Diskussion über Chancen und Risiken von TTIP

Bürgerdialog in Leverkusen Diskussion über Chancen und Risiken von TTIP

Unter dem Motto "TTIP – Wir müssen reden" fand in Leverkusen der dritte Bürgerdialog der Europa Union-Deutschland statt. Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen mit Politikern von Bund, Ländern und der EU über Vor- und Nachteile des transatlantischen Freihandelsabkommen zu diskutieren.

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Gesprächssituation, Redner vorn, Plenum

Im Gespräch über TTIP: Lutz Güllner von der Europäischen Kommission im Bürgerdialog

Foto: Hansen/Bayer/Europa-Union

Die Abgeordneten aus dem Europarlament, dem Bundes- und Landtag sowie Vertreter der Bunderegierung und der Europäischen Kommission waren sich einig: Beim Export deutscher Waren und Dienstleistungen wird der globale Wettbewerb immer schärfer. Zudem sind freier Handel und einheitliche Standards für den Erhalt von Arbeitsplätzen wichtig, ohne dass es Abstriche beim Verbraucherschutz geben darf.

Mehr als 200 Bürgerinnen und Bürger sowie Mitarbeiter der Bayer AG diskutierten mit den Politikern im Kommunikationszentrum des Bayer-Werks in Leverkusen über Chancen und Risiken eines transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen und Union und den USA. Der Ort der Veranstaltung war passend gewählt worden: Die deutsche Pharmaindustrie gehört wie die Autobranche zur Weltspitze.

Viele offene Fragen

Schon die Podiumsdiskussion zu Beginn der Veranstaltung zeigte: Zu TTIP gibt es in der Bevölkerung viele offene Fragen. Der Landtagsabgeordnete Stefan Engstfeld (Bündnis90/Die Grünen), der Bundestagsabgeordnete Matthias Heider (CDU) sowie Bernd Lange (SPD), Mitglied des Europaparlaments und Berichterstatter zu TTIP, diskutierten kontrovers mit den Bürgern. Besonders im Fokus: der Verbraucherschutz und die Streitbeilegung durch Schiedsgerichte.

Die Besucher konnten sich über drei Themenbereiche mit den Experten austauschen:

  • Demokratie, Transparenz, Legitimität sowie Handel, Investition, Wettbewerb;

  • Chancen und Risiken des Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzes;

  • Standards und Normen in TTIP.

Freier und fairer Handel

Der weltweite Handel entwickelt sich immer dynamischer, setzt Wachstumskräfte frei und führt zu einer globalen Integration. Da die Vereinheitlichung von Standards und tarifären Hindernissen in der Welthandelsorganisation nicht vorankommen, setzen die Wachstumsregionen im Pazifikraum verstärkt auf Freihandelsabkommen.

Deshalb ist es auch so wichtig, dass die seit 2013 eröffneten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zügig zu einem Abschluss kommen. Durch das sogenannte TTIP-Abkommen (TransatlanticTrade and Investment Partnership) soll insbesondere der Marktzugang für Waren und Dienstleistungen erleichtert, die Standards für einen fairen Wettbewerb vereinheitlicht sowie Investitionen erleichtert und geschützt werden.

Berend Diekmann von Bundeswirtschaftsministerium wies darauf hin, dass Deutschland vom Handel und Export von Dienstleistungen und Wissen lebe und deshalb TTIP für Deutschland so wichtig sei.

Die Abgeordneten Heider und Lange waren sich einig, dass gerade die kleinen und mittelständischen Betriebe, wie etwa kleine Marktführer in der Medizintechnik, besonders von TTIP profitieren werden.

Transparenz der Verhandlungen hergestellt

Häufigster Kritikpunkt war die bisher fehlende Transparenz der Verhandlungen. Inzwischen wurde das Mandat im Internet veröffentlicht. Die Verhandlungsschritte und Verhandlungspositionen der EU sind damit jedem zugänglich. Eine solche Transparenz gebe es sonst kaum, wie Lutz Güllner von der Europäischen Kommission anmerkte.

