18. März 1990: erste freie Volkskammerwahl
Für die Menschen in der DDR ist der 18. März 1990 ein historischer Tag: Zum ersten Mal können sie in freier und geheimer Wahl eine Partei selbst auswählen. Zum ersten Mal gibt es keine Einheitsliste. Mit überwältigender Beteiligung entscheiden sie über die Zukunft ihres Landes – und ebnen den Weg zur Deutschen Einheit.
93 Prozent der Wahlberechtigten geben ihre Stimme ab. Die „Allianz für Deutschland”, ein Bündnis unter Führung der CDU, gewinnt mit 48,1 Prozent deutlich. Damit entscheidet sich die neue Regierung für eine zügige Wiedervereinigung nach den Vorgaben des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Die Volkskammer wählt Lothar de Maizière (CDU) am 12. April 1990 zum Ministerpräsidenten.

Die Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 ist der erste Urnengang unter demokratischen Bedingungen.
Foto: picture alliance / SZ Photo / Kucharz

Am 18. März 1990 können die Bürgerinnen und Bürger in der DDR zum ersten Mal ihr Parlament – die Volkskammer – in freier und geheimer Wahl selbst bestimmen. Das Datum steht für den endgültigen Sieg der Friedlichen Revolution über die Diktatur in der DDR.
Für die Volkskammerwahl haben sich 19 Parteien und fünf Listenverbindungen registriert. Während des Wahlkampfes erhalten die großen ostdeutschen Parteien zunehmend Unterstützung von ihren westdeutschen Pendants. Insbesondere die westdeutschen Parteien, wie die CDU, SPD und Grüne, bieten ihren ostdeutschen Schwesterparteien ihre Unterstützung an – sowohl in Form von Ratschlägen als auch durch praktische Hilfe im Wahlkampf. Diese Solidarität soll nicht nur den ostdeutschen Parteien Rückenwind verschaffen, sondern auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Prozesse stärken, die mit der bevorstehenden Wiedervereinigung einhergehen.
Im Vorfeld der Volkskammerwahlen gerät die junge politische Landschaft der DDR in Turbulenzen, als Verbindungen einiger prominenter Akteure zur Stasi öffentlich werden. Als immer mehr Informationen über diese Verbindungen ans Licht kommen, sind viele Wählerinnen und Wähler verunsichert. Besonders die Enttarnung von ehemaligen Spitzenpolitikern, die während der DDR-Zeit für die Stasi arbeiteten, stellt das Vertrauen in die neue politische Ordnung auf die Probe. Sie führen zu Diskussionen über die Aufarbeitung und die Frage, wie mit den Stasi-Kollaborateuren in der neuen, demokratischen Gesellschaft umgegangen werden soll.
18. März: In Scharen strömen die Bürgerinnen und Bürger zu den Urnen. Über 93 Prozent aller Wahlberechtigten in der DDR wollen die Zukunft ihres Landes mitbestimmen. Sie stellen die Weichen für eine neue, demokratische Zukunft und ebnen damit den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Mehr als 12,2 Millionen Menschen können unter 24 Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen wählen. Entgegen den Vorhersagen gewinnt die „Allianz für Deutschland” mit 47,8 Prozent der Stimmen die Volkskammer-Wahl. Die SPD erhält 21,8 Prozent und die PDS 16,3 Prozent.
Die „Allianz” setzt sich für eine zügige Wiedervereinigung Deutschlands ein und wirbt mit dem Slogan „Freiheit und Wohlstand – Nie wieder Sozialismus”. Lothar de Maizière, Vorsitzender der CDU in der DDR (M.), stellt sich nach dem Wahlsieg den Fragen des ZDF-Korrespondenten Schmitz. Die Volkskammer wählt de Maizière am 12. April 1990 zum Ministerpräsidenten.

Dresden feiert die Währungsumstellung mit einem Feuerwerk auf den Elbwiesen.
