Interview des Kanzlers mit der Lausitzer Rundschau
Es werde weiterhin Jobs in der Energie-Produktion geben, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz in Cottbus. Ein Gespräch über die Zukunft der Braunkohle, die Öl-Krise, ein Ende des Krieges und die Stimmung innerhalb der Koalition.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben vor Kurzem ein neues Leitmotiv für die Arbeit der Koalition ausgegeben: Zuversicht. Aber vielen Menschen fällt das schwer, wenn sie auf die Weltlage schauen und auf Preise, Wohnraum, Energieversorgung. Wie wollen Sie da Zuversicht wecken?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Das vergangene Jahr hat uns Deutschen doch gezeigt, wozu wir in der Lage sind. Was war nicht alles befürchtet worden: dass es kalt wird in den Häusern, dass der Strom abgedreht wird, die Energieversorgung zusammenbricht und die Wirtschaft zugrunde geht. All das ist nicht passiert. Warum? Weil wir die Wirtschaft stabilisiert und die hohen Preise abgemildert haben. Weil wir alle Energie gespart und zusammengehalten haben. Und weil wir dafür gesorgt haben, dass unsere Energieversorgung unabhängig von Russland funktioniert. Alles gute Nachrichten, die zuversichtlich stimmen.
Kommen wir auch gut durch den nächsten Winter, der nach Meinung vieler Experten noch schwieriger wird?
Davon bin ich überzeugt. Unsere Gasspeicher sind jetzt im März noch gut gefüllt. Der Speicherstand könnte nach diesem Winter bei mehr als 60 Prozent liegen – vor einem Jahr lag er unter 20 Prozent. Gleichzeitig bauen wir die Infrastruktur für neue Energie-Importe aus. Das wird uns im nächsten Winter helfen.
Sie sind selbst Mieter und haben kürzlich gesagt, Sie wüssten erst mit der nächsten Abrechnung, wie hoch Ihre Energiekosten derzeit tatsächlich sind. Können Sie den Bürgern zusagen, dass die Rechnungen auch im nächsten Jahr bezahlbar sind?
Ja, denn die Energiepreis-Bremsen gelten bis April nächsten Jahres, um die hohen Kosten abzufedern. Parallel dazu beobachten wir, dass die Preise an den internationalen Energiemärkten sinken, was auch das Verdienst unserer gemeinsamen Anstrengung in Deutschland und Europa ist.
Die Energiewende bedeutet für viele den Verlust des Arbeitsplatzes. In den Tagebaugebieten wie der Lausitz klingen die Veränderungen daher eher bedrohlich.
Nun entsteht aber auch Neues. Hier in der Region gibt es mehrere große Investitionsprojekte: Das Bahnausbesserungswerk in Cottbus mit 1.200 zusätzlichen Arbeitsplätzen zum Beispiel oder der Lausitzer Wissenschaftspark bringen neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Und auch für die Lausitz gilt, dass wir in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht mehr über den großen Mangel an Arbeitsplätzen sprechen werden. Im Gegenteil, es wird einen Mangel an Arbeitskräften geben.
Eine Befürchtung in dieser Region hängt mit zwei Jahreszahlen zusammen – nämlich dem Kohleausstiegsdatum 2030 oder 2038. Wird der Abschied von der Kohle vorgezogen?
Das Ausstiegsgesetz gilt. Darin ist der Ausstieg nicht abstrakt festgelegt, sondern orientiert sich an dem, was für unsere Energieversorgung nötig ist: Bis 2030 werden wir bundesweit wohl 750 Terawattstunden an Strom brauchen, gegenwärtig liegen wir bei 600 Terawattstunden. 80 Prozent dieser Energie sollen aus Windkraft, Solarenergie und Biomasse stammen. Auch in der Lausitz wird es, wie gesagt, viele Arbeitsplätze geben, die wie bisher in der Energieproduktion liegen. Niemand muss den Wandel fürchten.
Dafür muss aber der Ausbau gelingen – und das schnell.
Deswegen brauchen wir das Deutschland-Tempo, das wir voriges Jahr bei der Errichtung der LNG-Terminals an den norddeutschen Küsten vorgelegt haben, jetzt überall: für den Ausbau unseres Stromnetzes, der Speicherkapazitäten, der Wasserstoffwirtschaft, der Energieerzeugung, der Industrie und unserer Infrastuktur.
Ein Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 wie im Rheinischen Revier wird es in Ostdeutschland also nicht geben?
Wie gesagt, erst kommt der Ausbau der Energie-Infrastruktur und Energie-Erzeugung. Zugleich investieren wir 40 Milliarden Euro in die Braunkohlereviere in der Lausitz und in Mitteldeutschland, damit dort in den nächsten Jahren einiges an Zukunft entsteht.
Das brandenburgische Schwedt bekommt die Auswirkungen der Sanktionen zu spüren: Die Raffinerie dort bekommt seit Jahresbeginn kein Öl aus Russland mehr. Aber der Ersatz fließt noch nicht recht, die Auslastung ist noch immer nicht so wie zugesagt.
