"Die UN sind das wichtigste Weltgremium"

Deutscher Botschafter in New York "Die UN sind das wichtigste Weltgremium"

Für zwei Jahre ist Deutschland Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. "Deutschland steht für eine regelbasierte Ordnung", sagt UN-Botschafter Christoph Heusgen. Im Interview spricht er über die Bewältigung humanitärer Krisen, den Multilateralismus - und ein starkes Signal europäischer Einheit.

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Christoph Heusgen, deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen

Globale Herausforderungen seien ohne die UN nicht zu bewältigen, sagt der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen.

Foto: UN Photo/Loey Felipe

Der Sicherheitsrat ist das zentrale höchste Gremium der Vereinten Nationen. Seine Resolutionen sind – anders als die der Generalversammlung – bindend. Er trägt laut UN-Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, kann Friedensmissionen entsenden oder Sanktionen verhängen. Deutschland ist derzeit als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat vertreten.

Herr Botschafter Heusgen, Deutschland ist seit dem 1. Januar 2019 zum sechsten Mal Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Wie steht es um das Weltgremium – wie ist Ihre erste Bilanz nach acht Monaten?

Christoph Heusgen: Gemischt! Wir erleben einen Sicherheitsrat, der über die Lösung weltweiter Krisen und Konflikte oft uneins ist – schauen Sie beispielsweise nach Syrien, Venezuela, Ukraine. Wir erleben, dass die regelbasierte Weltordnung mehr und mehr unter Druck gerät, dass bei verschiedenen Staaten das Denken in einzelstaatlichen Kategorien wieder zunimmt.

Neben all diesem Schatten gibt es aber auch Licht: Ich war kürzlich mit dem Sicherheitsrat in Kolumbien und konnte mich vor Ort überzeugen, wie bedeutend für die Regierung die Unterstützung durch die Vereinten Nationen ist. Der Sicherheitsrat steht geschlossen hinter dem kolumbianischen Friedensprozess, die UN-Verifikationsmission leistet wichtige Arbeit vor Ort.

Insgesamt stehen die Vereinten Nationen nicht in Frage. Sie sind das wichtigste Weltgremium. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Migrationsbewegungen, Menschenrechte, Konfliktprävention, aber auch das oft mühsame Ringen um Lösung von politischen Krisen sind ohne die Vereinten Nationen nicht zu bewältigen.

Besonders die USA scheinen diesen Wert der Vereinten Nationen aber immer weniger zu sehen. Klima, Migration, Nahost, Iran – sie rücken auch in den Vereinten Nationen mehr und mehr von den Europäern ab. Bereitet Deutschland das Sorgen?

Christoph Heusgen: Zunächst muss man einmal klar sagen, dass insbesondere Länder wie Russland und China den Multilateralismus immer wieder in Frage stellen. Russlands Umgang mit der Ukraine bricht internationales Recht. Wenn in China Minderheiten nicht so behandelt werden, wie es der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entspricht, ist dies Anlass zu großer Sorge.

Aber es ist auch richtig: Wir haben insofern eine neue Situation, als auch unser enger Partner, die USA, aus eingegangenen internationalen Vereinbarungen wie dem Atomabkommen mit dem Iran aussteigen. Oder sich nicht an alle UN-Resolutionen halten, wenn sie beispielsweise die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen.

Und welche Rolle nehmen Deutschland, die Europäer in solchen Fällen ein?

Christoph Heusgen: Wir sind uns unserer Verantwortung in dieser schwierigen weltpolitischen Lage bewusst. Wir haben im Sicherheitsrat gerade eine besondere Konstellation: Mit Belgien, Frankreich, Großbritannien, Polen und uns sind derzeit fünf der fünfzehn Sicherheitsratsmitglieder EU-Mitgliedstaaten. Wir arbeiten in allen Fragen sehr eng hier in New York zusammen. Mit Frankreich hatten wir im März und April sogar ein Novum im Sicherheitsrat -Präsidentschaften mit einem gemeinsamen Programm: ein starkes Symbol für unsere enge Partnerschaft, in der Praxis bedeutete dies eng abgestimmte inhaltliche Schwerpunkte.

