Strategie für wehrhafte Demokratie beschlossen
Menschen für demokratische Teilhabe gewinnen und extremistischem Gedankengut vorbeugen: Das sind zwei Ziele aus der Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“, die die Bundesregierung beschlossen hat.
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Gewalttätige Übergriffe auf Politikerinnen und ihre Helfer sowie auf Beschäftigte von Feuerwehr und Rettungsdiensten; eine Zunahme von extremistischen Handlungen; Desinformationskampagnen und Cyberangriffe auf staatliche Stellen: Mit solchen Aktivitäten versuchen die Feinde der Demokratie, diese zu schwächen und zu destabilisieren. Besonders im digitalen Raum werden Hass und antidemokratische Einstellungen mannigfaltig verbreitet und zum Teil sogar als mehrheitsfähig wahrgenommen.
Um die Demokratie vor solchen Angriffen zu schützen, hat die Bundesregierung am Mittwoch die Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ verabschiedet. Durch sie soll die Demokratie von innen heraus gestärkt werden. Gleichzeitig will sie die demokratiegefährdenden Entwicklungen in Bezug auf Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit noch effektiver begegnen. Die Strategie zeigt auf, wie präventive Maßnahmen der politischen Bildung, Demokratieförderung und Extremismusprävention mit repressiven Maßnahmen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden politisch-strategisch ineinandergreifen können.
Faeser: Unsere Demokratie ist unter Druck
Im Rahmen einer Pressekonferenz stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Strategie in Berlin vor. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse und dem 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes gelte es, die Demokratie zu schützen, sagte die Bundesinnenministerin. Ein Höchststand der politischen Kriminalität sei zu verzeichnen, „diejenigen, die in unserer Gesellschaft Wut und Hass sähen, sind lauter geworden,“ so Faeser. Sie machte außerdem deutlich, dass mit der gemeinsamen Strategie viele Maßnahmen der Bundesregierung gebündelt und so ausgerichtet werden, dass den aktuellen Bedrohungslagen begegnet werden kann. „Unsere Linie bleibt Prävention und Härte gegen alle Formen des Extremismus“, so Faeser.
Staatsministerin und Antirassismusbeauftragte Reem Alabali-Radovan betonte zum Beschluss der Strategie, „Demokratie fördern heißt Rassismus bekämpfen. Das eine geht nicht ohne das andere“. So seien die Förderung von Demokratie und die Bekämpfung von Rassismus zwei Seiten einer Medaille. Wie eine Gesellschaft mit ihren vulnerablen Gruppen umgeht, ist laut der Staatsministerin immer auch ein Gradmesser für die demokratische Kultur des Zusammenlebens, die Verfasstheit einer Demokratie.
Umsetzung des Koalitionsvertrags
Mit der Strategie führt die Bundesregierung zwei wichtige Vorhaben (Strategie gegen Extremismus und Strategie für gesellschaftlichen Zusammenhalt) aus dem Koalitionsvertrag zusammen und setzt diese um.
Die Bundesregierung konzentriert sich dabei neben zentralen sicherheitspolitischen und -behördlichen Aspekten von Beobachtung und Repression auf diejenigen gesellschaftspolitischen Ziele und Handlungsschwerpunkte, die spezifisch auf die Förderung von demokratischem Engagement und Zusammenhalt zielen.
Die Strategie umfasst fünf Ziele zur Demokratiestärkung:
So statuiert die Strategie klar und deutlich, dass jeder Mensch diskriminierungs- und vorurteilsfrei akzeptiert und gleichbehandelt werden soll. Denn Vielfalt bringt eine Gesellschaft voran und wo Menschen mit verschiedenen Familiengeschichten und Lebensentwürfen zusammenkommen, entstehen Reibungspunkte, aber auch Inspiration. Damit wird (gesellschaftliche) Vielfalt auch zu einem Innovationsmotor für die Wirtschaft.
Hier geht es zum Beispiel darum, Menschen für demokratisches Engagement zu gewinnen, die die Möglichkeiten demokratischen Engagements bisher aufgrund von Zugangshürden oder Diskriminierungserfahrungen nicht wahrnehmen. Außerdem soll stärker auf diejenigen zugegangen werden, die der Demokratie skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen und die sich von den bisherigen Angeboten der Demokratieförderung nicht angesprochen fühlen.
Extremismusprävention umfasst Inhalte, die sich an die Allgemeinheit richten und durch die demokratischen Grundwerte und Kompetenzen vermittelt werden sollen. Demokratisches Engagement soll noch stärker als bisher gefördert werden.
Die sogenannte sekundäre Prävention nimmt besonders gefährdete Gruppen oder Personen in den Blick, um Anzeichen für eine mögliche Radikalisierung frühzeitig erkennen und gegensteuern zu können. Neben staatlichen Akteuren kommt es im Bereich der Prävention ganz bedeutend auch auf den Einsatz der Zivilgesellschaft an.
Die Werte und Normen der Demokratie gelten auch im digitalen Raum. Da im Netz häufig anonym geschrieben werden kann, gelingt es oft nicht, zügig den Verfasser anstößiger Inhalte herauszufinden. So beabsichtigt die Bundesregierung, mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt ein privates Auskunftsverfahren zu verankern. Hierdurch soll die Identität der Verfasserin oder des Verfassers rechtswidriger Inhalte einfacher geklärt werden, um eine zivilrechtliche Verfolgung zu erleichtern. Wer von Hass und anderen Rechtsverletzungen im Internet betroffen ist, kann bereits nach geltenden Regelungen gegen den Täter oder die Täterin vorgehen. Hierbei lassen sich zum Beispiel Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sowie gegebenenfalls auch Entschädigungsansprüche geltend machen.
Aktive Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sollen beobachtet und konsequent verfolgt werden. Da auch der digitale Raum hier immer mehr Bedeutung gewinnt und über das Internet extremistisches Gedankengut leicht und niedrigschwellig eine große Anzahl an Menschen erreicht, sollen die Sicherheitsbehörden befähigt werden, alle Formen politisch-motivierter Kriminalität und Hasskriminalität wirksam zu bekämpfen.
Der Prozess wurde durch einen gemeinsamen Staatssekretärinnen- und Staatssekretärsausschuss begleitet. Auch gab es eine Beteiligung von Zivilgesellschaft und Wissenschaft im Rahmen des Strategieprozesses.
Mehr zur Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ auf der Website des Bundesinnenministeriums
Neben den übergeordneten Zielen nennt die Strategie auch sieben konkrete Handlungsschwerpunkte:
- Politische Bildung und Demokratiebildung
- Förderung von demokratischem Engagement und Zusammenhalt
- Anerkennung und Wertschätzung einer vielfältigen Gesellschaft sowie Abbau von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
- Förderung von Demokratie und Vielfalt im öffentlichen Dienst
- Prävention von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit
- Umgang mit Hass im Netz und Desinformation
- Beobachtung und Repression
Die Strategie ist dabei nicht als statisches Konzept zu verstehen, sondern eine Rahmensetzung seitens der Bundesregierung, dynamisch offengehalten für lagebedingte weitere Anpassungen und gesellschaftspolitische Diskurse im Sinne eines politischen Projekts und einer stetig fortzuentwickelnden strategischen Vorausschau.