Foto: Bundesarchiv/ADN/Hiekel
1. Juli 1990: Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
Mit der Einführung der D-Mark in der DDR wird ein großer Schritt zur wirtschaftlichen Einheit vollzogen und viele Menschen verbinden damit die Hoffnung auf Wohlstand. Die Wirtschaftsstruktur der DDR wird abrupt an die Marktwirtschaft angepasst wird. Das hat tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Folgen. Die DDR-Betriebe sind der westlichen Konkurrenz nicht gewachsen. Die staatliche Treuhandanstalt privatisiert oder schließt tausende Unternehmen, was zu Massenarbeitslosigkeit führt. Viele Preise steigen auf Westniveau, während Löhne zunächst niedrig bleiben. Für viele Menschen sind die unmittelbaren Folgen existenziell. Auf anfängliche Euphorie folgt Ernüchterung: Arbeitslosigkeit, Betriebsschließungen und Abwanderung prägen die ostdeutsche Wirtschaft lange.

Am 1. Juli 1990 tritt die Währungsunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Mit ihr wird die D-Mark das alleinige Zahlungsmittel in der DDR.
Am 18. Mai 1990 unterzeichnen die Finanzminister Theo Waigel und Walter Romberg im Palais Schaumburg den Vertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Der Vertrag legt die soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung fest, führt die Deutsche Mark als gemeinsame Währung ein und gewährleistet die soziale Absicherung in ganz Deutschland.
Durch die Währungsunion wird die D-Mark das alleinige Zahlungsmittel in der DDR. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR forderten zuvor mit Nachdruck die Einführung der D-Mark zum Umtauschkurs 1:1, wie im April 1990 im Berliner Lustgarten.
Kurz vor der Währungsumstellung nutzen viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Gelegenheit, ihre Ostmark noch auszugeben, bevor sie an Wert verliert. Sie investieren in Waren oder Dinge des täglichen Bedarfs – zum Beispiel Benzin. Deshalb bilden sich lange Schlangen an Tankstellen wie hier in Halle.
Neugierig betrachten Menschen die Schaufensterauslage des Centrum-Warenhauses am Berliner Alexanderplatz am Tag der Währungsunion.
Zentrale Frage in den politischen Verhandlungen: Zu welchem Kurs soll die Ostmark in D-Mark umgetauscht werden? Denn das hat weitreichende ökonomische und soziale Folgen. Letztlich wird beschlossen, dass Löhne, Renten und Sparguthaben bis zu einem bestimmten Betrag im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden. Höhere Sparbeiträge sowie andere Verbindlichkeiten werden zu einem Kurs von 2:1 in D-Mark gewechselt. Diese Entscheidung beeinflusst die Kaufkraft der Menschen in der DDR und hat große Auswirkungen auf die Wirtschaft – viele ostdeutsche Betriebe können mit der starken D-Mark nicht konkurrieren und müssen schließen.
Die Umtauschregelung zum Kurs 1:1 wird entgegen dem ersten Vorschlag der Bundesregierung nach Altersgruppen gestaffelt: Kinder bis 14 Jahre können 2.000 Mark, Personen zwischen 15 und 59 Jahre 4.000 Mark und die über 60-Jährigen 6.000 Mark umtauschen. Darüber hinausgehende Beträge werden zum Kurs 2:1 in D-Mark gewechselt.
Auch das Geld aus der Kollekte einer Pfarrei in Bernburg muss noch schnell gezählt und getauscht werden.
Bereits im März 1990 wird die Treuhandanstalt unter der letzten SED/PDS-Regierung der DDR gegründet. Sie hat die Aufgabe, das umfangreiche volkseigene Vermögen der DDR zu verwalten und die mehr als 8.000 staatlichen DDR-Betriebe in die Privatwirtschaft zu überführen. Die Idee, dass jeder Bürger einen Anteilsschein am Vermögen der DDR erhalten soll, wird mit der Währungsunion jedoch fallen gelassen.
