Blick ins Ausland
Gezielte Desinformation betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere Staaten. Ein Blick zu unseren europäischen Partnern zeigt, wie sie mit Desinformation umgehen.
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Offene und faktenbasierte Diskussionen sind eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Desinformation verzerrt bewusst diesen Diskurs und vergiftet die politische Debatte. Auch andere Staaten sind davon betroffen und haben deshalb Maßnahmen ergriffen. Hier ein exemplarischer Überblick ausgewählter europäischer Nachbarn, der fortlaufend erweitert wird:
Das Französische Generalsekretariat für Verteidigung und nationale Sicherheit (Sécretariat Général de la Défense et de la Sécurité Nationale, SGDSN) sieht ausländische Informationsmanipulation als eine zentrale Bedrohung. Im Kampf gegen Desinformationen folgt es der Grundhaltung „Werte bewahren, aber Antworten auf hybride Bedrohungen geben“.
Daher wurde mit dem präsidentiellen Dekret 2021-922 die Schaffung der unabhängigen Agentur „Viginum“ beauftragt, die mit Dekret 2021-1587 zudem von einer Ethikkommission beaufsichtigt wird. Die Agentur ist dem Generalsekretariat für Verteidigung und nationale Sicherheit unterstellt und liegt somit im Verantwortungsbereich der Premierministerin. Die Agentur selbst hat keine rechtliche Grundlage, mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu arbeiten.
Viginum analysiert Informationskampagnen, Wahlwerbungen und Manipulationen, die vor allem in den sozialen Medien verbreitet werden. Die Aufgabe der Agentur ist es, diese zu erkennen, zu charakterisieren und offen zu legen, um Politik, Diplomatie, Justiz, Presse und die Öffentlichkeit zu informieren. Zentral ist für die Agentur, dass ausschließlich ausländische Einflussnahme beobachtet werden darf. Inländische Akteure gehören insoweit nicht zum Mandat. Viginum wird somit erst dann aktiv, wenn eine ausländische Beteiligung, auffälliges Verhalten (zum Beispiel künstlich gesteigerte Reichweite, Bots etc.) und absichtlich verzerrte Inhalte bemerkbar werden und das fundamentale Interesse Frankreichs betroffen ist.
Viginum selbst hat keine Entscheidungsmacht. Es handelt sich um eine beratende Einheit, die Handlungsempfehlungen und strategische Leitlinien für das Vorgehen gegen ausländische Einflussnahmen vorschlägt. Die Anti-Desinformations Agentur ist im engen Austausch mit Regierungsstellen, wie der französischen Nationalen Agentur für Cybersicherheit (ANSSI). Darüber hinaus verschickt die französische Regierung den „Desinfox-Newsletter“ mit Hinweisen zu Studien, neuen Verschwörungsmythen und Desinformationskampagnen intern, aber auch an Vertreter der Medien und Wissenschaft. Ferner nutzt Viginum in der Detektion und Auswertung ausschließlich Open Source Quellen, bedient sich in der Methodik aber sowohl der Open Source Intelligence (Tiefenrecherchen zu Akteuren) sowie Social Media Monitoring mit großen Datenmengen.
In den Niederlanden legten am 23. Dezember 2022 das Ministerium für Inneres und Königreichbeziehungen sowie das Ministerium für Digitalisierung dem Repräsentantenhaus eine erneuerte Strategie zur Bewältigung von Desinformationen vor. Neben einer generellen Einordnung, warum Desinformation ein Problem darstellt, basiert die niederländische Strategie auf zwei Ansätzen: die freie und öffentliche Diskussion zu stärken sowie den Einfluss von Desinformation zu verringern.
Im ersten Abschnitt liegt der Schwerpunkt entsprechend auf einer pluralistischen Medienlandschaft, einer starken widerstandsfähigen Gesellschaft sowie Alternativen zu den gängigen Online-Plattformen. Auf Seiten wie Rijksoverheid und Crisis bietet die Regierung auch selber Informationen zu gängigen Falschinformationen an. Wichtig sind zudem öffentliche Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken, Museen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.
Als alternative Plattformen zu den gängigen Kanälen wirbt die niederländische Regierung dafür, alternative Plattformen wie etwa PubHub oder Pol.is zu nutzen. Auch auf der niederländischen Webseite „Netwerk Mediawijsheid“ finden sich wichtige Informationen und Hintergründe.
Während sich der erste Abschnitt der öffentlichen Debatte widmet, sind im zweiten Abschnitt die Regierung und Plattformen in der Pflicht. Dabei geht es beispielweise um eine bessere innerstaatliche Zusammenarbeit, die Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen mit Blick auf den Datenschutz und insgesamt mehr innerbehördliche Sensibilisierung für das Thema. Aber auch die Plattformen sollen ihrer Verantwortung besser gerecht werden. Die Niederlande verweisen zudem auf die wichtige Zusammenarbeit mit internationalen Partnern (EU, G7, NATO und OECD) – und ganz konkret auf die FIMI-Toolbox.