Schwedt wird eine gute Zukunft haben, auch als Erdöl-verarbeitender Standort. Wir haben große Mengen über die Öl-Pipeline aus Rostock nach Schwedt geleitet. Wir haben sichergestellt, dass es Slots gibt für Erdöl, das über den Danziger Hafen anlandet und dann nach Schwedt gepumpt wird. Nun geht es um Erdöl-Lieferungen aus Kasachstan. Mir ist wichtig, Vertrauen und Verlässlichkeit zu schaffen: Die Arbeitsplätze in Schwedt sind sicher, dafür stehen wir ein. Gleichzeitig werden dort auch neue Technologien angesiedelt werden, damit es in Schwedt eine Produktionsperspektive für die nächsten 30, 40 Jahre gibt. Das kann, um ein Beispiel zu nennen, auch die Verarbeitung von Wasserstoffprodukten sein.
Aber die Wasserstoffzukunft steht, nicht nur in Schwedt, noch ziemlich in den Sternen.
Wasserstoff ist das Gas der Zukunft, vor allem wenn es sauber aus Wind- oder Solarenergie hergestellt wird.
Die gewünschte Zuversicht hat es auch deswegen nicht leicht, weil sich Ihre Ampel-Koalition so oft streitet. Macht dieser Eindruck die Erfolge zunichte?
Wir haben große Fragen zu entscheiden, deshalb gibt es auch viel zu bereden. Und nur weil man eine Koalition bildet, heißt es nicht, dass man auf alle Fragen immer aus der gleichen Perspektive blickt. Umso wichtiger ist es, miteinander zu diskutieren und gute Lösungen zu finden. Mein Eindruck ist: In der Koalition bringen wir vieles voran.
Also alles gut?
Ja, wir haben tiefgreifende Entscheidungen getroffen und unser Land heil durch diese schwierige Zeit gebracht. Nun geht es darum, diesen Schwung auch für den Umbau des Landes zu nutzen. Wir müssen Hürden wegräumen, damit in Deutschland schneller geplant, entschieden und genehmigt wird. Unser Land steht vor einer guten Zukunft. Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen.
Wachstum bringt aber auch Probleme mit sich, wie wir schon jetzt sehen: Familien finden keine Wohnung, Bürger keinen Handwerker, die Unternehmer keine Arbeitskräfte.
Welches Problem hätten Sie lieber? Das Problem, dass Arbeitslosigkeit und Leerstand herrschen, oder dass es so viel Arbeit gibt, dass wir mehr Beschäftigte und mehr Wohnungen brauchen? Lieber ist mir letzteres, denn diese Aufgabe lässt sich lösen, und genau das machen wir. Zum Beispiel, indem wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau dramatisch ausweiten, mehr in Bildung und Ausbildung investieren und für Fachkräfte werben.
Die größte Sorge vieler Menschen ist nach wie vor der Krieg in der Ukraine.
Natürlich, wie soll es auch anders sein. Umso wichtiger ist das Vertrauen, dass die Regierung das Richtige tut. Deshalb wägen wir jeden Schritt bei der Unterstützung der Ukraine sehr genau, stimmen uns eng mit unseren internationalen Partnern ab und lassen uns nicht treiben.
Die Waffenlieferungen an die Ukraine für den Kampf gegen Russland stoßen auf viel Kritik, besonders in Ostdeutschland. Wie wollen sie verhindern, dass diese Bürgerinnen und Bürger sich dem linken oder rechten Rand zuwenden?
Die Ukraine ist seit mehr als 30 Jahren ein souveräner Staat. Diese Souveränität spricht ihr Russlands Präsident jetzt ab. Er will die Ukraine mit Gewalt in eine Art Groß-Russland einverleiben. Dafür hat er einen imperialistischen Krieg vom Zaun gebrochen. Damit greift er auch die europäische Friedensordnung an, die es klar verbietet, gewaltsam Grenzen zu verschieben. Das können wir nicht hinnehmen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine, damit sie ihre Freiheit, ihre Integrität und Souveränität verteidigen kann. Das machen wir politisch, finanziell, humanitär und auch mit der Lieferung von Waffen, gemeinsam mit vielen anderen Staaten. Putin hat es in der Hand. Er kann den Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieht.
Viele Menschen wünschen sich Verhandlungen und finden, da werde zu wenig unternommen.
Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie nötig. Und wir bleiben mit Russland im Gespräch. Ich habe bewusst immer wieder mit Putin telefoniert. Natürlich werden dabei unsere sehr unterschiedlichen Sichtweisen deutlich. Aber es muss der Moment kommen, in dem Putin anerkennt, dass er seine imperialistischen Ziele nicht erreicht, dass der Preis zu hoch ist. Die ukrainischen Verantwortlichen haben längst erklärt, dass sie bereit sind für einen Frieden. Es darf aber kein Diktatfrieden sein. Mit der Waffe an der Schläfe kann man nicht verhandeln.
Ist Putin zu Verhandlungen bereit?
Dazu sehe ich im Augenblick leider keine Bereitschaft.
Muss Russland die besetzten Territorien in der Ukraine räumen – den Donbass und die Krim –, ehe es Frieden geben kann?
Russland hat die Ukraine überfallen und führt dort einen gnadenlosen Krieg, dem schon Zehntausende von Menschen zum Opfer gefallen sind, Millionen befinden sich auf der Flucht. Jetzt geht es darum, die Ukraine bei ihrer Verteidigung zu unterstützen. Die Ukraine selbst muss entscheiden, welche Bedingungen sie für einen Frieden zu akzeptieren bereit ist.
Das Interview ist am 9. März 2023 auf der Webseite der Lausitzer Rundschau erschienen.