Die Freude über die Währungsunion weicht der Ernüchterung über die Realität. Nach Einführung der D-Mark 1990 bis etwa 1994/1995 gehen 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der DDR verloren.
Innerhalb von vier Jahren verkauft die Treuhand rund 50.000 Immobilien und zehntausende Firmen und Kleinbetriebe. Das vormalige Volkseigentum der DDR geht zu 85 Prozent an Westdeutsche, zehn Prozent an internationale Investoren und nur zu fünf Prozent an Ostdeutsche. Die Zahl der Arbeitslosen geht in die Millionenhöhe. Die Staatsschulden der Bundesrepublik wachsen auf 264 Milliarden D-Mark.

Für eine Wiedervereinigung von DDR und BRD bedarf es 1990 der Zustimmung der Siegermächte des Weltkriegs. Dies sind die USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion. Der daraus abgeleitete Begriff Zwei-plus-Vier ist Namensgeber des Gesprächsformats.
Foto: Bundesregierung/Reineke
Mai bis September 1990: Zwei-plus-Vier-Verhandlungen
In den Gesprächen zwischen DDR und BRD und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich) wird die außenpolitische Grundlage für die Deutsche Einheit geschaffen. Der Vertrag gibt Deutschland seine volle Souveränität zurück. Er legt die endgültigen Grenzen fest, verpflichtet Deutschland zum Verzicht auf Gebietsansprüche und begrenzt seine Streitkräfte auf 370.000 Soldaten. Der Vertrag ebnet den Weg für die Wiedervereinigung und tritt am 15. März 1991 in Kraft.

Am 5. Mai 1990 beginnen im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Bonn die Verhandlungen über die „äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit“. Dabei geht es vor allem um die Frage, unter welchen internationalen Rahmenbedingungen Deutschland wiedervereinigt werden kann. Ein zentrales Thema ist die endgültige völkerrechtliche Souveränität Deutschlands, also das Ende der bisherigen Vorbehaltsrechte der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.
An den Verhandlungen nehmen die Außenminister der beiden deutschen Staaten sowie der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs teil. Gastgeber ist Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, zusammen mit Markus Meckel, Außenminister der DDR. Für die Siegermächte sind James Baker (USA), Eduard Schewardnadse (Sowjetunion), Douglas Hurd (Großbritannien) und Roland Dumas (Frankreich) dabei. Die sechs Außenminister einigen sich in Bonn auf die Tagesordnung der weiteren Zwei-plus-Vier-Gespräche. Wichtige Themen sind die endgültige Klärung der deutschen Grenzen sowie politisch-militärische und völkerrechtliche Fragen.
Vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde nehmen die sechs Außenminister – Baker, Dumas, Genscher, Hurd, Meckel, Schewardnadse – an der symbolischen Demontage des alliierten Grenzübergangs „Checkpoint Charlie” in Ostberlin teil. Damit wird die fortschreitende Wiedervereinigung Deutschlands unterstrichen.
Im Ostberliner Schloss Schönhausen setzen die sechs Außenminister mit ihren Delegationen am 22. Juni 1990 die Verhandlungen fort.
Im Mittelpunkt der zweiten Verhandlungsrunde steht die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – und damit der endgültige Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete durch ein vereintes Deutschland . Der völkerrechtliche Grenzvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen wird schließlich im November 1990 unterzeichnet. Die Oder-Neiße-Grenze wird damit unverletzlich und endgültig festgelegt. Der Grundstein für den Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen ist gelegt.
Am 15. Juli 1990 reist Bundeskanzler Helmut Kohl nach Moskau, um mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow die letzten Hürden auf dem Weg zur Deutschen Einheit zu beseitigen. Knackpunkt ist die angestrebte NATO-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands, die Gorbatschow den Deutschen schließlich zubilligt. Allerdings sollte der Geltungsbereich der NATO für eine Übergangszeit nicht das Territorium der DDR umfassen – und zwar solange dort noch sowjetische Truppen stationiert sind.
