Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema „Fotoarchive - Kulturgut oder Handelsware?"

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema „Fotoarchive - Kulturgut oder Handelsware?"

In ihrer Rede thematisierte Staatsministerin Grütters die Frage der systematischen Bewahrung des fotografischen Kulturerbes in Deutschland. "Es liegt im Interesse der Allgemeinheit, die Nachlässe bedeutender Fotografinnen und Fotografen als bildhaftes Gedächtnis unserer Gesellschaft zu bewahren" sagte Grütters.

Montag, 1. Juli 2019 in Berlin

Herzlich willkommen zu unserer heutigen Diskussion über den Umgang mit dem Vermächtnis herausragender Fotografinnen und Fotografen! Eine bessere Vorberichterstattung für diese Veranstaltung hätte ich mir wahrlich nicht wünschen können: Kürzlich wurde bekannt, dass der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in diesem Jahr erstmals an einen Fotografen - an Sebastião Salgado - verliehen wird. Wenn es noch eines Belegs für die herausragende Rolle der Fotografie in unserer Gegenwart bedurft hätte - diese Nachricht wäre dafür bestens geeignet. „Er hat unsere Augen klüger gemacht“, war ein Kommentar dazu in der Berliner Zeitung überschrieben, und das gilt für alle herausragenden Fotografinnen und Fotografen: Sie machen unsere Augen klüger.

Klüger machen wird uns hoffentlich auch die heutige Diskussion, meine Damen und Herren. Die Frage eines angemessenen Umgangs mit den Vor- und Nachlässen herausragender Fotografinnen und Fotografen ist zwar nicht neu; denn Initiativen dafür gab es auch schon früher: Dennoch kann von einem systematischen Schutz des fotografischen Kulturerbes in Deutschland nach wie vor keine Rede sein. Die Fotografie hat - insbesondere im Vergleich zur Literatur - erheblichen Nachholbedarf. Während die Nachlässe etwa der Schriftstellerinnen und Schriftsteller schon seit Ende des 19. Jahrhunderts - seit der Gründung des ersten deutschen Literaturarchivs in Weimar - Aufnahme in einem dichten Netz nationaler, regionaler und lokaler, staatlicher wie teilweise auch privater Archive finden, ist der Umgang mit den Vor- und Nachlässen bedeutender deutscher Fotografinnen und Fotografen in jüngerer Zeit überhaupt erst zu einem kulturpolitischen Thema geworden. Ja, die Fotografie ist nicht nur eine vergleichsweise junge, sondern auch eine vielfach immer noch unterschätzte Kunstsparte - und das, obwohl die künstlerische wie auch die dokumentarische Fotografie „unsere Augen klüger macht“ und - im wahrsten Sinne des Wortes - das Gedächtnis unserer Gesellschaft abbildet. Hier geht es also nicht nur um die spezifischen Interessen einer Berufsgruppe, sondern um ein öffentliches Interesse: Es liegt im Interesse der Allgemeinheit, die Nachlässe bedeutender Fotografinnen und Fotografen als bildhaftes Gedächtnis unserer Gesellschaft zu bewahren. Darüber eine breite kulturpolitische Debatte zu führen, ist nicht nur deshalb wichtig, weil es viel über die Verfasstheit einer Demokratie aussagt, wie ein Land mit seinem kulturellen Erbe und mit dem Vermächtnis seiner großen Künstlerinnen und Künstler umgeht. Zur Diskussion über den Schutz und Erhalt des fotografischen Kulturerbes habe ich auch deshalb eingeladen, weil es sich dabei um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt - weil es also nicht die eine Instanz gibt, an die sich diese Herausforderung delegieren ließe.

