Einzigartige und fragile Ökosysteme schützen

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Tiefseebergbau Einzigartige und fragile Ökosysteme schützen

Am Boden der Tiefsee schlummern gewaltige Ressourcen. Vor allem Manganknollen wecken große Begehrlichkeiten. Welche ökologischen Folgen der Abbau hätte, erklärt der Forscher Matthias Haeckel im Interview. Er leitet das europäische Verbundprojekt MiningImpact, welches maßgeblich von Deutschland gefördert wird.

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Am Boden der Tiefsee schlummern gewaltige Ressourcen.

Am Boden der Tiefsee schlummern gewaltige Ressourcen.

Foto: ROV KIEL6000, GEOMAR

Herr Haeckel, viele haben die Vorstellungen, dass am Meeresboden in mehreren Tausend Metern Tiefe kaum Leben herrscht. Was können Sie berichten?

Das absolute Gegenteil. Auch am Boden der Tiefsee leben unzählige Arten, wie Ruderfußkrebse, Schlangensterne, Würmer, Korallen und Seegurken. Während unserer Expeditionen in das Manganknollengebiet im zentralen Pazifik sind wir auf eine enorme Artenvielfalt gestoßen und haben auf jeder Fahrt Hunderte neue Exemplare entdeckt. Diese Vielfalt kennen wir schon lange – das Bild von einer Wüste da unten ist seit Jahrzehnten überholt.

Was waren Ihre Gedanken, als Sie das erste Mal eine Manganknolle vom Ozeangrund in den Händen hielten?

Das war ein besonderer Moment. Es war während einer Expedition im Jahr 1996, auf dem Vorgängerschiff der heutigen SONNE. Diese Knollen aus Mangan- und Eisenoxiden und weiteren Metallen bilden sich sehr langsam über mehrere Millionen Jahre. Auf ihnen siedeln spezifische Arten von Tiefseeorganismen, wie Schwämme oder Weichkorallen. Das ist ein Gebilde voller Leben.

Das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und anderen europäischen Partnern geförderte Projekt MiningImpact untersucht die Umweltauswirkungen des Manganknollenabbaus in der Tiefsee. Es wird am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel koordiniert. Den Rahmen für die Förderung der 29 Projektpartner aus acht Ländern bildet eine Initiative der Europäischen Union. Derzeit findet mit dem Forschungsschiff SONNE eine Expedition in die Clarion-Clipperton-Zone statt, einem Manganknollengürtel des Pazifiks.  

Das Projekt MiningImpact bewertet die ökologischen Folgen eines möglichen Abbaus der Manganknollen. Hierzu untersuchen Sie auch Gebiete im Pazifik, in denen im Jahr 2021 der erste industrielle Test eines sogenannten Manganknollen-Kollektors stattfand. Welche Erkenntnisse haben Sie bereits gewonnen?

Unsere unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen dieses Kollektortests haben gezeigt, dass nicht nur die Knollen und die darauf lebende Fauna, sondern die gesamte belebte Zone des Meeresbodens komplett entfernt wurde. Die Auswirkungen im Abbau-Areal sind langfristig – es wird Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, bis die Ökosysteme in diesen Gebieten sich wieder erholen. Diese Störungsspuren sehen so aus, als wären sie erst gestern passiert! Das hat uns überrascht.

Woran liegt das?

Die Sedimentationsraten sind dort unten sehr gering. Es bilden sich nur äußerst langsam neue Sedimentschichten durch das Absinken von abgestorbenem Plankton. Wir sprechen da von einem Zeitraum von 10.000 bis 20.000 Jahren. Es kommt nur sehr wenig Nahrung dort unten an, etwa ein Prozent des an der Meeresoberfläche gebildeten Planktons. Werden die Ökosysteme in dieser Tiefe geschädigt, dann sind Ihre Funktionen auf lange Zeit gestört.

Verzeiht der Ozean in seinem Innersten, in der Tiefsee, diese Eingriffe nicht?

Es ist wie bei anderen Umweltschädigungen auch: Die Folgen sind über viele Menschengenerationen sichtbar. Vieles auf unserem Planeten passiert ja auf den sehr langen geologischen Zeitskalen.

Seit einigen Jahren ringt die internationale Gemeinschaft um Regularien für den Tiefseebergbau. Deutschland und weitere Länder sprechen sich aktuell gegen einen Tiefseebergbau aus. Wie geht es hier aus Ihrer Sicht weiter?

Die von Deutschland geforderte vorsorgliche Pause verschafft der Forschung mehr Zeit, um die für die Regularien notwendigen wissenschaftlichen Antworten zu erarbeiten. Unsere bisherigen Forschungsergebnisse zeigen klar, welche direkten negativen Folgen ein Tiefseebergbau auf die Umwelt am Meeresboden haben wird. Diese Erkenntnisse haben wir der Internationalen Meeresbodenbehörde und ihren verschiedenen Organen regelmäßig vorgestellt. Aber unsere Daten sind noch nicht vollständig. Wir wissen derzeit zu wenig über die möglichen großskaligen Folgen, zum Beispiel in Bezug auf die Biodiversität und die Verbindung von Arten – viele Arten kennen wir auch noch gar nicht. Auch die notwendigen Grenzwerte zur Verhinderung irreversibler Schäden am Ökosystem der Tiefsee können wir momentan noch nicht definieren.

