Rede des Kanzlers bei der Verbandstagung der chemischen Industrie
Bundeskanzler Scholz hat beim Chemie & Pharma Summit 2024 die Bedeutung der Forschung für die Weiterentwicklung der Industrie betont. Lesen Sie hier, welche Rolle die chemische Industrie für Deutschlands Erfolg spielt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in Berlin bei der Verbandstagung der chemischen Industrie teilgenommen. In seiner Rede sprach der Kanzler die Erfolgsbedingungen der Branche und die neue Chemie-Strategie der Bundesregierung an.
Die Politik unterstützt die Branche mit Bürokratieabbau, einer ausgeweiteten Forschungszulage und leichterem Zugang zu Risikokapital. Als Teil ihrer Wachstumsinitiative will sie damit weitere private Investitionen anregen, gerade auch in Forschung und Entwicklung.
Das Wichtigste in Kürze:
- Entwicklung ist wichtig für die Industrie: In Deutschland investieren Unternehmen und Staat mehr als 120 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Das ist prozentual mehr als in jeder anderen Volkswirtschaft Europas und Basis des Erfolgs. Die Bundesregierung hat die steuerliche Forschungszulage verbessert. Ab 2025 beträgt die maximale Zulage für kleinere und mittlere Unternehmen 4,2 Millionen Euro.
- EU-Umweltpolitik pragmatisch weiterentwickeln: Die PFAS- und REACH-Verordnungen sind EU-Vorschriften. PFAS – heißen Ewigkeitschemikalien, weil sie sich in der Umwelt nicht abbauen und teilweise giftig sind. Es gibt für viele von ihnen aber noch keinen Ersatz – das ist Aufgabe zukünftiger Forschung. Wo der Einsatz von PFAS schädlich ist und es Alternativen gibt, sollen sie verboten werden. Wo der Nutzen überwiegt und keine Alternativen existieren, muss der Einsatz mit Übergangsfristen und Ausnahmen möglich bleiben, zum Beispiel bei Medizinprodukten, Halbleitern oder Elektrolyseuren.
- Chemie-Strategie stärkt Standort Deutschland: Der Chemiegipfel im Kanzleramt vor einem Jahr hat fünf wichtige politische Ansätze ergeben. Die Bundesregierung lehnt ein Totalverbot ganzer chemischer Stoffgruppen ab. Sie verringert bürokratische Hürden und fördert Kreislaufwirtschaft und Forschung. Zudem stärkt sie die MINT-Bildung in der Schule. Die energieintensiven Industriezweige entlastet sie bei den Energiepreisen mit der Verlängerung der Strompreiskompensation bis 2030, der Senkung der Stromsteuer und setzt sich für weiterhin bezahlbare Netzentgelte ein.
- Pharma-Strategie wirkt: 2023 hat die Pharmaindustrie 95 Milliarden Euro erwirtschaftet und Milliarden in den Standort Deutschland investiert.
Der Verband der Chemischen Industrie e. V. vertritt die Interessen von rund 2.300 Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Rede:
Sehr geehrter Herr Steilemann, ich habe gehört, dass Sie heute Vormittag erneut zum Präsidenten des VCI gewählt wurden. Dazu kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!
Sehr geehrter Herr Große Entrup,
liebes VCI-Präsidium,
liebe Birgit Biermann,
liebe Katja Scharpwinkel,
meine Damen und Herren,
Chemie ist der Anfang von allem. Wenn man sich das einmal bewusst macht, dann wird sehr klar, warum wir heute hier sind. Ohne die Chemie gäbe es kein Leben. Ohne die Chemie gäbe es aber auch keine Industrie. Aus der Grundstoffindustrie entstehen alle Autos, die wir fahren, alle Maschinen, die wir exportieren, Mikrochips, Polymere und Arzneimittel. Deshalb ist die Chemieindustrie Basis unseres Erfolgs als Industrienation.
Unsere Industrie ist erfolgreich, weil sie sich ständig weiterentwickelt. Vor drei Wochen war ich in Marl bei Evonik. Wir haben uns die Rheticus-Anlage gemeinsam angeschaut. Sie nutzt CO2 als Rohstoff für Spezialchemikalien. Das heißt, man braucht weniger fossile Rohstoffe, wenn man die Spezialchemikalien herstellt.