Gorbatschow lädt Kohl anschließend in seine Datsche nahe dem Dorf Archys im Kaukasus ein. Ein Spaziergang in Strickjacke wird schließlich zum Symbol für die erlangte Souveränität des künftig vereinten Deutschlands. Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse sagt hierzu später: „Wir sind außerstande, Deutschlands Wiedervereinigung zu stoppen, es sei denn mit Gewalt. Doch das käme einer Katastrophe gleich.“
Am 12. September 1990 unterzeichnen die Außenminister den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges (USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien) in Moskau. Der Vertrag stellt die endgültige innere und äußere Souveränität des vereinten Deutschlands her.

Knapp 900 Seiten umfasst der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR.
Foto: Bundesregierung/Reineke
31. August 1990: Unterzeichnung des Einigungsvertrags
Grundlage für die Deutsche Einheit bildet der Einigungsvertrag. Dieser wird am 31. August 1990 unterzeichnet. Er legt die Bedingungen für die Wiedervereinigung fest und bestimmt die politische, wirtschaftliche und soziale Eingliederung der DDR in die BRD. Dazu gehören die Einführung des Grundgesetzes, die Einführung der D-Mark sowie die Angleichung der Rechtsordnung und Verwaltung. Der Vertrag tritt am 3. Oktober 1990 in Kraft.

Die Volkskammer beschließt in einer turbulenten Sitzung am 23. August 1990 den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Von 363 Abgeordneten stimmen 294 dem Beitritt zu, 62 votieren dagegen, sieben enthalten sich.
Der Einigungsvertrag ist nach dem Währungsvertrag der zweite bedeutende Staatsvertrag, den die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik im Vorfeld der Wiedervereinigung abschließen. Die Verhandlungen über den Vertrag beginnen am 6. Juni 1990 und werden von den Delegationen unter Leitung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf der Seite der BRD und dem Staatssekretär der DDR, Günther Krause, geführt. Diese Gespräche bilden die Grundlage für die Wiedervereinigung Deutschlands und sind deshalb von großer politischer Bedeutung. Am 31. August 1990 unterzeichnen die Unterhändler den „Vertrag zur Herstellung der Einheit Deutschlands”, der den rechtlichen Rahmen für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und damit für die Wiedervereinigung des Landes festlegt.
Artikel 1, Absatz 1 des Einigungsvertrages lautet: „Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 werden die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland.” Es folgen Regelungen zu Berlin als künftiger Hauptstadt bis hin zu den Kehrbezirken der Bezirksschornsteinfeger.
Am 20. September 1990 stimmen Bundestag und Volkskammer über den umfangreichen Einigungsvertrag ab. Der Einigungsvertrag bestimmt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990. Für den Einigungsvertrag stimmen 442 von 492 Bundestagsabgeordneten. Von 380 Volkskammerabgeordneten stimmen 299 für den Vertrag. Der Bundesrat stimmt dem Einigungsvertrag einstimmig zu. Nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erheben sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages von ihren Sitzen, applaudieren und singen die deutsche Nationalhymne.
3. Oktober 1990, Null Uhr: Zu den Klängen der Freiheitsglocke wird vor dem Reichstagsgebäude die Bundesflagge gehisst – Deutschland ist wiedervereint. Bundeskanzler Helmut Kohl richtet eine Botschaft an die Regierungen in aller Welt: „Unser Land will mit seiner wiedergewonnenen Freiheit dem Frieden in der Welt dienen und die Einigung Europas voranbringen.”
Höhepunkt der Feierlichkeiten ist ein Feuerwerk über dem Reichstagsgebäude. Hunderttausende feiern in Berlin bis in die frühen Morgenstunden. Das für viele Menschen schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte – die Teilung Deutschlands – ist überwunden.