Der Meeresboden und seine Ressourcen werden im Internationalen Seerechtsübereinkommen zum „Gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt. Ein großer Teil der mineralischen Rohstoffvorkommen im Meeresboden befindet sich außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone von Staaten – für ihre Verwaltung ist die Internationale Meeresbodenbehörde ISA in Jamaika zuständig. Insgesamt hat die ISA bisher 31 Lizenzgebiete zur Erkundung mariner mineralischer Rohstoffe vergeben. 

Dringt die Wissenschaft zu den Entscheidungsträgern vor?

Im MiningImpact-Projekt haben wir sehr erfolgreich auf europäischer Ebene zusammengearbeitet und uns dadurch als weltweit führende Experten im Bereich Tiefseeökosysteme und Umweltauswirkungen von Tiefseebergbau etabliert. Unsere Forschungsergebnisse haben zur Einrichtung von drei neuen Schutzgebieten in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik beigetragen. Zu Beginn des Projektes habe ich nicht damit gerechnet, dass wir bei Wissenstransfer und Politikberatung so viel erreichen könnten. Es geht jetzt darum, diese erfolgreiche Arbeit im Rahmen einer dritten Projektphase fortzuführen, um konkrete Umweltstandards und Grenzwerte für die Bergbaurichtlinie zu entwickeln und so diese einzigartigen Tiefsee-Ökosysteme und ihre wichtigen Funktionen zu schützen und zu erhalten. 

Ist eine Lösung für die nachhaltige Nutzung von Ressourcen überhaupt im Rahmen der entsprechenden internationalen Abbauregularien, der Bergbaurichtlinie, absehbar?

„Nachhaltig“ ist hier der falsche Begriff – es handelt sich um fossile Rohstoffe, die – wie gesagt – über Millionen Jahre gebildet werden. Es geht darum, verantwortungsvoll mit den Rohstoffen umzugehen und die einzigartigen und fragilen Ökosysteme in der Tiefsee zu schützen. Verpflichtende hohe Umweltstandards sind das eine, aber sie nützen nichts, wenn fern der Hoheitsgebiete von Staaten die Exekutive fehlt. Die ISA kann dies nicht leisten und viele beteiligte Staaten auch nicht.

Sind schon Technologien für einen wirtschaftlichen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee vorhanden?

Die aktuellen Gerätetests in der Clarion-Clipperton-Zone haben gezeigt, dass der Abbau technisch möglich ist. Die Kollektoren tragen die oberste bioaktive Schicht des Meeresbodens mit den Manganknollen ab und pumpen sie dann zur Produktionsplattform an der Meeresoberfläche. Die Frage ist allerdings: Lohnt sich der Abbau? Die derzeitigen Preise für Kobalt, Kupfer und Nickel tragen den Abbau nicht, das Mangan muss mit verkauft werden – nur so viel Mangan wird nicht benötigt. Die Firmen betonen selbst seit Jahren, dass mehr als vier Abbauoperationen den Weltmarkt mit Mangan überschwemmen würden. Mit so wenigen Abbauoperationen spielt Tiefseebergbau aber keine Rolle für den steigenden Bedarf an Kobalt und Nickel u.a. für die Energiewende – bei Kupfer sowieso nicht. Die Frage ist also: Sollen wir dafür großflächige und nachhaltige Schäden an einem bisher nahezu unberührten Ökosystem riskieren, deren Konsequenzen derzeit nicht vollständig abgeschätzt werden können? Bei der Antwort müssen diese Risiken gegenüber den sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen von Landbergbau und den derzeitigen Recyclingpraktiken abgewogen werden.

Was sind Manganknollen?
Manganknollen bedecken in wechselnden Mengen den Boden der Tiefseebecken, meist in Wassertiefen von 4.000-5.000 Metern. In den 1970-80iger Jahren gerieten sie als Rohstoffquelle ins Visier von Wissenschaft und Industrie – vor allem aufgrund ihres Gehalts an Buntmetallen (Kobalt, Kupfer, Nickel), der im Mittel etwa drei Prozent beträgt. Die Manganknollen bilden sich um kleine feste Kerne als dünne chemische Ausfällungen, die sowohl aus dem weichen Sediment wie auch dem Meerwasser gespeist werden. Im Laufe ihres sehr langsamen Wachstums (sie können durchaus 15 Millionen Jahre alt sein) entsteht ein konzentrisch-schaliger Aufbau aus vielen dünnen Wachstumslagen ähnlich einer Zwiebel. Sie gelten als ein Metall-Rohstoff der Zukunft, der besonders im zentralen Pazifik intensiv erforscht wird.

Das Interview führte Henning Kraudzun vom Forschungszentrum Jülich.