Auch die außergerichtliche Streitschlichtung sehen die Diskussionsteilnehmer unterschiedlich. Wieso können nicht die ordentlichen Gerichte in Deutschland und den USA das Abkommen auslegen, fragt Stefan Engstfeld zu den geplanten Schiedsgerichten. Demgegenüber wies Matthias Heider auf die lange Tradition einer außergerichtlichen Streitbeilegung durch Schiedsgerichte in Deutschland hin. Sie wurden über Jahrzehnte in bilateralen Investitionsabkommen vereinbart. Als Optionen wurde eine Verbesserung der Qualität und Unabhängigkeit der Schiedsrichter erörtert – zum Beispiel durch ihre Wahl in den nationalen Parlamenten.

Verhandlungen zügig beenden

In Kürze beginnt die achte Verhandlungsrunde zu TTIP. Im Mai zieht das Europäische Parlament erste Zwischenbilanz. Darauf wies Bernd Lange hin. Die Europäische Kommission und die Bundesregierung wollen möglichst noch in diesem Jahr die Verhandlungen erfolgreich beenden.

Am Ende entscheiden das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten über das Abkommen.

Verbraucherschutz wird nicht in Frage gestellt

Der Bürgerdialog machte eines deutlich: Die Sorgen der Menschen um den Verbraucherschutz in Deutschland sind weiterhin groß.

Sowohl Lutz Güllner von der Europäischen Kommission als auch Berend Diekmann vom Bundeswirtschaftsministerium machten deutlich, dass der hohe Verbraucherschutz in Deutschland nicht durch TTIP angetastet werde. Ziel der Verhandlungen sei keine Deregulierung oder Absenkung der Standards. Das gelte auch für die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln. Auch Bernd Lange forderte Impulse, die von TTIP für die Menschen ausgehen müssten.

Bettina Cebulla von der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen forderte von der Politik, die jeweils besten Verbraucherstandards dies und jenseits des Atlantiks durchzusetzen. In vielen Bereichen biete die EU mit ihrem Vorsorgeprinzip ein sehr hohes Schutzniveau in anderen Bereichen könnten die US-Vorschriften Vorbild sein.

Florian Moritz vom Deutschen Gewerkschaftsbund und Berend Diekmann vom Bundeswirtschaftsministerium machten am Beispiel des Mindestlohns deutlich, dass darüber bei TTIP überhaupt nicht verhandelt werde.

Reinhard Quick vom Verband der Chemischen Industrie wies darauf hin, dass letztlich nur die Punkte im Abkommen vereinbart werden könnten, denen beide Verhandlungspartner zustimmten.

Kommunale Daseinsvorsorge kein Verhandlungsgegenstand

Wie steht es um unsere Theater, Musikschulen, Sportstätten oder die kommunalen Versorgen? Werden kommunale Einrichtungen durch private Investoren verdrängt? Die Antwort der EU-Kommission und der Bundesregierung ist klar: Darüber wird bei TTIP nicht verhandelt. Berend Diekmann nannte als Beispiel das Freihandelsabkommen mit Kanada. "Bei CETA ist uns das auch gelungen. Die Daseinsvorsorge wird ausgeklammert", sagte er.

Entwicklungsländer werden nicht benachteiligt

Sind die Entwicklungsländer die Verlierer von Freihandel und Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen? Eine oft geäußerte Sorge. Sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung wiesen darauf hin, dass es keine Konkurrenz bei den Waren gebe.

Eine heute vom Ifo-Institut veröffentliche Studie belegt vielmehr, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer keine größeren Nachtteile durch das Freihandelsabkommen haben werden. Es müsse aber geprüft werden, ob diesen Ländern bessere Bedingungen für den Export ihrer Güter in die EU eingeräumt werden können.

Im Europäischen Jahr der Entwicklung wird die EU eine umfangreiche Initiative starten, um Menschenrechten, Umwelt- und Sozialstandards Geltung zu verschaffen. Darauf verwies Bundesminister Gerd Müller heute auf der Grünen Woche in Berlin.

Die EU und die USA können nach einer heute veröffentlichen ifo-Studie durch das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP mit Pro-Kopf-Einkommenszuwächsen zwischen zwei und drei Prozent rechnen. Mit TTIP wird die größte Freihandelszone der Welt mit 800 Millionen Menschen geschaffen.