„Alle sind gefragt, Sexismus zu bekämpfen“

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Interview zum Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ „Alle sind gefragt, Sexismus zu bekämpfen“

Herabwürdigende Anmache, anzügliche Werbung, aber auch Lohndiskriminierung: Sexismus hat viele Gesichter. Ein von Bundesfamilienministerin Paus gestartetes Bündnis will Sexismus jeglicher Form bekämpfen.

6 Min. Lesedauer

Symbolfoto zeigt einen Mann und eine Frau im beruflichen Umfeld.

Die Bundesregierung will gegen Sexismus vorgehen – denn Sexismus schadet der gesamten Gesellschaft.

Foto: Getty Images/HinterhausProductions

Stefanie Lohaus ist Mitglied der Geschäftsführung der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V. (EAF) und Projektleiterin des Bündnisses “Gemeinsam gegen Sexismus“. Im Interview erklärt sie, wer besonders betroffen ist, wie Unternehmen mit dem Thema umgehen – und was man selbst tun kann.

Frau Lohaus, welche Ziele verfolgt das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“?

Stefanie Lohaus: Mit dem Bündnis wollen wir für das Thema Sexismus sensibilisieren. Im Fokus stehen Unternehmen, Kommunen und Medien, das sind unsere drei Schwerpunkte. Konkret geht es vor allem darum, die Organisationen miteinander zu verknüpfen: Auf der einen Seite gibt es viele, die etwas gegen Sexismus in ihrer Institution oder Kommune unternehmen und ihn bekämpfen möchten. Und gleichzeitig gibt es bereits zahlreiche Expertinnen und Experten, die schon lange an dem Thema arbeiten und Good-Practice-Beispiele entwickelt haben. 

Entstanden ist unser Bündnis aus Dialogforen, die sich bereits in der 19. Legislaturperiode gegründet hatten. Dort haben wir gemeinsam mit den vielen Teilnehmenden aus verschiedenen Organisationen, Verbänden und Unternehmen über Formen von Sexismus gesprochen und gemeinsam Ideen und Maßnahmen zusammengetragen, wie wir Sexismus wirksam bekämpfen können. Jetzt geht es darüber hinaus vor allem um Wissensvermittlung, den Aufbau von Netzwerken und die Weitergabe von Informationen zum Themenkomplex Sexismus.

Warum ist das Engagement gegen Sexismus so wichtig?

Lohaus: Der Kampf gegen Sexismus kommt uns allen zu Gute. Zunächst ist Sexismus natürlich für die direkt Betroffenen schädlich. Auch leichte Formen sexueller Belästigung, zum Beispiel verbaler Natur, können ein Gefühl von Ohnmacht, Ängste oder sogar Depressionen hervorrufen, wenn ihnen nicht begegnet wird. Und auch das eigene Leistungsvermögen sehr beeinträchtigen.

Zugleich schadet es den Organisationen selbst, wenn sie Sexismus nicht präventiv vorbeugen. Gerade in der heutigen Zeit des Fachkräftemangels im Wettbewerb um die besten Talente. Darüber hinaus sind Beschäftigte weniger motiviert, wenn sie die Erfahrung machen, dass Sexismus in einem Unternehmen hingenommen wird. Sie können das Gefühl vermittelt bekommen, dass weniger die Leistung, sondern vielmehr das Geschlecht zählt.

Sexismus schadet der gesamten Gesellschaft. Er wirkt sich beispielsweise auf die Kosten des Sozialstaates und der Krankenversicherungen aus. Zudem belegen volkswirtschaftliche Untersuchungen, dass Gesellschaften, die weniger sexistisch sind, mehr Wohlstand generieren können.        

Was versteht man unter Sexismus und wer ist betroffen?

Lohaus: Sexismus ist ein Sammelbegriff für Herabwürdigung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Historisch tauchte der Begriff das erste Mal in den 1960er Jahren in der Frauenbewegung in den USA auf. Sexismus hat die unterschiedlichsten Ausprägungen. Beispielsweise Alltagssexismus im öffentlichen Raum oder herabwürdigende Äußerungen im privaten Bereich. Sexismus ist häufig auch in den Medien zu beobachten, denken Sie an anzügliche Videos oder Werbung. Eine weitere Form ist der strukturelle Sexismus im Arbeitsleben.

Grundsätzlich sind alle Geschlechter betroffen. Frauen und nicht-binäre Personen haben besonders häufig unter Sexismus zu leiden. Aber auch Männer können Sexismus persönlich erleben, wenn sie zum Beispiel nicht bestimmten Stereotypen oder Rollenmustern entsprechen.            

Wie gehen Unternehmen konkret mit dem Thema um?

Lohaus: In der Wirtschaft geht es beispielsweise um strukturellen Sexismus wie Lohndiskriminierung oder den Mangel an Frauen in Führungspositionen. Wir konzentrieren uns beim „Bündnis gegen Sexismus“ aber besonders auf sexuelle Belästigung und die Prävention von Sexismus. Denn hier ist noch viel zu tun. Viele Unternehmen sind unsicher, wie man Sexismus am besten konkret begegnet. Berichtet wird beispielsweise, dass eher Betroffene einen Betrieb verlassen müssen, als der Täter oder die Täterin.

