"Wir haben die falschen Bilder im Kopf"

Interview mit Bildungsberaterin für geflüchtete Frauen "Wir haben die falschen Bilder im Kopf"

Geflüchtete Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund haben es immer noch wesentlich schwerer als die Männer, einen Job zu finden oder eine Ausbildung zu absolvieren. Das steht im Integrationsbericht der Bundesregierung. Woran liegt das? Ein Interview mit einer Bildungsberaterin, die selbst als Jugendliche aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist.

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Forough Hossein Pour spricht hinter ihrem Schreibtisch sitzend

Forough Hossein Pour kam als Teenagerin aus dem Iran nach Deutschland. Heute ist sie Bildungsberaterin bei KOBRA, einer Bildungsberatungsstelle in Berlin.

Foto: Phil Dera

Geboren ist Forough Hossein Pour in Teheran. Sie kam als Teenagerin nach Berlin zu ihrer Schwester, die hier studierte. Später arbeite sie lange als Cutterin, Producerin und auch als Journalistin. Heute ist sie Bildungsberaterin bei KOBRA, einer Beratungsstelle für Frauen bei Weiterbildung und beruflicher Neuorientierung in Berlin.

Frau Hossein Pour, wie finden Sie mit den geflüchteten Frauen zusammen? Oder wie finden die Frauen Sie?

Forough Hossein Pour: Mundpropaganda. Ich erhalte Beratungsanfragen per Telefonanruf oder Messenger-Diensten. Klar gehe ich auch zu Informationsveranstaltungen von Volkshochschulen oder Integrationsvereinen. Aber die meisten Anfragen kommen über eine persönliche Empfehlung. Die Frauen wissen dann schon, dass sie mir vertrauen können. Vertrauen ist eine der wichtigsten Grundlage einer erfolgreichen Beratung.

Im Bericht der Integrationsbeauftragten steht, wie wichtig es ist, dass gerade die Integration von Frauen gelingen muss, weil sie der "Integrationsanker" in den Familien seien. Machen Sie diese Erfahrungen auch und könnten Sie uns das etwas konkreter erklären?

Hossein Pour: Jeden Tag mache ich diese Erfahrung. Ein Beispiel: Eine Buchhalterin aus dem Iran kam vor einigen Jahren mit Mann und Tochter nach Deutschland. Sie bekam hier ihr zweites Kind. Nach einigen Jahren Berufspause wollte sie wieder ins Arbeitsleben einsteigen. Das war sehr schwierig. Ihre Deutschkenntnisse waren nicht ausreichend, um als Buchhalterin zu arbeiten. Ihre Abschlüsse wurden nicht als gleichwertig anerkannt. Es gibt viele solcher Fälle. Die ältesten Kinder tragen in diesen Familien eine große Last. Sie agieren als Dolmetscher und organisieren viel vom Familienleben, sind oft überfordert. Auch in diesem Fall führte die Übergangsphase, in der die Mutter einen Deutschkurs nach dem anderen absolvierte, der dann doch nicht zum gewünschten Job führte, zu großen Spannungen in der Familie. Wir haben viel Zeit und Geduld gebraucht, um für die Mutter etwas Passendes zu finden. Schließlich fand die Mutter eine Umschulung zur Hotelfachfrau. Ihr Praktikumsbetrieb ist so begeistert von ihr, dass sie dort wahrscheinlich nach der Umschulung anfangen kann zu arbeiten. Die Spannungen in der Familie sind so gut wie weg. Mutter und Tochter begegnen sich wieder mit Respekt. Die Tochter möchte jetzt auch so schnell wie möglich einen Beruf lernen, der zu ihr passt.

Werden die Ressourcen der Frauen mit Migrationshintergrund von der Gesellschaft zu wenig wahrgenommen?

Hossein Pour: Wir haben die falschen Bilder im Kopf. Geflüchtete Frauen haben oft mit Mehrfachdiskriminierungen zu kämpfen: Frau, anders aussehend, vielleicht trägt sie sogar Kopftuch. Eine Frau erzählte mir, wenn sie in Vorstellungsgesprächen sagte, sie sei Christin, erhöhte das ihre Chancen enorm. Dabei sei Religion Privatsache und sie wolle das eigentlich gar nicht sagen. Ich mache den Frauen jeden Tag Mut, sage ihnen, dass auch Deutschland sich im Wandel befinde. Diese Frauen sind sehr stolz. Sie haben viel einzubringen in unsere Gesellschaft. Deshalb ist die Frage, 'wo und wie integriere ich mich?' oft schwer zu beantworten. Mir persönlich gefällt der Begriff "Inklusion" viel besser als Integration.

Was kann die Gesellschaft tun, damit diese Frauen es leichter haben, einen Job oder eine Ausbildung zu finden?