Auf Einladung des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker findet der Staatsakt zur Wiedervereinigung in der Berliner Philharmonie statt. In seiner Rede ruft von Weizsäcker die Deutschen zu gegenseitiger Solidarität auf: „Nicht weniger entscheidend ist unsere Zusammenarbeit im vereinten Land. Wir müssen jetzt solidarisch handeln – in aller ureigenstem Interesse. Für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern tragen wir nunmehr zusammen die Verantwortung. Wir sind gemeinsam am Erfolg interessiert. Denn was nicht gelingt, wird auf Dauer die Deutschen im Westen ebenso belasten wie die Deutschen im Osten. Unser Verfassungsauftrag lautet, allen Deutschen vergleichbare Lebensverhältnisse und Entfaltungschancen zu gewährleisten.” Seit 1990 ist der 3. Oktober Nationalfeiertag in Deutschland.
Nach über vier Jahrzehnten, 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist Deutschland wiedervereint. Bereits am 4. Oktober konstituiert sich der Deutsche Bundestag. In einer Regierungserklärung beschreibt Bundeskanzler Helmut Kohl die Grundsätze der ersten gesamtdeutschen Regierung: Die Politik der Bundesregierung werde geprägt sein vom Bewusstsein für die deutsche Geschichte in allen ihren Teilen und der daraus folgenden Verantwortung. Kohl sagte: „Nur wer seine Herkunft kennt, hat einen Kompass für die Zukunft.“
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Die Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 ist der erste Urnengang unter demokratischen Bedingungen.
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Am 18. März 1990 können die Bürgerinnen und Bürger in der DDR zum ersten Mal ihr Parlament – die Volkskammer – in freier und geheimer Wahl selbst bestimmen. Das Datum steht für den endgültigen Sieg der Friedlichen Revolution über die Diktatur in der DDR.
Für die Volkskammerwahl haben sich 19 Parteien und fünf Listenverbindungen registriert. Während des Wahlkampfes erhalten die großen ostdeutschen Parteien zunehmend Unterstützung von ihren westdeutschen Pendants. Insbesondere die westdeutschen Parteien, wie die CDU, SPD und Grüne, bieten ihren ostdeutschen Schwesterparteien ihre Unterstützung an – sowohl in Form von Ratschlägen als auch durch praktische Hilfe im Wahlkampf. Diese Solidarität soll nicht nur den ostdeutschen Parteien Rückenwind verschaffen, sondern auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Prozesse stärken, die mit der bevorstehenden Wiedervereinigung einhergehen.
Im Vorfeld der Volkskammerwahlen gerät die junge politische Landschaft der DDR in Turbulenzen, als Verbindungen einiger prominenter Akteure zur Stasi öffentlich werden. Als immer mehr Informationen über diese Verbindungen ans Licht kommen, sind viele Wählerinnen und Wähler verunsichert. Besonders die Enttarnung von ehemaligen Spitzenpolitikern, die während der DDR-Zeit für die Stasi arbeiteten, stellt das Vertrauen in die neue politische Ordnung auf die Probe. Sie führen zu Diskussionen über die Aufarbeitung und die Frage, wie mit den Stasi-Kollaborateuren in der neuen, demokratischen Gesellschaft umgegangen werden soll.
18. März: In Scharen strömen die Bürgerinnen und Bürger zu den Urnen. Über 93 Prozent aller Wahlberechtigten in der DDR wollen die Zukunft ihres Landes mitbestimmen. Sie stellen die Weichen für eine neue, demokratische Zukunft und ebnen damit den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Mehr als 12,2 Millionen Menschen können unter 24 Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen wählen. Entgegen den Vorhersagen gewinnt die „Allianz für Deutschland” mit 47,8 Prozent der Stimmen die Volkskammer-Wahl. Die SPD erhält 21,8 Prozent und die PDS 16,3 Prozent.