Das zeigt zweierlei. Erstens: Chemie ist als klimafreundliche Produktion in unserem Land möglich, nicht nur bei uns, sondern auch auf der ganzen Welt. – Zweitens: Forschung wirkt.
Das Rheticus-Projekt ist Teil der Kopernikus-Projekte, einer der großen Forschungsinitiativen für die Energiewende. Sie zeigt, dass sich gute Ideen aus der Forschung mit der Industrie zusammen schnell in konkrete Produkte umwandeln lassen.
Auf dieses Tempo kommt es an. Unternehmen und Staat investieren in Deutschland mehr als 120 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Das ist auch prozentual so viel, wie es keine andere der großen Volkswirtschaften Europas tut. Das ist und bleibt die Basis unseres Erfolgs. Wenn manchmal gefragt wird, warum eigentlich Deutschland so große Exporterfolge hat, dann kann man viele Gründe nennen, aber der hohe Anteil an Forschung und Entwicklung ist die zentrale Grundlage dafür. Wenn man in anderen Nationen manchmal darüber diskutiert, woher diese Exporte kommen und ob wir irgendwas falsch machen, dann ist die Antwort: Das muss überall so sein.
Vielleicht darf ich den Vergleich hier noch anführen, der mich immer umgetrieben hat: Wenn man sich die Rangfolge der Nationen in der Welt und ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung anschaut, dann stellt man fest, dass die USA und China und dann immer Japan und Deutschland kommen. Würde aber überall in der Europäischen Union so viel von der Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie in Deutschland, wäre Europa vornan. Aber das ist nicht der Fall. Deshalb ist es schon etwas ganz Besonderes, dass das bei uns so ist, und deshalb ist es auch unsere zentrale Aufgabe, dass wir das für die Zukunft weiterhin möglich machen.
Deshalb haben wir die steuerlichen Forschungszulagen verbessert und ausgeweitet. Gerade erst haben wir die maximale Zulage noch einmal erhöht, jedenfalls als Gesetzesantrag der Bundesregierung, auf 4,2 Millionen Euro pro Jahr für kleine und mittlere Unternehmen, die ja gerade die Chemiebranche in Deutschland so sehr prägen. Es ist wichtig, dass das bald in Kraft tritt.
Aber ich kenne auch Ihre aktuelle Studie, die zeigt, dass deutsche Chemieunternehmen ihre Forschung verstärkt auch in anderen Ländern etablieren. Als Gründe geben sie niedrige Kosten, bessere Förderprogramme und weniger Bürokratie als in Deutschland an. Zum Bürokratieabbau hier in Deutschland, von dem seit vielen Jahrzehnten immer wieder gesprochen wird und über den Sie viele Politikerreden gehört haben, ohne dass sich für Sie das Gefühl einstellte, dass da was passiert ist, komme ich gleich noch. Da wir zum Glück einen großen Binnenmarkt haben, regeln wir vieles gemeinsam in Brüssel, zum Beispiel PFAS und die REACH-Verordnung. Darüber muss ich hier sprechen.
PFAS sind als Ewigkeitschemikalien bekannt, weil sie sich in der Umwelt nicht abbauen, zum Teil giftig sind und damit ein Problem, was übrigens, denke ich, niemand infrage stellt. Für viele von ihnen gibt es aber noch keinen Ersatz. Deshalb ist Ihre Forschung an Innovationen und Alternativen für PFAS so wichtig, meine Damen und Herren.
Ein undifferenziertes Totalverbot dieser ganzen chemischen Stoffgruppen lehnen wir aber ab. Dort, wo der Einsatz von PFAS schädlich ist und es bessere Alternativen gibt, sollten die Stoffe verboten werden. Dort, wo es noch keine Alternativen gibt und ihr Nutzen überwiegt, muss ihr Einsatz möglich bleiben, etwa bei Medizinprodukten, bei Halbleitern oder bei Elektrolyseuren. Bis es Alternativen gibt, brauchen wir deshalb Übergangsfristen und Ausnahmen. Auch wichtig ist uns – das ist Konsens in der Bundesregierung –, dass bei der Novelle der REACH-Verordnung der risikobasierte Ansatz beibehalten werden soll. Auch das ist eine Forderung von Ihnen, und wir bekennen uns sehr klar dazu. Sowohl bei REACH als auch bei PFAS setzen wir uns für eine praktikable und ausgewogene Regulierung für Sie ein. Darauf können Sie sich auch für die Zukunft verlassen. In den Brüsseler Dschungeln ist es ja wichtig, dass man einen klaren Kompass hat.