Hossein Pour: Alle wissen, dass die Sprachbarriere das größte Hindernis bei der Integration ist. Diese Frauen haben oft Kinder. Mehr Deutschkurse mit Kinderbetreuung wären sehr sinnvoll. Ich bin für eine Deregulierung der Deutschkurse. Was nutzt es den Frauen, wenn sie einen Abschluss nach den anderen absolvieren, aber im Alltag nicht Deutsch sprechen. Breit angelegte Sprach-Tandems wären sinnvoll, wo diese Frauen im geschützten Raum Deutsch sprechen können. Wegen der teilweise traditionellen Familienstrukturen und der damit einhergehenden großen familiären Verpflichtungen brauchen die Frauen zumeist Teilzeitjobs. Die sind noch zu rar. Hier ist die Wirtschaft gefragt. Die Initiative der Wirtschaft "Unternehmen integrieren Geflüchtete" ist ein guter Ansatz. Aber wir brauchen mehr. Wir brauchen viele Türöffner – in allen Bereichen unserer Gesellschaft.

Mobile Beratung steht auf der Homepage von KOBRA. Was bedeutet das?

Hossein Pour: Die Beratung hat einen aufsuchenden und mobilen Charakter, um Geflüchtete frühzeitig erreichen zu können. Die Beratung findet also an den unterschiedlichsten Orten in Berlin statt: in Not- und Gemeinschaftsunterkünften, an Volkshochschulen, auf Messen und in Familienzentren. Ich berate freitags immer in Spandau in einem Servicebüro für Geflüchtete. Es gibt ein berlinweites Netzwerk von insgesamt zwölf Beratungseinrichtungen, das von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales aus Mitteln des Landes Berlin gefördert wird. KOBRA ist in diesem Netzwerk und bietet für Frauen spezielle Beratungsformate an.

Frau Hossein Pour, Sie waren mit Leidenschaft Journalistin. Warum sind Sie Bildungsberaterin geworden?

Hossein Pour: Ich hatte schon immer mehrere berufliche Standbeine in Deutschland – auch als Journalistin. Schließlich muss frau ja leben können. Für die Deutsche Welle arbeitete ich als Medientrainerin in Kabul und Masar-e-Scharif und dort habe ich auch Frauen ausgebildet. Sie sind heute zumeist erfolgreich: Als Nachrichtensprecherin in Afghanistan oder als Journalistin in Washington, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aus Afghanistan habe ich eine Menge mitgenommen, was ich heute in meinem Job gebrauchen kann. Als ich 2015 die langen Schlangen von Geflüchteten vor dem LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin) sah, wusste ich, ich will etwas beitragen, damit geflüchtete Frauen in Deutschland ankommen können. Ich bewarb mich bei KOBRA. Das passte zu mir. Und ich passte offensichtlich zu KOBRA. Mein Bewerbungsgespräch machte mich wegen der kompetenten Fragen regelrecht glücklich. Und ich durfte als Quereinsteigerin anfangen.

1988 vom Berliner Frauenbund gegründet, berät KOBRA Frauen zu allen Fragen von Beruf, Bildung und Beschäftigung.

Sie sprechen Farsi und Dari fließend. Kommen hauptsächlich Frauen zu Ihnen, deren Muttersprache das ist? Wer ist Ihr Beratungsklientel?

Hossein Pour: Zu mir kommen viele Frauen aus dem Iran und Afghanistan. Ich führe viele Beratungsgespräche in der Muttersprache dieser Frauen, spreche aber auch mit Frauen aus anderen Ländern. Vom Balkan kommen einige. Eine Japanerin war auch schon bei mir. Dann reden wir Deutsch. Selbst wenn das Sprachniveau meiner Klientinnen noch nicht so hoch ist, klappt die Verständigung sehr gut.

Woran liegt das?

Hossein Pour: Wenn eine Frau das erste Mal zu mir kommt, frage ich nicht nach Herkunft oder Zeugnissen. Mich interessiert nur, warum sie hier sitzt. Erzähle mir, ich höre dir zu, ist meine Botschaft. Geflüchtete Frauen sind keine homogene Gruppe. Sie teilen zwar die eine oder andere Erfahrung wie Fluchterlebnisse oder das Ankommen in Deutschland, ansonsten sind sie aber grundverschieden. Ich frage die Frauen nach ihren Interessen. Die meisten geflüchteten Frauen sind danach in ihrem Leben so selten gefragt worden, dass manche mir sagt: "Ich habe vergessen, was mich interessiert." Mit der Anregung, über ihre Interessen nachzudenken, gehen die Frauen nach Hause. Dort setzt dann die Folgeberatung an. Wenn eine Frau die Frage beantworte kann, wie ich ihr helfen kann, bin ich schon ein großes Stück vorangekommen.