Zu Ihrer Ausgangsfrage: Deutschland steht für eine regelbasierte Ordnung. Wenn das multilaterale System, das die Vereinten Nationen verkörpern, angegriffen wird – sei es von Russland, China oder eben den USA –, dann ist es unsere Aufgabe, in der Sache keine Unterschiede zu machen. Wenn sich Länder nicht an die Regeln halten, kritisieren wir sie. Alles andere würde unserer Glaubwürdigkeit schaden. Unsere Aufgabe ist es, die USA und andere Staaten davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, den Multilateralismus insgesamt zu stärken und alle Regeln unterschiedslos einzuhalten. Wir fünf sind uns hier unter den Europäern sehr eins – und haben übrigens in diesem Jahr bei allen Sicherheitsratsabstimmungen gleich votiert: ein starkes Signal europäischer Einheit im wichtigsten Weltgremium.

Seit Juli 2017 ist Dr. Christoph Heusgen Botschafter und Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York. Er gehört dem Auswärtigen Amt seit 1980 an und hat diverse Posten in aller Welt bekleidet, unter anderem in Chicago, Paris und Brüssel. Seine Tätigkeit führte ihn auch in das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union in Brüssel, wo er den Politischen Stab von Javier Solana, dem Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, leitete. Von 2005 bis 2017 war er außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundeskanzleramt.

Sie sprachen die deutsche Sicherheitsratspräsidentschaft im April an. Welche Ziele haben Sie sich gesteckt? Haben sie diese erreicht?

Christoph Heusgen:  Auch unser Vorsitzmonat April stand ganz im Zeichen aufflammender akuter Krisen und Konflikte. Und auch eine deutsche Präsidentschaft kann – ich erwähnte es schon – unversöhnliche Positionen nicht wegverhandeln. Aber uns ist es wie im Falle von Venezuela zumindest teilweise gelungen, den Fokus stärker auf die humanitäre Situation betroffener Menschen zu lenken.

Darüber hinaus war es uns wichtig, eigene Akzente zu setzen – ich nenne nur einige. Der Sicherheitsrat soll sich schon dann kümmern, wenn eine Krise noch im Entstehen ist, beispielsweise wo Menschenrechte systematisch unter Druck geraten. Auf unser Betreiben hat die Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, erstmals im Sicherheitsrat vorgetragen. Wir haben das beeindruckende Zeugnis einer jungen Frau aus Syrien erlebt, die im Rollstuhl den mühevollen Weg von Aleppo nach Deutschland auf sich genommen hat. Ein wirklich inspirierendes Beispiel für den Mut einer jungen Zivilgesellschaftsvertreterin. Wir haben gemeinsam mit den französischen Partnern eine Initiative gestartet, die den Schutz von humanitären Helfern in den Blick nimmt. Wir knüpfen weiter konkret daran an, während der hochrangigen Woche im September in New York und darüber hinaus. Außenminister Heiko Maas hat erst vor wenigen Tagen im Sicherheitsrat in New York dafür geworben.

Und nicht zuletzt: Wir wollten von Beginn an speziell sexuelle Gewalt gegen Frauen in Konflikten thematisieren. Es wird häufig völlig unterschätzt, in wie vielen Konflikten sexuelle Gewalt systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird – beispielsweise in Myanmar, im Südsudan, im Kongo. Es ist zentral, dass Opfer und Überlebende Unterstützung erfahren, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir konnten trotz erheblicher Widerstände letztlich eine substanzielle Resolution verabschieden.

Die UN-Generalsversammlung steht im September an und mit ihr das weltweit größte Treffen von Staats- und Regierungschefs. Sie waren zwölf Jahre lang außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wird sie im September in New York erwartet?

Christoph Heusgen: Sie wissen, über die Reisen der Bundeskanzlerin informiert der Regierungssprecher immer in der Vorwoche. Kanzlerin Merkel verfügt in New York über einen hervorragenden Ruf. Es würde sicher sehr begrüßt werden, wenn sie im September etwa zum wichtigen Klimagipfel nach New York käme.

Als ständige Mitglieder sitzen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA.Daneben sind zehn weitere Staaten immer für zwei Jahre vertreten. Die Auswahl folgt einem bestimmten Schlüssel: Drei Staaten kommen aus Afrika und jeweils zwei aus Asien, Lateinamerika und der westlichen Gruppe sowie einer aus Osteuropa. Neben Deutschland sind derzeit Äquatorialguinea, Belgien, die Dominikanische Republik, die Elfenbeinküste, Indonesien, Kuweit, Peru, Polen und Südafrika gewählte Mitglieder im Sicherheitsrat.