Rede von Kulturstaatsministerin Roth anlässlich der Eröffnung der Ostspange des Humboldt Forums

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− Es gilt das gesprochene Wort −

Wer etwas eröffnet, ein neu errichtetes Gebäude, eine neu gegründete Institution, tut das in der Regel mit einem Stoßseufzer: Es ist vollbracht. Das Haus steht, das Dach ist dicht und alles ist an seinem Platz.
In unserem Fall ist das ein wenig anders. Wir können sagen, das Haus steht, das Dach ist dicht, aber die Arbeit – im und am Gebäude – sie beginnt jetzt. Nicht, weil bisher nichts getan und geleistet wurde. Es wurde viel getan und Großes geleistet. Doch genau diese Arbeit und alle, die sie getan haben, verlangen danach, sie fortzusetzen. Jetzt wird aus dem Humboldt Forum als Gegenstand von Debatten das Humboldt Forum: ein Ort der Debatten. Das hoffe ich und mit mir alle Verantwortlichen.

Jetzt, nach der Eröffnung des Ostflügels, nach dem die Arbeit, die gemeinsam mit unseren internationalen Partner:innen geleistet wurde, auch Ihnen, dem Publikum, als eine Sammlung sichtbar und zugänglich ist, wird aus dem Expertenstreit, der Kontroverse unter Historiker:innen und Kunsthistoriker:innen, Architekturkritiker:innen und Ethnolog:innen, eine öffentliche Debatte – eine weltoffene, grenzüberschreitende Auseinandersetzung mit den Ausstellungsobjekten, mit ihrer Geschichte, mit ihrer Herkunft und Vermittlung und schließlich auch mit der Geschichte des Ortes, an dem wir sie heute sehen. 

Wir wollen diesen Aufbruch nutzen, um in einem nächsten Schritt auch die internen Organisationsstrukturen dieser Institution weiter zu verbessern und uns im Zuge der Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch das Humboldt Forum als Institution genauer ansehen. Ich glaube, hier kann man zum Wohle aller Beteiligten engere und bessere Formen der Governance finden.

Diese Eröffnung ist ein spannender, auch ein spannungsgeladener Moment. Ich bin hierhergekommen als verantwortliche Staatsministerin für Kultur, aber auch als Bürgerin, die überzeugt werden will und die überzeugt werden muss, von der Idee, in einem rekonstruierten Herrschaftsbau des 18. Jahrhunderts eine Kunstsammlung zu präsentieren, die zu Teilen aus kolonialen Kontexten eben dieses Herrscherhauses stammt. Als Kulturstaatsministerin weiß ich aber auch, dass in den vergangenen Jahren viel dafür getan wurde, mich und andere von dieser Idee „in progress“ zu überzeugen, und dieses Haus zu einem Ort der kritischen und vor allem der selbstkritischen Auseinandersetzung mit dem Erbe des Kolonialismus zu machen.
Es wurden Antworten gegeben auf Fragen nach der Herkunft der Exponate, nach ihrer Präsentation und nach der Rückgabe an die Nachfahren ihrer rechtmäßigen Besitzer:innen. Aus den Kontroversen um dieses Haus ist manches entstanden. Kunst will genau das. Jede Präsentation von Kunst stellt Fragen. Was gezeigt wird, will nicht nur Staunen und Bewunderung auslösen, es verlangt nach Kritik und Auseinandersetzung. 

Und auch wie etwas gezeigt wird, ist Gegenstand der Kritik. Reaktionen wie die „Luf-Passion“ von Volker Braun sind Resultate dieser kritischen Auseinandersetzung. Und überaus gelungene dazu. Gefragt sind aber auch unsere Reaktionen, die Reaktion all derer, die in dieses Haus kommen und seine Ausstellungen sehen wollen. Ich weiß, diese Sammlungen haben durchaus nicht alle einen kolonialen Kontext. Aber dass gerade diese Exponate im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ist nicht etwa ein unglücklicher Umstand. Es ist ein Erbe unserer Vergangenheit. Es ist wichtig und notwendig. Es fordert uns heraus. Was wir künftig in diesem Haus sehen werden, zwingt uns, uns zu diesem Erbe, zu unserer Geschichte zu verhalten. Umso mehr, weil wir nicht nur aufgefordert sind, uns unserer kolonialen Vergangenheit zu stellen, sondern auch ihrer Gegenwart. 