Eines ist klar: Die Industrie braucht Planungssicherheit. – Die Bundesregierung wird deshalb mit Ihnen dazu auch seitens des Bundeskanzleramts im Gespräch bleiben, so wie wir es die ganze Zeit schon sind.
Deutschland ist ein zentraler Standort für die Chemieindustrie in der Welt. Ich will, dass das so bleibt. Deshalb habe ich vor einem Jahr zum Chemiegipfel ins Kanzleramt eingeladen. Wir haben miteinander gesprochen, große Chemieunternehmen und KMU, Verbände und Gewerkschaften, ausgewählte Bundesländer sowie die relevanten Ministerien der Bundesregierung. Das Treffen war der Auftakt für ein Jahr inhaltlicher Arbeit. Das ist getan. Deswegen freue ich mich, dass hier heute ein paar Worte zur Chemiestrategie gesagt werden können, mit der wir den Chemiestandort stärken wollen. Allen, die daran mitgearbeitet haben, sage ich an dieser Stelle aber erst einmal für ihre fachliche Expertise, für ihren Input und für all das Engagement vielen Dank. Ohne das wäre es nicht gegangen. Danke für die Arbeit!
Aus meiner Sicht gibt es fünf wichtige Ergebnisse. Wir lehnen ein undifferenziertes Totalverbot chemischer Stoffgruppen ab. Zu PFAS habe ich gerade erklärt, warum wir das richtig finden. Wir bauen bürokratische Hürden ab. Wir fördern die Kreislaufwirtschaft und die Forschung an Innovationen. Wir stärken ‑ auch das ist ein Thema, über das wir viel gesprochen haben – die MINT-Bildung in der Schullaufbahn für die Fachkräfte, die wir in der Zukunft brauchen. Denn es ist zentral, dass wir immer genügend Frauen und Männer haben, die sich in diesen Bereichen betätigen wollen. Fünftens haben wir die Strompreiskompensation bis 2030 verlängert, was wichtig war, abgesichert ist und für Planungssicherheit zentral ist, und werden uns gegenüber der Europäischen Kommission dafür einsetzen, dass noch weitere Bereiche der Wirtschaft entlastet werden können. Denn wir müssen uns das für eine solche Ausnahme jeweils gewissermaßen genehmigen lassen. Wir haben ganz genau geschaut, in welchem Bereich es Unternehmen gibt, bei denen man nicht so richtig weiß, warum sie nicht auch selbst davon profitieren dürfen. Das alles nützt einem energieintensiven Industriezweig wie der Chemie ganz besonders. Denn auch wenn Studien dazu unterschiedliche Ergebnisse liefern, liegt es auf der Hand, dass Ihr Strombedarf steigen wird.
Zudem werden wir uns dafür einsetzen, dass Unternehmen, die ihren Stromverbrauch nicht flexibilisieren können, auch weiterhin bezahlbare Netzentgelte haben. Das ist ein zentrales Thema, dessen Dringlichkeit wir sehr gut verstanden haben und worüber wir viel diskutieren. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass das möglich ist. Deshalb streben wir auch eine beihilfekonforme Verlängerung der Regelung – jetzt wird es ganz technisch – des Paragraf 19 Absatz 2 der Stromnetzentgeltverordnung an. Ich bin so präzise, weil hier viele Fachleute sitzen, die genau wissen, worum es geht. Die Öffentlichkeit muss es dann akzeptieren, dass über so ein Detail geredet wird. Es ist wichtig. Wir wollen die Entlastungswirkung möglichst verlängern. Es ist notwendig. Wir haben diese Industrie, und wir wollen sie, und deshalb müssen die Bedingungen dafür auch stimmen. Mit der Strompreiskompensation und der Senkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum können Ihre Unternehmen nun langfristig planen.