Die „Allianz” setzt sich für eine zügige Wiedervereinigung Deutschlands ein und wirbt mit dem Slogan „Freiheit und Wohlstand – Nie wieder Sozialismus”. Lothar de Maizière, Vorsitzender der CDU in der DDR (M.), stellt sich nach dem Wahlsieg den Fragen des ZDF-Korrespondenten Schmitz. Die Volkskammer wählt de Maizière am 12. April 1990 zum Ministerpräsidenten.

Dresden feiert die Währungsumstellung mit einem Feuerwerk auf den Elbwiesen.
Foto: Bundesarchiv/ADN/Hiekel

Am 1. Juli 1990 tritt die Währungsunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Mit ihr wird die D-Mark das alleinige Zahlungsmittel in der DDR.
Am 18. Mai 1990 unterzeichnen die Finanzminister Theo Waigel und Walter Romberg im Palais Schaumburg den Vertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Der Vertrag legt die soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung fest, führt die Deutsche Mark als gemeinsame Währung ein und gewährleistet die soziale Absicherung in ganz Deutschland.
Durch die Währungsunion wird die D-Mark das alleinige Zahlungsmittel in der DDR. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR forderten zuvor mit Nachdruck die Einführung der D-Mark zum Umtauschkurs 1:1, wie im April 1990 im Berliner Lustgarten.
Kurz vor der Währungsumstellung nutzen viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Gelegenheit, ihre Ostmark noch auszugeben, bevor sie an Wert verliert. Sie investieren in Waren oder Dinge des täglichen Bedarfs – zum Beispiel Benzin. Deshalb bilden sich lange Schlangen an Tankstellen wie hier in Halle.
Neugierig betrachten Menschen die Schaufensterauslage des Centrum-Warenhauses am Berliner Alexanderplatz am Tag der Währungsunion.
Zentrale Frage in den politischen Verhandlungen: Zu welchem Kurs soll die Ostmark in D-Mark umgetauscht werden? Denn das hat weitreichende ökonomische und soziale Folgen. Letztlich wird beschlossen, dass Löhne, Renten und Sparguthaben bis zu einem bestimmten Betrag im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden. Höhere Sparbeiträge sowie andere Verbindlichkeiten werden zu einem Kurs von 2:1 in D-Mark gewechselt. Diese Entscheidung beeinflusst die Kaufkraft der Menschen in der DDR und hat große Auswirkungen auf die Wirtschaft – viele ostdeutsche Betriebe können mit der starken D-Mark nicht konkurrieren und müssen schließen.
Die Umtauschregelung zum Kurs 1:1 wird entgegen dem ersten Vorschlag der Bundesregierung nach Altersgruppen gestaffelt: Kinder bis 14 Jahre können 2.000 Mark, Personen zwischen 15 und 59 Jahre 4.000 Mark und die über 60-Jährigen 6.000 Mark umtauschen. Darüber hinausgehende Beträge werden zum Kurs 2:1 in D-Mark gewechselt.
Auch das Geld aus der Kollekte einer Pfarrei in Bernburg muss noch schnell gezählt und getauscht werden.
Bereits im März 1990 wird die Treuhandanstalt unter der letzten SED/PDS-Regierung der DDR gegründet. Sie hat die Aufgabe, das umfangreiche volkseigene Vermögen der DDR zu verwalten und die mehr als 8.000 staatlichen DDR-Betriebe in die Privatwirtschaft zu überführen. Die Idee, dass jeder Bürger einen Anteilsschein am Vermögen der DDR erhalten soll, wird mit der Währungsunion jedoch fallen gelassen.
Die Freude über die Währungsunion weicht der Ernüchterung über die Realität. Nach Einführung der D-Mark 1990 bis etwa 1994/1995 gehen 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der DDR verloren.