Nur wenige Fotografen kümmern sich selbst um eine langfristige Sicherung ihres Archivs - vorbildlich zum Beispiel Michael Schmidt, dessen Bilder ich gerade erst in Rom in der Villa Massimo habe bewundern können. Hier wurde bereits 1999 die Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt gegründet. Die Museen - Sachverwalter des materiellen Kulturerbes - wiederum sind allein schon aus Gründen räumlicher Beschränktheit überfordert mit kompletten Künstlernachlässen. Sie verfügen in der Regel auch nicht über die finanziellen Mittel, die spezialisierten Kenntnisse und technischen Voraussetzungen, um mit dem hochsensiblen Material arbeiten zu können. Auch Kunsthändler und Galeristen eignen sich als Garanten für den Schutz des fotografischen Kulturerbes nur bedingt. Am Kunstmarkt wächst derzeit zwar das Interesse an Archiven und Nachlässen. Zahlreiche international agierende kommerzielle Galerien haben in kurzer Zeit bereits komplette Bestände bildender Kunst aufgekauft. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch fotografische Archive Ziel dieses Interesses werden. Doch damit droht Kulturgut von nationaler Bedeutung unwiderruflich verloren zu gehen. Hinzu kommt: Am Kunstmarkt ist der Marktwert eines Künstlers, einer Künstlerin entscheidend; doch schützenswert und bewahrenswert ist nicht nur das, was einen Marktwert hat. „Das ist häufig der Lauf der Avantgarden“, schrieb der Schriftsteller Martin Mosebach über eine der spät entdeckten und publizierten Schrift Gustave Flauberts, „- aus den ausweglosen Verzweiflungen missverstandener Einzelgänger geboren zu werden, um nach hundert Jahren in den Strom der offiziellen Kultur einzumünden.“ Ja, so mancher Künstler ist seiner Zeit voraus, so manches Werk erfährt erst spät die verdiente Anerkennung - das gilt nicht nur für die Literatur.

Kurz und gut: Es wird Zeit, dieses Thema endlich auf die bundeskulturpolitische Agenda zu setzen. Ich kann und will dem drohenden Verlust wertvollen Kulturgut jedenfalls nicht tatenlos zusehen; ich will und werde für eine zentrale Einrichtung eintreten, die das künstlerische Erbe herausragender deutscher Fotografinnen und Fotografen bewahrt. Natürlich sichern Einrichtungen des Bundes - zum Beispiel auch die AdK, in der wir heute beisammen sitzen - die Bestände herausragender Mitglieder; und erfreulich ist auch, dass das Museum für Fotografie hier in Berlin die wunderbaren Bestände der Kunstbibliothek präsentiert. Doch ist es nicht auch Aufgabe des Bundes, die künstlerische Fotografie, das Werk bedeutender Fotografinnen und Fotografen ebenso zu schützen wie Werke der Literatur oder der Musik?

In der Schweiz, in Frankreich, Österreich und in den Niederlanden haben sich längst nationale Einrichtungen für die Archive, Vor- oder Nachlässe zeitgenössischer Fotografinnen und Fotografen etabliert. Droht die Bundesrepublik Deutschland hier im internationalen Vergleich dazu den Anschluss zu verlieren? Könnte ein Institut für Fotografie dieses Defizit beheben? - …ein Institut, das systematisch Archive, Vor- oder Nachlässe herausragender deutscher Fotografinnen und Fotografen sammelt, das eine Spezialbibliothek zur Fotografie und ihrer Geschichte einrichtet, das Ausstellungen ermöglicht und eventuell interdisziplinäre und internationale Forschungsprojekte anregt und realisiert?

Das sind Fragen, die ich heute in der Hoffnung auf Rat und Unterstützung an unser hochkarätig besetztes Panel richten möchte. Warum diese Fragen so wichtig sind, hat ein Dichter - Durs Grünbein - in treffende Worte gefasst, ich zitiere: „Nur Photographie vermag das in solcher Deutlichkeit und Differenziertheit: Zivilisation in lauter lebendigen Tableaus auf den Punkt zu bringen. Gute Photographie versetzt uns in einen Zustand dauernder visueller Alarmbereitschaft, sie arbeitet an einem Gefühl für die Kostbarkeit des gemeinsamen Augenblicks“ Dafür, meine Damen und Herren, sollten wir der zeitgenössischen Fotografie den Rang einräumen, der ihr unter den anderen Kunstsparten gebührt. Ich hoffe, dass die heutige Veranstaltung dazu beiträgt und freue mich auf eine angeregte Diskussion und inspirierende Debattenbeiträge.