemacht hat und wie die Grenzen in Afrika gezogen worden sind. Er hat gesagt: Wenn wir anfangen würden, irgendwie durch den Blick in die Geschichte Grenzen neu ziehen zu wollen, dann wären hier ganz schön viele Kriege unterwegs. Deshalb hat er appelliert, sehr klar und deutlich gesagt: Das kann kein Grund sein.
Genau das ist das, was ich dem russischen Präsidenten in meinen Gesprächen immer gesagt habe. Wenn wir jetzt alle anfangen würden, in Geschichtsbücher zu gucken, wie er das offenbar gemacht hat, wo vor 200, 300 oder 500 Jahren einmal Grenzen gezogen waren, und daraus Gebietsansprüche ableiten würden, dann hätten wir viele, viele Jahrzehnte – wahrscheinlich hundert Jahre – gewalttätige Auseinandersetzungen zu befürchten. Deshalb ist das einer der ganz wichtigen Grundsätze, die hier in Afrika gelten, die aber auch in Europa gelten und die für die ganze Welt gelten müssen. Es wird keine gewalttätige Veränderung von Grenzen geben. Das ist ja der Bruch, den Russlands Angriff auf die Ukraine mit sich führt, nämlich das erkennbare Ziel, mit Gewalt eine imperialistische Vision von Stärke durchzusetzen und Grenzen neu zu ziehen. Das ist das, was uns als Welt jetzt in diesen Konflikt geführt hat.
Ich finde es aber sehr wichtig, dass wir gleichzeitig verstehen, dass überall auf der Welt der Blick natürlich auch davon geprägt ist, dass viele Länder ihre eigene Betroffenheit sehen, was Energiepreise, wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten und die Gefahr des Hungers betreffen. Weil wir weltweit zusammenarbeiten müssen, ist es mir so wichtig, dass wir das auch demonstrativ tun. Das ist der Grund, warum ich sehr dankbar bin, dass Sie, Herr Präsident, bei dem G7-Treffen in Elmau dabei sein werden, genauso wie der Präsident von Südafrika, die Regierung von Indonesien, Indien und auch der argentinische Regierungschef. Das alles ist ein Zeichen für eine Welt, die zusammenarbeitet. Auch meiner Sicht ist das auch genau das, was wir brauchen, wenn wir wollen, dass wir eine gute Perspektive entwickeln. Was das angeht, habe ich ja eben schon gesagt, was wir miteinander machen.
Was die Frage der Desinformation betrifft: Das ist etwas, was wir überall in der Welt erleben. Man muss aktiv dagegen arbeiten, allerdings auch auf das vertrauen, was uns im Kampf gegen diejenigen stark macht, die mit falschen Informationen Meinungen manipulieren wollen, nämlich dass wir sagen, dass die Demokratie die beste Abwehrmethode ist, dass wir demokratische Staaten sind, dass wir uns auf unsere Gesellschaft, auf den öffentlichen Diskurs verlassen können. Das schützt am meisten vor Desinformation.
Deshalb will ich Ihre Frage gerne so beantworten: Neben all dem, was wir machen müssen, um gegenzuhalten und falschen Behauptungen zu widersprechen, müssen wir auf das setzen, was uns ausmacht, nämlich die Demokratie und die Freiheit. Das ist der beste Schutz gegen Desinformation und wird es auch in Zukunft bleiben.
Ansonsten ist es so, dass ich meine Politik fortsetzen werden, intensiv zu sprechen. Das gilt natürlich ganz besonders für die Gespräche, die ich mit dem ukrainischen Präsidenten geführt habe: in Kiew, sehr lange in Brüssel und in München und in vielen, vielen Telefongesprächen. Sie werden auf geeignete Weise fortgesetzt.
P Sall: Ich möchte auf Ihre Frage zurückkommen, was meine Reise nach Moskau angeht. Ich habe dieses Mandat von der Afrikanischen Union erhalten. Wir haben die Einladung von Moskau erhalten. Die Reise sollte erst am 18. Mai stattfinden. Ich habe ein neues Datum vorgeschlagen. Sobald dieser Termin bestätigt ist, werde ich nach Moskau und auch nach Kiew reisen. Wir werden dort vonseiten der Afrikanischen Union Präsident Selensky treffen. Das wird in den kommenden Wochen der Fall sein. So Gott will, werde ich auch nach Moskau reisen.
Frage: Man weiß, dass die erste Brücke zwischen Ländern die Kultur ist. Es gibt hier das Goethe-Institut und auch andere deutsche Organisationen. Auf kultureller Ebene gilt es vielleicht, mehr zu machen, zumal die deutsche Sprache im Senegal im Vergleich zu Sprachen anderer Länder nicht sehr stark vertreten ist. Was wird auf kultureller Ebene gemacht, um die kulturelle Kooperation zu stärken?