David van Reybrouk hat uns, den Europäer:innen, beim Internationalen Literaturfestival Berlin eindrucksvoll ins Gewissen geredet. Selbst wenn wir die verhängnisvolle Geschichte des Kolonialismus mustergültig aufgearbeitet hätten, sagt van Reybrouk, hätten wir noch nichts an der dramatischen Art und Weise geändert, mit der wir heute, die Zukunft kolonialisierten, indem wir Ressourcen ausbeuteten, das Klima ruinierten und die Lebensgrundlagen auch und vor allem in den Ländern des globalen Südens zerstörten.
Vor wenigen Tagen traf ich beim Treffen der G20-Kulturminister in Indonesien die Kulturministerin Fidschis. Sie berichtete mir mit Tränen in den Augen von der dramatischen Situation der pazifischen Inselstaaten, berichtete vom Verlust von Heimat, wenn Inseln untergehen, vom Verlust von Identität, wenn hunderte Dörfer umgesiedelt werden müssen, wenn Menschen die wie ihre Vorfahren Fischer waren, jetzt Bauern werden müssen. Und dann sagte sie zu mir, retten Sie wenigstens unsere Kinder. Wir haben doch nichts beigetragen zu dieser Überlebenskrise.

Ich frage mich: Hätten wir tatsächlich schon vor Jahrzehnten begonnen, uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, würden wir uns heute nicht anders verhalten? Wären wir nicht weniger selbstgewiss? Und würden wir nicht weniger selbstverständlich Anspruch auf die Lebensgrundlagen anderer erheben? Ich denke, van Reybrouk hat die Frage, welche Rolle die Vergangenheit bei der Bewältigung der Gegenwart spielt, beantwortet, wenn er sagt, die Menschheit werde den Herausforderungen der Zukunft nur dann begegnen können, wenn die Vergangenheit nicht mehr schmerze. Ob die Erinnerung an die Vergangenheit je wirklich schmerzfrei sein könnte, ist eine andere Debatte. Wichtig ist aber, dass wir lernen, mit diesem Schmerz konstruktiv und in die Zukunft gerichtet umzugehen.

Dekolonialisierung bezeichnet eben nicht allein den Ablösungsprozess ehemaliger Kolonien von ihren Kolonialmächten. Die gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen dieses Prozesses wirken nicht nur in den ehemaligen Kolonien selbst. Van Reybrouk versteht Dekolonialisierung als einen Heilungsprozess. Er fordert eine „Entkolonialisierung“ des Geistes. Als globalisierte Gesellschaften, als Menschheit, sind wir alle dazu aufgefordert. Vor einigen Jahrzehnten hätte ich noch anfügen können: oder wir entziehen künftigen Generationen die Lebensgrundlagen. Heute muss ich sagen: oder wir zerstören uns selbst. Volker Braun lässt in seinem Gedichtzyklus „Luf-Passion“ die Bewohner dieser Insel erzählen, was der Beutezug der Kolonialherren ihnen genommen hat. Es ist eine Mahnung auch an uns:

Wir liefen den Strand lang, wo sind
Unsere Seelen, die uns heilig sind
Nämlich auch der Schatten
Auf dem Sand ist heilig.
Alles was der Mensch
Berührt, ist sein Spiegel.

„Alles, was der Mensch berührt, ist sein Spiegel.“ Diese Zeile beschreibt alles Große und Schöne des Menschlichen ebenso wie seine Abgründe. Es ist ein Satz, mit dem man durch dieses Haus gehen kann.

Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, aus diesem Schloss eine Werkstatt werden zu lassen, eine Universität, ein Museum, ein Veranstaltungs- und Aktionsraum. Sie soll und wird, und sie muss dem demokratischen weltoffenen Austausch und der Begegnung dienen. Ich freue mich, dass u. a. Künstler:innen aus Tansania uns in einer Performance mit tansanischen Masken die eigentliche, spirituelle Rolle dieser Objekte erleben lassen und damit auch, was ihnen verloren gegangen ist.

Mein großer Dank geht an alle Anwesenden und nicht Anwesende, die diese Ausstellungen und diesen Tag, diese Eröffnung möglich gemacht haben.