Unsere Aufgabe im Bündnis ist, die Unternehmen mit Informationen und konkreten Handlungsanweisungen auszustatten und mit Expertinnen und Experten zu vernetzen. Eine wichtige Rolle spielen Führungskräfte. Von ihnen sollte ein klares Zeichen ausgehen, dass Sexismus und sexuelle Gewalt in dem Unternehmen keinen Platz haben.

Zudem sollten Leitlinien oder Betriebsvereinbarungen vorliegen, die klare Bekenntnisse gegen Sexismus enthalten. Und falls es mal zu einem Vorfall kommt, ist es wichtig, dass sich die Betroffenen an eine Beschwerdestelle im Unternehmen wenden können. Diese muss auch personell so ausgestattet sein, dass sie für Betroffene und den Betrieb einen wirklichen Mehrwert hat.                     

Dabei stehen wir zum Beispiel im engen Austausch etwa mit dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff e. V.), Gewerkschaften, die auch viele gute Praxisbeispiele kennen, oder der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Wollen Sie mit dem Bündnis große oder eher kleinere Unternehmen ansprechen?

Lohaus: Unsere wichtigste Zielgruppe sind mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe. Und zwar nicht, weil es dort mehr Fälle sexueller Belästigung gibt. Sondern weil kleinere Unternehmen im Kampf gegen Sexismus oder bei der Prävention von sexueller Gewalt vor ganz anderen Herausforderungen stehen. In Konzernen gibt es teilweise ganze Abteilungen, die sich mit Diversity und Inklusion und dabei auch mit dem Thema Sexismus beschäftigen.

Das kann ein kleineres Unternehmen natürlich nicht leisten. Umso wichtiger ist es, hier gute Lösungen zu finden, die dem wichtigen Engagement gegen Sexismus gerecht werden. Und 98 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind mittelständische Betriebe, das darf man nicht vergessen.
 
Hat sich die Wahrnehmung von Sexismus in der Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert? 

Lohaus: Hier hat sich gerade in den letzten Jahren einiges getan. 2017 stand Sexismus als Begriff auf Bundesebene das erste Mal in einem Koalitionsvertrag. Und auch auf europäischer Ebene hat die Politik die hohe Bedeutung des Themas längst erkannt. Wenn man überlegt, dass die Grünen-Politikerin Waltraud Schoppe 1983 noch dafür ausgelacht wurde, dass sie Sexismus für ein relevantes Thema hielt – auch für die Politik – ist das ein großer Fortschritt.

Der Kampf gegen Sexismus wird nach unserer Erfahrung mittlerweile auf allen Ebenen ernstgenommen. Gleichwohl ist es noch ein langer Weg, bis wir Sexismus so eingedämmt haben, dass er nur noch in Einzelfällen eine Rolle spielt.
 
Was kann man selbst tun, wenn man Sexismus beobachtet?

Lohaus: Hier ist es schwer pauschal zu antworten. Es gibt Graustufen, Missverständnisse, Situationen, in denen es gefährlich ist, sich zu wehren und es kommt natürlich auf den konkreten Kontext an. Es lässt sich aber schon sagen, dass einen großen, lernenden Effekt hat, wenn Sexismus angesprochen und klar benannt wird. Im Unternehmen muss ich natürlich auch schauen, wie ich in Hierarchien eingebunden bin und ob ich negative Konsequenzen zu befürchten habe, wenn ich einen Vorfall anspreche.  

Genau deswegen ist es umso wichtiger, dass die Organisationen ihrer Verantwortung nachkommen, Leitlinien veröffentlichen und funktionierende Beschwerdestellen einrichten. Die Unternehmen sind aufgefordert, ein Betriebsklima zu schaffen, in dem Beschwerden über Sexismus nicht unterdrückt oder angeprangert werden. Sondern sie als Zeichen für ein gut funktionierendes Betriebsklima gelten. Denn es ist mitnichten so, dass es automatisch keinen Sexismus gibt, wenn keine Beschwerden vorliegen. Vielmehr haben die Beschäftigten in diesen Unternehmen das Gefühl, einen Vorfall oder eine Beobachtung nicht ohne negative Konsequenzen für sich melden zu können.

In der Freizeit sollte jeder oder jede schon klar artikulieren, wenn eine Grenze zu Sexismus überschritten wird. Das gilt beispielsweise auch für Männerrunden. Ich kann nur dazu ermutigen, auch hier deutlich zu machen, dass man eine Bemerkung nicht lustig, sondern sexistisch fand. Wenn ich Sexismus klar benenne, geht die Wirkung oft über den privaten Bereich hinaus. Wir sind also alle gefragt, wenn es darum geht, Sexismus zu bekämpfen.

„Gemeinsam gegen Sexismus“: Mitte Februar hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ auf den Weg gebracht. Ziel ist, gegen Sexismus vorzugehen, der für die Betroffenen mit Herabwürdigung, Grenzverletzungen und Machtmissbrauch verbunden ist. Ministerin Paus forderte Unternehmen, Organisationen und Verbände auf, sich dem Bündnis anzuschließen. Ihr Ministerium baut das Bündnis auf – gemeinsam mit der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e. V..