Herr Präsident, Sie haben als Präsident der Afrikanischen Union über Mali gesprochen. Es gibt dort eine Einheit von Soldaten. Was bringt dieses Projekt für afrikanische Soldaten? Was wird der Beitrag Deutschlands dazu sein?
BK Scholz: Was zunächst einmal die Frage der Kultur betrifft – das war ja das, was Sie mich gefragt haben ‑, so ist das in der Tat von großer Bedeutung. Deshalb bin ich auch sehr dankbar, dass der Präsident mir die Rede von Léopold Senghor anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gegeben hat, die eine ganz wichtige Rede gewesen ist, und auch noch einmal deutlich gemacht hat, wie lange die Austauschbeziehungen zwischen unseren Ländern schon existieren. Wir werden das mit größer Intensität fortsetzen und haben jetzt auch vorgesehen, dass es Gespräche gibt, die sich mit Kulturfragen beschäftigen. Es begleiten mich drei Vertreter der Kultur in Deutschland, damit wir das ganz konkret so machen können.
P Sall: Vielen Dank für Ihre Frage. ‑ Ich muss betonen, dass es über die deutsche Sprache hinaus zum Beispiel an der Uni viele Sprachen gibt. Aber an der (akustisch unverständlich) wird auch Deutsch gesprochen. Ich weiß, dass auf kultureller Ebene sehr viele deutsche und senegalesische Künstler zusammenarbeiten, vor allem in den Bereichen Film und Musik. Man kennt auch die deutschen Fähigkeiten, was traditionelle Musik angeht. Das ist ein großes Inspirationsland. Ich habe die Oper in Hamburg besucht. Das ist eine sehr schöne Oper mit klassischer Musik. Wir wissen, dass Deutschland und Österreich große Länder sind, die große Musiker hervorgebracht haben, zum Beispiel Mozart. Deswegen ist es in unserem Interesse, mit Deutschland auch auf dieser Ebene zusammenzuarbeiten. Man muss diese kulturelle Kooperation zwischen Deutschland und Senegal und Deutschland und Afrika wirklich erneuern. Ich spreche immer über Afrika in seiner kulturellen Diversität.
Was die afrikanischen Streitkräfte angeht, hat die Afrikanische Union eine Friedensarchitektur in den verschiedenen fünf Regionen hergestellt. Wir wollen einige Streitkräfte in den Staaten trainieren und sie so positionieren, dass wir sie jedes Mal, wenn es notwendig ist, einsetzen können. Aber die finanzielle Frage ist auch sehr wichtig. Der Umfang des Friedenssystems der Afrikanischen Union umfasst nur 265 Millionen Dollar. Was die Interventionen in Mali, Burkina Faso, Mosambik, Niger, Tschad oder Nigeria im Kampf gegen den Terrorismus angeht, ist es sehr schwer, die Finanzierung zu gewährleisten. Die Grundfrage ist: Wie kann man Afrika unterstützen, damit sich diese Streitkräfte vor allen Dingen in Bezug auf die Ausstattung auf dem Kontinent entfalten können? Das ist ein Thema, das auch im Sicherheitsrat behandelt wird, um Frieden und Stabilität in der Welt zu garantieren. Die gesamte Problematik des Kampfes gegen Terrorismus führt uns zu der Frage der Finanzierung.
Natürlich können wir auch immer wieder auf unsere deutschen Partner zählen, die im Rahmen der Mission MINUSMA in Mali vertreten sind. Deswegen muss sich diese Reflexion unter Partnern fortsetzen. Afrika ist dazu bereit, Soldaten zur Verfügung zu stellen. Aber wir brauchen finanzielle Unterstützung, weil wir so viele Probleme und Sorgen auf lokaler Ebene haben. Deswegen liegt das nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten. Aber wir haben wirklich den Willen und auch die Leute, um die Arbeit zu leisten. Das ist zum Beispiel eine Frage, die wir im Rahmen von G20 diskutieren könnten. Deswegen habe ich im Namen der Afrikanischen Union für die Idee plädiert, dass Afrika als Mitglied der G20 aufgenommen werden wird.