Zur langfristig sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung gehören auch die erneuerbaren Energien. Wir sehen Zuwachsraten, die vor zwei Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung schon bei über 60 Prozent. 80 Prozent sollen es 2030 sein. Es ist also gar kein Wunschdenken, dass wir tatsächlich dahin kommen, und zwar – das muss immer dazugesagt werden – bei steigender Stromproduktion.
Richtig Tempo ist auch in den Netzausbau gekommen. Von den 14.000 Kilometern an neuen Stromleitungen, die bisher gesetzlich vorgeschrieben sind, ist inzwischen über ein Drittel im Bau oder genehmigt. Verglichen mit Ende 2019 haben wir die Ausbauzahlen verdoppelt. Das ist erst der Anfang. Denn wir lassen uns von dem Ergebnis gesetzgeberischer Entbürokratisierungskonsequenzen ermutigen, weiterzumachen, um zu versuchen, dass Dinge schnell genehmigt werden können und wir das Tempo erreichen, das wir brauchen.
Tempo ist überhaupt entscheidend, und mehr Tempo brauchen wir eben auch bei der Modernisierung unserer Industrie. Der Umbau hin zu einer klimafreundlichen Produktion ist ganz bestimmt die größte Veränderung unserer Wirtschaft seit Beginn der Industrialisierung ‑ kleiner kann man das, glaube ich, nicht formulieren, und deshalb muss es auch so gesagt werden. Deshalb werden wir unseren Unternehmen in diesem Aufbruch beiseitestehen und es so leicht wie möglich machen. Dafür bauen wir, wie schon gesagt, bürokratische Hürden ab.
Wer schon einmal mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu tun hatte, der weiß: Es hält, was sein komplexer Name verspricht. Dabei geht es um etwas ganz Zentrales, nämlich um die Modernisierung von Industrieanlagen, um Energieversorgung, um die Genehmigung klimafreundlicher Anlagen und Maschinen oder um Elektrolyseure, die wir zur Wasserstoffproduktion brauchen – und viele, viele andere Produktionstätigkeiten ohnehin. Für all das braucht man imissionsschutzrechtliche Genehmigungen.
Mit dem bisherigen Tempo und Prüfaufwand bekommen wir und unsere Ämter das beim besten Willen nicht hin. Ich habe mir die Sachen einmal angeguckt: Wenn man das hochrechnet, würden wir keine der Ziele, die wir haben, tatsächlich erreichen, und die Verwaltungen, die sich damit beschäftigen, sind schon jetzt am Limit. Deshalb haben wir gerade die größte Reform des Bundes-Immissionsschutzgesetzes seit 30 Jahren beschlossen ‑ ganz bewusst mit diesem Ziel der Beschleunigung und der Vereinfachung. Vor allem ist das die erste Reform, die nicht noch irgendwelche Regelungen draufpackt – ich glaube, das ist eine alte Forderung von Ihnen –, sondern die Dinge einfacher macht.
Mit den Ländern haben wir einen Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung beschlossen, dessen Umsetzung läuft. Wir haben uns auch verpflichtet, bei EU-Regeln nicht immer nur noch draufzusatteln, sondern sie eins zu eins umzusetzen. Das gilt übrigens auch für die europäische Lieferkettenrichtlinie, die wir jetzt so umsetzen, wie wir sie haben, und wo wir die Entlastungswirkung, die das bei der Angleichung des europäischen „level playing field“ jetzt mit sich bringen kann, auch tatsächlich schnell nutzbar machen wollen. Mit Ihnen, den Unternehmerinnen und Unternehmern, arbeiten wir eng zusammen, damit wir weiterhin qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt zu uns holen können.
All das sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Deutschland ein starker Chemiestandort bleibt. Ich bin zuversichtlich, dass von unserer neuen Chemiestrategie ähnliche Impulse ausgehen werden wie von der Pharmastrategie, die einige wegen der Nähe der Unternehmen ja auch ganz gut kennen. Die wirkt nämlich; denn die Unternehmen finden die Pharmastrategie nicht nur gut und das Bekenntnis zum Pharmastandort wichtig, sondern sie sind froh über weniger Bürokratie und schnellere Genehmigungen.