Innerhalb von vier Jahren verkauft die Treuhand rund 50.000 Immobilien und zehntausende Firmen und Kleinbetriebe. Das vormalige Volkseigentum der DDR geht zu 85 Prozent an Westdeutsche, zehn Prozent an internationale Investoren und nur zu fünf Prozent an Ostdeutsche. Die Zahl der Arbeitslosen geht in die Millionenhöhe. Die Staatsschulden der Bundesrepublik wachsen auf 264 Milliarden D-Mark.

Für eine Wiedervereinigung von DDR und BRD bedarf es 1990 der Zustimmung der Siegermächte des Weltkriegs. Dies sind die USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion. Der daraus abgeleitete Begriff Zwei-plus-Vier ist Namensgeber des Gesprächsformats.
Foto: Bundesregierung/Reineke

Am 5. Mai 1990 beginnen im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Bonn die Verhandlungen über die „äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit“. Dabei geht es vor allem um die Frage, unter welchen internationalen Rahmenbedingungen Deutschland wiedervereinigt werden kann. Ein zentrales Thema ist die endgültige völkerrechtliche Souveränität Deutschlands, also das Ende der bisherigen Vorbehaltsrechte der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.
An den Verhandlungen nehmen die Außenminister der beiden deutschen Staaten sowie der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs teil. Gastgeber ist Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, zusammen mit Markus Meckel, Außenminister der DDR. Für die Siegermächte sind James Baker (USA), Eduard Schewardnadse (Sowjetunion), Douglas Hurd (Großbritannien) und Roland Dumas (Frankreich) dabei. Die sechs Außenminister einigen sich in Bonn auf die Tagesordnung der weiteren Zwei-plus-Vier-Gespräche. Wichtige Themen sind die endgültige Klärung der deutschen Grenzen sowie politisch-militärische und völkerrechtliche Fragen.
Vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde nehmen die sechs Außenminister – Baker, Dumas, Genscher, Hurd, Meckel, Schewardnadse – an der symbolischen Demontage des alliierten Grenzübergangs „Checkpoint Charlie” in Ostberlin teil. Damit wird die fortschreitende Wiedervereinigung Deutschlands unterstrichen.
Im Ostberliner Schloss Schönhausen setzen die sechs Außenminister mit ihren Delegationen am 22. Juni 1990 die Verhandlungen fort.
Im Mittelpunkt der zweiten Verhandlungsrunde steht die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – und damit der endgültige Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete durch ein vereintes Deutschland . Der völkerrechtliche Grenzvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen wird schließlich im November 1990 unterzeichnet. Die Oder-Neiße-Grenze wird damit unverletzlich und endgültig festgelegt. Der Grundstein für den Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen ist gelegt.
Am 15. Juli 1990 reist Bundeskanzler Helmut Kohl nach Moskau, um mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow die letzten Hürden auf dem Weg zur Deutschen Einheit zu beseitigen. Knackpunkt ist die angestrebte NATO-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands, die Gorbatschow den Deutschen schließlich zubilligt. Allerdings sollte der Geltungsbereich der NATO für eine Übergangszeit nicht das Territorium der DDR umfassen – und zwar solange dort noch sowjetische Truppen stationiert sind.
Gorbatschow lädt Kohl anschließend in seine Datsche nahe dem Dorf Archys im Kaukasus ein. Ein Spaziergang in Strickjacke wird schließlich zum Symbol für die erlangte Souveränität des künftig vereinten Deutschlands. Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse sagt hierzu später: „Wir sind außerstande, Deutschlands Wiedervereinigung zu stoppen, es sei denn mit Gewalt. Doch das käme einer Katastrophe gleich.“
Am 12. September 1990 unterzeichnen die Außenminister den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges (USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien) in Moskau. Der Vertrag stellt die endgültige innere und äußere Souveränität des vereinten Deutschlands her.

Knapp 900 Seiten umfasst der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR.