Wenn man die Wirtschaft von ganz Afrika betrachtet, so umfasst sie 2,5 Milliarden. Das ist sehr viel. Afrika muss vielleicht einen Sitz im Verbund der G20 haben. Wir zählen auf die Unterstützung des Bundeskanzlers und aller Leader der G20, nicht nur Gast im Rahmen der G20 zu sein, sondern dass wir als Afrikanische Union Mitglied werden können, wie zum Beispiel die EU Mitglied ist. So könnten wir auch in den Diskussionen unsere Stimme und die Thematiken und Fragen einbringen, die uns betreffen. Deswegen begrüße ich diese multipolare Idee sehr. Wir müssen wirklich sehr viele Pole auf der Welt haben, um dieses Gleichgewicht zu sichern. Ich bedanke mich.
Frage: Herr Präsident, ich habe eine Frage zu dem Gasreichtum Senegals, den Sie erwähnt haben. Ich hätte gerne konkret nachgefragt, ob Senegal bereit wäre, auch Europa mit LNG-Gas zu beliefern. Was muss Deutschland dafür tun, dass dies geschieht? Ab wann könnte es so weit sein?
Herr Bundeskanzler, auch eine Nachfrage zum Thema Energie. Sie haben ja erwähnt, dass Deutschland sich hier zum Beispiel bei der Solartechnik engagiert, aber auch in anderen Bereichen. Aber die konkrete Frage ist ja ‑ Sie haben es nur angedeutet; ich würde gerne noch einmal nachfragen ‑: Investiert Deutschland hier auch in Gasexploration? War es nicht vielleicht etwas vorschnell, aus der Finanzierung von Gasfeldern gerade in Afrika auszusteigen, weil sich ja nicht nur der Präsident, sondern auch viele Länder beklagen, dass damit hier auf dem Kontinent Entwicklungschancen ausgebremst werden?
P Sall: Vielen Dank. ‑ Ich tanze gerade vor Freude, weil das ein Thema ist, das uns wirklich sehr am Herzen liegt, also die Frage der Produktion und des Exports von LNG-Gas nach Europa. Ja, wir haben eine Produktion von LNG-Gas. Die erste Phase ist schon für Dezember 2023 mit einem Volumen von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr geplant.
Was das Gasprojekt an der Seegrenze zwischen Senegal und Mauretanien angeht, wollen wir schon (akustisch unverständlich) 3,5 Millionen Tonnen fördern, was wir auf fünf Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen wollen, um dann schon ab 2030 auf zehn Millionen Tonnen pro Jahr überzugehen. Es gibt einen Anteil der Produktion für Senegal und einen Anteil für das Unternehmen. Aber wir in Senegal sind daran interessiert, den europäischen Markt mit Gas zu beliefern. Die Konditionen sind zum Beispiel bessere Konditionen als die, die uns Firmen gewähren. Wenn wir eine Partnerschaft mit Deutschland aufbauen können, um solche Kredite zu lindern und vor allem auch dieses lokale Gas zu verwerten, was „Gas-to-Power“ zum Beispiel ermöglichen wird, dann wäre das für uns ein sehr wichtiger Schritt. Das alles ist ein ganz offenes Feld. Wir können mit Deutschland und vor allen Dingen mit ganz Europa über diese Perspektiven auch reden.
BK Scholz: Schönen Dank. ‑ Ich will da sehr klar sein: Wir wollen natürlich insbesondere mit Senegal nicht nur über die Frage der künftigen Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen zusammenarbeiten, also aus Solarkraft, Windenergie und die Speicherinfrastrukturen, die dazu notwendig sind und wo es ganz konkrete Investmentprojekte gibt, sondern wir wollen das eben auch im Hinblick auf die LNG-Fragestellung und die Gasförderung hier im Senegal tun. Wir haben begonnen, uns darüber auszutauschen. Wir werden das im Anschluss an diese Gespräche sehr intensiv auf Fachebene fortsetzen, weil das einfach eine Sache ist, bei der es Sinn macht, sie intensiv zu verfolgen. Deshalb will ich einfach sagen: Es ist unser gemeinsames Anliegen, dabei Fortschritte zu erzielen.
Dass wir insgesamt die Situation in der Welt neu betrachten müssen, ist das Ergebnis von dem, was ich einmal „Zeitenwende“ genannt habe. Das wird sich nicht auf einzelne Fragen beschränken können, sondern muss an vielen anderen Stellen auch Konsequenzen haben. Wir werden in der Welt zusammenhalten müssen. Es kann nicht sein, dass wir hinnehmen, dass einige Länder der Welt, die nicht die wirtschaftliche Kraft haben, davon ferngehalten werden, ihre Möglichkeiten zu nutzen, während ihnen die bisherigen Importstrukturen zusammenbrechen, weil sie entweder finanziell nicht die Möglichkeiten dazu haben oder bisher gar nicht die Gelegenheit hatten, davon Gebrauch zu machen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir die Dinge betrachten und das ohne Vorurteile tun.