Hierbei hat sich auch ein großes Umfeld geboten hat, um neue Möglichkeiten zu nutzen – etwa die Nutzbarmachung von digitalen Daten, die wir in unserem Gesundheitswesen haben, für die Forschung. Wir haben den größten Datenschatz der Welt für die Forschung von Pharmaunternehmen geöffnet. Das ist etwas, was alle anderen Länder jetzt neidisch betrachten und was für die Dinge eine große Hilfe ist.
Wir haben außerdem eine Pharmastrategie, eine Medizinforschungsstrategie auf den Weg gebracht, die es jetzt möglich macht, dass viele, viele Genehmigungsprozesse viel leichter sind. Ich bin irritiert gewesen, als ich gehört habe, dass manche 50 Ethikkommissionen bemühen müssen, um ihre jeweiligen Forschungen durchzubringen und dass alles so lange dauert. Ich habe das mit anderen Ländern verglichen und habe mir von vielen von ihnen Briefe schreiben lassen mit ganz konkreten Forderungen, wie man das ändern kann, und was man im Einzelnen machen muss, um Tempo hinzubekommen und die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Für mich ist das dann auch eine große Ermutigung; denn wir sehen, dass diese beiden Dinge – zum einen die Öffnung des Datenschatzes für die Forschung und zum anderen die Medizinforschungsstrategie, die Pharmastrategie ‑ mit der Erleichterung von Rahmen- und Genehmigungsbedingungen dazu geführt haben, dass jetzt fast ohne Subventionen – ich hätte sogar hundert Prozent sagen können, es sind aber nur 98 Prozent, glaube ich – milliardenschwere Investitionen in den Pharmastandort Deutschland stattfinden. Das ist ein großer Fortschritt, für den wir lange gearbeitet haben. Und ich freue mich deshalb immer über die vielen Einladungen zu den Spatenstichen für neue Fabriken in Deutschland; denn die Greenfield-Investitionen in diesem Bereich sind schon sehr beeindruckend, und davon wünsche ich mir mehr – auch für die gesamte Chemiebranche.
Um das noch einmal bei der Pharmaindustrie zu sagen: Das Vertrauen hat dazu geführt, dass die Pharmabranche in den vergangenen Jahren 95 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung erwirtschaftet hat, und die Unternehmen beschäftigen mehr als eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Das ist wichtig. Es wird investiert in neue Hightech-Standorte, und dort entstehen viele neue zusätzliche Arbeitsplätze.
Mit unserer Wachstumsinitiative, die die Bundesregierung jetzt auf den Weg gebracht hat, setzen wir Anreize für private Investitionen und einen leichteren Zugang zu Risikokapital – damit nicht nur die guten Ideen aus Deutschland kommen, sondern es auch gelingt, dass wir hier wachsen und hier Geld verdient wird. Das ist übrigens ein Thema, das mich umtreibt; denn ich habe mir einmal Zahlen für ganz Europa angeschaut und festgestellt, dass das kein deutsches Problem ist, sondern dass das ein europäisches Thema ist: Was wird eigentlich aus den Unternehmen, die aus kleinen Größenordnungen wachsen, den „unicorns“, wie das so gesagt wird? Eine Statistik hat uns gesagt: Von 120 europäischen „unicorns“ sind wegen der besseren Finanzierungsbedingungen 40 in die USA gegangen. Das hat nicht mit staatlicher Tätigkeit zu tun, aber das hat mit der Frage zu tun: Wie bekommen wir eigentlich das viele Geld, das in Europa vorhanden ist, in unternehmerische Investitionen übertragen, damit in die Unternehmen hereingegangen wird und sie wachsen?
Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass das gesetzgeberisch möglichst alles funktioniert, und dass wir alles dafür tun, damit das, was für Europa und damit auch für uns in Deutschland zentral ist, wirklich gelingt, nämlich dass nicht nur weiter viele Reden zum Bürokratieabbau gehalten werden, sondern dass das jetzt tatsächlich mit Tempo und Planungsbeschleunigung vor sich geht und wir das auch hinbekommen – man sieht die Erfolge, und wir machen weiter. Das gilt aber auch mit Blick auf die lange Rede über Banken und Kapitalmarktunion: Wir brauchen einen Unterschied zu dem, was wir heute in Europa vorfinden und was das eine Kernelement der Wachstumsschwäche Europas zum Beispiel im Vergleich zu den USA ist, nämlich dass wir einen mit weniger Eigenkapital ausgestatteten Kapitalmarkt haben, wo weniger durch Eigenkapital und durch Aufstockung der Beteiligung an Unternehmen investiert wird und wo weniger über Eigenkapitalwachstum finanziert wird. Wir sind vielmehr sehr auf die Kreditfinanzierung durch Banken ausgerichtet. Das ist etwas, was wir ändern müssen. Das können wir nicht alleine ändern, aber das hat jetzt die höchste Priorität, damit wir hier in Europa und gerade auch in Deutschland alle Wachstumschancen ausnutzen können. Das ist ein gemeinsames Vorhaben mit dem französischen Präsidenten, und auch die Kommissionspräsidentin hat es sich auf die Agenda gesetzt. Jetzt muss aus den vielen, vielen Reden, die dazu gehalten werden sind, endlich einmal etwas folgen, das man als Tat übersetzen kann.
Meine Damen und Herren, wer etwas voranbringen will, der muss das hier in Deutschland tun wollen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein, und dafür stellen wir politisch die Weichen. Dazu gehören die Chemie- und Pharmastrategie, die Wachstumsinitiative und auch die Strompreiskompensation – ich habe das alles gerade erwähnt. Wir brauchen aber natürlich auch Mut, Unternehmensgeist und Zuversicht.
Und noch etwas müssen wir unbedingt verteidigen: unsere Weltoffenheit, die Populisten ganz rechts und ganz links außen immer deutlicher infrage stellen. Sie haben dazu Ende des letzten Jahres in einem Gastbeitrag in der „WELT“ klare Worte gefunden, Herr Große Entrup. Das ist wichtig, denn wir sind ein Exportland, das von einer vernetzten Weltwirtschaft profitiert. Allein der europäische Binnenmarkt beschert uns in Deutschland jedes Jahr einen Wohlstandsgewinn von 1.000 Euro pro Kopf. Ich setze mich dafür ein, dass wir aktiv für neue Freihandelsabkommen international werben und dass der Stillstand, der in den letzten Jahrzehnten in Europa stattgefunden hat, ein Ende findet. Ich habe das bei einer Veranstaltung einmal so gesagt – und wiederhole das hier gerne –: Wir haben die Kompetenz zum Abschluss von Handelsverträgen nicht an die Europäische Union abgegeben, damit keine mehr abgeschlossen werden, sondern weil wir uns davon das Gegenteil erwartet haben. Das muss jetzt auch endlich so werden.
Ich habe jetzt mit einigen europäischen Staatschefs einen Brief an die neue alte Kommissionspräsidentin geschrieben und sie gebeten, das voranzutreiben. Wir haben uns auch eine Strategie überlegt, an der wir hier in Deutschland auch intensiv arbeiten, wie wir es eigentlich hinbekommen, dass nicht immer einzelne Länder diese Abkommen aufhalten können und die Ratifizierung so lange dauert. Da gibt es Wege, und wir müssen uns einfach trauen, hier neue Wege zu beschreiten, damit das passiert. Die Bedeutung Europas kann nur dadurch gewahrt bleiben, dass es mit aller Welt Handel treibt und dass es die Möglichkeiten nutzt, die es mit seiner eigenen Stärke hat. Das soll dann auch durch solche Verträge unterstrichen werden.
Meine Damen und Herren, wir sind eine Wirtschaft, die von Investitionen aus dem Ausland profitiert, und eben auch von Frauen und Männern hier bei uns in Deutschland – auch das gehört zur Weltoffenheit dazu. Wer etwas anderes behauptet, wer Unternehmen wünscht, dass sie scheitern, weil sie sich für Offenheit und Toleranz einsetzen, wer Deutschland aus politischem Kalkül schlechtredet, der hat mich als seinen härtesten Gegner – und ich weiß mich da mit dem VCI in guter Gesellschaft.
Viel Erfolg für den Chemie & Pharma Summit und gute Gespräche! Alles Gute!