Seit 2022 hat Schweden eine eigenständige Einrichtung gegen Desinformationen: die „Agentur für psychologische Landesverteidigung“ (Myndigheten för Psykologiskt Försvar). Ihr Hauptauftrag, die „psychologische Verteidigung“, ist die Wahrung einer offenen und demokratischen Gesellschaft, der freien Meinungsbildung und der schwedischen Unabhängigkeit.
Die Agentur identifiziert, analysiert und reagiert auf Desinformationen, die ihren Ursprung im Ausland haben. Das Ziel ist es, ausländische Desinformationskampagnen zu beobachten und gegebenenfalls Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. So wurde eine eigene Kampagne mit Videoclips entwickelt, die über typische Desinformationstaktiken aufklärt. Im Bereich Analyse hat das Amt kein Mandat für inländische Akteure – das heißt innerschwedische Debatten sind per se tabu – der Fokus liegt ausschließlich auf der Einflussnahme aus dem Ausland. Hierzu werden sogenannte „Strukturen“ beobachtet, die beispielweise aus einem Medienökosystem bestehen können, das im Ausland betrieben wird. In Abgrenzung zu anderen europäischen Agenturen dieser Art bearbeitet das Amt auch explizit extremistische Akteure.
Das Amt für psychologische Landessicherheit fördert außerdem die „psychologische Verteidigung“ im Inland und beschreibt jene als „die kollektive Fähigkeit der Gesellschaft, sich gegen ausländische böswillige Einflussnahmen und andere gegen Schweden gerichtete Desinformation zu wehren“. Es unterstützt die Forschung und Entwicklung rundum psychologische Verteidigung, zum Beispiel durch die Finanzierung von Forschungsarbeiten zu diesem Thema. Außerdem steht die Desinfo-Agentur im engen Austausch mit der schwedischen Regierung und gibt Empfehlungen für die Kommunikation der Politikerinnen und Politiker.
Die Agentur für psychologische Landesverteidigung hat seinen Hauptsitz in Stockholm und beschäftigt circa 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bis 2024 soll sie über ein Budget von 15 Millionen Euro verfügen. Darüber hinaus plant Schweden eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU und der NATO, um effektive Strategien für den Umgang mit Desinformation zu entwickeln. Das schwedische Außenministerium fördert zudem eine Initiative mit dem „Swedish Institute“, das unter anderem Desinformationen in den sozialen Medien mit 60 Accounts in den Sprachen Englisch, Russisch, Arabisch und Chinesisch entgegentritt.
Der Einrichtung der Agentur für psychologische Landesverteidigung ging ein von der schwedischen Regierung 2018 beauftragtes Gutachten zum Aufbau einer solchen Struktur voraus. Das Gutachten wurde erstellt von Vertretern der Streitkräfte, Polizei, Medien, Justiz und des Kulturministeriums. Hinzugezogen wurden zudem akademische Experten, insbesondere der Lund Universität. Im Juni 2020 wurde der offizielle Bericht „Eine neue Behörde zur Stärkung psychologischer Verteidigung“ eingereicht. Im März 2021 wurde die Regierung formell mit dem Aufbau eines Amts für psychologische Landesverteidigung beauftragt.
Spanien verfolgt einen dezentralen Ansatz und hat 2022 die „Kommission gegen Desinformationskampagnen im Feld der nationalen Sicherheit“ gegründet. Dabei setzt Spanien auf enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und Faktencheckern. Außerdem arbeitet die Regierung an verschiedenen Initiativen, wie beispielsweise dem mobilen „BuloBús-Projekt“, das ältere Menschen in Spanien über den Umgang mit Desinformationen aufklärt und Medienkompetenz vermittelt.
2019 gründete das Vereinigte Königreich die Behörde „Counter Disinformation Unit“. Sie arbeitet eng mit Regierungs- und Zivilgesellschaftspartnern und ist im Austausch mit sozialen Medienplattformen. Des Weiteren hat das Vereinigte Königreich das Gesetz „Online Safety Bill“ vorgestellt, das Tech-Firmen dazu verpflichtet, Nutzerinnen und Nutzern vor Desinformationen zu schützen.
Um die Medienkompetenz zu verbessern, wurde die „Online Media Literacy Strategy“ eingeführt. Lehrkräfte, Bibliothekspersonal und andere Berufsgruppen werden im Umgang mit Online-Desinformation geschult, um Schülerinnen und Schülern eine bessere Medienkompetenz zu vermitteln. Zudem wurde eine „Think Before You Share“ Informations-Checkliste veröffentlicht, um Menschen dabei zu helfen, Desinformation zu erkennen und nicht einfach weiterzuverbreiten.
Der „RESIST-Leitfaden“ ist ein weiteres Konzept, das vom Vereinigten Königreich entwickelt wurde, um Behörden dabei zu helfen, richtig mit Desinformation umzugehen. Der Leitfaden bietet einen systematischen Ansatz zur Bekämpfung von Desinformationen und umfasst Schritte wie die Erkennung von Desinformation, die Analyse ihrer Auswirkungen und der Bewertung von möglichen Gegenmaßnahmen.
Wissen Sie was die Vereinten Nationen gegen Desinformation tun? Informationen dazu finden Sie auf der Seite Countering Disinformation.