Foto: Bundesregierung/Reineke

Die Volkskammer beschließt in einer turbulenten Sitzung am 23. August 1990 den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Von 363 Abgeordneten stimmen 294 dem Beitritt zu, 62 votieren dagegen, sieben enthalten sich.
Der Einigungsvertrag ist nach dem Währungsvertrag der zweite bedeutende Staatsvertrag, den die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik im Vorfeld der Wiedervereinigung abschließen. Die Verhandlungen über den Vertrag beginnen am 6. Juni 1990 und werden von den Delegationen unter Leitung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf der Seite der BRD und dem Staatssekretär der DDR, Günther Krause, geführt. Diese Gespräche bilden die Grundlage für die Wiedervereinigung Deutschlands und sind deshalb von großer politischer Bedeutung. Am 31. August 1990 unterzeichnen die Unterhändler den „Vertrag zur Herstellung der Einheit Deutschlands”, der den rechtlichen Rahmen für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und damit für die Wiedervereinigung des Landes festlegt.
Artikel 1, Absatz 1 des Einigungsvertrages lautet: „Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 werden die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland.” Es folgen Regelungen zu Berlin als künftiger Hauptstadt bis hin zu den Kehrbezirken der Bezirksschornsteinfeger.
Am 20. September 1990 stimmen Bundestag und Volkskammer über den umfangreichen Einigungsvertrag ab. Der Einigungsvertrag bestimmt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990. Für den Einigungsvertrag stimmen 442 von 492 Bundestagsabgeordneten. Von 380 Volkskammerabgeordneten stimmen 299 für den Vertrag. Der Bundesrat stimmt dem Einigungsvertrag einstimmig zu. Nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erheben sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages von ihren Sitzen, applaudieren und singen die deutsche Nationalhymne.
3. Oktober 1990, Null Uhr: Zu den Klängen der Freiheitsglocke wird vor dem Reichstagsgebäude die Bundesflagge gehisst – Deutschland ist wiedervereint. Bundeskanzler Helmut Kohl richtet eine Botschaft an die Regierungen in aller Welt: „Unser Land will mit seiner wiedergewonnenen Freiheit dem Frieden in der Welt dienen und die Einigung Europas voranbringen.”
Höhepunkt der Feierlichkeiten ist ein Feuerwerk über dem Reichstagsgebäude. Hunderttausende feiern in Berlin bis in die frühen Morgenstunden. Das für viele Menschen schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte – die Teilung Deutschlands – ist überwunden.
Auf Einladung des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker findet der Staatsakt zur Wiedervereinigung in der Berliner Philharmonie statt. In seiner Rede ruft von Weizsäcker die Deutschen zu gegenseitiger Solidarität auf: „Nicht weniger entscheidend ist unsere Zusammenarbeit im vereinten Land. Wir müssen jetzt solidarisch handeln – in aller ureigenstem Interesse. Für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern tragen wir nunmehr zusammen die Verantwortung. Wir sind gemeinsam am Erfolg interessiert. Denn was nicht gelingt, wird auf Dauer die Deutschen im Westen ebenso belasten wie die Deutschen im Osten. Unser Verfassungsauftrag lautet, allen Deutschen vergleichbare Lebensverhältnisse und Entfaltungschancen zu gewährleisten.” Seit 1990 ist der 3. Oktober Nationalfeiertag in Deutschland.
Nach über vier Jahrzehnten, 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist Deutschland wiedervereint. Bereits am 4. Oktober konstituiert sich der Deutsche Bundestag. In einer Regierungserklärung beschreibt Bundeskanzler Helmut Kohl die Grundsätze der ersten gesamtdeutschen Regierung: Die Politik der Bundesregierung werde geprägt sein vom Bewusstsein für die deutsche Geschichte in allen ihren Teilen und der daraus folgenden Verantwortung. Kohl sagte: „Nur wer seine Herkunft kennt, hat einen Kompass für die Zukunft.“